Liebe Fini,
Meine Mutter war schon vor meiner Geburt abhängig. Glücklicherweise hat sie sich während der Schwangerschaft in den Griff kriegen können, so dass ich gesund geboren wurde. Als ich neun war, war sie für ein halbes Jahr in einer Entziehungskur. Und als sie wiederkam, hatte ich eine völlig andere Frau vor mir. Diese nie gekannte Zuwendung und Aufmerksamkeit! Alkohl wirkt wesensverändernd.
In meinen frühkindlichen Erinnerungen mit 2,5 / 3 Jahren wusste ich bereits, dass die großen braunen und die kleinen grünen Flaschen "Mama krank machen." Ich dachte jedoch, das sei normal.
Für mich war es großes Glück, dass sich meine Eltern getrennt haben, als ich 6 war. Zuhause wurde die Situation unerträglich. Es gab viel Streit. Natürlich erst als ich im Bett war, "damit ich nichts mitbekomme". Natürlich bekommen Kinder alles mit. Auch wenn es sie es nicht unbedingt intellektuell verstehen.
Ein Aspekt der oft vergessen wird ist, dass Kinder nicht nur mitbekommen wie (abwesend) sich Alkoholikereltern den Kindern gegenüber verhalten. Sie lernen auch die Beziehungsmuster der Eltern. Du und Dein Mann, die Ehe die Ihr führt ist Vorbild und wird Norm für Deine Kinder. Und ich lese zwischen Deinen Zeilen, dass Eure Ehe im wesentlichen nicht (mehr) auf aufrichtiger Zuneigung und Nähe basiert. Ist es das, was Du Deinen Kindern für ihr Leben mitgeben möchtest?
Ein Freund hatte einen Alkoholiker-Vater. Die Eltern haben schon früh (als er und sein Bruder noch klein waren) getrennte Schlafzimmer gehabt und kaum Nähe und Zärtlichkeit ausgetauscht. Er sagte einmal: "Die innigste Berührung die ich je zwischen den beiden erlebt habe, war ein Geburtstags-Kuss auf die Wange". Die Eltern sind wegen der Kinder zusammengeblieben. Tatsächlich haben sie großen Schaden angerichtet. Beide Jungs sind heute erwachsene Männer. Sie haben nie gelernt was Liebe und Partnerschaft in Wahrheit bedeutet. Und beide haben bis heute große Nähe-Probleme mit Menschen. Geschweige denn, dass sie bis heute eine verbindliche Liebesbeziehung eingehen konnten.
Mein Rat: Schau genau hin - und sei ehrlich zu Dir. Du musst nichts überstürzen. Im Zweifel, such Dir Hilfe. Vielleicht gibt es einen Psychologen in Deiner Nähe, der einen Termin für Dich frei hat (Therapeuten sind in der Regel von den Krankenkassen anerkannt - musst Du im Einzelfall nochmal prüfen).
Meine ganz persönliche Erfahrung ist, dass dosierte Begegnungen oft intensiver sind. Was nützt es Deinen Kindern, den nicht vorhandenen Vater auch noch immer vor den Augen zu haben? Das Desinteresse auch noch jeden Tag spüren zu müssen? Da kann ein Vater, der mich 1x im Monat für einen Tag abholt, viel wertvoller sein.
Gute Nacht vom
Rosenkind