• ich denke, dass so einige mich vom posten hier kennen werden.

    Bis jetzt habe ich immer nur auf andere Threads geschrieben, aber eigentlich nicht über mich. Wobei auch das Antworten und drüber Nachdenken bei anderen mich selbst zum reflektieren über mich veranlasst.

    Ich bin jetzt rund 18 Monate trocken. Eine lange Zeit werden die denken, die noch am Anfang stehen - aber man ist schneller da, als man sich vorstellt, auch wenn man meint, anfangs geht die Zeit nicht rum. Aber ich finde es nicht lang, gemessen an meiner alkoholisierten Zeit.

    Dieses Jahr werde ich 60 Jahre alt. Ich möchte mal schreiben, wie sich das so mit dem Alkohol einschleichen kann, war zumindest bei mir so. Ich bin eigentlich sehr spät mit dem Trinken angefangen. Vll. so mit 40 Jahren. Habe auch dann nicht regelmäßig meinen Wein getrunken und so in etwa 1 - 3 Gläser max. Als ich jung war, habe ich gelegentlich getrunken, auf Feiern, wenn es sich ergab. Aber mir hat Alkohol nicht geschmeckt.

    Dann so nach und nach hat es sich eingeschlichen abends regelmäßig meinen Wein zu trinken und es wurde auch schon mal eine ganze Flasche. Diese Quantum hielt sich über Jahre hinweg. Es war auch immer der Druck da, du musst am nächsten Tag arbeiten gehen und Auto fahren. Ich habe aber dann schon gemerkt in dieser Zeit, dass mein Konsum und das Verhältnis zu Alkohol nicht mehr so ganz in Ordnung ist. Ein Indiz dafür war dann, dass ich bewusst Trinkpausen einlegte, kurze so von einer Woche. Der Alkohol hat mir dann auch nicht gefehlt und es war ein Beweis für mich, dass ich doch nicht gefährdet war, also trank ich dann beruhigt wieder weiter. Andererseits konnte ich es nicht kontrollieren, es wurde immer wieder die gleiche Menge, die ich dann so abends verputzte.

    Ein anderer Beweis für mich war, dass ich auf der Arbeit so gegen Feierabend ganz hektisch wurde und es nicht abwarten konnte nach Hause zu meiner Pulle zu kommen. Das erste Glas Wein, die Welt war für mich in Ordnung und ich saß platt in meinem Sessel und war zu nichts mehr in der Lage. Gottseidank hatte ich eine Putzfrau und der Rest fing so langsam an zu verschmutzen in meiner Wohnung.

    2003 wurde ich arbeitslos. Jetzt hatte ich freie Fahrt. Ich musste ja morgens nicht mehr einigermaßen nüchtern zum Autofahren sein und konnte neben meinen Wein auch meine Schlaftabletten konsumieren. Dann schlich sich auch das Trinken so tagsüber ein. Morgens aufstehen, zusehen, dass das Einkaufen erledigte, weil ja mit Auto. Zurück und dann die Erlösung kam so das erste Glas auf den Tisch und ich war wieder platt und konnte grade noch so meine Wohnung in Ordnung bringen, meine Mutter (die ich pflege und mit der ich zusammen wohne) versorgen, Putzfrau war jetzt auch gekündigt.

    Diese letzten knapp 4 Jahre der Sauferei waren die Hölle. Das Leben tagsüber war nur noch quälend. Die notwendigen Pflichten zu erledigen waren ein Kraftakt und mir war klar, so geht es nicht weiter, es wird alles nur noch schlimmer. Ich war auf dem Weg den Berg steilab. Im Grunde wiederte mich der Alkohol an, aber ich konnte es nicht sein lassen. Jegliche Lebensfreude oder überhaupt jegliches Gefühl waren weg. Alles drehte sich nur noch um Alkohol und abends meine Dröhnung Schlaftabletten.

    Irgendwas hat mich dann wachgerüttelt. Ich wusste, ich wollte nicht mehr. Dann sehr oft den Vorsatz, du hörst mit allem auf. Klappte nicht, denn am nächsten Tag war der Vorsatz weg oder neu da, nach dem Motto, ab morgen und das kann man ja endlos betreiben.

    Ich bin kein gläubiger Mensch, aber ich betete innerlich darum, dass ich die Kraft bekomme, aufzuhören und ich bekam sie. Ich wollte erst meine Tabletten absetzen und sorgte dafür, dass keine im Haus waren und kein Arzt erreichbar fürs Rezept, also am WE. Ab Freitags abend keine Pillen mehr. Sonntags ging es mir dann ganz mies und ich trank ersatzweise mehr Wein. Als ich dann montags morgens wach wurde, drehte sich alles und mir war so schwindlig, dass ich aus lauter Panik den restliche Wein in den Gulli entleerte, keinen Alkohol mehr. Schluss mit allem.

    Dienstag ging es mir dann saudreckig, der Schwindel ging nicht weg. Die Nächte waren ein Alptraum, schlecht gehen und Panikattacken. Ich ging zu meinem HA, weil ich irgendwie mal gehört habe, das es Medis gibt, die den Entzug erleichtern. Er wollte mich sofort in eine Klinik einweisen, aber ging ja nicht, wer kümmert sich dann um meine Mutter. Ich bekam von ihm distraneurin und trabte fast jeden Tag zu ihm hin (Autofahren war nicht mehr drin) und machte mehr oder weniger einen kalten Entzug. Kann ich keinem Empfehlen, war die Hölle.

    Nach 2 Wochen fand mein Doc eine Lösung und überwiese meine Mutter und mich ins Krankenhaus. Mir sind dann erstmal zentnersteine vom Herzen gefallen und ich wusste jetzt wird alles gut. Nach weiteren 2 Wochen wurden wir entlassen und ich ging schon während des Krankenhausaufenthaltes zur SHG, was man mir dort sehr ans Herz gelegt hat. Eine weitere Therapie war nicht drin, halt wegen meiner Mutter. Aber die SHG war für mich sehr wichtig.

    Heute kann ich sagen, es geht mir gut und ich bin ein Stück Weg gegangen. Ich habe noch nicht und werde es vll. auch nicht in diesem Leben, den Stein der Weisen finden. Ich ringe oder besser bemühe mich, auch an mein Ziel zu kommen. Es hat nicht mehr so viel mit dem Thema Alkohol zu tun, weil schon etwas Zeit vergangen ist, seit ich trocken bin - wobei ich nicht sagen will, dass er mir gleichgültig ist.

    Eins war mir von Anfang an klar. Wenn ich mein Leben so weiterlebe wie in und vor meiner nassen Zeit, werde ich wieder rückfällig, also muss ich was ändern. Ich schaue heute auf mein Leben und versuche es zu reflektieren und mir bewusst zu machen, wo ich schräg denke und dementsprechend handle. Ich versuche es dann zu korrigieren, das heißt, zu erkennen und neue Wege und Einstellungen zu finden.

    Ich bin ja schon ein ganzes Stück alt, aber je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass die Arbeit an mir nie aufhört. Ich werde auch noch mit 80 an mir arbeiten. Es ist ein erfüllender und schöner weg, den ich gehe und er macht mich zufrieden und gibt mir das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, auch wenn ich nicht alles richtig mache. Aber ich lerne ja noch und kann immer wieder neu anfange.

    So, ist ein Marathon-Thread geworden. Wenn man aber so mal am schreiben ist, laufen die Gedanken über.
    Danke euch, wenn ihr die Mühe auf euch genommen habt, dass zu lesen.

    LG Brigitte

  • Hallo Brigitte,
    schön dich einmal näher kennenlernen zu dürfen :!:

    Mit deiner Geschichte,kannst Du hier einigen unentschlossenen,und unsicheren Menschen aufzeigen,daß alles zu schaffen ist,wenn der Wille wirklich da ist!

    Gruß Andi

  • Hallo Brigitte,

    ich habe mit großem Interesse Deinen Bericht gelesen, war das doch mit dem langsamen Abgleiten ähnlich bei mir.

    Ich wünsche Dir (und glaube sowieso fest daran), dass Du Deinen bislang erfolgreichen Weg weitergehen wirst!

    Es ist so schön, nichts trinken zu brauchen... :wink:

    Liebe Grüße

    pauly

    Es ist nicht leicht, das Glück in sich selbst zu finden,
    doch es ist unmöglich, es anderswo zu finden.

    Agnes Repplier

    Abstinent seit Oktober 2006

  • Hallo Elfmerlin,

    schön, dass du jetzt auch deinen "eigenen" Thread aufgemacht hast. Es ist doppelt gut, wenn andere mal einen Blick auf die eigenen Gedanken werfen können. Einerseits kann ich nämlich dran lernen und andererseits können dir Menschen sagen, wenn ein als "normal" empfundener Gedanke vielleicht doch eher schräg ist.

    18 Monate, das ist ja schon mal eine ganze Weile - da bin ich auch bald, oder naja, in 13 Monaten ;) Aber ich habe Geduld und will auch dort ankommen.

    Und ich muss einfach ein Kompliment loswerden. Du hast geschrieben, dass du bald 60 Jahre alt wirst und du nimmst dir vor, auch noch mit 80 an dir selbst zu arbeiten. Da muss ich echt sagen "Hut ab", denn die älteren Menschen die ich so kenne sind sehr, sehr eingefahren in der Art und Weise wie sie sind, was sie denken, als richtig empfinden, etc. Du liest dich jung und frisch und das finde ich echt gut.

    Viele Grüße,

    Timster

  • Hallo Brigitte,

    auch ich habe Deinen Thread mit großem Interesse gelesen.
    Ich habe auch 20 Jahre rumgeeiert. Habe Trinkpausen eingelegt, nur um mein Gewissen zu beruhigen. Irgendwie war alles grauenvoll und krampfhaft. Und irgendwann bin ich morgens wach geworden und brauchte den Alkohol.
    Dann im Februar´07 hisste ich die "weiße Fahne" und habe kapituliert. Es ging einfach nichts mehr. Weder psychisch noch physisch.
    Ich hoffe jetzt auf dem richtigen Weg zu sein.
    Ich möchte nie wieder dahin kommen wo ich hergekommen bin!

    Mann (Frau) muß erst gehen lernen, bevor man laufen kann.

    Alles Gute und liebe Grüße
    Birgit

    Alkoholikerin aus Zufall
    Trocken aus Wahl

  • Sehr schön, eure Antworten. So ein richtig positives Feedback.

    Dank dir Timster für das Kompliment, ist runtergegangen wie Öl. Sowas tut mir auch gut.

    Ich kenne auch viele Leute, solche in meinem Alter, aber auch Junge, die auf der Stelle strampeln. Frage mich schon, wieso wird es dem einen bewusst und der andere dreht sich nur im Kreis. Aber vll. bewegt sich bei diesen Leuten auch was, mit Sicherheit, nur es ist für uns nicht offensichtlich. Sie werden auf ihre Art lernen und wenn nicht freiwillig, dann durch schmerzliche Erfahrung, bis sie wach werden.

    War zumindest bei mir so. Ich habe durch schmerzliche Erfahrung gelernt. Mein Leben war, als ich jung war, nicht so ganz einfach. Neben einer körperlichen Erkrankung, hatte Unterleibsprobleme und mehrer OPs, die mit 20 dann beendet waren, fing so mit 16 Jahren bei mir massive Angstattacken an. Ich musste mit dieser Angst irgendwie überleben, keiner konnte mir helfen. Psychotherapeutische Hilfe war zu dieser Zeit noch nicht so aktuell und wurde auch von den Krankenkassen kaum genehmigt. Also entdeckte ich, dass mir Tabletten – Transquilizer und Schlaftabletten, eine Möglichkeit gaben, mit dieser Angst so einigermaßen den Alltag rumzukriegen.

    Irgendwann viel ich dann bei dem Doc auf, wo ich immer meine Rezepte holte, mit vielen Tricks. Also Entzug mit starkem Delier und vielen Tieren, die über mein Bett krabbelten. Auch da kriegte ich innerlich so einen Kraftschub und wollte auch nichts mehr zu mir nehmen und wurde auch sehr schnell gesund. Das ging auch Jahrzehnte gut. Die Angst blieb aber. Also fing ich mich selber an zu erforschen und nach den Gründen zu suchen.

    Ich glaube, wenn man einmal diesen Weg gegangen ist, bleibt man immer auf dem Weg. Nur die Art, wie man es macht, wandelt sich. Früher habe ich sehr viel gegrübelt, was nichts brachte. Heute habe ich mehr die Haltung, mir das Anzuschauen und Anzunehmen, was nicht in Ordnung ist. Natürlich denke ich auch über die Ursachen nach.

    Heute ist die Angst, nach vielen Therapien und Reha-Aufenthalten, weg. Eigentlich weiß ich gar nicht, wie sie verschwunden ist. Ob durch die Therapien, ob durch mein Arbeiten daran. Wahrscheinlich alles zusammen. Was geblieben ist – mit dem ich nicht zufrieden bin – ist mein innerer Druck und mein Gehetztsein, eine ständige Anspannung. Mit dem Willen kann ich nicht dagegen steuern. Mit dem Willen kann ich mir auch nicht die Ursachen bewusst machen. Aber dieses negative Gefühl war u. a. auch ein Grund für mich zu trinken. Mir etwas Entspannung zu holen und diese Gefühle wegzumachen.

    Gleichzeitig wusste ich, dass ich so nicht an diesen Gefühlen arbeiten kann. Der Alkohol stagniert alles und ich trete nur auf der gleichen Stelle und drehe mich im Kreis. Das konnte es auch nicht sein. Jetzt bin ich wieder nüchtern. Die negativen Gefühle sind auch wieder da. Aber ich sehe es jetzt auch als Chance, daran zu arbeiten. Wie, weiß ich selber noch nicht so richtig. Vll. sollte ich auch mal etwas Vertrauen haben, dass es Kräfte in einem gibt, die einen auf den richtigen Weg lenken, So wie damals bei meiner Tablettensucht und bei meiner Alkoholsucht, da gab es auch irgendwas in mir, was mir die Kraft gab, aufhören zu können.

  • Hallo Elfmerlin,

    ich habe mich sehr über deinen Bericht gefreut und finde es toll, wie du deinen Weg gehst. Mit deinen jahrzehntelangen Erfahrungen kannst du hier sicher vielen Leuten (inklusive mir) gute Tipps geben.

    Gruß,

    Blizzard

    Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. (V.E. Frankl)

  • Ist schon so eine Sache mit dem Helfen, Blizzard. Was für mich bei manchen anderen mal sonnenklar ist, ist für dem mit dem Problem oft noch nicht klar, weil er einfach auf eine andere Schiene noch fährt.

    Ich würde oft gerne helfen, manchmal sogar gerne die Leute zu ihrem Glück zwingen. Geht nicht, habe ich mir im Laufe der Jahre abgeschminkt. Jeder kann nur seinem Bewusstsein gemäß nur das aufnehmen wofür er empfänglich ist. Leider habe ich oft festgestellt, dass die anderen für wenig empfänglich sind.

    Habe für mich meine Lehre daraus gezogen. Ich kann mitteilen, wie ich was in einer Situation gehändelt habe und der andere kann damit machen, was er will oder besser, wozu er fähig ist. Das habe ich auch hier im Forum zu spüren bekommen, das manche (du übrigens auch) offener sind, sich andere Standpunkte oder Meinungen anzuhören. Bei anderen findet es überhaupt keine Resonanz.

    Heute vormittag hatte ich meinen Nähkurs. Jemand brachte Maibowle mit. Ich muss gestehen, davon hätte ich schon gerne ein Glas getrunken, weil ich die einfach so lecker finde. Auch bei mir kommen Versuchungen auf. Ich weiß und halte mir immer vor Augen: das erste Glas stehen lassen. Nach dem Augenblick des Wunsches, war es allerdings auch sofort wieder vergessen.

  • Guten Morgen Brigitte,
    ich habe gerade deine ausführliche Vorstellung gelesen. Wie sehr sich doch unsere Geschichten gleichen!
    Du hast mir Mut gemacht, meinen Weg weiter zu gehen.
    Danke erstmal, ich melde mich später wieder.
    Sweety

    Es ist keine Schande krank zu sein.
    Es ist aber eine Schande, nichts dagegen zu tun!

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