Und die Reise geht weiter...

  • Hallo ihr Lieben,

    heute mag ich euch erzählen, was mich gerade beschäftigt.
    Wer genau hingeguckt hat, weiß es schon: Ich habe am Samstag Urlaub gebucht.
    Ja nu? Und? Was weiter? :? ... wird sich der eine oder andere fragen.
    Es ist genau die Art Urlaub, vor der ich die letzten knapp drei Jahre einen Höllen-Respekt hatte, ein klassischer Bade-Urlaub auf den Kanaren.

    Frühere Urlaube sahen immer gleich aus:
    Schön gemütlich den komatösen Rausch ausschlafen, dann erst einmal wach werden mit Kaffee und Zigaretten, gegen 12 Uhr langsam in Richtung Strand, ein völlig überteuertes Brötchen reingemümmelt, ab dann: ALK.
    Das hielt ich aus bis etwa 18 Uhr, schwerfällig zurück zum Hotel, chillen - mit ALK.
    Schwerfällig duschen, zurechtmachen, 21 Uhr Suche nach einem Lokal.
    Nach dem Essen möglicherweise noch ein Alibi-Spaziergang, dann zurück aufs Zimmer - ALK.
    Anschließend komatösen Rausch ausschlafen.

    Waren wir auf einer Insel neu, haben wir uns auch manchmal einen Mitwagen genommen und sind ein bisschen herumgefahren, Land und Leute angucken. Das Steuer überließ ich selbstverständlich meinem Mann, offizielle Begründung: "Ich muss von berufswegen soviel Autobahn fahren, ich habe keinen Bock..." Inoffizielle Begründung: "Ich möchte gerne soviel trinken wie ich will, auf ALK verzichten? Niemals!"

    Nach meiner Entgiftung 2007 habe ich noch im selben Jahr wieder im Urlaub getrunken, ebenso auf diversen Städtereisen. Ich wusste, dass das Thema "Urlaub" für mich brandgefährlich ist und habe, seitdem ich konsequent gar nichts mehr trinke (Juli 2008) keinen Urlaub in dem Sinne mehr gemacht. Seitdem war ich nur noch in Augsburg, Berlin und am Chiemsee. Bloß nicht Sonne, Strand und Meer.

    Aber es rumort seit einiger Zeit in mir.
    Denn so schön Tagesausflüge oder Kurztrips im eigenen Ländle auch sein mögen, ich finde es an der Zeit, mich wieder einmal ins Ausland zu wagen. Und ich kann euch gar nicht sagen, wie ich mich momentan fühle!
    Ich bin hin- und hergerissen zwischen Vorfreude und Unwohlsein.

    Ich habe mir einen Reiseführer gekauft und gestern Abend ausführlich darin geschmökert. Grundsätzlich war ich zufrieden und der Ansicht, wohl die richtige Wahl getroffen zu haben, nette Gegend, nettes Hotel, alles klar. Aber dann habe ich ein paar Ausflugstipps gelesen, bei denen stets auf Alkohol hingewiesen wurde. Hier ein besonders guter einheimischer Wein, dort ein besonders guter Likör...
    Tja, und dann habe ich geweint.

    Plötzlich hatte ich das Gefühl, dem nicht gewachsen zu sein.
    Ich dachte, ich hätte möglicherweise den Fehler meines Lebens gemacht, indem ich diese verfluchte Reise gebucht habe.
    Mich haben diese Hinweise, wo man besonders gut trinken könne, derartig getriggert, ich kann's euch gar nicht sagen! :(

    Dann habe ich lange und ausführlich mit meinem Mann gesprochen, ich habe ihm alle meine Sorgen und Befürchtungen geschildert und meine panische Angst, mittlerweile bald 21 Monate Abstinenz bloß wegen meines unstillbaren Hungers nach Sonne und Tapetenwechsel zu gefährden. Er blieb aber ganz ruhig und erzählte mir, dass auch er ein ein bisschen angespannt sei. Er habe aber den Eindruck, dass wir das schaffen können, weil ich ja immer sehr ausführlich über meine Gedanken und Nöte spreche, ich habe ihm stets erzählt, wenn ich Saufdruck hatte oder mich irgendetwas gequält hat - was ja auch für einen hinterhältigen Saufdruck verantwortlich sein kann.

    Heute sieht die Welt natürlich schon wieder ein bisschen anders aus, ich denke mehr darüber nach, was ich bis nächste Woche noch alles erledigen muss.
    Aber ich wollte euch halt erzählen, dass so ein dämlicher Reiseführer schon Grund sein kann, unruhig zu werden. Und dann hilft nur noch eins: sprechen, sprechen und nochmals sprechen!

    Natürlich halte ich euch auf dem Laufenden, wie's weitergeht.
    LG
    espoir

  • glück auf espoir

    son nassen urlaub kenn ich leider (oder zum glück?) auch - sogar als ich allein mit 2 meiner lieblingskinder im harz war hab ich mich besinnungsloß besoffen
    trotzden hab ich noch 1987 (1/2 jahr trocken) entgegen dem ausdrücklichen rat aller gruppenmitglieder allein urlaub (kyffhäuser) gemacht - dort hab ich am ersten abend dem heimleiter erzählt was mit mir los is + angeboten n vortrag über alkoholkrankheit zu halten - dann hab ich den leuten die mit mir am abendbrottisch saßen eröffnet dasichtrocken bin + gebeten mir keinen alk anzubieten (ichglaubdie haben in diesem urlaub auch weniger getrunken als sonst?)
    ich hatte einen wunderschönen trockenen urlaub

    hast du dir überleg ob + wenn ja wem gegenüber du dich outen willst?

    schöne zufrieden (< ich weis das du daran arbeitest) trockene woche

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Hallo Matthias, grüß dich!

    Ich befürchte, dass ich deine Frage nach dem "outing" nicht so ganz verstehe - wem gegenüber sollte ich mich outen?
    Sieh mal, im Flieger entscheide ich ja selbst, ob ich überhaupt etwas trinken möchte und wenn ja, was. Diese Trigger-Situation habe ich schon mehrfach "geknackt", wo ich früher wie selbstverständlich Sekt bestellt habe, bestelle ich jetzt genauso selbstverständlich Kaffee oder Saft.
    Im Hotel das gleiche - ohne große Worte wird Kaffee oder Wasser bestellt. Da muss ich keinem Kellner sagen: "Für mich bitte Wasser, denn wissen Sie, ich bin Alkoholikerin!" Das habe ich in deutschen Hotels schon ausprobiert, warum sollte es im Ausland anders sein?

    Was mich gestern Abend so unglücklich gemacht hat, war die Erinnerung an die vielen betrunkenen Urlaube, in denen ich nicht in der Lage war, die Schönheit der Landschaft oder des Augenblicks einfach so zu genießen, ohne promilligen Weichzeichner. Ich musste mir eingestehen, dass viele Empfindungen oder Eindrücke nicht "echt" waren - und wie armselig diese Urlaube doch waren. Diese Erkenntnis hat mich wahnsinnig bedrückt - und zeitgleich kroch diese diffuse Angst in mir hoch, dass ich vielleicht "noch nicht so weit" bin, ich meine, genau diese typischen Urlaubssituationen (z.B. Sonnenuntergang am Meer, Pause nach einem schönen Ausflug) auszuhalten.

    Gleichzeitig will ich aber endlich auch mit der Vergangenheit abschließen.
    Ich weiß, welche Kraft aus Situationen hervorgeht, die ich nüchtern nicht nur überstanden, sondern sogar genossen habe! Da zehre ich unheimlich von, das ist ein ungeheurer Energie- und Motivationsschub!

    Aber wie oben schon gesagt, Matthias, ich bin mir nicht sicher, ob ich dich nicht falsch verstanden habe mit deiner Frage?
    Weißt du, seit ich Gotti letzte Woche so missverstanden habe, frage ich lieber noch einmal nach... :wink:

    Liebe Grüße
    espoir

  • meine frage betraf mögliche tischgenossen < manchmal freundet man sich ja bissl an

    ähhhmmm tisch - ich wed gerufen (speckfettbemme)


    glück auf

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Liebe espoir,

    ach ja, Urlaub in der Sonne. Wie schön!

    Mein letzter Urlaub liegt leider schon etwas zurück, 12 Jahre. Na ja, Hamburg und Umgebung ist ja auch ganz schön.

    Da habe ich z.B. auch nicht das Problem auf alkoholhaltige Speisen und Getränke zu achten bzw. das klar anzusagen.

    Apropos ansagen:
    Insbesondere Speisen (Saucen, Kuchen, etc.) sind da ja besonders zu beachten.
    Ich weiß ja nicht in welches Land es geht, aber zur Sicherheit würde ich mir die notwendigen "Ansagen" an das Servicepersonal auch in der Landessprache zurecht legen.

    Zur Not hast Du ja noch Deinen Mann, als Vorkoster ;) Ihr fahrt doch zu zweit? Habe ich doch richtig verstanden?

    Liebe Grüße
    Manfred

  • Liebe Espoir,

    Dein Wunsch, endlich mit der Vergangenheit abschließen zu wollen, ist nur verständlich.

    Klar, dass Dich die Erkenntnis der Armseeligkeit weinseeliger Urlaube in der Rückschau bedrückt und traurig macht - doch DU hast es ja jetzt in der Hand, selbst zu entscheiden, wie Deine Urlaubsfreuden jetzt ausschauen!! Du kannst Sonnenuntergänge und schöne Landschaften nüchtern und ohne schlechten Beigeschmack in ihrer ganzen Schönheit genießen. Diese Situationen ganz intensiv riechen, schmecken,einatmen und in Dir speichern.

    Was ich bei der ganzen Siruation sehr positiv finde, ist die Tatsache, dass Du über Deine Bedenken und Ängste mit Deinem Mann offen sprechen konntest. Für mich wäre dies eine gute Basis.

    Gehe achtsam mit Deinen Bedürfnissen um, dann wird es sicher ein unvergesslicher Urlaub!

    Liebe Grüße,
    Schattenspringer

    Ich musste mir eingestehen, dass viele Empfindungen oder Eindrücke nicht "echt" waren - und wie armselig diese Urlaube doch waren. Diese Erkenntnis hat mich wahnsinnig bedrückt - und zeitgleich kroch diese diffuse Angst in mir hoch, dass ich vielleicht "noch nicht so weit" bin, ich meine, genau diese typischen Urlaubssituationen (z.B. Sonnenuntergang am Meer, Pause nach einem schönen Ausflug) auszuhalten.

    Das Beste geschieht JETZT!

  • Hallo guten Abend,
    zu später Stunde mag ich mich doch noch ganz lieb bei euch für euer feedback bedanken!

    @Matthias: Klingt lecker... und ziemlich "reichhaltig", ne? :wink:

    Manfred : Wie schön, dass du auch hier warst!
    Also, was die Kanaren angeht, mache ich mir eigentlich weniger Sorgen bezüglich des Essens. In der ursprünglichen Küche überwiegen wenig verarbeite Nahrungsmittel, also Fleisch, Fisch und Geflügel sowie Gemüse und Beilagen. Abgebundene Soßen kennen die ja weniger - und genau da ist ja gerne der Schuss Cognac oder Sherry drin, auf den ich keine Lust habe. Das Gleiche gilt für Vor- oder Nachspeisen - die, die Alkohol enthalten, kennt man auch hier in Deutschland, ansonsten essen die ja auch eher Eis, kleine Kuchen oder frische Früchte als Dessert.
    Immerhin heißt "ohne Alkohol" "sin alcohol", falls alle Stricke reißen...
    Und ja, mein Mann fährt mit. Wer weiß, wozu's gut ist... :wink:

    @Schattenspringerin: Lieben Dank auch dir für deine Rückmeldung! :D
    Wie oft habe ich bei dir mitgelesen und mitempfunden, wenn du mal unterwegs warst und so eindringlich deine Eindrücke geschildert hast - einfach nur schön! Und nun plagt mich die Sehnsucht nach der Ferne und der Wunsch, die Schönheit um mich herum unverfälscht und pur zu erleben - es kann doch einfach nicht sein, dass ich mir mein Fernweh von der scheinbar erdrückenden Last meiner Vergangenheit kaputtmachen lasse, oder? Vielleicht ist es ja gerade die Leichtigkeit der Südländer, die ich momentan so arg zu brauchen scheine, um mein Leben endlich auch mal wieder von der heiteren Seite zu erleben.
    Gelassenheit, die brauche ich dringend...

    Nochmals vielen herzlichen Dank euch und gute Nacht!
    Bis morgen!
    LG
    espoir

  • Hallo ihr Lieben,

    nun wird's aber höchste Zeit, dass ich mich mal wieder melde, sonst denkt ihr womöglich noch, dass bereits vor meinem Urlaub etwas schiefgegangen ist... :wink:
    Dienstagabend war ich bei meiner realen SHG und habe dort meine Befürchtungen genau wie hier geschildert. Ich traf dort auf viel Verständnis und Anteilnahme, aber eben auch auf Trost und Ansporn - genau wie hier! Ich kann also nur noch einmal Danke sagen für eure lieben Beiträge und bin mittlerweile der Ansicht, dass das Debakel vom letzten Wochenende wieder einmal ein hinterforziger Angriff meines Suchtgedächtnisses war, der aber Gott sei Dank ins Leere lief.

    Die Arbeitswoche habe ich auf dem Zahnfleisch hinter mich gebracht, äußerlich hat man mir gar nicht einmal so sehr viel angemerkt, aber es gab doch die eine oder andere Situation, in der ich überdeutlich gemerkt habe, dass die Akkus einfach leer sind. Irgendwie habe ich bis Freitag durchgehalten, und ab dann fühlte ich mich tatsächlich, als hätte jemand den Stecker gezogen.

    Samstag war ich noch nachmittags in der Stadt und habe mir todesmutig neue Bikinis gekauft, denn selbst, wenn ich aus meiner gewohnten Konfektionsgröße rausgewachsen bin :roll: , heißt das ja nicht, dass ich in so ollen Schätzchen von 1848 aufkreuzen muss. Und siehe da, mit ein bisschen Wohlwollen finde ich mich gar nicht so schlimm, von wegen Grönlandwal oder so... Dazu Sonnenmilch und ein paar nette Sneaker, schon stellte sich langsam aber sicher eine gewisse Vorfreude ein! :D

    Heute Nachmittag habe ich dann auch meine komplette Garderobe untersucht und dann ganz ruhig Dinge aussortiert, für die ich nun tatsächlich einfach zu dick geworden bin oder die einfach nicht mehr zu mir passen. Dieses Schrankausmisten hatte für mich fast schon symbolischen Wert, ich konnte doch sehr häufig sagen: "Nein, das bin ich nicht mehr!" oder eben: "Ja, so mag ich mich!"

    Zum krönenden Abschluss habe ich mich noch ein bisschen der Körperpflege hingegeben und ein bisschen vor mich hingeträumt. Meine Angst vor diesem Urlaub wird zunehmend kleiner, da mich ein Satz eines Gruppenfreundes nachhaltig beschäftigt hat. Er meinte nämlich, dass ich gar keine Angst haben müssen, wieder so wie früher am Strand zu versacken, weil ich heute, nach beinahe 21 Monaten Abstinenz, gar nicht mehr so schwachsinnig am Strand liegen würde. Und wo er Recht hat, hat er nun einmal Recht!

    Ich platze vor Tatendrang, freue mich auf das Hotel, habe schon so einige Pläne, was ich auf der Insel tun oder angucken möchte, sollte es einmal regnen, mei, dafür habe ich doch einige Bücher dabei, ach ja, und auch noch meinen Mann... :wink: Na kurz und gut - es wird schon werden!

    Morgen muss ich dann nur noch die Wohnung ein bisschen aufräumen, ich werde mich sicher nicht überschlagen, aber wenn die Nachbarin kommt, um die Katzen zu versorgen, dann möchte ich mich auch nicht wegen ungespülten Geschirrs oder vertrockneten Zimmerpflanzen schämen müssen. Nachmittags ist dann Kofferpacken angesagt, und am Dienstagmorgen geht's dann endlich los.

    Ich bin sicher morgen noch einmal hier, dann aber vermutlich nur kurz um "Tschüss" zu sagen.
    Ich bin froh, dass es euch gibt und dass ich euch wie Freunde in mein Leben einbauen kann! :D

    Alles Liebe euch - wir lesen uns!
    espoir

  • Hallo Espoir

    da muss ich doch auch noch schnell einen gaaaanz tollen Urlaub wünschen!
    Erhol dich gut, geniess die Zeit mit deinem Mann und bestimmt wunderschönen Wetter! Und vor allem wünsch ich dir, dass deine BEdenken alle umsonst waren!

    Schöne Grüße

    julchen

  • Ach, Urlaub!
    Geniesse ihn mit vollen Zügen und lass es dir ganz ganz gutgehen!
    Ich wünsche dir Entspannung und Zufriedenheit, ganz egal bei welchen
    Beschäftigungen es auch sein wird!

    Liebe Grüße von Gotti.

    Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich.

  • Sodala, nu' isses soweit! :D

    Es fehlen wohl immer noch letzte Handgriffe, aber die großen Trümmer (z.B. Blusen bügeln :roll: ) habe ich geschafft.
    Vielen herzlichen Dank für eure guten Wünsche, die werde ich sorgfältig aufbewahren und als Talismann (-männer? :? ) mitnehmen!
    Fühlt euch alle mal ganz lieb umarmt und gedrückt!
    Bis die Tage, ne? :wink:

    Liebe Grüße
    espoir

  • Hallo ihr Lieben,

    na, nun wird’s aber Zeit, dass ich mal wieder ein Lebenszeichen von mir gebe!

    Das Beste gleich vorweg: Der Urlaub war ein Traum!!! :D:D:D
    Ich bin sooo glücklich und gleichzeitig erleichtert, dass dieser Knoten nun auch geplatzt ist. Ich hatte euch ja geschildert, dass „Urlaub“ für mich die Trink-Situation par excellence ist und ich von daher seit Beginn meiner richtigen Abstinenz einen großen Bogen darum gemacht habe. Das war mir meine Nüchternheit einfach wert. Aber ich habe spätestens seit Fasching eine deutliche Unzufriedenheit gespürt, die wohl nicht auf einzelnen Vorfällen, sondern auf meiner Gesamtsituation beruhte. Ich musste endlich raus, endlich mal was anderes erleben, und das hartnäckige Dauergrau hier zu Hause gab mir ja dann den Rest.

    Und was soll ich euch sagen?
    Es war gut, dass ich so lange gewartet habe, um nach 21 Monaten Abstinenz zumindest eine gewisse Grundstabilität zu haben, aber es war auch gut, jetzt dann endlich doch zu fliegen, denn sonst wäre ich Gefahr gelaufen, trotz Antidepressivums in ein derartig tiefes Loch zu fallen, aus dem ich möglicherweise nicht mehr herausgefunden hätte. Ich bin nun einmal Alkoholikerin und darf die Gefahr eines Rückfalls aufgrund dauerhafter Verstimmung keinesfalls unterschätzen.

    Und meine Rechnung ging auf!
    Ich bin im Nachhinein überrascht, wie selbstverständlich ich alkoholfrei gelebt habe. Es wurde mir aber auch durch die Umgebung leicht gemacht, denn die anderen Gäste wussten sich zu benehmen, da ist niemand schlunzig herumgelaufen, in Badekleidung durch die Halle? Undenkbar! Selbst in der Poolbar saßen alle mit leichter, aber korrekter Urlaubsgarderobe. Das Hotel selber war ein spanisch-maurischer Traum in Schneeweiß, das einen herrlichen Kontrast zum grauroten Lavastein und dem tiefblauen Meer gebildet hat. Postkarten-Idylle, und das live und in Farbe! :wink:
    Ich habe oft darüber nachgedacht, warum mir dieses etwas gehobene Ambiente so auffällt. Ein Aspekt ist natürlich sicherlich das Geld. Ich komme aus eher bescheidenen Verhältnissen und habe früh den Umgang mit Geld lernen müssen, als Studentin war ich da notgedrungen noch anspruchsloser. Ich war die klassische Bettelstudentin, die die eine oder andere Prüfung in den Sand gesetzt hat, weil sie lieber nebenbei gejobbt hat, um die Miete zu bezahlen. Diese Haltung habe ich genau so noch viele Jahre beibehalten, selbst als ich schon verdiente. Und als sich meine Trinkerkarriere zu festigen schien, haben sich meine Prioritäten sowieso verschoben.
    Das Haus, in dem ich nun eine Woche zu Gast war, hätte ich früher als „zu protzig“ abgelehnt, das brauche ich nicht, und die schicken Weiber, die doch eh bloß ihren Schmuck ausführen wollen, die gehen mir eh auf den Zeiger! De facto wäre ich als aktive Alkoholikerin aber einfach fehl am Platze gewesen, ich wäre vermutlich durch meinen Alkoholgeruch und das „ungezwungene Auftreten“ nur peinlich gewesen. :roll:

    Tatsächlich gab es keine schicken Weiber, sondern nur Männer und Frauen oder Familien, die halt wissen, wie abstoßend es aussehen kann, wenn man halbnackt mit durchsichtigem Plastikbecher voll Bier durch die Gegend grinst. Und neben dem Geld, das mir ein solches Haus ermöglicht hat, ist es halt auch meine nüchterne Sichtweise der Dinge, die mich so verzaubert hat. Nur nüchtern kann ich die Schönheit der Architektur erkennen, die liebevollen Anlagen des weitläufigen Gartens wertschätzen und das unfassbar abwechslungsreiche Buffet zu den Mahlzeiten genießen.
    Meine Nüchternheit wurde in dieser Woche zu einem herrlichen Kreislauf, den zu genießen ich mir auch verdient habe. Ich musste nüchtern sein, um das erleben zu dürfen, und weil ich es erlebt habe, war ich so angereichert mit wunderschönen Eindrücken und Erlebnissen, dass da partout kein Platz für Alkohol war.

    Ich habe die komplette Woche ausschließlich mit Wasser, Kaffee und Fruchtsäften verbracht, und glaubt es mir, alles andere wäre tatsächlich unpassend gewesen! Am Pool mit Bier? Niemals! Den Sonnenuntergang mit Sekt begleiten? Wäre doch schade drum! Bei Ausflügen Wein trinken? Na freilich, noch bescheuerter kann man bei dem Wetter doch gar nicht sein! Natürlich kamen alte Erinnerungen hoch, aber eben nicht mit den von mir befürchteten Verzichtsdanken, sondern sie lösten ein unwirsches innerliches Kopfschütteln bei mir aus. Missbilligend, verständnislos.

    Schön fand ich in diesem Zusammenhang auch das Verhalten meines Mannes. Auch er hat während des gesamten Urlaubs keinen Tropfen Alkohol getrunken. Lediglich am letzten Abend fragte er mich ganz direkt, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn er sich nach dem Essen ausnahmsweise einen Cognac zum Espresso bestellen würde. Ich habe ihm ehrlich geschildert, dass da zwei Herzen in meiner Brust schlagen würden, zum einen möchte ich ihm alles gönnen, was sein Herz begehrt, zum anderen empfinde ich gerade Cognac als heikel, denn den hatte ich früher ja auch gerne getrunken. Whisky wäre mir ziemlich wurscht gewesen, den mochte ich schon in meiner nassen Zeit nicht, aber Cognac?
    Wir einigten uns darauf, dass er sich ruhig einen Cognac bestellen könne, und sollte mir der Geruch aus dem Glas zu arg werden, würde ich halt kurz aufstehen und einen Toilettengang vortäuschen. Und sollte er tatsächlich eine Fahne haben, würde er sich eben schnell die Zähne putzen.
    Und wisst ihr, was passiert ist?
    Nichts. Absolut gar nichts!
    Mein Gott, er halt diesen einen Cognac getrunken und ich saß mit meinem Espresso doble daneben und habe mich am Anblick meines glücklichen, entspannten Mannes erfreut. Ich könnte mich heute darüber totlachen, wenn ich daran zurückdenke, welches Theater ich (sicherheitshalber) darum gemacht habe… :roll:

    Fazit: So muss Urlaub sein!
    Eine lumpige Woche hat ausgereicht, um aus der leicht depressiven, angespannten espoir ein erholtes, gut gelauntes Wesen zu machen, das sein eigenes Leben plötzlich gar nicht mehr so beschissen findet!

    Die letzten zwei Tage habe ich erwartungsgemäß damit verbracht, die Koffer aus- und wegzuräumen, Wäsche zu waschen, alles wieder auf Vordermann zu bringen, mich bei Nachbarn, Freunden und Bekannten zurückzumelden und meine Katzen davon zu überzeugen, dass wir nun wieder da sind und sie gaaanz bestimmt so schnell nicht wieder alleine lassen. Katzen sind in dieser Hinsicht ja gerne mal ein bisschen nachtragend… :wink:

    Jou, das soll's halt erst einmal für's erste gewesen sein. Ist ja doch wieder etwas mehr geworden, ne?
    Vielen Dank für's Lesen und einen schönen Freitag euch allen!

    Alles Liebe
    espoir

  • Liebe Espoir,

    Ich freu mich, dass Du das *Wagnis Urlaub* so erfolgreich gemeistert hast - nun weißt Du, dass Du darauf nicht mehr verzichten *musst*, wenn Du auf einen entsprechenden Rahmen achtest!

    Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende und hoffe, dass Du Dir den im Urlaub erzielten Schwung noch eine ganze Weile in den Alltag integrieren kannst!

    Liebe Grüße,
    Schattenspringer

    Das Beste geschieht JETZT!

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