Hallo,
ich bin neu hier und dann schreib ich auch mal meine Alkoholkarriere nieder... ist alles schon lange her und trotzdem meine Premiere, denn so richtig bewusst auseinandergesetzt habe ich mich damit nie bis heute. Dass ich es heute mache hängt damit zusammen, dass ich mich nun in einer Beziehung mit einem Alkoholerkrankten befinde.
Ich war 11 Jahre alt, als mein Vater anfing mir Alkohol zu geben. "Probier mal den" und " der schmeckt auch gut"... eine Schnapsflasche nach der anderen reichte er mir aus dem Küchenschrank. Zuerst nahm er einen kräftigen Schluck, dann nahm ich einen.
besonders toll fand ich den Geschmack nicht, aber das Brennen im Hals und das heiße Gefühl im Magen war interessant und mir wurde überhaupt schnell richtig heiss und komisch im Kopf.
Ich trank jedesmal so viel bis ich 'weg' war. Was und wie es schmeckte war mir egal. Ich wollte 'weg' sein. Brennen im Hals, heiss im Bauch, Drehen im Kopf... mein Vater brachte mich dann zu Bett und dann lief das ab, weshalb er mir den Alk gegeben hatte... das was man in unserer Gesellschaft mit 'sexuellem Missbrauch' umschreibt. Ich nenne es Vergewaltigung oder Sexualverbrechen.
Schnaps war für mich die Lösung. Sexualverbrechen musste ich nicht mehr bei vollem Bewusstsein ertragen. Schnell reinkippen, dann weg... leider ließ er mich nicht immer saufen... denn er liebte es auch zu quälen.
Heute bin ich 47 Jahre alt. Damals war ich 11.
Ich bin in Therapie und war die letzten 10 Jahre in Therapie wegen Posttraumatischen Belastungsstörungen ( ich liebe das Wort - es hört sich so harmlos an
Erst seit 6 Monaten weiß ich was noch so in den Jahren von 11 bis 14 alles geschah. Ausgeblendet... Filmriss... aber nicht wegen dem Alk. Ich glaune man nennt es psychogene Amnesie oder so ähnlich.
Als ich 14 Jahre alt war bin ich weg gelaufen und habe als Straßenkind gelebt. War nicht einfach. Schläfst du irgendwo, schläfts du dafür meistens mit dem 'Gastgeber'. Belästigungen beim Trampen. Hunger. kein Geld. Angst. Manchmal auch einige Wochen in einer netten WG. Polizei. Wieder zurück nach Hause. Wieder weg. Getrunken habe ich damals immer dann, wenn irgendwo etwas stand... war manchmal schon empörend für die anderen. Wenn sie in der WG schön gemeinsam gekocht haben. Jemand eine Flache wein mitgebracht da, die unschuldig auf dem Tisch stand. Sie sich mal kurz umgedreht haben und ich die Flasche Wein genommen und Ex getrunken habe... Streit gab es aber auch nicht. Wie denn auch? Ich habe sie einfach nur angeschaut und die Schultern gezuckt. Mich aufs Sofa geworfen, Aschenbecher nach Jointstummeln durchsucht... reden war damals nicht meine Sache. Antworten auf Fragen gab es nicht.
Nachdem ich ca. 1 Jahr auf der Straße war, bin ich mal wieder beim Falschen mitgefahren. Es war Winter. Scheisskalt. Gerade wieder abgehauen. Es war der Erste der anhielt und nahm mich knapp 500 km weit mit. Volltreffer. Zeit und Geduld mir die Männer auszusuchen bei denen ich einstieg hatte und nahm ich mir schon lange nicht mehr, denn bereits das nächste Auto das hielt konnte die Polizei sein... nachdem ich bereits auch aus zwei Heimen geflohen war hatten sie mir angedroht, dass ich das nächste Mal, wenn sie mich erwischen endgültig im Erziehungsheim lande.
Abends um 11 kamen wir an. Üblicher Ablauf. Du kannst bei mir schlafen und dafür schläfst du mit mir... zuerst dachte ich, ich hätte es noch ganz gut erwischt, denn er hatte eine gut ausgestattete Bar in seinem Wohnzimmer.
Er war ziemlich pervers und er hatte diese Ausstrahlung. War nichts mit beissen, schlagen, schreien, wehren... nur das Wissen, dass er am Montagmorgen wieder zur Arbeit musste... das ganze Wochenende lief das volle Programm... ich soff so viel, dass ich noch mitbekam was lief, aber ansonsten das Maximum an 'ausgeblendet' war. Ich spielte die Willige und machte ihm einen vor, weil ich spürte, dass ich da sonst nicht ungeschoren raus kam... am Montagmorgen gab es noch eine Photosession und dann musste das Arschloch zur Arbeit und ließ mich tatsächlich laufen... ich hatte ihn schön gewickelt... hatte seine Telenummer in der Tasche mitsamt Einladung zur Sexparty, an die er mit mir gehen wollte...
Ich wunderte mich darüber wie ich reagiert hatte. Willig, die richtigen Worte, das richtige Benehmen, ich wunderte mich darüber dass ich gewusst hatte, dass dieser Mann gefährlich und gewalttätig war, ich wunderte mich darüber, dass ich wusste was mit diesen Photos geschah und darüber, dass ich ein Magazin, in welchem diese Photos abgebildet werden ( Kinderpornographie) vor mir gesehen hatte, obwohl ich doch so etwas noch nie gesehen hatte. ( Und zu der damaligen Zeit in meinem Alter auch gar nicht gekannt haben sollte).
Ich war froh, dass ich lebend und draußen war, mir war schlecht und ich hatte dieses Bild von dem Magazin im Kopf... schwarz-weiss Photos... Kinder... ein blonder, vielleicht 8 jähriger Junge... Angst, Schwindel im Kopf...
heute weiß ich, dass das ein typischer flashback war. Damals dachte ich, dass ich durchdrehe. Hatte eben nur Gefühle, aber keine klaren Erinnerungen und so startete ich richtig durch.
jetzt wurde nicht mehr nur dann getrunken wenn etwas da war - nun musste getrunken werden, damit ich schlafen konnte. Zwei Bier und ein Joint waren die Mindestdosis. War das nicht erreichbar tyrannisierte ich die Mitbewohner in der WG in der ich in den folgenden Tagen unterkriechen konnte so lange bis sie es mir besorgten ( weil sie endlich schlafen und ins Bett wollten).
Einmal war nichts beschaffbar und ich hielt meine Freundin bis 2 Uhr morgens wach. Ich sagte ihr immer, dass sie auf keinen Fall einschlafen darf, weil ich ohne Alk oder Joint nicht schlafen kann und dass sie mich auf keinen Fall alleine lassen soll... irgendwann fing ich an total panisch die Fussleisten zu kontrollieren, ob jemand vielleicht mal ein paar trips da deponiert hatte... sie war voll abgenervt und fing an im Chaos der Küche zu wühlen, ob sie vielleicht noch Geld für Bier fände und *tara* sie fand etwas wirklich geniales, nämlich eine volle Flasche Bier und brachte mir diese ganz stolz. "Ach - edit, bitte keine real life Namen, danke, Linde - !" sagte ich" das ist echt scheisse. Mit einem Bier kann ich nicht einschlafen - ich brauch zwei!" Sie war voll abgenervt und meinte normalerweise würde sie das nicht tun, aber sie hätte ihre Tabletten gegen xy - edit, Linde - dabei. Die würden die Wirkung von Alkohol verstärken und sie würde mir eine davon geben, aber dann würde sie schlafen wollen. "Ach - edit - !" sagte ich "das ist echt scheisse. So ne kleine Tablette reicht nicht. Gib mir wenigstens zwei!" Sie war so abgenervt, dass sie mir zwei gab. Ich schmiss sie ein, spülte sie mit dem Bier und zack war ich weg...
als ich wieder aufwachte schien die Sonne aufs Bett... es war Nachmittag... ich räkelte mich und schon standen alle um mein Bett und riefen "Bist du wieder wach!!!???" Eine seltsame Begrüßung... nun ja, es stellte sich heraus, dass es nicht der nächste Nachmittag, sondern zwei Tage später war. Ich sei umgekippt und wäre weg gewesen und sie hätten sich nicht getraut einen Arzt zu holen... wegen der Polizei...
nochmal gut gegangen, aber war mir eine Lehre. Seither habe ich keine einzige Pille mehr eingeschmissen... Leben war dann doch wichtiger.
Aber wie? Ich befand mich damals in der Kölner Gegend. Da gab es wahnsinnig viele Kneipen, die zum Teil von der Straße einsehbar waren. Man konnte da durchgehen und einen Blick in die Kneipe und auf den Tresen werfen... mein Sport war es nun geworden durch die Stadt zu laufen und in die Kneipen zu gaffen. Stand da ein herrenloses Bier, oder ein Bierrest lief ich rein, soff das Glas leer, stellte es wieder ab und lief wieder hinaus. Komischerweise hat mich nie jemand gestoppt oder angesprochen. Naja, war vielleicht der Überraschungsmoment... erwartet man ja auch nicht unbedingt von einem 15 jährigen Mädchen...obwohl ich im Nachhinein eher denke, dass es mein Gesichtsausdruck war. Das, was ich ausstrahlte, denn ich habe auch nie richtigen Ärger bekommen, wenn ich in den WGs meinen Freunden ihren Wein oder ihr Bier weg gesoffen habe. Ich strahlte es einfach aus: Dies ist kein Diebstahl und keine Boshaftigkeit, sondern Notwehr. Gebt mir meine Medizin!
Durch Zufall (ich hatte in meinem Leben sehr viel Glück) hat sich mein Leben nach einem halben Jahr Extremsaufen gewendet. Ich hatte ein eigenes Zimmer, einen Job - natürlich schlecht bezahlt und Überstunden musste ich mit meinen 15 Jahren auch machen... aber für mich war das das Paradies auf Erden... eine Zimmertüre mit Schlüssel, etwas Geld, keine Straße, kein Heim und keine Familie. Ich war zufrieden.
Ich trank nur wenig... es schmeckte mir gar nicht... ab und zu ein Joint. mehr nicht. In meinem eigenen Zimmer, mit Türe, mit Schlüssel fühlte ich mich sicher und genoß es endlich 'normal' einschlafen und schlafen zu können.
Okay, dann eben die typische Karriere... Mädchen ohne Familie baut sich selbst eine. Mit 16 Jahren war ich dann schon verheiratet und kurz vor meinem 17 Geburtstag bekam ich mein zweites Kind. (Das erste Kind habe ich sehr früh bekommen. Es wurde zu früh geboren und ist gestorben - aber das ist eine andere Geschichte)
Naja, toll war es mit meinem Ehemann nicht... eben auch die typische Prägung... meinem Vater war der nicht unähnlich... wenn er mich mal wieder so richtig fertig gemacht hatte und ich absolut nicht weiter wusste habe ich, wenn er wutentbrannt die Wohnung verlassen hatte, gesoffen. Ex und weg und Filmriss... das passierte nicht oft, aber doch alle 2 bis 3 Monate...
Als meine Tochter 3 Jahre alt war - wow, das ist ja dann sogar schon 27 Jahre her) habe ich dann beschlossen, dass es so nicht weitergehen kann, denn jedesmal wenn ich bis zum Filmriss gesoffen hatte, hatte ich am nächsten Morgen Angst, dass etwas mit der Kleinen gewesen sein könnte. Er war ja nicht da und ich hätte mich nicht um sie kümmern können.
Es war zwar nur alle 2 bis 3 Monate einmal, dass ich so gesoffen habe, aber in drei Jahren kamen da einige Nächte zusammen und auch hier dem Himmel Dank dafür, dass meine Kleine mich in diesen Nächten nicht gebraucht hatte...
Ich hatte mich nie mit Alkoholismus beschäftigt, aber ich wusste, dass es nur funktionieren wird, wenn ich überhaupt nichts mehr zu mir nehme was Alkohol enthält.
Und so habe ich es einfach gelassen... am schwersten ist es mir wegen der Schwarzwälder Kirschtorte gefallen... danach war ich echt süchtig. Den Alk selbst habe ich nie wirklich vom Geschmack her gemocht.
In den ersten jahren ohne Alk hatte ich am meisten im Bekanntenkreis zu kämpfen. Viele blöde Sprüche, wie "Was du trinkst gar nichts? Nicht einmal an Sylvester!?" und dann eben auch, dass es mit mir ja dann keinen Spass machen würde zu feiern und wie man denn überhaupt ohne Alk fröhlich drauf sein könnte... usw. blablabla...
Irgendwann hatte ich die Nase voll davon mich immer runter machen zu lassen. Dass das gar keine Runtermache war, sondern nur Ablenkungsmanöver von deren Alkoholabhängigkeit habe ich damals gar nicht geblickt, aber ich fing an mich zu wehren und dementsprechende Antworten zu geben, wie eben, dass ich auf eine durch Alkohol produzierte und únechte Fröhlichkeit auch gar keine Wert lege... blablabla
Die blöden Sprüche hörten auf.
Es ging gut ohne Alk... was mir wirklich fehlte - so behämmert sich das anhört - war die Schwarzwälder Kirschtorte. Aber ich zog es durch. Ich wusste, dass ich absaufen würde, wenn ich wieder mit dem Alk, egal in welcher Form, anfangen würde und das wollte ich nicht.
Meine Ehe war natürlich auch nicht besser geworden, aber ich zog es trotzdem durch...
Interessant ist, dass mein Exmann das selbe Saufverhalten hatte wie ich. Wochenlang nüchtern, dann Zoff, dann das Haus verlassen und sich ordentlich die Kante geben... er kam dann irgendwann gegen Morgen total besoffen heim... Riesendrama mit Gekotze... große Versöhnung... ich flennend weil ich gegalubt hatte, dass er mich tatsächlich verlassen hatte und weil ich froh war, dass er zu mir zurückgekehrt war ( haha, wäre der nur mal gleich weg geblieben! Scheisspiel war das!!!)
Liebevoll habe ich ihn am nächsten Tag dann auch noch gepflegt und blablabla und die große Hoffnung, dass nun in unserer Ehe alles besser wird mit blablabla...
Natürlich blieb alles beim alten...
das ging so ungefähr zwei Jahre weiter... wir hatten mal wieder Krach und mein Ex verliess wutentbrannt die Wohnung mit der Ankündigung, dass er sich nun eine andere sucht und die Schnauze von mir voll hat blablabla... ich hatte in den Tagen zuvor ein Buch geschenkt bekommen über Portraitmalerei und hatte angefangen ein Portrait zu malen und es wurde... mein ganzen Streben war an diesem Abend endlich alleine zu sein, damit ich malen kann... und die Kleine war schon im Bett...
als er dann auch noch weg war, war ich richtig glücklich. Endlich Zeit für mich und das auch noch ohne sein Gemecker oder die Geräusche der Glotze aus dem Wohnzimmer. Herrlich!
An diesem Abend habe ich beschlossen, dass ich ihn dieses Mal nicht pflegen werde, wenn er besoffen antanzt...
irgendwann war ich müde und bin ganz zufrieden ( über mein Bild) und ganz entspannt ins Bett... war eh viel besser im Bett ohne ihn... und irgendwann ging die Wohnungstüre und er kam herein getorkelt "Schatz! Mir ist so schlecht!"
Ich stand auf, nahm den Schlafsack unten aus unserem Kleiderschrank, lief hinter ihm her ins Bad... er fing schon an über der Kloschüssel zu hängen. Ich warf ihm den Schlafsack vor die Füße und sagte: "Kannst gleich hier im Bad pennen, wenn du dich ausgekotzt hast. Wehe du kommst so besoffen und stinkend ins Bett!"
Und ob ihrs glaubt oder nicht: der penetrante Dauermotzer hat nur groß geschaut und hat ausnahmsweise mal sein Maul gehalten.
Morgens lag er pennend am Boden im Bad... und wir haben diese Nacht nie diskutiert. Es gab auch keine Versöhnung. Ich sagte lediglich, dass das in Zukunft nun immer so läuft.
Natürlich hat er nicht aufgehört zu saufen, aber die nächtlichen Kotzdramen waren damit zu Ende... hat sich eben nicht mehr rentiert. Das Kackspielchen.
Dann war er ja auch mein Ex. Gott sei Dank!
Die Sauferei war wirklich eines der kleinsten Probleme mit diesem Mann.
Im Laufe der Jahre gab es immer wieder Momente in meinem Leben, die nicht einfach waren... aber nur wenige Momente in welchen ich an Alkohol gedacht habe. Ich bin dann jedesmal erschrocken, habe nachgerechnet wieviel Jahre ich nichts mehr trinke und inzwischen weiss ich: Wenn es mir so schlecht geht, dass ich als Lösungsansatz an Alkohol denke muss ich die Situation intensiv in Angriff nehmen. Dann ist Alarm!
Seit Anfang dieses Jahres lebe ich nun mit meinem Freund zusammen... der trinkt ja auch... in der Regel zwei, manchmal drei, selten vier Glas Wein am Tag... ist sonst ein lieber Kerl... aber Probleme haben wir hier ordentlich ( seine Mutter und sein Bruder leben mit im Haus und mit seinem Sohn gab es auch Seltsamigkeiten der außergewöhnlichsten Art...). Seitdem ich hier lebe habe ich flashbacks vom Feinsten... auf der einen Seite gut. Ich erinnere mich nun an viele Erlebnisse von diesem 'vergessenen' Zeitraum. An das was ich in den Jahren zwischen 11 und 14 erlebt habe.
Das war eine schwere Zeit, denn umsonst hatte mein Gehirn diese Erlebnisse nicht ausgeblendet. Ich wusste eine zeitlang nicht, wie ich mit diesen Erinnerungen weiter leben kann. Mit diesen Bildern im Kopf. Blut. Schreie. Angst... davor hatte ich irgendwelche psychischen Störungen (Panikattacken und so). Damit konnte ich inzwischen gut umgehen, aber diese Erinnerungen und das Blut. Furchtbar.
In den Momenten in welchen ich so nicht weiter leben wollte habe ich jedesmal daran gedacht, dass ich doch einfach eine oder zwei Flaschen Wein... und Ex und hopp...hier steht ja genug herum und mein Freund macht es mir laufend vor... aber es erschien mir gleichzeitig nicht mehr als brauchbare Lösung. Ich dachte, dass das eigentlich auch nur ein Scheisspiel ist. Das Spiel mit dem Alk. Eine weitere Quälerei. Sich zu Tode saufen und dass ich da keinen Bock drauf habe. Wozu sich weiter quälen? Dass es um die Entscheidung geht: Möchte ich mit den Erinnerungen an diese Zeit leben? Erkenne ich diese als Realität an? Stelle ich mich meiner vollständigen Geschichte? Suche ich für mich einen Weg mit diesen Erinnerungen an das Blut, die Schreie, die Angst, die Gewalt, die 'Abtreibung' und Tötung meines Kindes in der 25. Schwangerschaftswoche zu leben? Möchte ich damit leben, oder möchte ich es nicht? Ich habe mir die freie Wahl gelassen.
Für mich war klar, dass ich, mit diesem Bild von meinem toten Baby und all den anderen furchtbaren Dingen nicht leben muss. Für mich war klar, dass ich diese Erlebnisse nie mehr vergessen werde. Ich hatte sie 34 Jahre lang ausgeblendet. Aber nun waren sie da...
dass es darum geht zu entscheiden, ob ich so noch weiterleben möchte oder eben nicht und nicht darum, wie ich die Schmerzen und die Bilder in meinem Kopf für eine Nacht betäuben kann.
Ich habe mich für das Leben entschieden. Für mein Leben. Mit Erinnerungen und Bildern voll mit Blut und Schreien und dem toten Baby und all den Sexualverbrechen im Kopf. Mit diesen Filmsequenzen im Kopf... diesen Horrofilmen, in welchen ich die Hauptdarstellerin bin...
Nicht, weil ich das Gefühl hatte oder hätte, dass ich leben müsste. Niemand muss so leben. Sondern weil ich leben möchte.
Bis ich zu dieser Entscheidung kam vergingen aber einige Wochen und einfach waren die nicht... ich habe auch manchmal Scheisse gebaut... mein Freund hat ein schnelles Auto... bin nachts los und auf der Autobahn herumgerast... setze ich ihn in die Leitplanke oder nicht?... auf s Gas... runter vom Gas... das Spielchen mit dem Tod. Gott sei dank ist nichts passiert... und nachdem ich das ein paarmal durchgezogen habe, habe ich mir selbst verboten Auto zu fahren... war nicht einfach diese Zeit, aber es hat sich rentiert...
früher hatte ich posttraumatische Belastunsstörungen wegen sexuellem Missbrauch und Gewalt in der Ursprungsfamilie... heute bin ich eine Frau mit einer vollständigen Biografie. Eine Frau mit einer Geschichte.
Ich habe 10 Jahre Therapie gemacht um 'normal' zu werden... und ich habe hart an mir gearbeitet.
Der Weg war richtig und wichtig, aber das Ziel war falsch.
Es geht nicht darum 'normal' zu sein. Es geht darum sich selbst zu sein.
Früher wurde mir, wenn ich bei - edit, bitte keine Firmennamen, danke, Linde - an der Kasse stand und da ein Küchenmesser im Sonderangebot lag einfach nur komisch im Kopf... Panikattacke... okay, Technik anwenden... hat alles funktioniert, abe r heute ist es anders.
heute bekomme ich keine Panikattacke von irgendwoher aus dem Nirwana. Heute erinnere ich mich... an das Messer... an das Blut... und so schrecklich die Erinnerungen sind: ich bin froh, das sie da sind. Denn heute schäme ich mich nicht mehr für meine posttraumatischen Belastungsstörungen. Sie haben ihre Berechtigung und wenn ich ein Messer sehe, welches mich erinnert, erinnert es mich eben. Und dann bin ich für einen Moment oder länger sehr traurig, aber dann geht das Leben weiter. Ein Leben das ich bestimme, mein Leben und ein Leben das auch schön sein kann.
Ich gestehe mir nun zu, dass ich nicht 'normal' sein muss. Das ist eine neue und noch unbekannte Reise... ich habe nicht mehr das Ziel so 'normal' zu werden, dass ich mit schwarzen Messern in meiner Küche leben kann. Weshalb auch? Ich mag sie nicht - also: Adios! Die Mülltonne steht im Hof
Solange andere nicht darunter leiden müssen, gestalte ich nun mein Leben so, wie ich es leben möchte.
Ich bin nun auf der Reise zu mir selbst und es fühlt sich gut an... natürlich bringt das im Umfeld einigen Ärger mit sich... als ich noch versuchte 'normal' zu sein, hatten es die Mitmenschen doch relativ einfach mit mir
Wie es hier im Haus weitergeht? keine Ahnung... es wird sich zeigen... ich sortiere Stück für Stück mein Leben. Was tut mir gut? Was nicht?
das heisst nun nicht, dass ich mich auf dem Egotrip befinde. Ich bin nur langsam dabei mich als das zu empfinden was ich bin. Eine Frau mit Rechten, ein Mensch mit Würde. Auch wenn ich 'anders' bin.
Ich wollte gar nicht soviel schreiben, aber es ist jetzt doch lang geworden... mir hat es gut getan mir einmal alles von der Seele zu schreiben ...
am liebsten würde ich jetzt: "Hört auf zu trinken und stellt euch lieber den Problemen!" schreiben, aber ich weiss, dass das viel einfacher gesagt als getan ist. Es gab Momente da ich den Tag, als ich in der Therapie diese Kiste geöffnet habe verflucht habe. Ich hätte alles dafür gegeben, wenn ich sie wieder zu machen hätte können... deshalb denke ich, dass das jeder für sich selbst entscheiden muss... wie möchte ich leben? Mit geschlossener oder geöffneter Kiste... mit oder ohne Alk und Drogen...?
so, jetzt reichts aber
euch allen einen schönen Tag!!!
Apfelsine