Hallo,
ich habe lange nichts geschrieben, weil ich erstmal die jetzige Situation beobachtet habe.
Nach seinem Absturz und unserem darauffolgenden Gespräch, hat mein Mann den Alkoholkonsum sofort stark verringert. Nicht aufgehört, weil davon ja abgeraten wird (kalter Entzug), aber verringert. Er zeigt wieder mehr Interesse am Familienleben und hat einen klaren Kopf.
Ich merke, wie anstrengend und kräftezehrend diese Veränderung für ihn ist, wie er seine Gefühle, welche er vorher duch Alkohol versucht hat zu betäuben, in ihm kochen und er sie unterdrückt.
Es ist so, als brodelt es in einem Vulkan und es ist klar, dass dieser irgendwann ausbrechen wird, wenn nichts passiert um es zu verhindern.
Vergangenheit, Stresssituationen in der Gegenwart und Zukunftsangst können nicht ohne Hilfe von aussen bewältigt werden, denke ich.
Nachdem etwas Zeit vergangen war, bemerkte ich, dass er nch und nach wieder mehr zum Alkohol gegriffen hat. Ich merkte es an seiner Art. Es sind zwar nicht mehr die harten Sachen wie Whiskey und auch nicht die Menge, aber trotzdem Alkohol.
Als wir vor einer Woche einen Geburtstag von einem Familienmitglied gefeiert haben, habe ich ihn gefragt, ob er bedenken wegen des Abends hat, im Bezug auf Alkohol. Seine Antwort: "Du glaubst doch wohl nicht, dass ich in meinem Leben nie wieder Alkohol trinken werde." Puh, dass war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich war in diesem Moment froh, eure Worte und Erfahrungsberichte gelesen zu haben. Ich hatte sozusagen schon mit solch einer Aussage oder diesem Verhalten gerechnet. Trotzdem war es schmerzlich. Er war zu diesem Zeitpunkt weder bei unserem Hausarzt oder sonst irgendwo.
An dem besagten Abend war er ständig in Bewegung. Er musste sich sehr ablenken. Getrunken hat er garantiert etwas im Hintergrund, aber ich habe gemerkt, dass er dagegen gekämpft hat. Er hielt sich zurück. Noch vor ein paar Wochen, wäre der Abend ganz anders verlaufen.
Bevor ich dazu kam mit ihm ein Gespräch zu suchen, kam er eines Abends in der letzte Woche auf mich zu. Er sagte mir, dass er beim Hausarzt war und jetzt nach einem Therapeuten sucht. Der Hausarzt hat ihm leider nur gesagt, wo er eine Auflistung von Therapeuten findet, aber es war nicht die Rede von einem Entzug. Das Gespräch soll auch garnicht lange gedauert haben, da der Arzt in Eile war. Ich glaube mein Mann hatte sowas wie eine Anleitung erwartet. Eine Information wie es jetzt weitergeht und wie die nächsten Schritte gemacht werden.
Ohne Therapie wird er es nicht schaffen. Das steht fest und das weiß er auch. Wo die Probleme liegen sieht er ganz deutlich.
Klar ist es wichtig und ein "muss" zu einem Therapeuten zu gehen, aber sollte er nicht auch einen Entzug machen? Oder reicht eine Therapie auch ohne Entzug?
Wir reden momentan sehr viel und er öffnet sich mir gegenüber immer mehr. Es sind gute Gespräche. Auch ich kann über meine Gefühle reden. Ich kann ihm endlich sagen, was in mir vorgeht und er hört zu und zieht nicht alles ins lächerliche oder schiebt die Schuld auf andere. Momentan ist er sehr reflektiert. Ihm nicht zu helfen einen Therapeuten zu finden fällt mir schwer, aber ich halte es weiter durch. Er weiß, dass ich hinter ihm stehe, solange er den Weg weitergeht den er jetzt begonnen hat, aber ich bin kein Therapeut. Ich stehe ihm bei, höre ihm zu, aber ich kann ihn nicht therapieren.
Ich schreibe oft "momentan", weil ich noch vorsichtig bin. Trotz der Nähe die gerade wieder entsteht, ist einfach so viel passiert in den letzten Jahren, dass ich nicht einfach komplett umschalten kann. Ich bin immer noch in "hab acht"-Stellung. Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll, aber ich glaube hier können mich so einige verstehen. Ich sehe auf jeden Fall eine Chance für unsere Ehe, aber ich weiß, dass es noch viel Arbeit ist und vor allem, dass er da weiter handeln muss.
Seit unserem Gespräch vor ein paar Wochen, in dem ich alles ausgesprochen habe was ich denke und fühle, was ich will und was nicht, meinen Standpunkt vertreten habe, habe ich übrigens nicht mehr dieses extreme Gefühl ihn kontrollieren zu müssen, um meine Wahrnehmungen zu bestätigen. Ganz ohne Kontrolle schaffe ich es noch nicht, aber es hat sehr stark nachgelassen. Es ist eine Art Gewohnheit und gehörte lange Zeit zu meinem Alltag. Ich traue meinen Wahrnehmungen jetzt und bin zuversichtlich, dass ich das mit der Kontrolle auch in den Griff bekommen werde. Und ganz wichtig.... ich lerne für mich einzustehen und vertrete meine Meinung immer mehr. Ich bin auch auf einem guten Weg (wenn ich mich mal selber loben darf
).
Viele Grüße,
Julia