• 4 Jahre ist es jetzt her. Mit Grusel denk ich dran zurück. Da sass ich nun. In diesem dunklen Käfig aus kalten Wänden in den ich mich selber eingesperrt hatte. Stück für Stück, Tropfen für Tropfen. Jeden Tag ein bisschen mehr. Einsam. Teilweise verbittert. Nur ein Schatten des Menschen der ich mal war, der in mir steckte. Nur mehr eine leblose Hülle die irgendwie noch funktionierte. Doch in mir funktionierte schon lange nichts mehr.

    Und es wurde eng. Erstickend eng. Die Wände des Käfigs kamen näher. Die Dunkelheit nahm zu.

    Raus hier oder Sterben. Das war die Wahl die ich noch hatte.

    Also Raus hier!

    Ich zwängte mich durch die winzige Öffnung die ich in meinem Käfig zurückliess. Sie war das Fenster nach aussen. Ein bisschen klein um da durchzukriechen, aber der Mut der Verzweiflung machte doch mächtig Druck.

    Eine schöne neue Welt wurde mir versprochen.

    Nachdem ich durch die kleine Öffnung gekrochen war, landete ich in einem verstaubten Keller. Wo ist denn jetzt die schöne neue Welt?

    Da war nur dieser Keller. Doch so schlecht war der gar nicht. Zwar recht dunkel, aber zumindest hatte ich ein 30 Watt Birne die an der Decke baumelte und ein bisschen Licht spendete. Die Wände waren auch nicht ganz so nah. Ich hatte plötzlich etwas Platz.

    Die nächste Zeit, sicher ein Jahr verbrachte ich damit die Öffnung die in den Käfig zurückführte zu verriegeln und verrammeln. Stahltüren wurden gegossen. Gewaltige Riegel entworfen. Alarmanlagen installiert. Mühsam war diese Arbeit, Mühsam, doch notwendig. Denn der Keller war nicht die versprochene schöne Welt. Und manchmal, oft sogar, war es in diesem Keller einsam, kalt, langweilig. Und der Käfig hatte einen Vorteil. Zwar war es da enger aber man musste auch weniger sehen. Weniger was aufzuräumen war. Doch trotzdem war er der Tod. Also lieber alles verriegeln und verrammeln.

    Jahr 2 begann.

    Keller ausstauben, Keller aufräumen. Hier und da wurde ein kleiner Sessel aufgestellt, die Glühbirne gegen eine grössere getauscht. Wände hab ich gestrichen. Bilder aufgehangen.

    Ein, zwei Mal die Woche schaute ich ängstlich nach der verrammelten und verriegelten Öffnung zum Käfig. Alles zu, alles dicht.

    Gemütlich hatte ich's jetzt. Alles konnte seinen geregelten Gang gehen. Und ich war sicher. Sicher durch die Alarmanlagen an der Käfigöffnung. Sicher durch die mittlerweile bunt bemalten Kellerwände.

    Doch es stimmte nicht. Ich hatte Angst. Angst vor der Treppe sie ich beim Aufräumen entdeckte. Waren es nicht die gleichen Wände wie in dem Käfig die mich schützen sollten? War es nicht der gleiche Wunsch nach Sicherheit der mich überhaupt erst in den Käfig zwängte?

    Und ich ergriff Mut die Treppe hinauf zu gehen.

    Jahr 3 begann.

    Wow. Eine richtige Wohnung, viele Zimmer. Viel Platz. Fenster. Licht. Richtiges Licht. Und wieder ein Jahr, Wände streichen, Wände mit Bildern behängen. Sessel aufstellen. Und es war richtig schön.

    Ab und zu, eher selten ging ich in den Keller um nach der verrammelten und verriegelten Öffnung zu sehen. Da war alles dicht. Und in den Keller wollte ich kaum noch.

    Jahr 4 begann.

    Freunde kamen und gingen. Alles wirkte hell und machte Freude. Das musste das Leben sein.

    Doch da waren wieder Wände. Wände die mir Sicherheit geben sollten. Wovor eigentlich? Vor dem was hinter der Haustür liegt? Was ich durch die Fenster sehen konnte? Wovor hatte ich eigentlich solche Angst, daß ich meinte Wände zu brauchen?

    In ein paar Tagen beginnt Jahr 5. Den Schritt durch die Haustür bin ich schon vor einer Weile gegangen. Ein bisschen wehmütig, musste ich doch alles Vergangene, alles was mich schützen sollte hinter mir lassen.

    Wände mag ich heute nicht mehr. Sie geben mir keine Sicherheit. Sie sperren mich ein. Die Wände ließ ich zurück. Dafür bekam ich das größte Geschenk.

    Vertrauen.

    In tiefer Dankbarkeit für alles Geschehene und all Jene die mich begleitet haben.

    Kaleu

  • Hallo Kaleu
    Ich komme von der Co-Seite und bin sehr berührt von dem was du schreibst.
    Schon letzten September war dein damals geschriebener ,,Rückblick,, so wichtig und bedeutsam für mich.

    Auch jetzt nehme ich wieder etwas von dir mit und danke dir dafür sehr.

    Denn einiges was du schreibst trifft auch auf mich zu.
    Klingt jetzt vielleicht komisch,aber jetzt Monate nach der erneuten und jetzt entgültigen Trennung,habe ich viele Gefühle durchlebt.
    Erst sowas wie Befreiung wieder durchatmen können,dann erste Schritte alleine ohne wirklichen Plan(Ziel) dann ging es mir eine Zeit ganz gut .
    Aktuell fühle ich mich manchmal sehr einsam,dann wieder mitten unter Menschen wirklich allein/irgendwie fremd/so unwirklich.
    In solchen Momenten ist mein Heim meine Burg ,mein Rückzugsort,dann wieder erdrückt mich mein Zuhause und macht mir das Alleinsein so bewußt.
    Auch ein Co (Ich) muß wieder Leben lernen,so empfinde ich das gerade.
    Alles Gute dir und danke für dein Geschriebenes.
    Vertrauen ist wohl der Schlüssel und den habe ich noch nicht gefunden.
    Ich vertraue zwar mir aber anderen Menschen nichtmehr und das steht einer Zweisamkeit im Weg.
    Solange ich das Vertrauen nicht wiederfinde sehe ich nicht den Weg /das Ziel,spüre meine Schwäche.


    LG R..

  • Hallo Renate,

    Vertrauen war für mich immer das eine große Thema. Ich kam da nie ran. Weil ich's rational versucht habe.

    Vetrauen ist etwas was einen ganz erfüllt. Wenn es einen erfüllen soll, muss natürlich auch Platz dafür sein. Das bedeutet, irgendwas muss raus, irgendwas muss gehen. Hinter mir bleiben.

    Vertrauen hat nicht unbedingt etwas mit mir selbst oder anderen Menschen zu tun. Es ist viel mehr als das. Vertrauen in einen anderen Menschen bedeutet nicht davon auszugehen, daß dieser unfehlbar wäre, nie Mist bauen würde oder nie etwas tun würde, womit ich nicht klar komme. Wer das sucht, sucht nicht Vertrauen sondern Sicherheit weil ihm das Vertrauen fehlt.

    Dafür hab ich lange meine Wände errichtet.

    Wenn Du Vertrauen willst - lass etwas gehen.

    Lieben Gruß

    Kaleu

  • Hallo Kaleu,

    Zitat

    So voll - wie Du nüchtern erfüllt sein kannst - kannst Du gar nicht sein!

    für diesen Satz möchte ich mich bei dir bedanken. Wie wahr er ist.

    Schön, dich mit eigenen Thread wieder lesen zu können.

    Liebe Grüße
    Maria

  • Hallo Kaleu,

    Deinen Text finde ich ausgesprochen schön und gehaltvoll. Vielen Dank dafür. - Und herzlichen Glückwunsch zu Deinen vier Jahren ohne Alkohol. - Liebe Grüße, zerfreila

  • Hallo Kaleu,

    ja, ich entdecke es auch gerade für mich, dieses Gefühl - dass man sich nicht mehr verbarrikadieren muss, weil einem niemand etwas wegnehmen, den Boden unter den Füßen wegziehen kann, dass man den Moment genießen kann, weil er eben gerade da ist, um ihn dann loszulassen, dass man den Ausschließlichkeits- und Ewigkeits-Anspruch an die Dinge fallen lässt, denn selbst wenn sie in Bernstein eingeschlossen sind, sind sie dann tot ...

    Auch von mir vielen Dank für deinen Text.

    Viele liebe Grüße
    Lea

    If you know where you stand
    then you know where to land ...

  • Hallo Kaleu
    Danke für deine Worte ,ich lasse sie wirken......

    Mein Leben lang hatte ich soviel Vertrauen,in Gott, an die Liebe, in mich ,an andere Menschen und daran das alles was einem widerfährt zu irgendwas gut ist (um daraus zu lernen?)
    Und gerade bei meinem Ex(Alkoholiker) habe ich mich so sehr getäuscht ,die Situation total unterschätzt....was sollte (durfte ) ich da lernen?

    Das setzt viele Gedankengänge in mir frei.
    Besonders meine Ängstlichkeit wird mir so bewußt,ich hätte mich in der Vergangenheit nicht als ängstlichen Menschen beschrieben.

    LG R..

  • Liebe Renate,

    hast ihn denn gehen lassen? Oder darf er das nicht, weil er noch eine Schuld an Dir abzutragen hat die Du ihm aufbürdest?

    Liebe Grüße

    Kaleu

  • Lieber Kaleu
    Ich habe keine Erwartungen mehr an ihn,ich weiß das er ein kranker Mann ist.
    Was ich tat in unserer gemeinsamen Zeit das tat ich gerne,er hat es ja auch nicht gefordert.
    Also Schuld kommt in meinen Gedanken nicht vor.
    Ich schaue eher auf mich und was dieser ,,Kampf,,gegen den Alkohol und um meinen ex mit und aus mir gemacht hat.
    Gerne hätte ich das Unmögliche möglich gemacht.
    Unwissenheit kann ich als stärkstes Argument vorbringen für mein falsches Verhalten und den egoistischen Wunsch mit diesem Mann gemeinsam alt zu werden.
    Ich sah und spürte nicht das er längst ,,besetzt,, war (Alk)
    Mein erster Ehemann und Kindervater starb letztes Jahr im Febuar(wie waren über 20 jahre geschieden) den klassischen Säufertod mit Gehirnblutung /Koma ...die ganze Palette.
    Da ich meinen jetzigen ex sehr liebte ,konnte und wollte ich bei ihm nicht danebenstehen und womöglich sowas noch einmal mitansehen (es war grauenvoll)
    Deshalb gibt es so oder so keine Fortsetzung mit diesem jetzt wieder nassen Mann.
    Ich gehe den Weg den ich aushalten kann und er hat nichts abzuleisten ,aber ich darf traurig sein?
    LG R..

  • Zitat

    Ich gehe den Weg den ich aushalten kann und er hat nichts abzuleisten ,aber ich darf traurig sein?

    Natürlich. Brauchts dafür mein Einverständnis?
    Deins wäre hilfreicher :)

    Zitat

    Ich schaue eher auf mich und was dieser ,,Kampf,,gegen den Alkohol und um meinen ex mit und aus mir gemacht hat.
    Gerne hätte ich das Unmögliche möglich gemacht.
    Unwissenheit kann ich als stärkstes Argument vorbringen für mein falsches Verhalten und den egoistischen Wunsch mit diesem Mann gemeinsam alt zu werden.
    Ich sah und spürte nicht das er längst ,,besetzt,, war (Alk)

    Ah, also war's nicht der Ex sondern der Alkohol. Der Böse. Gegen den hast Du verloren, ja? Hat er Dir Mann und Glück weggenommen? All das was Dir zustand?

    Und Du bist sicher, daß Du keine Schuld verteilst?

    Zitat

    Unwissenheit kann ich als stärkstes Argument vorbringen für mein falsches Verhalten und den egoistischen Wunsch mit diesem Mann gemeinsam alt zu werden.

    Und selbst streichst Du auch gleich einen großen Batzen ein. Ach, Schuld ist sowas feines. Und gerecht ist man auch noch, wenn man sie nicht nur bei Anderen sieht, sondern sich selbst aufbürdet :D

    Zitat

    Deshalb gibt es so oder so keine Fortsetzung mit diesem jetzt wieder nassen Mann.

    Danach hatte ich nicht gefragt. Sondern ob Du ihn gehen lassen hast.

    Liebe Grüße

    Kaleu

  • mh Kaleu
    manches was du mir schreibst versteh ich nicht.
    Ich wünschte mir mit diesem Mann (aber ohne Alk) alt zu werden.
    Ob mir dieser Wunsch zustand....gute Frage.

    Ich habe ihn losgelassen, seine Entscheidung weiter zu trinken akzeptiert ist das nicht dasselbe?
    Nenn es Einsicht oder Kapitulation.
    LG R..

  • Hallo Renate,

    solange es für Dich okay ist, ist es auch okay. Der Rest ist gar nicht wichtig. Und wer weiß schon, was ich manches Mal für einen Kram schreibe :D

    Zitat

    Ob mir dieser Wunsch zustand....gute Frage.

    Jedem steht Jeder Wunsch zu. Wünsch Dir doch mal was. :)

  • Ich freu mich und muss lächeln und mag Dich damit anstecken. :)

    Jetzt hast Du Kontakt zu Dir. Alles was Du jetzt tun brauchst ist wachsen lassen, was wachsen will. Ich versprech Dir, es wird keine Angst sein.

    Vielleicht brauchts hier und da noch eine heilende Träne. Trauer ist so, so wichtig.

    Wünsch Dir was Renate. Je größer desto besser. Nicht weniger als ein Wunder.

    Einen schönen Abend Dir

    Kaleu

  • Zitat von RenateO

    Hallo Kaleu
    Danke für deine Worte ,ich lasse sie wirken......

    Mein Leben lang hatte ich soviel Vertrauen,in Gott, an die Liebe, in mich ,an andere Menschen und daran das alles was einem widerfährt zu irgendwas gut ist (um daraus zu lernen?)
    Und gerade bei meinem Ex(Alkoholiker) habe ich mich so sehr getäuscht ,die Situation total unterschätzt....was sollte (durfte ) ich da lernen?

    Das setzt viele Gedankengänge in mir frei.
    Besonders meine Ängstlichkeit wird mir so bewußt,ich hätte mich in der Vergangenheit nicht als ängstlichen Menschen beschrieben.

    LG R..

  • Hallo Kaleu,

    ich hab schon lang nichts mehr geschrieben und musste Renates Beitrag zitieren,weil genau das auch ich geschrieben haben könnte. Auch mich bewegt es sehr,was du schreibst und dein Beitrag in meinem Thread "Die Sucht des Anderen" war auch für mich ein wichtiger Moment,der mir sehr bei ging und mir die Augen geöffnet hat.Auch ich habe ihn ausgedruckt und immer griffbereit :)

    Vielen Dank nochmals dafür. Auch mir sind meine Ängste bewusst,auch ich hab mich vorher nie als ängstlich gesehen. Vertrauen neu zu schöpfen und diese Ängste zu überwinden fällt mir immer noch schwer. Zu viel ist in dieser ungesunden Beziehung passiert, was mich in Mark und Knochen erschüttert und getroffen hat. Es ist jede Menge Arbeit und eine Herausforderung,die es anzunehmen gilt.

    XY hat seit Weihnachten keinen Tropfen mehr getrunken und hält bisher durch,sein Wille ist ungebrochen. Wie das plötzlich geht und ohne Arzt und Therapie kann ich nicht ganz verstehen,zumal er auch polytox ist oder war.Ich dachte immer, ohne Therapie geh es nicht. Von ihm selbst weiss ich das nicht, nur von Mitgliedern seiner Familie,mit denen ich ab und an Kontakt habe.Ich interessiere ihn schon lange nicht mehr und sitze seit einigen Monaten auf Schulden,die er abbezahlen müsste.Bis jetzt werd ich vertröstet. Es tut halt einfach weh,wenn man einen Menschen wirklich von Herzen geliebt hat trotz seiner Suchtproblematik und man so hängen gelassen wurde.

    Wie Renate hab ich zwar losgelassen,jedoch trauere ich immer noch.
    Auch wenn ich schon lange nicht mehr selbst geschrieben hab,lese ich täglich weiterhin hier.

    Renate : es freut mich auch für dich,dass du so grosse Fortschritte gemacht hast.

    Ich wünsche dir weiterhin alles Gute auf deinem Weg Kaleu.Du machst das richtig klasse :D

  • Hallo cocomel
    Danke für deine Worte an mich,ja ich bin auf dem Weg,aber immer aufrecht gehe ich ihn nicht.
    Aktuell hänge ich teilweise vielen Gedanken hinterher.
    XY spielt da keine Rolle mehr,vielmehr meine eigenen Gefühle ,ich sortiere mein Weltbild neu und manchmal bin ich schwermütig.
    Ich wünsche dir auch alles Gute vieleicht liest man sich ja in meinem Faden nochmal?
    LG R..

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