Hallo an alle,
nachdem ich jetzt einige Tage nur gelesen habe „traue“ ich mich selbst mal aus der Deckung.
Ich bin (noch – irgendwie zumindest) Lebensgefährtin eines Alkoholikers. Da ich ihn zu trockenen Zeiten kennengelernt habe, war ich mir lange der Problematik gar nicht bewusst. Und dann habe ich das Wissen darum, dass da irgendwas ganz gewaltig nicht stimmt, lange vor mir selbst geleugnet.
Es ist mir nach wie vor völlig unbegreiflich, wie ich so lange dieses Leben ertragen habe. Obwohl mir da längst klar war, dass das alles andere als normal war.
Ich behaupte von mir, dass ich eine selbstbewusste Frau bin, ich habe eine Hand voll wirklich guter Freunde, eine tolle Familie, einen guten Job….und trotzdem hat mich diese kranke Beziehung voll erwischt. Ich habe lange vor mir selbst behauptet, dass ich ihn liebe und dass er mich liebt wie noch nie jemand vorher. Zu erkennen, dass das keine Liebe ist, sondern dass ich irgendwie Teil seiner Sucht bin hat lange gedauert und ist auch jetzt noch sehr, sehr schmerzhaft.
Nachdem mir klargeworden ist, dass Alarmstufe Rot gilt (leider erst nachdem wir vorher noch ein Haus zusammen gekauft haben – wie gesagt im Nachhinein völlig unbegreiflich), habe ich zunächst alle Fehler gemacht, die man dann so macht: Kontrollieren, Wegschütten, Diskussionen führen, Anschreien, Heulen, Drohen (und natürlich nicht Halten), mich auf Streitereien einlassen, die er längst schon nicht mehr überblicken konnte…..ich nehme an Ihr alle kennt diese Schritte.
Ich habe dann angefangen mich über Alkoholismus zu informieren und habe Information angeschleppt und versucht ihm klarzumachen, welchen Weg er da gerade (wieder?) einschlägt. Natürlich hat das alles nichts gebracht.
Und trotzdem hat mich immer irgendwas zurück gehalten. Mein komplettes Umfeld, sein komplettes Umfeld, alle haben gespiegelt, dass sie nicht verstehen, dass ich bleibe. Aber ich konnte noch nicht loslassen. Und erschreckenderweise ist mir mittlerweile klar, dass ich mich irgendwie auch in dieser „starken“ Rolle der „Retterin“ auf die immer Verlass ist ein Stück weit eingerichtet hatte.
Gefolgt sind sein körperlicher Zusammenbruch mit wochenlangem Koma, monatelangem Krankenhausaufenthalt bzw. Reha und einer – zumindest körperlichen – Entgiftung. Es hat nicht viel gefehlt und er hätte es nicht gechafft, auch hier erschreckend, dass ich manchmal nur gedacht habe „Dann hat das alles wenigstens endlich ein Ende“.
Diese Zeit hat mich sowohl körperlich, als auch psychisch an den Rand dessen was ich ertragen konnte gebracht. Gottseidank habe ich in dieser Zeit gemerkt, dass ich nicht mehr alleine damit umgehen kann und habe mir sowohl eine Therapie, als auch eine SHG gesucht. Im Moment denke ich war und ist dieses Netz sogar wichtiger als meine Familie und Freunde.
Die Therapie hat mir vor Augen geführt – und das sogar enorm schnell – dass ich mich selbst völlig aus den Augen verloren hatte und gar nicht mehr wusste, was ich eigentlich will. Dass ich so viele Dinge, die ich in der Beziehung (und das auch schon vor dem Alkohol) als falsch und krank empfunden habe, akzeptiert hatte und vor mir selbst als notwendiges Kompromiss bezeichnet habe….
Und die SHG hat mich zum ersten Mal mit Menschen zusammengeführt, die die Krankheit Alkoholismus nicht nur aus Büchern oder Zeitungsartikeln kannten, sondern die wussten wovon ich rede – das war eine unheimliche Erleichterung. Ich hatte und habe noch immer nicht das Gefühl, dass Gespräche mit meiner Familie oder meinen Freunden mir wirklich helfen. Es ist natürlich schön und wichtig zu wissen, dass sie alle für mich da sind und mir helfen, wenn ich Hilfe brauche, aber ich habe nicht so wirklich das Gefühl, dass sie mir wirklich helfen können….da sie nicht im Ansatz verstehen oder nachvollziehen können wie sich das anfühlt und aus welchen kranken Zwiespälten man sich da immer erst befreien muss.
Die Verzweiflung, die Scham, die Hilflosigkeit, das Verletzt sein, dieses den Boden unter den Füßen verlieren – und das Gefühl das alles trotzdem aushalten zu müssen……ganz schön bescheuert.
Während der Zeit in der die Ärzte mit allen Mitteln versucht haben ihn am Leben zu halten, konnte ich gar nicht gehen. Da war die Angst um ihn und das Bedürfnis ihn damit nicht alleine zu lassen viel zu groß. Und ich habe mich auch vor dem großen Erwachen gedrückt. Und natürlich war da auch die Hoffnung, dass der Tiefpunkt fast sein Leben zu verlieren, ja sicher ausreichen muss um DER entscheidende Tiefpunkt zu sein.
Nach dem Heimkommen aus der Reha (ich hatte bis dahin lange Zeit gehabt, mich damit auseinanderzusetzen was ich will) habe ich ganz klar meinen Standpunkt formuliert und Bedingungen gestellt unter denen ich bereit bin ihm eine letzte Chance zu geben.
Wenn ich das jetzt so schreibe merke ich, wie vergeblich das an diesem Punkt eigentlich schon wieder war, da ja alles wieder von mir vordiktiert war. Aber zunächst lief alles besser als es jahrelang vorher war. Wir sind zusammen in die SHG gegangen und haben langsam wieder normale Gespräche geführt, haben wieder gemeinsam Freunde und Familie besucht, uns angenähert….und trotzdem.
Ich habe festgestellt, dass er zwar mitgekommen ist in die SHG, aber nicht teilgenommen hat. Immer nur von der Krankheit und den gesundheitlichen Problemen gesprochen hat und wie viel Zeit er jetzt braucht um wieder gesund zu werden. Und dass Alkohol kein Problem mehr wäre, da er nur noch daran denke, wenn ich ihn daran erinnern würde oder er mit in die SHG gehen „müsste“. Oha, dachte ich, das klingt irgendwie falsch.
Ich habe trotzdem nicht glauben wollen, dass es möglich ist nach einem solchen Paukenschlag immer noch nicht selbst zu wollen. Und wieder nicht wahr haben wollen, dass er keinerlei Einsicht entwickelt hatte.
Aber er hat sich geweigert in den Urlaub mitzufahren, den ich für mich geplant hatte (und bei dem ich extra darauf geachtet hatte, dass er mitkommen konnte, wenn er gewollt hätte). Ich hatte das aber schon – gestärkt durch die Therapie – entschieden, dass ich auch alleine fahre und bin ohne ihn gefahren. Natürlich hat er mich mit Nachrichten und Anrufen bombardiert, bis ich nach einer Woche jeglichen Kontakt eingestellt habe, weil ich sonst keinerlei Erholung gehabt hätte. In dieser Zeit habe ich mir auch bewusst verboten daran zu denken was diese ganzen kranken Anrufe und Nachrichten bedeuten können und habe den Urlaub ganz bewusst nur für mich genossen.
Das Ende vom Lied wird hier wahrscheinlich niemanden erstaunen, mir hat es trotz allem was ich schon erwartet hatte, nochmal den Boden völlig unter den Füßen weggezogen. Ich kam nachhause – sowieso schon skeptisch, weil ich nach langer Zeit mal wieder gemerkt hatte wie sich zwei Wochen normales Leben mit normalen Menschen anfühlen – und habe sofort gesehen und gerochen und gehört, dass er getrunken hat. Ich habe sofort Familienangehörige von ihm gebeten zu kommen und wir haben versucht eine Vereinbarung zu treffen, wie es weitergehen kann, wenn er das will.
Natürlich stehe ich jetzt nach nur 5 Tagen vor der Erkenntnis, dass ihn das alles nicht erreicht und er das alles auch gerade nicht wollen kann. Ich hatte sowieso schon gemerkt, dass das keine Liebe sein kann und für mich ganz klar gefühlt, dass ich ihm diese Chance fast nur noch aus Pflichtgefühl gebe (beim Schreiben klingt das noch viel unbegreiflicher als es eh schon ist….) und in den letzten Tagen bin ich innerlich den letzten Schritt gegangen und weiß, dass ich jetzt gehen kann.
Ich weiß noch nicht wie ich das alles stemmen soll (gemeinsames Haus, gemeinsamer Kredit…das Finanzielle bremst mich da grad ein bisschen aus) aber ich habe so viele wichtige Jahre und so viele Hoffnungen vergeudet, dass ich es jetzt kaum erwarten kann wieder frei zu sein. Spätestens dieses Gefühl, dass ich wieder „frei“ bin hat mir klar gemacht was ich mir habe nehmen lassen.
Mir ist klar, dass das noch ein langer und bestimmt oft steiniger Weg wird und dass ich da das eine oder andere Mal sicherlich jemanden brauche, der mir klipp und klar sagt, dass ich meinen Weg verloren habe und mir den Kopf zurecht setzt. Und nach allem was ich hier gelesen habe, bin ich hier glaube ich richtig.
Ich bitte also darum, sehr direkt zu sagen, wenn ihr das Gefühl habt, dass ich mich verrenne. Ich kann klare Ansagen gut verkraften und möchte einfach meinen Weg nicht mehr verlieren.
Ich hoffe, dass ich hier eine weitere Plattform finde, die mich auffangen kann, wenn ich einen schwachen Moment habe. Dafür danke ich euch allen schon jetzt!
Und Danke fürs Mitlesen.