Vorstellung: erwachsene Tochter eines Alkoholikers

  • Hallo Zusammen,

    Mit großer Erleichterung und vielen Tränen bin ich auf dieses Forum gestoßen.

    Ich bin 30 Jahre alt/jung, lebe in einer Großstadt 500km entfernt von meiner Familie, zu der ich ein gutes Verhältnis habe - mein Vater ist (aktuell trockener) Alkoholiker. Ich bin ledig, habe keine Kinder, beruflich gebeutelt durch die Corona-Krise und fühle mich aktuell psychisch nicht gesund.

    Da mir depressive Phasen schon bekannt sind, und ich es nicht schlimmer werden lassen möchte, habe ich morgen einen ersten Termin in einer psychotherapeutischen Sprechstunde.

    Und was soll ich sagen? Hier sitze ich, grüble über morgen und über die Fragen, die mir der Therapeut stellen wird.

    Immer wieder blitzte bei mir mal der Gedanke auf, ob ich wohl einen nennenswerten Schaden aus meiner Kindheit, also aus der aktiven Trinkerphase meines Vaters davongetragen habe. Und genauso schnell war der Gedanke auch wieder weg.

    Als ich gerade eben die Seite von NACOA gefunden habe, habe ich bitterlich angefangen zu weinen, weil so vieles auf mich zutrifft.

    Ich hab es all die Jahre nicht geschafft, die Verbindung zwischen meinen Problemen und der Tatsache, dass ich das Kind eines Alkoholikers bin, zu sehen.

    Here we go:

    • mangelnde Selbstannahme
    • Probleme, Partnerschaften einzugehen und zu leben
    • Neigung zur Überverantwortlichkeit und Kontrolle gegenüber anderen Menschen
    • Schwierigkeiten, gesunde Grenzen zu setzen
    • selbstschädigendes Verhalten
    • Selbstzweifel
    • Ängste
    • Depressionen
    • psychosomatische Beschwerden
    • Suchtprobleme
    • Co-Abhängigkeit

    All das ist mir nicht fremd, einiges begleitet mich in meinem Alltag, mal mehr und mal weniger.

    Gerade fühle ich mich unfassbar beschädigt, und schäme mich dafür.

    Ich freue mich ebenso, dass ich offenbar nicht allein bin.

    Liebe Grüße

  • Hallo Marli,

    Willkommen bei uns.

    Wir haben im offenen Forum einen EK-Bereich. (EK=Erwachsenes Kind)

    Da ist ganz oben ein Thema angepinnt: Merkmale für ein EK.

    Was du beschreibst findet sich 1 : 1 darin wieder.

    Das ist einerseits sehr traurig.

    Andererseits ist es bzw. kann es das sein: entlastend.

    Entlastend, weil du begreifst, daß du damit nicht alleine bist.

    Genausoviele wie es Alkoholiker gibt, gibt es betroffene Kinder bzw. andere Angehörige.

    Es heißt nicht umsonst 'Familienkrankheit Alkoholiksmus'.

    Ich möchte dir Mut machen, dich auf das Thema einzulassen.

    Der Weg da raus geht mittendurch, ich weiß wovon ich rede, weil ich selber EK bin.

    Viele liebe Grüße und dir einen guten Austausch im Forum.

    Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Danke, Linde.

    Ich bin tatsächlich schon fleißig in diesem Thread am lesen. Es ist sehr bewegend, wie sehr ich mich dort wiederfinde, und zu sehen, dass ich nicht allein mit diesem -sorry für die Wortwahl- riesigen Haufen Scheiß bin.

    Liebe Grüße

    Marli

  • Hihi, ich hatte anstatt Scheiß für mich das Wort Misthaufen entdeckt. :lol:

    Und was macht man mit dem Scheiß auf einem Misthaufen?

    ---> düngen! 🚜

    Was ich meine ist, daß man an dem ganzen Mist wachsen kann und was draus machen kann.

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Marli,

    ich, Ende 40, bin auch ein EK und, als ich mich hier angemeldet habe, war ich auch auf der Suche nach anderen, denen es wie mir geht.

    Ich habe mich vor ein paar Monaten hier angemeldet, bin hier aber noch nicht sehr aktiv geworden.

    Ich „freue“ mich , wenn ich das so sagen darf, denn der Anlass ist ja nun alles andere als schön, dass du dich hier gemeldet hast. Vielleicht können wir gegenseitig vom Austausch profitieren.

    Ja, dieses Bild mit dem Misthaufen passt ziemlich gut, aber ich kann Linde66 voll und ganz zustimmen. Man kann damit wachsen und was draus machen. Es lohnt sich, sich auf dass Thema einzulassen.

    Aus eigener Erfahrung kann ich sagen:

    Ja, ich bin beschädigt. Ich habe ein Trauma erlitten, das nicht ungeschehen gemacht werden kann. Ich habe etwas erlebt, das mich für mein Leben geprägt hat.

    ABER !!!

    Ich habe auch eine Menge Fähigkeiten erworben, die ich aktiv nutzen kann.

    Und da ich mich und meine Vergangenheit mittlerweile viel besser kennengelernt habe, fühle ich inzwischen auch etwas wie Stolz auf mich.

    Der Weg geht tatsächlich mitten durch, aber nach meiner Erfahrung lohnt sich der Weg.

    Bin gespannt, von dir zu hören bzw. zu lesen.

    Herzliche Grüße

    AufderSuche

    Einmal editiert, zuletzt von AufderSuche (27. Mai 2021 um 16:38)

  • Hallo Marli - herzlich willkommen hier - cool, dass du dich gemeldet hast!

    • Gerade fühle ich mich unfassbar beschädigt, und schäme mich dafür ...

    Das oben war Dienstag, wie fühlst du dich Heute?

    Übrigens - beschädigt sind wir alle in irgendeiner Form;

    manche nennen es einfach Lebenserfahrung, andere wiederum versuchen es mit etwas mehr Tiefgang und sprechen von ihren persönlichen Lebenslinien. Es gibt keinen Grund sich dafür zu schämen - zumal ein guter Teil davon nicht „selbstverschuldet“ ist.

    Zu Beginn unseres Lebens werden uns die meisten Erfahrungen sowieso von außen aufgedrückt, erst nach und nach versuchen wir eigene Erfahrungen bzw. Verletzungen zu sammeln - was auch dann noch äußerst schwierig ist, da bei den vielen fremdbestimmten, eingeschliffenen Verhaltensmustern aus unserer Kindheit das „Eigene“ häufig auf der Strecke bleibt.

    Du berichtest von einer ganzen Palette von Schwierigkeiten mit denen du tagtäglich zu kämpfen hast. Okay - aber immerhin, du kämpfst und gibst dich nicht einfach geschlagen! Das ist doch schon mal viel - du möchtest deine Situation verbessern und organisierst dir die nötige Hilfe dazu - Bravo!

    Du siehst dich viel zu negativ; ich jedenfalls bin überzeugt, da ist viel Schönes an dir. Nur schon dein Mut, deine Offenheit, deine Ehrlichkeit und Freundlichkeit lassen viel positive Kraft in dir erahnen. Sei deiner Seele einfach ein guter Gastgeber - wärme sie, wenn sie friert - tröste sie, wenn sie weint - freue dich, wenn sie lacht - und sie wird es dir dein Leben lang danken.

    Liebe Grüße Ste

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