Hallo!
Ich versuche jetzt erst mal die Ereignisse in Worte zu fassen.
Mein Vater trinkt schon immer, ich bekam oft genug die Geschichte erzählt, dass er bei meiner Geburt nicht dabei sein konnte, weil er einen trinken war.
Zu Hause hatten wir alle Angst vor ihm (alle sind: Mutter, Oma, Schwester und ich), und das ist heute auch noch so. Wir sind meinem Vater immer so gut wie möglich aus dem Weg gegangen, was aber schwierig war. Meine Mutter hat uns Kinder immer mit dem Vater geschickt, weil sie gedacht hat, er geht dann nicht in die Kneipe, war aber vergebens, ist trotzdem gegangen.
Zu Gewaltätigkeiten kam es auch oft, aber nur gegen uns Kinder. Meine Mutter hat dann nichts gemacht, meine Oma auch nicht. Bei uns wurde und wird das alles totgeschwiegen. Mein Vater ist wegen jeder Kleinigkeit ausgerastet, z. B. als mir mal als kleines Kind eine Flasch O-Saft runter gefallen ist.
Es ist noch nicht mal drüber geredet worden, als ich mit meinem Vater und seinem LKW unterwegs war, er wieder getrunken hatte und wir von der Polizei angehalten wurden. 2,3 Promille, Führerschein weg, die Polizei hat mich behandelt wie eine Schlampe und hat behauptet ich sei gefahren (war da 14, natürlich kein LKW-Führerschein). Meine Mutter hat es irgendwie hinbekommen, dass ich da ohne Vorstrafe wg. Fahren ohne Führerschein rauskomme (ich bin ja auch nicht gefahren). Aber geredet darüber haben wir nie.
Ich bin mit 18 sofort ausgezogen, seitdem flüchte ich vergegens vor den Schreckgespenster aus der Vergangenheit. Ich muss auch sagen, dass ich die Gedanken daran bis vor kurzem auch ganz gut verdrängen konnte und halbwegs glücklich, zumindest aber zufrieden war.
Seit die letzte Prüfung meines Studiums vorbei ist, ich bestanden habe etc. kann ich die Gedanken daran aber nicht mehr verdrängen. Sie sind immer mal wieder aufgetaucht und ich habe mich schnell auf was anderes konzentriert. Ich hatte ja auch viel zu tun, wollte zu meinem Freund ziehen, dachte auch irgendwie, wenn ich weit genug von meinen Eltern wegziehe, dann kann ich alles vergessen. Habe aber jetzt eingesehen, dass es so nicht funktioniert. Konnte die Gedanken nicht mehr verdrängen, musste außerdem einsehen, dass ich von meinem "Freund" sehr stark ausgenutzt wurde und mein Traum ist geplatzt. Dachte echt, dass ich, wenn ich zu ihm ziehe, endlich Geborgenheit finde, indem ich eine eigene Familie gründe.
Habe die Beziehung jetzt beendet, da ich mich auch während der Beziehung immer einsam und alleine gefühlt habe. Problem war auch, dass es mir eben seit der letzten Prüfung vor vier Monaten schlecht geht, esse seit dem auch kaum noch und mein Freund war nicht für mich da, sondern hat mir noch weitere Sachen aufgehalst. Dabei habe ich ihn regelrecht um Hilfe angebettelt, lag oft heulend bei ihm auf dem Sofa und war für gar nichts mehr in der Lage. Hat ihn nicht besonders interessiert.
Der Auslöser, dass alles hoch kam, war ein Gespräch mit meinem Chef. Ich musste ihm ja gezungenermaßen sagen, dass ich mich getrennt habe und deshalb doch nicht kündige. Dass ich weg will, war in der Firma bekannt, meine Nachfolgerin arbeitet auch schon bei uns. Er hat sehr einfühlsam und verständnisvoll reagiert.
Später kam er zu mir und hat mir erzählt, dass er in der gleichen Situation ist (überlegt sich scheiden zu lassen). Dann hat er einen Satz gesagt, der bei mir voll die Horrorvisionen aus meiner eigenen Kindheit (Streitereien meiner Eltern) heraufbeschworen hat. Er sagte, er wird wegen der Kinder wahrscheinlich bei seiner Frau bleiben.
Da sind mir die ganzen elenden Streitereinen wieder eingefallen, die es bei uns immer gab. Meine Eltern sind auch wegen uns Kindern zusammen geblieben, streiten sich seit 20 Jahren aber nur bzw. gehen sich aus dem Weg. Die haben echt nichts gemeinsam. Die Stimmung bei uns im Haus war so lieblos, keiner hat sich für den anderen interessiert, Gefühle wurden nie gezeigt (außer Hass und Wut bei meinem Vater, wenn er uns Kinder verprügelt hat). Mit 12 habe ich versucht mich umzubringen, indem ich nichts mehr esse, seitdem habe ich auch eine Essstörung (im Moment nicht unter Kontrolle).
Auf jeden Fall hat mich der eine Satz meines Chefs so runter gezogen, dass ich meine Sachen zusammen gepackt habe und gegangen bin. Den Rest der Woche bin ich dann auch einfach zu Hause geblieben und habe nachgedacht, meine Gefühle sortiert. (Für meine Arbeitsstelle hatte das keine Auswirkungen, hab mich entschuldigt, Chef hat gesagt, wär nicht schlimm, soll nicht drüber nachdenken).
Also was mir klar geworden ist, ist folgendes:
- Meine Beziehung war sehr oberflächlich, mein Freund wusste nicht mal, dass mein Vater trinkt, geschweige denn, dass ich ein Problem damit habe
- auch zu Freunden habe ich eher oberflächliche Beziehungen, keiner weiß von meinen Problemen
- Bin für alle die Ratgebertante, keine Ahnung warum. Egal wer ein Problem hat, er kommt damit zu mir
- habe Schuldgefühle, weil mein Vater trinkt, weil ich nicht auf der Arbeit war, weil ich eine Prüfung nicht so gut geschrieben habe, weil ich meinen Freund verlassen habe und er jetzt alleine ist, weil ich mich zu wenig um meine Oma kümmere, könnte das endlos fortsetzen
- bin sehr perfektionistisch
- mir ist aufgefallen, dass ich mich an ganze Jahre meiner Kindheit/Jugend überhaupt nicht mehr erinnere! Warum? Was ist da passiert?
- das Schlimmste: fühle mich total einsam
Was ich mir vorgenommen habe ist, dass ich erst eine neue Beziehung eingehe, wenn ich meine Probleme gelöst habe, nur wie lös ich die? Wie geh ich auf der Arbeit damit um? Wie mach ich meinem Chef klar, wenn er schon so was zu mir sagt, dass er das dann wenigstens mit mir ausdiskutieren sollte, weil ich mir sonst Sorgen um seine Kinder mach?
So, der Text ist viel länger geworden, als geplant, also vielen Dank für alle, die bis zum Ende durchgelesen haben.
Über Antworten freue ich mich natürlich auch!
Danke!
Julia