Hi ihr!
Da war es also wieder ein weiteres Wochenende bei meinem Bruder und ein weiteres Mal der Wunsch, ihm den Hosenboden zu versohlen.
Kurz zu mir, ich bin 36, glücklich verheiratet, beruflich zufrieden, aber auch extrem eingespannt (70+ die Woche). Meine Mutter war Alkoholikerin und hat sich damit im Laufe der Zeit umgebracht. Mein Dad war eigentlich nie da.
Mein Bruder ist alkoholkrank und gleichzeitig paranoid schizophren.
Ich kümmere mich um ihn mit, er bekommt Geld von meinem Mann und mir, eigentlich um sich damit essen zu kaufen, meist verprasst er es aber stattdessen für Alkohol, vielleicht auch Drogen.
Am meisten frustet mich, glaube ich, dass man mit ihm nicht normal sprechen kann. Sein Verstand funktioniert aufgrund der Krankheiten nicht richtig. Was für uns normal und logisch ist, ergibt in seinem Schädel keinen Sinn. Er spricht auch nicht normal mit einem. Gar nicht spricht er über die Dinge, die ihm Angst machen, aber teilweise auch nicht über ganz normales Zeug. Zumindest wirkt es auf mich normal. Für ihn ist es bedrohlich. Fremde Menschen, alles was neu ist, alles was er lange nicht hatte... es ist eine Gefahr aus seiner Sicht. Ich versuche wie Sisyphos dagegen anzuarbeiten.
Ich liebe ihn. Ich hab mich mein ganzes Leben, um ihn gekümmert, na ja, bis zu dem Punkt, als ich zum Studium endlich abhauen konnte und so schnell wie möglich das Weite gesucht habe.
Kurz darauf wurde meine Mutter krank, er hatte immer eine sehr gute Verbindung zu ihr - im Gegensatz zu mir - und bekam es geballt mit. Als es bei ihr schlimmer wurde, brach auch noch seine Krankheit aus.
Dass ich einfach nicht sagen kann, rutsch mir den Buckel runter, hat wohl drei Gründe.
1) ich fühl mich schuldig, weil ich ihn nicht mit rausgeholt habe, als ich gegangen bin, sondern ihn mit diesem Mist einfach zurückgelassen habe
2) ich hab meiner Mum auf dem Totenbett versprochen, dass ich mich um ihn kümmere
3) Er ist nicht wie die typischen Junkies oder Alkoholiker, zumindest macht er nicht diesen Eindruck. Durch Drogen (Crystal), Alkohol und die Schizophrenie ist er gefühlt auf dem Stand eines 14 bis 15 Jährigen. Nicht die Phase, wo sie unverschämt sind, er ist lieb und freundlich i.d.R. Aber die Phase, wo sie selbst das einfachste nicht auf die Reihe bekommen. Das verstärkt den Eindruck, dass man sich um ihn kümmern muss.
Daher steh ich mindestens einmal im Monat auf der Matte und motiviere ihn, etwas zu tun. Sich normal zu benehmen, was richtiges mit uns zu essen, aufzuräumen....
Und ich bin so unglaublich FRUSTRIERT! Mir ist schon elend, wenn ich nur daran denke, dass ich wieder einen Tag meiner eh schon begrenzten Freizeit verschwende, um mir dieses Elend anzusehen. Dabei stört mich nicht, dass ich ihn sehe, mich stört das drum rum. Dass er nicht redet, dass er lieber Alkohol als Essen kauft, dass ich nicht weiß, ob er eventuell Drogen nimmt oder es die Medikamente in Kombination mit dem Alkohol sind, die ihn manchmal am Telefon so seltsam klingen lassen.
Und es enttäuscht mich, da ich mich dabei ausgenutzt fühle, finanziell wie emotional, weil ich immer parat stehe und versuchte ihn zu unterstützen und so wenig dabei zurück kommt.
Eigentlich will ich nicht mehr dort vorbei. Das wäre aber auch nicht fair. Wie komm ich da raus, aus dieser Schuldspirale? Meiner Mutter gegenüber habe ich diese nie so immens empfunden, vielleicht, weil sie "nur" Alkoholikerin war.
Das ist nicht das erste Mal, dass ich versuche diesen Frust los zu werden, aber es ist schwierig, weil das Thema zu komplex ist. Ich war bei Selbsthilfegruppen für Alkoholiker und psychisch Kranke, bei ner psychologischen Beratung... aber i.d.R. kommen die Menschen schnell an ihre Grenzen, weil ihnen entweder zum einen oder zum anderen Aspekt die Erfahrung fehlt.
Und ja, er ist in psychologischer Betreuung. Und nein, er will nicht von seiner Sucht los kommen, warum auch immer.
Ich hab Angst, ihn komplett Fallen zu lassen, da er auch Selbstmordgefährdet ist. Auch wenn ich weiß, dass der Alkolismus ihn sonst irgendwann umbringt, ich weiß nicht, ob ich je damit klar käme, würde es nach meiner Entscheidung geschehen.
Danke fürs Durchlesen.
Sireena