• Guten Tag.

    Die Woche neigt sich dem Ende zu. Gerade aus dem Sportstudio heimgekommen. Eigentlich ist alles beim alten. Ich genieße förmlich die innerliche Tatsache seit nunmehr 3 Wochen keinen wirklichen Suchtdruck erlebt zu haben. Generalprobe hierzu war wirklich der Streit vergangenes Wochenende, was ein typischer Klassiker vor nicht allzulanger Zeit gewesen wäre. Ich habe Tage später diesen Umstand mit meiner Freundin aufgearbeitet und stolz verkündet, dass ich nicht im entferntesten an den Alkohol gedacht habe. Was das für mich bedeutet, kann wahrscheinlich nur ein Mensch richtig nachempfinden, welcher auch süchtig ist/wahr.

    In wenigen Tagen habe ich 100 Tage erreicht. Nix zum Ausruhen, aber etwas was ich mir vor einigen Wochen nicht erträumt hätte. Im Dezember und Januar 2,3 Situation von fast Rückfällen, zwei davon mit Bier in der Hand.

    Und nun widert mich der Gedanke an einen Rausch an.

    Es ist gar nicht mal der Rausch per se, sondern die Umstände die mich bei dieser Vorstellung anwidern. All das was ich getan oder unterlassen habe, wenn ich alkoholisiert war oder frisch ausgekatert. Ich musste die Tage daran denken, dass mich noch letztes Jahr, es war so Mai oder Juni, die asiatische Kioskbesitzerin, der ein Kiosk beim hiesigen Bahnhof gehört, mich eines Tages tatsächlich fragte: "Wollen kein Bier heute junger Mann?", denn ich kaufte nur eine Flasche Wasser. Vor der Tür standen meine Tochter im Kinderwagen und eine Freundin mit ihrem Kind wartend - wir wollten zusammen spazieren gehen. Ich war erleichtert dass nur ich diese Frage hörte, denn sie war mir so peinlich und unangenehm, und dabei meinte es die Verkäuferin gar nicht böse. Denn jedes Mal wenn ich da war, kaufte ich mir 4-6 Bier , eine Flasche 20 % Likör, ein Feuerzeug und eine Schachtel Zigaretten und das wohl so regelmäßig dass sie sich sehr wohl an mich erinnern konnte.


    Und selbst in meiner Stammkneipe hatte ich den Ruf ein großer Trunkenbold zu sein, quasi unter den ganzen Kneipenteufeln ein ganz verteufelter. Die Exzesse wurden über die Jahre immer exzessiver. Ich behaupte mich niemals unter 2 Promille berauscht zu haben. Und 2019 bin ich mit 3,5 Promille selber ins Krankenhaus zur Rezeption gegangen und habe mich anschließend mit der Psychiaterin noch unterhalten können.

    Dazwischen liegen nun fast 100 Tage - 100 Tage die meiner Seele unendlich gut taten. Und je besser es mir geht, umso mehr erlebe ich, wie ich meiner Umwelt, allen voran meiner Tochter & Partnerin, und dann dem Rest der Welt wiedergeben kann. Es macht mir wieder mehr Spaß auf die Menschen zuzugehen, mich zu unterhalten, auch wenn ich die Person nicht unbedingt kenne.

    Ich habe Ende März eine Art "Festigungstermin" bei meinem Hypnotiseur. Habe ich diese Woche so entschieden, schaden wird es mir nicht , davon gehe ich aus.

    Das einzige was mich momentan tierisch nervt, sind meine Eßgewohnheiten. Viel Süßkram, teilweise anfallsartig, und so gesehen ähnlich oder analog zu meinem Trinkverhalten. Wenig Genuss, viel Konsum, maßlos. Jetzt könnte man argumentieren, nicht so wild, ich mache ja Sport, bin nicht stark übergewichtig, bla bla bla. Mich stört es. Ich frage mich mittlerweile auch wie ich diese 3 Monate vegan umsetzen konnte. Weil mittlerweile befinde ich mich fast wieder da, wo ich ernährungsmäßig angefangen habe. Das ist echt eine Herausforderung. Unsere Partnerschaft ergänzt sich da leider nur gleichsinnig, sie liebt es auch beim Essen zu sündigen und gibt selten mal eine klare gesunde Linie vor. Das möchte ich wirklich ändern. Aber das sind nur Kinkerlitzchen und soll euch nicht weiter beschäftigen :)

    Bleibt gesund.

  • Viel Süßkram, teilweise anfallsartig, und so gesehen ähnlich oder analog zu meinem Trinkverhalten.

    Dein Körper giert nach Zucker. Jahrelang hat er den Alkohol in Zucker verstoffwechselt und den möchte er jetzt einfach. Das geht leider vielen Neueinsteigern so. Mit der Zeit wird es besser.

    Über den Süßkram habe ich Gott sei Dank so einigermaßen die Kontrolle, sozusagen kontrolliertes Futtern. :lol:

    Meine heiß geliebte Schokolade habe ich auf Zartbitter umgestellt. Da reicht mir ein Riegel und nicht gleich die ganze Tafel wie bei der Vollmilchvariante.

    Setz Dich bloß nicht zu sehr unter Druck. Der Süßkram ist Deine wesentlich kleinere Baustelle und vielleicht lassen sich da ja mittelfristig Kontrollschranken einziehen. Bei mir hat es geklappt.

    Gruß

    Carl Friedrich

  • 15 Wochen rum, meine App zeigt 106,3 Tage. Es fühlt sich an auf dem richtigen Weg zu sein. Rückblickend war der Februar frei von größeren Saufbegierden, nein ehrlich, ich hatte an keinem Abend starkes Suchtverlangen, aber selbstverständlich habe ich oft an den Alkohol gedacht weil er bis zum 14.11.21 großer Bestandteil meines Lebens war. Ich genieße die innerliche Freiheit und die letzten Tage fühlt sich die Nüchternheit einfach schlichtweg selbstverständlich an. Eine ehemalige Kommilitonin meldete sich die Tage bei mir und war zu Tränen gerührt als ich von meinen drei Monaten der Abstinenz erzählte - das hat mich leicht schockiert, ich hatte nicht gedacht dass mein Alkoholismus so einen traurigen Eindruck auf die damalig anderen Menschen gemacht hat.

    Ich freue mich auf die Woche und weitere nüchterne Tage mit meiner Freundin und unserem Kind, denn die Außenpolitik macht mir doch sehr zu schaffen. Unsere Urlaubspläne für März haben wir gecancelt,

  • Herzlichen Glückwunsch zu 15 nüchternen Wochen.

    Schön, dass du für dich einen Weg gefunden hast.

    Bleibe immer schön wachsam und genieße die Zeit mit deiner kleinen Familie 😀

    Viele Grüße

    Stern

    ⭐️

    Wenn du heute aufgibst, wirst du nie wissen, ob du es morgen geschafft hättest.

  • Hallo. Es sind wieder knapp 2 Wochen vergangen, App sagt 119,5 Tage und ca. 1600 Euro gespart. Also gut 4 Monate. Das ist insofern spannend, als dass jetzt für mich eine neue Lebensära beginnt: Ich war als Erwachsener Mensch noch nie so lange nüchtern. Ich wünsche mir zu sehr dass diese neue Nüchternheit mein steter Wegbegleiter wird und bleibt. Ich hatte in den letzten 4 Wochen wirklich so einige psychische Ausnahmesituationen erlebt, bei denen quasi von außen viel Stress auf mich zukam (unter anderem Ersthelfer bei Verkehrsunfall mit mehreren Schwerstverletzten), ukrainische Flüchtlinge unterbringen , hohe Anforderungen auf Arbeit.
    Und???

    Nichts, kein Saufdruck. Weil ich mir mittlerweile diese Frage, will ich das ganze jetzt begießen?, in meinem Kopf selber stelle und selber ehrlich mit "nein" beantworte. Ich bin so stolz auf mich und fange so langsam an mich auch mal zu lieben, auch wenn das pathetisch klingt.

    Ich bin am Wochenende 2300 km in 36 Stunden PKW gefahren. Letztes Jahr war ich bereits nach 300 km müde und konnte nicht mehr. Dieses mal ging eine Tour von 900 km spielend von der Hand. Ich bin einfach besser belastbar, sowohl körperlich als auch kognitiv & mental. Ich bin nicht jeden Tag glücklich, oder anders gesagt, nicht jeder Tag ist von einer sonderbaren Glückseligkeit gezeichnet, aber das ist ja die Normalität, was ich jahrelang nicht kapiert habe oder einfach nicht wahrhaben wollte.

    Zu diesem neuen Gefühl der Freiheit gesellt sich regelmäßig die Reue ob vertaner Lebenszeit und Gesundheit. Kriege ich irgendwann mal Krebs? Bleibe ich meiner kleinen Familie noch lange erhalten? Solche Fragen geistern mir oft durch den Kopf, vorher war es mir nicht egal, aber ich konnte über sowas nicht nachdenken. Ich habe mich entschieden die Antwort auf diese Gesundheitsgfragen so zu halten.

    Ich genieße voller Dankbarkeit und Demut vor dem endlichen Leben einfach jeden Tag und versuche jedem Tag eine gewisse Fülle zu verleihen. Das gelingt mir ganz gut. Mir ist in diesen Tag mehr denn je bewusst geworden, dass ich zu einem bestimmten Zeitpunkt X mal das zeitliche segne. Bis dahin möchte ich meine Trockenheit bewahren, da nur sie mir ein "volles" Leben bescheren kann. Alles andere habe ich in fast 15 Jahren Alkoholismus ausprobiert.

    Liest sich fast wie Zeilen aus den AA Büchern, dem ist aber nicht so ;)

    Ich wünsche allen Forumianer eine glänzende Woche.

    Mein Buchtipp dieser Woche ist Viktor Frankl "....trotzdem ja zum Leben ja sagen"

  • Ich war als Erwachsener Mensch noch nie so lange nüchtern.


    Dazu kann ich nur sagen: Ganz herzlichen Glückwunsch. Man kann kaum ermessen, wie wichtig dir das sein muss. Ich gratuliere, Damokles.

    Auf das der Abstand zwischen uns bleiben möge :)

    Lieben Gruß, Peter

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