Manchmal ist man dann halt doch allein

  • Jetzt hat es mich doch geeizt, gleich loszuschreiben... nach so vielen Jahren, in denen ich gedacht habe, es geht vielleicht auch ohne Forum. Zum Einstieg habe ich ein paar Geschichten von anderen, viel Jüngeren gelesen und finde es erschreckend, wie sich die Geschichten gleichen. Egal, wie alt wir dann sind...

    Ich habe es in den letzten Jahren eigentlich ganz gut geschafft, mich weitestgehend von meinen Eltern zu lösen, bin sogar umgezogen. Nicht weit weg, aber weit genug. Wir sehen uns noch, aber immer nur bei mir und das auch nicht oft. Den Kontakt meiner Kinder zur Oma habe ich so weit es ging eingeschränkt. Mir geht es gut, besser als jemals zuvor. Ich fühle mich wohl in meinem Leben.

    Und doch... fühle ich mich manchmal allein. Dinge, die für andere selbstveständlich sind ("Ja, natürlich nehme ich meinen Mann mit auf das Fest, die Kinder gehen zur Oma - was, das macht deine Mutter nicht???" "Ich war jetzt drei Tage nur für mich weg - die Kinder waren bei der Oma..." "Ich bespreche Probleme imemr mit meinen Eltern...") sind es für mich gerade nicht und machen mir immer wieder schmerzlich bewusst, dass meine Familie eben ein Problem hat.

    Dabei vermise ich nicht den Luxus, meine Kinder mal "abgeben" zu können, ich vermisse diese Selbstverständlichkeit, diese Leichtigkeit, mit der andere scheinbar durchs Leben schweben. Ich muss immer allein planen und organisieren, und wenn mein Partner mal ausfällt, habe ich gar niemanden, an den ich mich auch mal anlehnen kann.

    Ich muss auch ehrlich gestehen, dass mein Mann und leider auch meine Kinder in den letzten Jahren immer mal wieder schwer schlucken mussten - sei es, weil bestimmte Dinge nicht so perfekt laufen, wie ich mir das einbilde, sei es, weil ich ab und zu einfach mal eine Schulter zum Ausweinen bräuchte.

    Ich selber habe das Gefühl, dass ich bereits jetzt eine Art Trauerarbeit verrichte. Mir fehlt meine Mutter. Das ist das Gefühl, das ich habe. Und ich weiß auch, ich bekomme sie nicht zurück. Niemals.

    Ich muss dazu sagen, dass meine Mutter mittlerweile fast 70 Jahre alt ist, sie trinkt jetzt seit unglaublichen 37 Jahren, wahrscheinlich noch länger. Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass sie immer noch am Leben ist, so hart wie das klingt.

    Das war jetzt lang, vielen dank für alle, die sich bis hierher durchgeackert haben!!!

    tini

    Kleine Schritte sind besser als gar keine!

  • Hallo Tini,

    ich habe vor einiger Zeit erfahren, daß meine Mutter schon vor meiner Geburt begonnen hat zu trinken, d. h. inzwischen ü47 Jahre ihren Spiegel trinkt. Kaum zu fassen. Inzwischen kann ich es ohne innere Aufregung als ihre Entscheidung sehen. Das mit der Trauerarbeit kenne ich.

    Lieber Gruß, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • 47 Jahre, das ist auch eine Leistung im negativen Sinn. Früher hatte ich ja immer mal Hoffnung, dass sie es schafft, aber die Trockenphasen wurden immer kürzer - wie das ja leider so ist - und inzwischen ist sie oft mittags schon sternhagelvoll, anders kann man das gar nicht bezeichnen.

    Das Interessante - oder eigentlich das Traurige - dabei ist, dass ihre Ausfallerscheinungen oder das, was ich davon sehe, weniger geworden sind. Offensichtlich hält sie jetzt tatsächlich permanent einen Pegel. Was natürlich nachts oder abends bei meinen Eltern abgeht, mag ich mir gar nicht vorstellen.

    Kannst du das verstehen, dass ich meinen Vater einerseits sehr bedaure, andereseits auch verachte? Wie kann man nur solange Co sein und es bleiben wollen?

    tini

    Kleine Schritte sind besser als gar keine!

  • Hallo Tini,

    ich kann es verstehen. Bei mir gab es eine ähnliche Phase.

    Man muß dann aber aufpassen, nicht co vom Co zu werden: Wenn schon nicht die Rettung des Alkoholikers gelingt, dann wenigstens die Rettung des Co.... und darüber selber co werden. Schwieriges Thema. Man kommt an seine Grenzen.

    Bei mir hat sich das mit der Zeit so entwickelt, daß ich auch die Entscheidungen meines Vaters akzeptieren kann. Ich werte das auch nicht mehr. Ich kann ja nur mein Gärtchen hegen und pflegen, nicht das der anderen. Also halte ich mich raus und lasse sie ihr Leben leben, auch wenn da in meinen Augen teils völlig irrationale oder kranke Dinge geschehen.

    Lieber Gruß, Linde :)

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Tini8

    Ich verstehe was du meinst das die Leichtigkeit fehlt.

    Über viele Dinge die in einer anderen Familie selbstverständlich ist muss man wenn man einen Alkoholiker in der Familie hat nachdenken und auch Einschränkungen hinnehmen.

    Wenn wir heiraten werden zum Beispiel wie sollen wir das machen. Während es bei anderen Familien selbstverständlich ist das zumindest die engste Familie an der Hochzeit teilnimmt sind wir am überlegen wie wir es machen sollen. Laden wir meine Schwiemu ein kann es sein das das ganze Fest wegen ihr kippt weil einfach etwas nicht nach ihrem Kopf geht und sie wieder getrunken hat. Laden wir sie nicht ein wird es sowieso ein Theater geben und ich bin schon gespannt auf den Telefontheror den sie dan abziehen wird.

    Ich bin jetzt zb. schwanger und freue mich auch schon wahnsinnig auf das Kind doch im Hinterkopf kommt schon der Gedanke auf wie wir das erst machen werden wenn das Kind erst da ist. Ich will nicht das sie das Kind auf den Arm nimmt mir ihrer Alkoholfahne auf der anderen Seite weis ich das ich nicht nur ihr damit weh tue sondern auch dem Kind weil sie ja doch seine Oma ist.

    Ich glaube wenn ich richtig meine hast du das gemeinst diese Leichtigkeit fehlt einen mal etwas planen oder regeln zu können ohne den Alk mit einplanen zu müssen (was man eh nicht kann) und vorallem wenn man dann ständig allen erklären kann warum man das nicht so machen kann

    lg M.

  • Hallo Tini,

    ich kann jeden einzelnen Satz von dir nachvollziehen und unterschreiben. Vor allen Dingen die Sache mit der Leichtigkeit. Es gibt so viele Menschen, denen alles scheinbar zufliegt, die sich um nichts Gedanken müssen, da alles stimmt und sie die Erfahrung von Angst oder Scheitern niemals hatten. Bei mir war es noch nie so, von klein auf. Die Mutter ist selbstverständlich immer da- es wird sogar genörgelt, wenn sie mal ausnahmsweise keine Zeit hat. Nunja.

    Hallo M.,
    an meine eigene Hochzeit denke ich auch mit Schaudern. :/ Vor allem, da meine Mutter gerade VOR Veranstaltungen gerne mal den Verstand wegtrinkt, sodass meine Eltern zu der ein oder anderen Feier nicht mehr hinfahren konnten.
    Ansonsten bin ich mit einem alkoholkranken Opa groß geworden und fand nichts unangenehmer, als ihn bei Besuchen zu treffen. Im Großen und Ganzen bin ich froh, dass mein Vater uns wenigstens vor ihm fern hielt. Also mach dir mal nicht so viele Gedanken darum, dass du einem Kind eventuell die Oma wegnehmen könntest.

    Liebe Grüße,
    Zimttee

  • Hallo Ihr Lieben,

    auch ich kenne das mit der mangelnden Leichtigkeit.
    Meine Ernsthaftigkeit ist schon als Kind aufgefallen.
    Ich wurde dann aufgefordert mal lustig zu sein, was ich dann vorspielte zu sein.
    Irgendwie habe ich immer "geschauspielt".. an Weihnachten war es immer schrecklich, Vater betrunken ,Mutter heulte und ich versuchte brav und fröhlich zu sein. Verrückt !

    Zu Familenfeiern in der Verwandtschaft bin ich irgendwann nicht mehr mit, ich hätte es nicht mehr ausgehalten.
    Meine Hochzeit fand in ganz kleinem Kreis statt, nur Eltern und Schwiegerma und Opa.
    Ich wollte keine große Feier wegen der Alkoholprobleme bei m.Vater und m. Schwiegerma.
    Am liebsten hätte ich im Ausland geheiratet , nur ich und mein Mann.

    HAbe ich mich nicht getraut durchzusetzen, da meine Mutter jammerte und mir Vorwürfe machte.

    "Vorwürfe machen" damit hat mich meine Mutter immer wieder festgekrallt im Kleinfamilienboot.

    Ich kann heute kaum locker sein auf Feiern, selbst wenn ich weiss, dass Alkoholpegel dort keine Rolle spielen.
    Anspannung ist immer in mir.

    Aber es ist schön, zu merken , dass ich mich auf Treffen mit Bekannten auch mal freuen kann .


    Liebe Grüße,
    Tjorven

  • liebe tini,
    es gibt doch auch andere Menschen, die auf deine kinder aufpassen können ausser Oma und Papa. Können sie nicht auch mal ab und zu bei Freunden schlafen oder gibts nicht eine Schülerin im Bekanntenkreis, die da mal einspringen kann? Bei uns gibts so einen Verein, wo ältere Leute als Ersatzoma gebucht werden können. Es gibt ja auch Familien , die weit weg wohnen von ihren Eltern. Ansonsten würde ich Besuche nur bei Nüchterneheit zulassen und vorher schnuppern. Bei ALkoholfahne gleich ein Alternativprogramm rausholen. Da gäbe es für mich auch keinen Kompromis. Meine Eltern oder sonst wer können genre trinken wann und wieviel sie wollen. Aber meinen Kindern muß und will ich das nicht antun, dass sie auch nur die Fahne riechen müssen. Sie sollen mit so schlechtem Vorbild nicht aufwachsen. Knallharte Worte und Tschüß. Denn genau so hätte ich es von meiner Mutter erwartet.

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