Die Sache mit der Normalität...

  • Nachdem ich gestern bereits den Vorstellungsbereich mit einem längeren Text verziert habe, fasse ich meine “Karriere” hier nochmal kurz zusammen:

    Ich bin 41 Jahre alt und trinke seit ungefähr meinem 16. Lebensjahr, zu Beginn noch moderat, im Laufe der Zeit immer mehr und vor allem in sturer Regelmäßigkeit.

    Bevor ich trocken wurde, war es in der Regel 1 Flasche Wein pro Tag mit steigender Tendenz: diese Flasche war immer höllisch schnell leer und ich hatte diese unerklärliche Gier nach noch mehr... Ich habe dann auch angefangen, Vorräte anzulegen bzw. Flaschen so zu deponieren, daß mir bloß niemand mit dem Austrinken zuvorkommt.

    Letztes Jahr ging es meinem Vater – denn in meiner Familie wurde schon immer und vor allem heftig gesoffen – alkoholbedingt sehr schlecht, er hat dann eine Entziehungskur und ein paar Wochen Therapie absolviert, trinkt allerdings wieder (zur Zeit noch mäßig, aber ich glaube nicht, daß es dabei bleibt). Sein Zustand hat mich immerhin soweit erschreckt, daß ich zusammen mit meinem Freund (der nicht abhängig ist) eine zweimonatige Trinkpause eingelegt habe. Ich wußte damals nicht, daß das eine typische Alkoholikeraktion ist – Päuschen machen und dann denken: “prima, ich hab’s doch im Griff!”. Nach der Pause bin ich wieder voll eingestiegen, was mich im Nachhinein sehr erschreckt hat, denn Tempo und Menge meines Alkoholkonsums wurden immer höher. Seit Anfang 2007 ist das Thema Alkoholabhängigkeit ständig in meinem Kopf, aber ich habe noch ein paar Monate gebraucht, bis ich mir meine Abhängigkeit selbst eingestehen konnte. Ende Juni war dann Ende – seitdem bin ich trocken, was mal mehr und mal weniger schwerfällt.

    Dieses Forum kenne ich schon länger, und ich bin sehr beeindruckt davon. Das Lesen der Beiträge hat mir enorm weitergeholfen, und zu Beginn hat mir das auch gereicht. So langsam merke ich aber, daß sich mein trockenes Leben normalisiert und in Grenzen sicher auch stabilisiert. Nur ist das Thema Abhängigkeit in letzter Zeit etwas in den Hintergrund geraten, und das erscheint mir ziemlich riskant. Aus diesem Grund habe ich mich endlich doch hier registriert, damit ich im Forum mehr als nur lesen kann.

    Tja, jetzt ist der Text doch länger geworden als geplant. Das kann ich guuut... :) Aber trotzdem noch kurz zu dem, was ich in nächster Zeit vorhabe:

    Ich möchte mich wieder stärker mit meinen Zielen beschäftigen, mir Gedanken über das machen, was im Alltag eines gerade erst trockenen Alkoholikers eben so eine Rolle spielt, mich auseinandersetzen mit meinem Verhalten, das jahrelang von der Sucht geprägt war und ja jetzt nicht von einem Tag auf den anderen “normal” geworden ist - - - und, und, und.

    Gerade diese unübersichtliche Menge verschiedener Aspekte verwirrt mich zur Zeit noch ganz schön. Vielleicht läßt sich ja einiges durchs Schreiben (aber auch Lesen) in diesem Forum aufdröseln.

    Viele Grüße
    Zeppeline

  • Hallo an alle,

    der heutige Tag war bis jetzt eher durchschnittlich toll. Bin heute früh zwar erstmal hoch motiviert an meine Arbeit gegangen, war aber ständig abgelenkt, so dass ich nicht so recht vorwärtsgekommen bin. Mir fällt es ziemlich schwer, unangenehmen Tätigkeiten nicht andauernd auszuweichen.

    Am Ende kosten mich das Herumschleichen um Aufgaben, die zahlreichen Selbstablenkungsmanöver und die daraus resultierenden Schuldgefühle mehr Energie, als wenn ich Sachen direkt angehen würde. Von der Papierverschwendung in Form von Zeitplänen, die ich dann doch nicht einhalte, mal ganz zu schweigen :? .


    Noch was zum Thema trockenes Leben:

    Nach dem Themenchat am vergangenen Sonntag hab ich nochmal über das Problem der Feiertage und allgemein der besonderen Anlässe nachgedacht. Vor einigen Wochen hätte ich noch kein Problem darin gesehen, einen Weihnachtsmarkt zu besuchen und stolz erhobenen Hauptes am Glühweinstand vorbeizugehen, aber jetzt...

    Wenn ich mir allerdings so etwas verkneife, sollte ich mir vielleicht lieber jetzt schon überlegen, was ich stattdessen so unternehmen könnte. Mir geht’s darum, die Verzichtgedanken möglichst gering zu halten. Das funktioniert wohl am besten, indem ich mir bewußt “neue” Aktivitäten aussuche, die an die Stelle anderer, riskanter Dinge treten. Ich werde mal prüfen, was außer brr, Winterspaziergängen, brrr, noch so auf dem Programm stehen könnte...

    Viele Grüße
    Zeppeline

  • Hallo Zeppeline

    Auch von mir ein WILLKOMMEN IM FORUM. Ich habe am 14.08 aufgehört und meine Phase wo man von PROBLEMATISCHEM KONSUM reden kann begann vor ca. 10 Jahren. Auch bei mir hat es sich immer mehr hochgeschaukelt. Zuletzt Flasche Wein und ein paar Bier jeden Abend

    Auch ich bin gerade in dieser Phase wo so ab und dann mal dieser "War ja nicht so schlimm Gedanke" aufkommt. Ich glaube der ist BRANDGEFÄHRLICH und kann schneller zum Rückfall führen als man es wahrnimmt

    Was mich nun interessieren würde (da wir beide das selbe Trinkverhalten haben/hatten was die Mengen angeht)

    Hast Du in irgendeiner Form Hilfe von außen angenommen. "Echte SHG" Entzug, Endgiftung ???

    Wäre prima wenn Du die Frage mal eben beantworten könntest :wink:

  • Hallo Vaan,

    uups, gerade eben sah ich, dass Dich JoeDoe trickreich in Deinen eigenen Thread zurückgeholt hat.

    Davon will ich Dich nu gar nicht ablenken, aber Deine Frage kann ich hier ja doch fix beantworten. Du fragtest, ob und was ich unternommen hab, als ich mit dem Trinken aufhörte (ich denke, die Frage ist legitim, ob Dir die Antwort weiterhilft, weiß ich allerdings nicht). Also, ich bin 3 Tage, nachdem ich aufgehört hatte, in eine “reale” (naja, dieses Forum hier ist ja auch sehr real) Selbsthilfegruppe marschiert, weil mir schwante, daß die Gefahr eines Rückfalls für mich sonst gigantisch hoch wäre. Und weil ich kurz zuvor in einem Buch gelesen hatte, daß es ganz typisch für Alkoholiker sei, immer alleine mit Problemen herumzukämpfen, anstatt Hilfe zu suchen.
    Und ich hatte immer gedacht, das sei eben einfach so ein Charakterzug von mir... :shock:

    Wie auch immer, ich mag ein “Frischling” sein, aber den Besuch einer SHG kann ich Dir wärmstens empfehlen. Ist auch gar nicht schlimm.

    Viele Grüße,
    Zeppeline

  • Hallo Zeppeline,

    auch von mir erstmal ein herzliches Willkommen :D !

    Mein Beitrag in Vaan's Thread sollte Dich natürlich nicht daran hindern, ihm hier auch zu antworten. Ich wollte den guten Vaan nur ein wenig animieren, mal wieder ein wenig über sich zu schreiben. Wir sind ja sozusagen alle ungefähr im gleichen Alter ... trockenheitstechnisch gesehen jedenfalls :wink: . Und da gibt es sicher noch die ein oder andere Schwierigkeit, die uns auf unserem Weg in die Quere kommen wird, also noch viel zu lernen für uns 'Frischlinge'!

    Ich würd mich freuen, weiter von Dir zu lesen, vielleicht habe ich dann und wann sogar auch einen kleinen Denkanstoss oder etwas ähnliches für Dich parat. Mal sehen!

    Liebe Grüße

    J.

    Was ist, ist - was nicht ist, ist möglich! ///// 17.07.07

  • Hallo Zeppeline,

    von mir auch ein willkommen hier in dem Forum, wir kennen und ja schon aus dem Chat und dem Vorstellungs Thread! :)

    Als ich das erstemal hier im Forum ankam und nur laß, war ich noch nicht soweit wie du es heute schon bist! :wink:

    Voller Euphorie habe ich gedacht ,es geht auf meinen eigenen Weg! Was die da schreiben ist doch Quatsch !
    Nach 12 Wochen Trinkpause habe ich es dann leidvoll erfahren das sie doch recht hatten :roll::oops: nun bin ich wieder seit dem 7.5 ohne Alkohol und werde jeden Tag Trockener!

    Du kommst hier am Sonntag an, gleich in den Chat , aufgepasst , zugehört und gleich Gedanken gemacht , wie du Weihnachten ohne großen Verzicht zu feiern ist! Ohne groß nachzufragen sondern gleich gehandelt!

    ECHT KLASSE :!:

    Schön das du nicht schon mit einer vorgefertigter Meinung, hier ankommst und bereit bist von den LZT zu lernen!

    Gerade am Anfang ist die Distanz zum Alkohol überlebungswichtig !

    Ansonsten finde ich die Vorschläge von Pauli nicht schlecht ! Es solle ja auch ein sinnvoller "Ersatz" sein ,anstatt der Weihnachtsmarkt!
    Ich selbst mache was mit meinen Kinder , denn die haben gerade in dieser Zeit viel erleiden müssen!

    Ich freue mich mehr von dir zu lesen!

    Gruß M2109

    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Hallo JoeDoe, Pauli und M,

    boaah, danke für das herzliche Willkommen, ist schön, so nett aufgenommen zu werden. :):):)

    JoeDoe : keine Sorge, hab ich nicht falsch verstanden; und Denkanstösse sind mir natürlich immer herzlich willkommen. Ich hab auch von Deinem Thread in letzter Zeit ne ganze Menge gelernt.

    @Pauli: prima Vorschläge, die werden sofort in meine Vorweihnachtsplanung aufgenommen.

    und zuguterletzt @M: so ein fettes Lob tut natürlich gut, aaaaber: erstens lese ich hier im Forum ja schon länger und hatte einige Zeit, über alles nachzudenken, zwotens hilft mir da meine Selbsthilfegruppe (und die hatten anfangs echt Arbeit mit mir und meinen "Überzeugungen", ich wollte ja auch unbedingt alles austesten und mir nach Möglichkeit noch beweisen, wie willensstark ich bin :? ), und drittens eiere ich in vielen Dingen immer noch ganz schön herum. Vieles fällt mir noch unendlich schwer oder irritiert mich einfach nur,d avon kriegt Ihr bestimmt noch so einiges zu lesen. Das ist ja auch der Grund, warum ich mich hier endlich registriert habe und aktiver mitmachen will.

    Danke nochmal für die super Aufnahme hier und viele Grüße,
    Zeppeline

  • Hallo Zeppeline,

    Danke für die Aufklärung :wink:

    Ok 8) Dann Lob ich dich und deinen geradlinigen Weg aus der Sucht! :lol:

    Schließlich hast du ja selbst auch erkannt ,das dein erster Weg mit Willen nichts gebracht hatte, und du nun durch die Erfahrung einen anderen Weg gehst ,der dir durch Austausch aufgezeigt wird!

    dann schreibe mal auf, was wir zu lesen bekommen sollen! :?

    Gruß M2109

    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Hallo Zeppeline,

    wir kennen uns ja auch noch aus dem Chat ;) .

    Ich finde deinen Ansatz mit den Verzichtsgedanken bezüglich der Weihnachtsmärkte - und anderer Weihnachtsfestivitäten - sehr wichtig. Ich habe für mich festgestellt: Solange ich das Gefühl habe, auf etwas zu Verzichten, kann ich nicht zufrieden trocken sein. Das funktioniert nicht. Bisher hat es immer gut funktioniert, etwas anderes zu machen, was genauso viel Spaß macht - das kann lecker kochen sein, Weihnachtsdeko basteln (ok, das geht bei mir erst Ende November los...), Kekse backen, eine Teatime zelebrieren...

    Daneben ist mir wichtig zu ergründen: Verzichte ich WIRKLICH auf etwas? Wenn ja, auf was meine ich denn zu verzichten? Vordergründig kommt die prompte Antwort: Auf den Spaß, den der Alk oder Feten mit Alk gebracht haben! Spaß, Spaß, Spaß! Aber inzwischen wird mir immer klarer: Es geht mitnichten um Spaß. Mein Suchtgedächtnis will nur wieder an Alk kommen, das ist alles. Ich bin süchtig, und deshalb will ich meinen Suchtstoff. Trinken hat mir schon seit Monaten keinen Spaß mehr gemacht.

    LG
    Plejaden

  • Hallo Plejaden,

    dieses merkwürdige Gefühl, mangels Alkoholzufuhr auf Spaß verzichten zu müssen, habe ich auch; und das obwohl die Erfahrung inzwischen gezeigt hat, daß ich überhaupt kein Problem habe, ohne das Zeug fröhlich zu sein. Es kann also nur am Suchtgedächtnis liegen, und das ist immer dann besonders aktiv - jetzt müßte ich eigentlich in Deinen Thread rüberspringen, um Dir auf den dortigen Beitrag zu antworten - ähm, das ist besonders aktiv, wenn ich mich in alkoholgeprägter Umgebung aufhalte oder aufgehalten habe.

    Sobald ich das Zeug in der Nähe habe, springt der Motor an, und es braucht schon einige gedankliche Energie, um ihn wieder zum Stoppen zu bringen. Und gegen die dann entstehenden Verzichtgedanken anzukämpfen... Eigentlich ist es da naheliegend, einen großen Bogen um "alkoholische Umgebungen" zu machen.

    Ich hab nochmal nachgedacht, warum sich die meisten von uns gerade am Anfang so fürchterlich schwertun, das zu kapieren. Wahrscheinlich liegt es daran, daß wir meinen, etwas durch Willenskraft und Konfrontation besiegen zu müssen. Klappt aber nicht, wenn man mit einem Suchtgedächtnis ausgestattet ist.

    Tja, und es ist eben auch unbequem, sein Leben umstellen zu müssen. Wenn es ausreicht, nur mit dem Trinken aufzuhören, muß ich nix ändern; ich muß auch nicht meine Umgebung ändern. Das Thema Weihnachtsmärkte hat mir wieder klargemacht, daß ich nicht nur ein altes Ritual - vorübergehend oder dauerhaft, keine Ahnung - ablegen muß, sondern daß ich auch einigen Freunden erklären sollte, warum ich da nicht hingehe. Die Leute, die ich häufiger treffe, wissen größtenteils Bescheid, aber andere sehe ich einfach nicht so häufig, die sind noch nicht im Bilde. Jetzt habe ich die Wahl: entweder Ausreden erfinden oder eben Farbe bekennen. Vor kurzem hätte ich die Ausreden noch vorgezogen, aber so langsam denke ich um. Das ist aber unbequem, anstrengend und auch ein wenig beängstigend... obwohl die Umfrage bei den Langzeittrockenen ja gezeigt hat, daß man eher Respekt als Ablehnung erntet, wenn man zu seiner Alkoholabhängigkeit steht.

    Auweh, viel Text am frühen Morgen. Naja, ich wünsche Euch allen einen schönen trockenen Tag,
    viele Grüße,
    Zeppeline

  • Zitat

    dieses merkwürdige Gefühl, mangels Alkoholzufuhr auf Spaß verzichten zu müssen, habe ich auch; und das obwohl die Erfahrung inzwischen gezeigt hat, daß ich überhaupt kein Problem habe, ohne das Zeug fröhlich zu sein.... Sobald ich das Zeug in der Nähe habe, springt der Motor an, und es braucht schon einige gedankliche Energie, um ihn wieder zum Stoppen zu bringen.


    Genau so geht es mir auch. Die Verzichtsgedanken kommen zum einen vom Suchtgedächtnis, aber zum anderen werden sie auch durch das Umfeld suggeriert. Wie ich mal geschrieben hab, hab ich bis zu meinem 20. Lebensjahr keinen Alk getrunken, und habe mir dabei genug Sprüche gefangen. Spielverderber. Spaßbremse. Langweilerin. Die Werbung zielt in eine ähnliche Richtung. Aber ich bin ohne Alkohol auch lustig. Ich BRAUCHE keinen Alkohol, um lustig zu sein und Spaß zu haben. Wenn ich verkrampft bin und Alk zur "Lockerung" bräuchte, dann habe ich an diesem Ort und bei diesen Menschen nichts verloren. Was soll ich an Orten tun, die mir Angst machen? Freiwillig? In meiner Freizeit?
    Nichts ;) .

    Zitat

    Ich hab nochmal nachgedacht, warum sich die meisten von uns gerade am Anfang so fürchterlich schwertun, das zu kapieren. Wahrscheinlich liegt es daran, daß wir meinen, etwas durch Willenskraft und Konfrontation besiegen zu müssen. Klappt aber nicht, wenn man mit einem Suchtgedächtnis ausgestattet ist.


    Ich hab bei mir sogar das Gefühl, dass mein Suchtgedächtnis selbst mich an solche Orte "treiben" will. Es will unbedingt in die Nähe seines Suchtmittels kommen. Also scheint es sich zu denken "Na, schaffen wir dieses Körperdings, in dem ich stecke, erstmal da hin, danach sehen wir weiter. Die 'Komm-schon-nur-ein-Glas'-Methode hat doch schon oft genug geklappt!"
    Ne, nicht mit mir ;) . Selbst wenn Komm-schon-nur-ein-Glas nicht aktiviert wird, ist mir der von dir beschriebene Motor schon blöd genug. Ich beschäftige mich auf eine negative Weise damit, Alk wirbelt in meinen Gedanken umher, und das ist anstrengend und gefährlich.

    LG
    Plejaden

  • Hallo Forum,

    dieser Tag war ganz gut – das Problem mit meiner üblichen Aufschieberei hatte ich heute so ziemlich im Griff, auch wenn ich immer mal wieder dagegen ankämpfen muß, mich von nicht so angenehmen Aufgaben abzulenken oder von einer unangenehmen Aufgabe zur nächsten zu hüpfen und am Ende gar nichts auf die Reihe zu kriegen.

    Da fällt mir auf, daß ich allgemein ein ziemliches Problem damit habe, im Hier und Jetzt zu sein; meine Gedanken schweifen oft ab, ich bin dann oft schon zwei Schritte weiter, statt mich mit der Gegenwart zu beschäftigen.

    Wenn ich gerade einen Text lese, denke ich schon wieder daran, daß ich zur Bibliothek muß, um ein Buch abzuholen. Auf dem Weg zur Bibliothek fällt mir ein, daß ich eigentlich dringend was zu essen einkaufen muß, usw. Diese Rastlosigkeit und Ungeduld war während meiner Trinkzeit noch viel schlimmer, aber ich habe offenbar immer noch ein gehöriges Problem damit.

    Sport und leider noch sporadisches autogenes Training (naja, ich fange gerade mal wieder an damit – zum ichweißnicht-wievielten Male) helfen da schon ein bißchen, aber selbst da muß ich aufpassen, bei der Suche nach der Geduld nicht zu ungeduldig zu werden... :oops:

    Hab mir heute überlegt, was die prägendste Eigenschaft meiner Abhängigkeit war. Das war eindeutig die Gier, das Gefühl, den Kragen nicht voll genug zu bekommen. Schon beim Öffnen einer Flasche empfand ich ein Gefühl des Verlustes, weil die ja ganz schnell wieder leer sein würde (aha, auch da dieses merkwürdige Vorausdenken!).

    Da die psychische (im Gegensatz zur körperlichen) Abhängigkeit bei mir – noch – im Vordergrund stand, war es mir manchmal weitaus lieber, überhaupt nichts zu trinken zu bekommen als nur ein oder zwei Gläser. Gravierende körperliche Entzugserscheinungen hatte ich nämlich noch nicht, aber nach 1 Glas wollte ich garantiert meeeehr. Ein ganz schön deutliches Indiz für Kontrollverlust der allerfeinsten Sorte.

    So, ich werde jetzt noch ein paar Dinge erledigen und dann zum Sport gehen. Eins nach dem anderen, wohlgemerkt... :)

    Viele Grüße
    Zeppeline

  • Heute war ein mit Arbeit vollgequetschter Tag, bin gut mit meinem Kram vorangekommen und konnte zwischendurch sogar vergessen, daß ich mich so gerne ablenken lasse.

    Nachmittags gab es eine Situation, die ich hier nicht im Detail schildern mag – dafür ist mir dieser Forenbereich ein wenig zu offen – aber die Details sind auch nicht wichtig, hier nur soviel: es war ein unangenehmer Termin, den ich mir am liebsten erspart hätte. Das wäre auch möglich gewesen, umso zufriedener bin ich, nicht gekniffen zu haben. Auch die angsteinflößende Aufgabe, mich in einer Gruppe zu Wort zu melden und notfalls vehement meine Meinung zu vertreten, konnte ich diesmal gut meistern, bin seeeehr stolz.

    Heute abend war ich dann noch in meiner Selbsthilfegruppe, und heute hat sich das mehr als gelohnt. Zum einen war es einfach ein schöner und anregender, oft auch sehr lustiger Abend, zum anderen haben mir die Berichte der anderen und die gesamte Diskussion heute sehr weitergeholfen. Das ist nicht immer so, an manchen Abenden meint man (wie ein Teilnehmer es mal formuliert hat), der einzige Mensch in der Gruppe mit einem Alkoholproblem zu sein. Da wird nur gequatscht und rumgealbert. Finde ich aber nicht schlimm, wenn zwischendurch wieder tolle Gespräche stattfinden.

    Erschüttert hat mich heute, daß ich zum Zeitpunkt des Aufhörens verdammt nah an einer richtigen körperlichen Abhängigkeit dran war, und zwar viel näher als ich bislang dachte. Das ist mir während des Gesprächs in der SHG klargeworden, aber noch mehr danach, beim Lesen im Thread von Plejaden – auch ich hab mir bis jetzt vorgemacht, ich hätte “nur” Wein (jaja, lacht nur), aber nie Härteres getrunken. Reiner Selbstbetrug, denn wie mir angesichts von Plejadens Feststellung einfiel, hab ich mehrfach zu den höherprozentigen Flaschen gegriffen, wenn grade nicht genug Wein für meinen Pegel da war. Dabei hab ich nie größere Mengen vertilgt, aber daß ich mich bis grade eben selbst darüber getäuscht habe .... schauder. Bin gespannt, was noch so an bis jetzt verdrängten Erinnerungen hochkommt.

    Ich wünsche Euch allen ein schönes Wochenende,
    Zeppeline

  • Obwohl am Wochenende und heute am Montag ganz schön viel los war, gibt es wenig Nennenswertes aufzuschreiben, mit Ausnahme einer längeren Attacke von Unruhe und einem Gefühl der Leere (= Saufdruck!) am Samstag-Abend, von der ich nicht weiß, was sie ausgelöst hat. Ganz zu Beginn der Abstinenz war das an jedem Wochenende so, nur dachte ich, da sei ich drüber weg. Was für ein Irrtum.
    Es war jedenfalls nicht die Karnevalsstimmung, soviel steht wenigstens fest, da gibt es nur ein Meer von Desinteresse bei mir. Wie auch immer, diese Unruhe war umso blöder, weil ich sie mir nicht erklären konnte.

    Am Sonntag gab es dann zum Trost und zur Belohnung einen langen Spaziergang mit Freunden und danach - brrr, war das ein Wetter! was für eine merkwürdige Form der Belohnung, bei Schnee und Regen draußen rumzutrotten - einen Cafébesuch. Das mache ich jetzt häufiger, ist so ne Art Ersatzritual für Kneipenbesuche :wink: .

    Nachdem in einigen anderen Threads in letzter Zeit häufiger von sozialer Phobie die Rede war, hab ich die letzten Wochen und Monate mal Revue passieren lassen, um zu sehen, was denn so aus meinen diversen, früher ständig präsenten Ängsten und Unsicherheiten geworden ist – das betrifft ganz besonders das Reden vor Gruppen (auch vor kleineren, eher inoffiziellen Gruppen, allerdings wird’s immer schlimmer, je offizieller der Anlaß ist und je mehr Leute daran teilnehmen). Da mein Alltag sich zur Zeit eher in kleinerem Rahmen abspielt und ich meist mit wenigen und vor allem immer denselben Leuten zusammentreffe, kann ich nicht wirklich überprüfen, ob sich für mich was verändert hat. Allerdings fällt es mir in der SHG sehr leicht, vor den anderen zu sprechen, und ich hab es auch bei ein paar Gelegenheiten gepackt, mich an Diskussionen zu beteiligen, ohne vor Angst unter den Tisch kriechen zu müssen; eine gewisse Überwindung war es immer noch, aber es ging. Das stärkt natürlich wiederum das Selbstvertrauen. Ist ein gutes Gefühl.

    Ansonsten gibt es hauptsächlich mehrere kleinere Siege über den guten alten Schweinehund zu vermelden, ob es nun der erwähnte Schlechtwetterspaziergang ist oder die zweimal pro Woche stattfindende Sportveranstaltung. Achja, und das Autogene Training, das wird langsam richtig guuut! Hab das früher zu Saufzeiten schon mehrfach versucht, aber da war es ein Teufelskreis: wenn man es richtig lernen will, sollte man schon ein wenig innere Ruhe und Geduld mitbringen, und da hat’s bei mir immer gehapert. Jetzt geht das schon viel besser, ich muß mich nur regelmäßig aufraffen. Und versuchen, nicht dabei einzupennen, wie es mir heute früh passiert ist :shock: .

    Tja, wenig Neues, zugegeben. Aber ich bin ganz zufrieden mit dieser Ereignislosigkeit. Wünsch Euch eine schöne Woche, ob nun ereignisarm oder nicht,
    viele Grüße,
    Zeppeline

  • Hallo zeppeline,

    eine zufriedene Ereignislosigkeit ist doch auch mal etwas schönes :D . Es muß ja nicht immer etwas passieren - einfach mal abschalten und die Seele baumeln lassen ist doch echt entspannend!

    Bei den Thema soz.Phobie fühle ich natürlich ein wenig angesprochen :wink: . Also prinzipiell mache ich gerade ähnliche Erfahrungen, wie Du sie geschildert hast. Beim Thema Alkohol unter Gleichgesinnten fällt es mir doch mittlerweile recht leicht, offen zu sprechen und mich auch an Diskussionen zu beteiligen. Das liegt bei mir sicher auch daran, dass die Alkoholthematik natürlich schon länger in meinem Kopf herumspukt, ich den Austausch darüber jedoch bis zu meiner Abstinenzentscheidung konsequent vermieden habe. Ich denke, dass ich über die Zeit durch die Teilnahme an diesen zum Teil sehr dynamischen Gruppengesprächen auch -im Rahmen von Transferleistung- in die Lage versetzt werde, in anderen Situationen selbstsicherer aufzutreten. (Mein Gott, was ein Satz :roll: ). Also immer schön dran bleiben!

    Liebe Grüße

    J.

    Was ist, ist - was nicht ist, ist möglich! ///// 17.07.07

  • Uff, schon Wochenmitte! Irgendwie ist bei mir kräftig der Alltag eingekehrt, das mit der “Ereignislosigkeit” ist also schon fast wieder überholt. Andererseits passiert wenig Neues und Unerwartetes, daher brauche ich hier auch keine Romane über den Tagesablauf zu schreiben.

    Immerhin bleibt so genug Raum und Muße, um gelegentlich mal über den eigenen Zustand nachzudenken. Der Alkohol ist nach inzwischen mehr als 4 Monaten Abstinenz nicht mehr ganz so präsent, d.h. ich starre nicht mehr ungewollt, aber umso faszinierter auf die Weinflaschen im Supermarktregal, gucke nicht mehr ganz so wehmütig durchs Fenster in hellerleuchtete Restaurants (und vor allem auf die schicken Gläser auf den Tischen) und muß nicht die ganze Zeit an diesen zermürbenden Verzicht denken. Einfach weil da inzwischen viel weniger Verzichtgefühl ist. Ich kann aber auch nicht behaupten, daß sich dieses Verzichtgefühl komplett aufgelöst hat; es taucht nun deutlich seltener, gemeinerweise aber auch deutlich überraschender auf. Genauso unerwartet verschwindet es dann meist auch wieder.

    Etwas gespenstisch finde ich auch die Geschwindigkeit, mit der ich Dinge vergesse, die früher massiv meinen alkoholischen Alltag geprägt haben. Der SHG sei Dank werde ich aber immer schön dran erinnert, denn mich gibt es – um mal eine Formulierung aus einem anderen Thread aufzugreifen – offenbar ca. 15mal (das ist so die durchschnittliche Teilnehmerzahl in der Gruppe); jedenfalls erzählen die anderen ständig meine eigenen Erlebnisse... gestern abend ging es beispielsweise um die schlauen Tricks, mit denen wir meinten, vor anderen unseren Alkoholkonsum verbergen zu können. Wie zum Beispiel das System mit den zwei identischen Trinkgefäßen – das eine zum Vorzeigen (und mit einem nichtalkoholischen Getränk gefüllt), das andere im Versteck, um immer schön ungesehen nachtanken zu können. Meiomeiomei.... Diese Tricks sind ja an sich schon völlig grotesk, aber viel schlimmer finde ich die Tatsache, daß mir überhaupt nicht aufgefallen ist, was für einen Scheiß ich da mache.

    Sei’s drum, es ist sicherlich gut, sich angesichts eigener Gedächtnislücken häufiger dran erinnern zu lassen. Und auch sonst muß ich mir immer wieder klarmachen, wie wichtig der Besuch der SHG für mich ist (genauso natürlich der Besuch dieses Forums).

    JoeDoe : hmm, ich glaube die Hoffnung auf Transferleistung in Sachen Selbstbewußtsein (so schlimm isser übrigens gar nicht, Dein Satz :) ) ist berechtigt. Mir hilft die Übung in der Selbsthilfegruppe auch ganz hervorragend dabei, auch sonst im Alltag klarzukommen, das ist eine sehr angenehme "Nebenwirkung" der Meetings. Gelegentlich ertappe ich mich sogar dabei, ohne größeres Nachdenken Situationen zu meistern, die mir früher eine Heidenangst eingejagt hätten. Das fällt mir witzigerweise immer häufiger erst nachher auf. Klasse, oder?

    So, im Nebenzimmer raschelt gerade jemand mit dem Schokoladenpapier herum. Muß dringend mal nachsehen, was da los ist... 8)

    Viele Grüße,
    Zeppeline

  • Hallo Zeppeline,

    freut mich, wieder etwas von dir zu lesen :) .

    Zitat von Zeppeline

    Etwas gespenstisch finde ich auch die Geschwindigkeit, mit der ich Dinge vergesse, die früher massiv meinen alkoholischen Alltag geprägt haben.


    Genau darum finde ich es auch so wichtig mich hier im Forum auszutauschen. Und deswegen sagen die Erfahrenen auch immer, dass man diesen Austausch nie vernachlässigen sollte. Das Suchtmonster ist geduldig, unendlich geduldig. Es ist ihm egal, ob nun Monate, Jahre oder Jahrzehnte vergangen sind. Erinnern bedeutet, in Sicherheit zu sein.

    Bei mir war es übrigens genauso: Ich bin immer weniger auf Alkohol fixiert, nehme Werbung nicht mehr so krass wahr, sehe den Leuten nicht mehr beim Einkaufen zu... ;)

    LG
    Plejaden

  • N’Abend liebes Forum,

    puh, gerade wird mir klar, daß ich wohl doch eine längere Schreibpause eingelegt habe; der letzte Eintrag ist immerhin vom vergangenen Mittwoch. Mir hat abends einfach die Energie gefehlt, mich noch an den Rechner zu setzen und was zu schreiben; vielleicht muß ich meinen Tag einfach anders strukturieren, so daß ich abends noch in der Lage bin, meine Gedanken zu sortieren und das dann auch noch aufzuschreiben.

    Andererseits war ich am Wochenende sehr konsequent faul, inklusive Saunagang und Schwimmen am Sonntag, und das hat ungeheuer gutgetan. Solche Auszeiten erlebe ich viel bewußter als früher, weil ich so etwas einfach besser genießen kann.

    Heute ging – sozusagen zum Ausgleich – eine ganze Menge Dinge schief; die Aufgaben, die ich hätte erledigen sollen, gingen mir nur zäh und schleppend von der Hand, dafür gab es hier zuhause ständig Spannungen und zur Krönung des Abends dann noch einen Streit mit meinem Freund. Ist für mich immer sowas wie der Untergang des Abendlandes, obwohl ich so gaaaanz langsam lerne, daß auch nach einem Streit ein Weiterleben möglich ist. Wie ich gerade eben wieder mal feststellen konnte. :wink:

    Später bin ich dann noch zu einem Vortrag gegangen, der einerseits interessant war, mich andererseits aber sehr unangenehm an meine zur Zeit leider arg stagnierende Berufslaufbahn erinnert hat; nicht daß ich darüber nicht sowieso schon ständig nachdenke, aber heute abend war das besonders fies – wohl auch wegen des häuslichen Elends.

    Nach dem Vortrag wäre noch die Möglichkeit gewesen, bei “einem Glas Wein“ mit den anderen zu quatschen (komisch, nie sagt einer, man könne sich doch noch ein wenig bei einem Glas Orangensaft unterhalten...). Ich bin wegen genau dieses Weins zeitig gegangen (das hatte ich mir ja schon vorher vorgenommen), aber hier kann ich es ja doch noch gestehen: es kam meiner altbekannten Vermeidungstendenz sehr entgegen, gleich nach dem Vortrag abzuhauen. Nachdem ich eben diese Vermeidungshaltung in den letzten Wochen ganz gut bekämpft hatte, bin ich jetzt ganz verwirrt: Es war sicherlich richtig, noch vor dem fröhlichen Weinflaschenentkorken zu gehen, aber ich dachte, meinen Fluchttrieb bei derartigen sozialen Zusammenkünften hätte ich etwas besser unter Kontrolle.

    So wirr wie das jetzt hier steht, ist mir auch im Kopfe; ich fühle mich etwas angejammert und wacklig im Gemüt. Hat aber schon gutgetan, das einfach runterzuschreiben. Und dabei laß ich’s jetzt erstmal bewenden,

    viele Grüße,
    Zeppeline

  • hallo zeppelin!

    Zitat

    Ich bin wegen genau dieses Weins zeitig gegangen (das hatte ich mir ja schon vorher vorgenommen), aber hier kann ich es ja doch noch gestehen: es kam meiner altbekannten Vermeidungstendenz sehr entgegen, gleich nach dem Vortrag abzuhauen. Nachdem ich eben diese Vermeidungshaltung in den letzten Wochen ganz gut bekämpft hatte, bin ich jetzt ganz verwirrt: Es war sicherlich richtig, noch vor dem fröhlichen Weinflaschenentkorken zu gehen, aber ich dachte, meinen Fluchttrieb bei derartigen sozialen Zusammenkünften hätte ich etwas besser unter Kontrolle.

    das hast du gut gemacht! vermeide orte wo getrunken wird.

    Zitat

    So wirr wie das jetzt hier steht, ist mir auch im Kopfe; ich fühle mich etwas angejammert und wacklig im Gemüt.

    so wirr ist das gar nicht. hier gilt es zu unterscheiden. eine schwäche kann auch gleichzeitig in einer anderen situation eine stärke sein. eine ressource sein.

    in der situation hilft dir dein fluchtrieb. in anderer ist sie eher störend bzw. mindert soziale kontakte. aber eins nach dem anderen und guck genau hin was was ist und versuch dann es zu fühlen und zu leben. ordne für dich.

    gruß panther

    Kompromisse bedeuten ein Rückfall riskieren
    (vor dem trink - Rückfall geht ein Verhaltensrückfall vorraus)
    nicht Trinkende seid 04.03.07

  • Hallo Panther,

    vielen Dank für die klärenden Worte - auf die Idee, eine Schwäche in einem bestimmten Zusammenhang als Stärke zu sehen, war ich noch gar nicht gekommen.

    Und Du hast recht - 1 Tag später sehe ich die Sache schon etwas klarer; bin schon etwas weiter mit dem Sortieren der widersprüchlichen Gefühle.

    Dank und liebe Grüße
    Zeppeline

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!