Hallo liebe Forumsmitglieder!
Ein paar haben mich vielleicht schon im Vorstellungsbereich gelesen.
Ich bin 23, Studentin, und habe ein Alkoholproblem. 8 Jahre lang habe ich versucht, meinen Alkoholkonsum unter Kontrolle zu bekommen; vor etwas über einer Woche dann die Erkenntnis: Wenn ich es bisher nicht geschafft habe, werde ich es auch in Zukunft nicht schaffen. Also muss ich ganz aufhören mit dem Trinken. Nun ist mein neunter Tag ohne, und ich habe die ersten Schritte unternommen, um dieses Vorhaben zu verwirklichen. Ich habe einen Teil meiner Freunde und Familie informiert, habe mich hier angemeldet, und am wichtigsten: Ich habe mir eingestanden dass ich ein Problem habe. Weitere Schritte werden folgen.
Habt ihr es auch erlebt, dass euch erst, als ihr wirklich aufhören wolltet, gemerkt habt, wie groß die Rolle ist, die Alkohol in eurem Leben und im Leben in dieser Gesellschaft allgemein spielt? Ich habe so viele Situationen, in denen (absichtlich übermäßig) getrunken wird, als selbstverständlich hingenommen, dass eine der Aufgaben denen ich mich stellen muss nun sein wird, diese Situationen zu erkennen und einzugestehen dass davon nichts selbstverständlich ist. Gerade als Studentin ist so etwas schwer, weil die Studentenkultur auch irgendwo eine Partykultur und Alkohol damit positiv besetzt ist. Ich habe mich gestern dabei erwischt, wie ich einem Freund erzählt habe, dass eine schwierige Klausur ansteht und ich sehr erleichtert sein werde, wenn diese geschafft ist: "Dann wird erst mal richtig gesoffen!" - Das letzte Wort blieb mir echt im Halse stecken, und ich sah ihn betroffen an: Das war für mich bisher so selbstverständlich! Klausur geschafft? - Saufen. Schwierige Zeit im Praktikum? - Saufen. Langeweile? - Saufen.
Es gruselt mich, dass das ein Automatismus geworden ist. Mich gruselt aber auch, dass das so normalisiert wird. Man denkt vielleicht, dass eher Teenager es "cool" finden, sich ständig zu betrinken, aber jeder der kürzlich auf einer Studentenparty war, kann bezeugen dass das auch noch bei Mitte 20-Jährigen so ist. Ich bin froh dass ich das jetzt erkannt habe. Keine Sorge - ich mache nicht die anderen Studenten dafür verantwortlich, dass ich ein Alkoholproblem hab. Es ist nur so, dass ich echt perplex bin angesichts der "Alkoholkultur", die ich früher so nicht gesehen hab.
Es geht aber nicht nur um sog. "binge drinking", sondern auch um die Flasche Wein beim Date, das Bier im Pub mit Freunden, den Sekt zum Anstoßen; um den Whiskey, den man sich im Festival-Camp mit den anderen teilt, kurz: Um das riualisierte Trinken.
Neulich hab ich eine unglaubliche Erfahrung gemacht: Seit Jahren mein erster Morgen komplett ohne Kater, nachdem ich abends mit Freunden unterwegs war. Ich saß im Bus auf dem Weg zum Sport und die Sonne schien mir ins Gesicht, während ich meine Lieblingsmusik hörte. Und da wurde mir bewusst dass ich jetzt normalerweise mit dickem Kopp im Bett liegen und mich über mich selbst ärgern würde, während die Sonne draußen unbemerkt wieder untergeht. Und da wurde mir etwas Wichtiges klar: Ich dachte immer, Alkohol sei Freiheit. Freiheit, sich auszutoben, alles mögliche zu tun, ohne sich dafür schämen zu müssen, mehr zu lachen, die Welt bunter wahrzunehmen. Aber eigentlich ist Abstinenz Freiheit: Freiheit, nur Entscheidungen zu treffen, die man auch wirklich treffen will. Körperliche Freiheit, weil man nicht mehr katert. Freiheit von den eigenen Impulsen. Freiheit von Scham und Selbsthass.
Bisher hab ich mir schon oft vorgenommen, aufzuhören oder "weniger zu trinken". Aber ich hab es nie ernst gemeint. Zum ersten Mal bin ich bereit, Opfer zu bringen und mich selbst als Alkoholikerin zu sehen und nicht als "eine, die ab und zu über den Durst trinkt". Ich weiß dass der Weg vor mir sehr schwer wird und ich mit vielen Schwierigkeiten werde kämpfen müssen. Aber ich freue mich auch darauf, zu sehen, wer ich ohne den Alkohol bin. Wer ich sein kann, außer dem Mädchen, das mittags mit Kater weinend eine Freundin anruft und fragt, was am Abend zuvor geschehen ist.
Ich empfinde es eher als schlechtes Zeichen, wenn ich jetzt sage, dass ich zuversichtlich bin. Zu viel Zuversicht wird mir in die Quere kommen, weil es zu hohe Erwartungen an mich selbst nach sich zieht. Ich möchte realistisch bleiben und ich weiß, dass die nächste Zeit intensiv wird, vielleicht werden auch viele negative Empfindungen hochkommen. Immerhin war Alkohol bisher für mich so vieles: Trost, Ablenkung, Belohnung, etc. Das wird spürbar fehlen. Aber ich werde auch so viel lernen, mich neu kennenlernen und mich zum Positiven verändern...
Danke für eure Aufmerksamkeit! Ich wünsche euch allen viel Glück für die nächste Zeit, und empfinde Respekt davor, dass ihr alle etwas verändern wollt. Bis bald!
Struggling