• Ich grüße euch.

    In der Nacht vom 13./14. November 2021 habe ich zuletzt Alkohol getrunken. Ich stecke gerade in einem für mich bereits weit fortgeschrittenen Aufhörversuch, vom Alkohol loszukommen. Jeder Süchtige kennt es; unser täglich „Selbstbeschiss“. Die ersten Menschen den man als Süchtigen wohl selber belügt, ist sich selbst und dann alle anderen. Ich bin 34 Jahre alt und habe gut und gerne 30-50 Mal ernsthaft versucht aufzuhören. Ich rede von diesen Momenten wo man wirklich glaubt das Licht der inneren Erleuchtung für sich gesehen zu haben, um genug Kraft daraus zu schöpfen, jetzt endlich mit diesen Mist aufzuhören. Momente bei denen man ein wenig weiter denkt und wahre Selbstreflexion betreibt, um festzustellen „jetzt ist Schluss damit – dieses Zeug tötet dich, oder macht dich verrückt oder stärkstens depressiv !“.

    Kurze Eckdaten zu mir. Ich bin 1987 im Nordosten geboren und aufgewachsen und werde wahrscheinlich hier auch wieder zu Humus werden. Aufgewachsen in einem kleinen Kaff um die 4000 Einwohner. 2006 Abitur, Hochschulstudium, und danach Job. Seit 6 Jahren feste Partnerschaft mit einer 2 jährigen Tochter.

    Mit 12 war ich das erste Mal betrunken. In unserer Clique gehörte es leider so ab dem 14 Lebensjahr dazu, heimlich zu trinken, meistens im Rahmen von irgendwelche Übernachtungen bei Freunden, Zeltabende. Natürlich in einem anderen Rahmen, als das was Jahre später darauf folgte, aber hier liegen ganz klar die Anfänge meiner Sucht, der Erstkontakt mit der Droge in einem viel zu jungen Gehirn. Ich trat in die freiwillige Feuerwehr ein und auch hier war es Gang und Gäbe mit den Erwachsenen Bier zu trinken, sich „groß“ zu fühlen. Wenn ich so darüber nachdenke eine riesengroße Schweinerei und Unverantwortung dieser erwachsenen ehemaligen Kameraden. Wenn ich so die Zeit von damals resümiere, dann wird mir angst und bange und ich bin entsetzt. Es war wirklich Normalität als Jugendlicher im Alter zwischen 14-16 auch bereits in der Öffentlichkeit zu trinken, Dorffeste, Strand-/Stadtfeste. Jedenfalls dort wo ich verkehrte.

    Meine häuslichen Verhältnisse waren keine schönen. Seit jüngsten Kindertagen war meine Mutter regelmäßig betrunken, ich musste mich oft zu ihr in die verrauchte Küche setzen und mir ihren seelischen Ballast anhören (sexueller Missbrauch, Depressionen, Transsexualität ) waren so die Themen auszugsweise. Ich hatte zum Glück Großeltern die im selben Haus wohnten. Es waren keine Empathen, aber stabile Persönlichkeiten mit soliden Ansichten, die mich jetzt nicht mit Herzenswärme versorgten, aber mit einem geregelten Leben. In dieser Hinsicht bin ich ihnen bis heute sehr dankbar. Mein vermeintlicher Vater war ca. von meinem 5-11 Lebensjahr anwesend. Ich weiß bis heute nicht, ob er mein biologischer Vater ist, meine Mutter hat in ihrem Suff mehrmals 2 andere mögliche Gestalten erwähnt. Ein Vaterschaftstest steht noch aus. Mittlerweile habe ich zu meinem Vater einen guten Kontakt. In meinem Leben spielte er aber nie eine Rolle. Mein Opa nahm seinen Platz ein. Ich habe eine jüngere Schwester, welche leider schon relativ früh auf die falsche Bahn geriet, das fing mit einem Suizidversuch mit 14 Jahren an, dann viele Selbstverletzungen, anschließendes Aufwachsen in einem betreuten Wohnen, Drogen. Wir hatten viele Jahre keinen Kontakt zu einander, jeder war mit sich selber beschäftigt und außerdem gab es viel gegenseitigen Vorwurf was die Vergangenheit betrifft. Seit ca. 3 Jahren sind wir wieder so etwas wie Geschwister, aber auch sie spielte keine große Rolle in meinem Leben. Ich weiß auch leider gar nicht, wenn sie nicht wäre, ob sie mir spürbar fehlen würde.

    Trotz alldem hatte ich eine Kindheit mit vielen schönen Momenten. Ich wurde nie geschlagen. Ich hatte viele gute Freunde bzw. habe diese immer noch und kenne einige nun seit 30 Jahren, wenn man so will. Die Tatsache dass ich in dieser kleinen Stadt aufgewachsen bin, die mir früh viel Freiheit einräumte unter anderem das „Elternhaus“ zu verlassen um etwas mit Freunden zu unternehmen und die Tatsache dass meine Großeltern im selben Haus in der unteren Etage wohnten, wo ich ein und ausging, retteten mir Rückblick den Hintern. Ich bin aus dieser ganzen Nummer „nur“ mit einem blauen Auge herausgegangen.

    Es folgte 2006 das Abitur und anschließend Grundwehrdienst. Hier begann ich zum ersten Mal regelmäßig mehr als einmal die Woche Bier zu konsumieren. Ich fühlte mich alleine, wollte eine Freundin haben und wusste nicht ob das mit meinem Wunschstudium klappen würde. Und sowieso machte mir das Leben Angst. Ich bekam darauf meinen Studienplatz, zog in eine für meine damaligen Welterfahrungen große Stadt und schloss schnell neue, gute Bekanntschaften, aus manchen wurden gar gute Freundschaften. Alkohol trank ich nun weiterhin regelmäßig und noch häufiger. Vor allem in einer Kneipe unweit meiner damaligen Wohnung, wo das Bier billig war und die Stammkundschaft gut 10 Jahre älter als ich. Hier fühlte ich mich irgendwie wohl. Ich lechzte förmlich nach Anerkennung als damals 20 jähriger Knabe. 2010 erste Absturz. Nach einem Prüfungsmarathon folgten 14 Tage Dauerkonsum, was mit einer Entgiftung quittiert wurde. Mein Körper war bereits abhängig. Denn beim Versuch eine Pause zu machen fingen nachmittags Symptome wie Herzrasen, Zittern, Angstzustände an. In meiner ersten Nacht im Krankenhaus sah ich Menschen in den Bäumen. Ich wusste um diesen Irrsinn, weswegen es keine Halluzinationen waren, sonderen eher illusionäre Verkennungen, schlimm genug. Damals war ich 22 Jahre alt, teilte mir mein Zimmer mit einem Heroinabhängigen und einem ca. 60 Jahre alten Alkoholiker. Nach 10 Tagen kam ich frei, denn das Studium fing nach den Semesterferien wieder an. Zwischen den Jahren 2010 und 2020 ging es mit mir auf und ab, Suff, paar Tage Pause, wieder Suff. Führerschein weg, weil ich Restalkohol von 0,9 Promille hatte. Seelische Abstürze, Angstzustände, 2014 Langzeittherapie von 2 Monaten um einen Monat später wieder anzufangen. Oft dachte ich, dass ich nun „endlich“ wahnsinnig geworden bin. Ich wünschte mir oft, dass alles „aus“ sei und somit indirekt meinen eigenen Tod, den ich billigte. Mein Studium habe ich mit sehr gut abgeschlossen und fand auch gleich einen Job. Mein Trinkmuster passte ich den neuen Umständen an. Entweder nur Freitags und Samstags, und falls ich doch in der Woche schwach wurde, dann gabs am nächsten Tag eine Krankmeldung. Ich würde sagen, dass ich in den vergangenen Jahren ca. 8 Tage von einem Monat betrunken war. Ich trank nun immer mehr alleine zu Hause, oder um ungestört zu sein, irgendwo im Park, versteckt hinter einem Busch, oder irgendwo am Stadtrand im Freien, wo mich keiner fand. Zum Schluss 1 Flasche Pfeffi + 4-6 Biere, alles ziemlich schnell um den großen Rausch zu haben.

    Ich begab mich 2019 erneut in eine Entgiftung, weil ich im Vollrausch einen seelischen Absturz hatte. Zuvor trank ich zu Hause mit einem Obdachlosen bei mir. Ich war dieses mal nicht körperlich drauf, sondern langweilte mich eher zu Tode. Ich empfand diese Zeit als sagen wir mal, sehr schlimm. Ich war in einem 4 Bett-Zimmer untergebracht, alle 20 Jahre älter als ich. Ich entschied mich danach für einen ambulante Langezeittherapie, allein weil ich Arbeit hatte und eine Partnerschaft. Die Langzeit brachte auch keinen Erfolg. Etwas in mir wollte einfach den Rausch nicht aufgeben. Unsere Tochter wurde geboren und ich trank am Wochenende weiter. Dieses mal war ich es, der seine Mitmenschen seelisch vergewaltigte, nämlich meine Freundin. Sie hielt immer zu mir. Ein zartes Mädchen mit Nerven aus Titan. Ihr schulde ich eine Menge, alleine schon ihrer Loyalität wegen. Ich schulde aber auch anderen Menschen viel, denn viele habe ich enttäuschen müssen.

    Ich hatte dann noch 3 verschiedene Medikamente ausprobiert, unter anderem eines welches zu einer absoluten Alkoholunverträglichkeit führt. In der Summe alles ohne Erfolgt. Entweder trank ich darauf oder erfand Wege diese Tabletten doch nicht zu nehmen.

    Ich weiß dass ich schwerst süchtig bin. Ich bin ein Rauschtrinker mit kurzen Rauschintervallen. In Phasen der Nüchternheit habe ich mich stets um eine gesunde Lebensführung bemüht, viel Sport, keine Zigaretten, gesunde Ernährung, täglich Rohkost und dergleichen. Mir war klar dass ich früher oder später Totalversagen werde. Das wollte ich nicht, erst recht nicht meiner Freundin und Tochter gegenüber. Und auch mich selber ödete dieses Leben zutiefst an. Ich hatte die Schnauze voll mich ständig zu verstellen, permanent von inneren Ängsten, sporadischen Panikattacken und Selbstzweifel zerfleischt zu werden. Ich wollte und will noch mehr in diesem Leben erreichen, als dass ich durch die Jahre wandel und außer den Sprüngen zwischen Rausch und angstvolle Nüchternheit.

    Mein Plan.

    Ich will weiterhin ein nüchternes Leben führen. Ich muss demnächst proaktiv etwas gegen diesen Freitagabend unternehmen, am besten in das Sportstudio gehen. Ich will weiterhin meine eigene mir verbliebene körperliche und seelische Gesundheit beschützen, denn diese 11 Wochen waren die reinste Kur.

    Dinge die mich unterstützen und mir spezifisch sehr gut tun:

    - Sport und eine gesunde körperliche Eitelkeit

    - Lesen, allgemein gute Literatur

    - Ernährung, seit derselben Zeit, also 11 Wochen, lebe ich größtenteils vegan (hierzu später mehr)

    - Hobbys reaktivieren oder neue finden. Möchte mir dieses Jahr unbedingt einen Kindheitstraum erfüllen: Metalldetektor.


    Da das Reden über eine Sache bekanntlich hilft, habe ich mich hier angemeldet.

    Meine Freundin drängt gerade, ich muss JETZT zum Mittagstisch. Bis später, ich freue mich auf das Forum.

    Es grüßt Damokles (über den immer noch das Schwert des Alkohols schwebt).

  • Damokles 1. Februar 2022 um 13:24

    Hat den Titel des Themas von „Das Damoklesschwert“ zu „Mein Damoklesschwert“ geändert.
  • Jetzt bin ich schon neu hier und fange auch gleich an rumzuspamen. Ich wollte meinem Haupttext etwas hinzufügen. Ich hatte leider mit einer Zeichenbegrenzung nicht gerechnet, und deswegen gerade den Schluss eingekürzt.

    Ich hatte im letzten Jahr im Sommer 3 Monate Elternzeit. Hier gelang es mir nicht, wie versprochen, nüchtern zu bleiben. Ich habe mich irgendwie abends/nachts aus dem Hause geschlichen und bin entweder in einer Spelunke abgestiegen, alleine im Keller oder im Garten getrunken oder irgendwo in der städtischen WIldnis. Dabei dann Musik gehört oder mit Smarthphone in der Hand im Internet rumgesurft und in meiner eigenen Fantasiewelt abgedriftet. Manchmal auch das Gespräch mit irgendwelchen Fremden gesucht.

    Ich hatte mir dann Anfang November einen Termin bei einem Hypnotiseur geholt. Dieser bot ein Verfahren an, was sich "Kodierung/Codierung" schimpft und vor allem in Osteuropa noch immer reihenweise zur Anwendung kommt. Mir war es recht - hatte ich doch bis hierhin allerlei ausprobiert. Selbst die Geburt der eigenen Tochter war für mich keine rote Linie zum Aufhören.

    Ich trank dann am 13.11 zum 14.11 zuletzt Alkohol. Ich war alleine bei meinem Opa zu Hause (der obere Teil des Hauses steht eigentlich leer , ist aber noch spartanisch mit Mobiliar versehen) . Saß an dem Tisch unser ehemaligen Küche. Derselbe Tisch an dem meine betrunkene Mutter vor 20 Jahren saß. Ich trank und rauchte Nebenbei, so wie immer. Ich bin so nebenbei bemerkt, Rauschraucher: Rauche wie ein Schlot, wenn ich getrunken habe, sonst absoluter Nichtraucher.

    Ich fuhr dann am 14.11 in meine richtige Wohnung, ging Tage darauf zum besagten Hypnotiseur und bin seitdem nüchtern. Hatte aber seitdem 3 harte "fast" Rückfälle, bei denen ich zweimal schon eine offene Flasche Bier in der Hand hatte. Diese anzusetzen wagte ich nicht und "etwas" hielt mich davon ab. Ob es nun die Vernunft war, oder die Hypnose ist mir ganz gleich. Fakt ist, dass ich sowas zuvor nie geschafft habe, ein offenes Bier wegzustellen. Ich gehöre zu den Trinkern die nicht mehr aufhören können, wenn sie einmal angefangen haben. Ich ziehe dann alle Register des Saufens.

    Ich führe in den vergangenen 11 Wochen (79 Tage heute) ein zufriedenes Leben. Meine Partnerin und ich haben uns seitdem kein einziges Mal heftig gestritten. Meinem unmittelbaren Umfeld habe ich bereits von erzählt, sodass ich mich selber Alkoholiker ansehe, der alles daran setzt trocken zu werden.

    Ich bin aktuell quasi frei von unbestimmten Ängsten oder starken Depressionen. Was aber geblieben ist, oder was sich nun seit der 8. Wochen vermehrt zurückmeldet ist meine Sucht. Gerade am Wochenende schaltet sich sowas wie eine Uhr des Unterbewusstseins ein und erinnert mich daran wie toll es ist, Alkohol zu trinken. Die ersten 6 Wochen gelangen mir spielend leicht, im Dezember dann 2 mal Fastrückfall, wo ich einfach nur trinken wollte, nicht wegen irgendwelcher Probleme, sondern weil ich mit Trinken auch das Gefühl von Urlaub/Freisein assoziiere. Und zuletzt vergangener Freitag, wo sich diese innere Stimme wieder meldete und ich im Supermarkt einen wahren Kampf mit mirselber ausfocht, mehrmals zum Bierregal hingegangen bin und wieder weg. Ich bin an dem selben Abend um Mitternacht nochmal raus und fand mich vor meiner Stammkneipe stehend wieder. Ich schaute durch das Fenster und sah viele alte Bekanntschaften. Die Stimme des Trinkens war nicht mehr ganz so laut und in der Summe waren es mehr Stimmen die mich zum Weitergehen bewogen, als zum EIntreten. Trotzdem fühlte sich dieser Abend wie eine totale Niederlage an. Auch am Tage danach, bis eigentlich heute, habe ich das Gefühl als wenn ich getrunken hätte. Ich fühle mich schuldig und bin schamgeladen. Auf Arbeit habe ich mich für 2 Tage rausgenommen, weil ich abends nicht schlafen konnte und die Zeit gerade nutze um mich kognitiv wieder zu ordnen. So ein Blödsinn aber auch... !

  • Tatsächlich soll es jetzt im Februar sowas wie eine Auffrischung geben.

    Insgesamt muss ich aber lernen mit inneren Spannungsmomenten umzugehen. Eigentlich habe ich dieses in meinem gesamten irdischen adulten Dasein nie gemacht - früher oder später war der Alkohol mit im Spiel. Da soll nicht heißen, dass ich bei jedem größeren Konflikt getrunken habe. Aber ich habe mir in regelmäßigen Abständen den Alkohol gegeben. Glück und innere Zufriedenheit auf ganzer Strecke von Wochen, sowas kenne ich gar nicht. Ich hoffe das ändert sich. Wohlmöglich muss ich darum fürchten, dass ich mir mein ganzes Belohnungssystem zerschossen habe. Ich schreibe zwar, dass die letzten 11 Wochen ein "zufriedenes Leben" darstellten und meine es jetzt wo ich mir meinen eigenen Text nochmal durchlese, doch anders.

  • Hallo Damokles,

    willkommen hier auch von mir. Mein Trinkmuster war zwar ein anderes, aber deine Beschreibung deiner Sucht erinnert mich an einen trockenen Gruppenfreund von mir. Bei dem hat es auch lange gedauert, aber er ist schließlich vor ca. zehn Jahren trocken geworden und ist inzwischen selbst als Gruppenleiter in der Selbsthilfe aktiv.

    Der Austausch hier im Forum hat mir (zusätzlich zu einer realen Selbsthilfegruppe) sehr geholfen, trocken zu bleiben. Bei mir hat es auch mehrere Anläufe gebraucht.

    Hast du schon mal eine Selbsthilfegruppe besucht?

    Und hast du denn hier schon ein bisschen gelesen? Und wenn Lesen was für dich ist, gibt es auch verschiedene Bücher, die helfen können, die eigene Sucht quasi „von außen“ betrachten zu können. Mir hat es jedenfalls geholfen, gerade auch als Rückfallprophylaxe, viel über Alkoholismus zu wissen, und eben nicht nur meine Innenansichten zu kennen sozusagen. Zu verstehen, was in meinem süchtigen Hirn passiert, und dass ich dem eben nicht (mehr) willenlos ausgeliefert bin.

    Am allermeisten hat mit aber tatsächlich der aktive Austausch geholfen, von mir schreiben zu können und von anderen lesen zu können.

    In diesem Sinne wünsche ich dir nach erfolgter Freischaltung einen hilfreichen Austausch.

    Viele Grüße

    Thalia

  • Ziemliches Paket, dass du hier in den Ring geworfen, hast, Damokles.

    Wo siehst du nun dein Problem & wie können wir dir helfen?

    Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns.
    Vor uns liegen die Mühen der Ebenen. (Bert Brecht) 8)

  • Guten Tag.

    Stern 67 , ob das jeder Mensch muss, das ist zwangsläufig klar. In welcher Art dieses dann geschieht ist die andere Frage. Ich jedenfalls habe es in den letzten 20 Jahren nicht so gut gelernt, jedenfalls nicht auf eine gesunde Art und Weise. Hier sehe ich sicherlich einen wichtigen Punkt meiner persönlichen Suchtkarriere. Innere Anspannung, Konflikte gesund zu bewältigen. Ich muss aber auch gestehen, dass ich gerade in den letzten 15 Jahren hierzu selten nüchtern die Gelegenheit hatte. Ich war 2014 mal längere Zeit nüchtern, davon aber 2 Monate in der Langzeit, wo man ja eh "außen vor" ist. Drei Monate nüchtern sein in der freien Wildbahn, sowas kenne ich quasi nicht.

    Thalia1913 , das mit deinem Bekannten gibt mir auf jeden Fall Grund zur Hoffnung. Denn aktuell, insbesondere die vergangenen 14 Tage melden sich die Gefühle meine alten Suchtwelt wieder.

    Aber ich verstehe auch ein wenig die Neurophysiologie dahinter und denke mir sowieso dass ich nur am Anfang von einem langen, lebenslänglichen Weg stehe. Lebenslänglich liest sich irgendwie so negativ, dabei soll es ja nur heißen, dass solange ich wandel, anfällig für dieses Gift bin. Ich habe tatsächlich relativ viel Literatur über "Sucht" gelesen. WIe meinst du das, dass man "dem eben nicht (mehr) willenlos ausgeliefert" ist? Für mich bleibt Sucht neben Verhaltenskomplexen die man ja rein kognitiv steuern kann, aber auch eine Krankheit der Emotion, also eines Gefühls. Auf meine Gefühle habe ich weniger Einfluss, als auf meine Gedanken. Ich kann Saufdruck erleben, also fühlen und trotzdem denken und vor allem dagegen handeln. Das ändert aber in diesem Augenblick nichts daran, dass das erlebte Gefühl ein eher negatives ist, welches man durch Alkohol/ durch die Droge lindern könnte.

    Ich erlebe aktuell gefährliche Momente bei mir selber. Auf der einen Seite bin ich am Tag darauf froh und etwas stolz, nicht dem Gefühl gefolgt zu sein, auf der anderen Seite bin ich aber auch überrascht, dass die ersten 6 Wochen quasi so locker von der Hand gingen und ich mich 6 Wochen darauf in einem richtigen innerlichen Kampf befinde.

    Das ist der Grund warum ich mich hier auch jetzt angemeldet habe und nicht schon im November oder Dezember, denn dort hatte ich keine Probleme.

    Ja ich war schon 2 Jahre lang in einer geleiteten Gruppe. In einer richtigen klassischen Selbsthilfegruppe war ich noch nie. Habe aber heute den Hörer in die Hand genommen und mir einen Termin geholt für eine Selbsthilfegruppe :) .

    Dante , ja mittlerweile grübel ich auch darüber, ob es nicht zu viel war für einen reinen Vorstellungstext, die anderen User halten sich da bedeckter und wesentlich kürzer. Ich will nicht sagen dass es mir leid tut, aber ich hätte vielleicht noch ein wenig warten sollen und dann das Paket abladen. ;)

    Mein Problem habe ich oben formuliert:

    Ich habe es zum ersten mal geschafft, seit langem, 11,5 Wochen nüchtern zu sein, bei einem vorherigen stark süchtigen Leben. Ich will nüchtern bleiben, als erstes für meine mich & Tochter & Freundin und dann für den Rest.

    Die ersten Wochen waren der reinste Selbstäufer. Aber seit 2 Wochen habe ich anfallsartig und wiederholt starken Saufdruck gehabt. Das macht mir Angst und ich weiß dass ich nun proaktiv dagegen ankämpfen muss. Deswegen habe ich mich hier angemeldet, da reden bekanntlich hilft. Meine Erfahrungen der Gruppentherapie waren gute, etwas Ähniches erwarte ich durch dieses Forum. Das Forum ist ja nichts neues für mich. Ich kenne es ja nun auch seit fast 10 Jahren und lese immer mal wieder mit.

  • Hallo Damokles,

    willkommen im Forum und Glückwunsch zu deinem Entschluss und den ersten Wochen.

    Mein erster Impuls ist, dass du vielleicht etwas mehr Geduld haben musst. Deine Lebensgeschichte hört sich an, als hättest du viel erlebt und erstmal etwas zur Ruhe kommen musst. Das war mein erster Eindruck. Wenn dem so ist, dann kannst du vielleicht in kleinen Schritten denken. Als erstes geht es ja um den Umgang mit dem akuten Suchtdruck. Da hilft Ablenkung. Ein großes Glas Wasser trinken, aufräumen, putzen, Sport. Reden mit deiner Partnerin, mit deiner Tochter spielen, hier im Forum lesen. Als nächstes dann, wie du verhindern kannst, dass überhaupt Suchtdruck entsteht. Wie erreichst du dein zufriedenes Leben? Wie kannst du mit deinen Emotionen umgehen? Und das braucht Zeit. Vielleicht auch die Überlegung einer weiteren Therapie? Jetzt, wo du länger nüchtern bist und dich auch innerlich an einem andern Punkt befindest, erzielst du vielleicht auch andere Erfolge.

    Viele Grüße

    Seeblick

  • Guten Abend Seeblick.

    [...] Als nächstes dann, wie du verhindern kannst, dass überhaupt Suchtdruck entsteht. Wie erreichst du dein zufriedenes Leben? Wie kannst du mit deinen Emotionen umgehen? Und das braucht Zeit. [...]

    Ich denke das sind die großen tragenden Säulen eines abstinenten Lebens. Ein zufriedenes Leben, ohne dass Suchtdruck entsteht.

    Ich konnte in den letzten 12 Monaten so einiges an Prioritäten in meinem Leben neu sortieren. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass ich für mich und die zwei anderen Menschen die ich am meisten liebe, nichts mehr als Gesundheit, Frieden in unserem Land, und eine solide materielle Existenz (keine Einschränkungen beim Lebensmittelkauf, Miete kann gezahlt werden etc) wünsche. Der Rest kommt von selbst.

    Du hast eine gute Nase - die Ungeduld ist einer meiner größten Charakterschwächen. Und so erlebe ich mich aktuell. Ich bin völlig baff, dass mir das nach grandiosen 2 Monaten passiert, dieser Suchtdruck. Ein Teil von mir kann das nur unschwer akzeptieren. Wie ein Kind wünsche ich mir "ich will dass es endlich vorbei ist - Suchtdruck für immer ade".

    Ob ich nochmal in eine psychotherapeutische Behandlung gehe, das bleibt ungewiss. Ich habe in meiner ambulanten 2jährigen Suchttherapie viel mit meinem Psychologen über die Vergangenheit geredet, hinzu kamen die Gesprächsinhalte in der Gruppe. Ich lebe seit ca. 2 Jahren ein relativ selbstständiges Leben wo die Probleme meiner Familie fast nicht mehr auftauchen; ich habe es quasi ein Stück weit akzeptiert. Sicherlich sind da Narben geblieben, manche reißen auch nochmal auf, aber das ist ok, das kann ich menschlich als eine emotional logische Konsequenz annehmen.

    _________________________________

    Ich komme gerade Heim von einer Laufrunde mit einem meiner besten Kumpels. Danach im heimischen Supermarkt gewesen (was früher mal die " Kaufhalle" war , tolles Wort ;) ) dort lief mir dann ein Mann über den Weg, den ich aus der Zeit eines Feriennebenjobs vor 15 Jahren als Kollegen hatte. Baustellenarbeit. Mein Gott, sein Gesicht sprach Bände, biologisch vorgealtert, und zwar gewaltig. Das letzte Mal dass ich ihn sah, wirkte er wesentlich frischer. Ist keine sonderbare Sache für meinen Heimatort. Vielen Menschen steht der Alkohol dort in das Gesicht geschrieben. Es mag Ausnahmen geben, die durch andere Krankheit so gezeichnet sind. Ich selber sehe für mein Alter leider auch schon 3-4 Jahre vorgealtert aus. Ich kann es nicht ändern, aber darauf Einfluss nehmen was morgen und jetzt geschieht.

  • P.S. Weil ich die 1000 0 Zeilengrenze meines Textes arg überschritten habe, musste ich jetzt drastisch einkürzen

    Ich schaue gleich mal wie die Limits sind. Das sollte eigentlich nicht passieren, ich meine ich hatte die am Anfang auch angehoben. Kann aber sein das es für deine Benutzergruppe noch so ist.

    Ich hebe das gleich an.

    Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt. – Mahatma Gandhi

  • Hallo Damokles,

    ich biete dir mal den Link an, mit dem du zum Austausch in der "richtigen" Selbsthilfegruppe kommst. Hier ist ja der Vorstellungsbereich.

    Hier isser also:

    https://alkoholiker-forum.de/bewerben/

    Draufklicken, noch mal kurz was zu deiner Situation schreiben und dann geht es weiter.

    Du wirst dann freigeschaltet und dein Fädchen wird von hier, vom Vorstellungsbereich, in den Bereich

    Erste Schritte für Alkoholiker

    verschoben.

    Liebe Grüße

    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Hallo Damokles,

    hier bist du richtig, das ist unsere Selbsthilfegruppe.

    Ich wünsche dir einen guten Austausch.

    Lieber Gruß

    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Guten Morgen.

    Vielen Dank für das Willkommen samt Einladung Aurora . Dein Fußnotenzitat finde ich im übrigen sehr sehr ansprechend. Eine allanwendbare Lebensweisheit, so liest sich das.

    Am Sonntag hatte ich offiziell 12 Wochen Abstinenz - kein Alkohol & keine Zigaretten, als quasi häufiger Beikonsum. Ich bewege mich zwischen Normalität und dem kleinen Gefühl des Unbegreiflichen.

    Innerliche Werte wie Selbstwert und Selbstbewusstsein sind gestiegen, das merke ich automatisch an meinem Auftreten auch anderen gegenüber, insbesondere auf der Arbeit.

    Am Freitagabend bin ich bereits 21:30 Uhr eingeschlafen - irgendwie praktisch gewesen, weil Freitage sind bekanntlich die schwierigsten wenn es um Alkohol bei mir ging.

    Habe das Wochenende gut und völlig ohne größeren Saufdruckanwandlungen überstanden. Samstag früh hoch, den Vormittag mit meiner Tochter genutzt, Spazieren und Bahnfahren, die Sonne hat sich auch gezeigt.

    Mir ist aufgefallen, dass mich im Prinzip jede Situation "triggern" kann, da ich in allen Lebenslagen gesoffen habe. Der Alkohol ist immer dabei gewesen. Ich kenne ein nüchternes Erwachsenenleben schlichtweg nicht. (ich habe nicht jeden Tag getrunken, sondern in etwa 10 Tage, oft weniger, manchmal mehr, aber die Nachwirkungen beeinflussen ja auch die Tage darauf, sodass 10 Tage Rausch mindestens mit 2 multipliziert werden muss in meiner Welt).


    Somit muss ich mich erstmal neu definieren für die Zeit, die da jetzt vor mir liegt. Ich freue mich darauf und hoffe insgeheim auf eine produktive, gesunde Zeit. Deutlich spüre ich auch momentan wie sehr ich es genieße, abends nochmal abzuschalten und in guter Lektüre zu versinken. Ich rede von keinem Lesemarathon a la 2 Stunden oder mehr, nein 20-60 Minuten. Das gibt mir Ruhe und inspiriert mich. Aus einem interessanten Buch, passend dazu, dass ich mich neu definieren muss, weil etwas vermeintlich "Wichtiges" von mir gefallen ist, hier ein kleiner Auszug. Autor Andreas Bell " Philosophie der Sucht", Springer Verlag:

    " Auch die Sucht als eine zumeist tödliche Krankheit findet ihre Ursachen in all diesen vier Dimensionen [ Soma, Psyche, Soziales, Spiritualität]. Insbesondere die letzte, die finale [spirituelle] Dimension erweist sich rückblickend in Therapiegesprächen als gleichermaßen schwieriges wie bedeutsames Terrain, wenn es darum geht zu verstehen, wie es zu einer Suchterkrankung gekommen ist.
    Denn die Droge - analog die süchtig ausgeübte Handlung - nimmt im Leben des Süchtigen die Rolle eines Gottes, oder richtiger gesagt eines Götzen ein. Das gesamte Denken und Handeln des Suchtkranken wird so umfangreich vom Objekt seiner Sucht bestimmt, dass die Vorstellung seines Verlustes Existenzängste auslöst. Damit stößt Sucht in den Bereich des Religiösen vor. Nicht die kirchlich verfasste, aufgeklärte Religiösität ist hier gemeint, sondern die archaische, in der einfache DInge zu Heilsbringern werden.
    zu verstehen ist die Sucht daher nur, wenn man sich neben den drei anderen Dimensionen auch die finale oder spirituelle DImension vor Augen führt. "

    Mein Götzenbild ist weg. Ich bin sehr gespannt was statt seiner einrücken wird. Und ja, mir fehlt es auch definitiv an Spiritualität. Das ist allerdings ein Sachverhalt der mir schon vor 2 Jahren definitiv aufgefallen ist. Ich würde mich als atheistisch bezeichnen, und trotzdem glaube ich an etwas Tieferes. So etwas wie eine innere Ordnung, etwas was alles durchfließt, bloß findet in dieser Vorstellung keinerlei Gottwesen seinen Einzug.

    In den letzten Tagen beschleichen mich immer wieder Sorgen, dass ich gesundheitlich nicht wohl auf bin, ich würde es in die Ecke Psychosomatik / Hypochondrie reintun, werde aber wahrscheinlich die Tage mal zum Labor mir Blut abnehmen lassen - wenn die Werte gut ausfallen, dann wäre ich erstmal beruhigt. Das sind quasi die einzigen negativen Emotionen der letzten Woche.

    Ich habe vorgestern und am Samstag eine Sportsession eingelegt und will wieder ehrgeiziger sein, es gibt auch ein klares Sommerziel 2022 :). Überlege mir eine Yogaapp zu holen, Kostenpunkt 60 Euro pro Jahr, ein Betrag den ich regelmäßig um das 2-3 fache wöchentlich versoffen habe.

    Am Samstagabend war ich zum Geburtstag eingeladen. Wir trafen uns in einer Gaststätte - ca. 3 Stunden. Alles völlig problemlos, das Essen war gut, ich war auch nicht der einzige der alkoholfrei war und aus dieser Runde käme keiner auf die Idee mir mit Nachdruck aktiv etwas anzubieten, da alle Bescheid wissen. Nein ehrlich, in meinem tiefsten Inneren keinerlei Saufdruck - aktuell.

    Ich freue mich auf morgen.

    Bleibt gesund.

  • Hallo!

    Glückwusch zu Deinen ersten Monaten in Freiheit. Und dan gleich beide Probleme in Angriff genommen, das Nikotin und den Suff. Mein Respekt.

    Viele hier schaffen zwar den Ausstieg aus dem Alkohol, qualmen jedoch munter weiter :wink:

    Die ersten Wochen waren der reinste Selbstäufer. Aber seit 2 Wochen habe ich anfallsartig und wiederholt starken Saufdruck gehabt. Das macht mir Angst und ich weiß dass ich nun proaktiv dagegen ankämpfen muss.

    Das kenne ich in etwas von mir. Nach ca. 3 Monaten setzte heftiger Suchtdruck ein wie ich es nie erlebt hatte und es sich auch nur einmal wiederholte. ich bin bald 7 Jahre clean.

    Das ist halt wie eine Art Bergprüfung bei einer Radrundfahrt. Da müssen wir durch.

    Der Suchtdruck dauert nicht ewig, sondern verzieht sich auch wieder.

    Und zuletzt vergangener Freitag, wo sich diese innere Stimme wieder meldete und ich im Supermarkt einen wahren Kampf mit mirselber ausfocht, mehrmals zum Bierregal hingegangen bin und wieder weg. Ich bin an dem selben Abend um Mitternacht nochmal raus und fand mich vor meiner Stammkneipe stehend wieder. Ich schaute durch das Fenster und sah viele alte Bekanntschaften.

    In meinen ersten Monaten setzte jeweils am Freitag Nachmittag so ein diffuses Gefühl und ein latenter Schmacht auf Bier ein, weil ich früher am WE heftig gesoffen hatte. Diese Verknüpfung zwischen WE und Alkohol musste erst mal durchbrochen werden. Das wurde mit der Zeit besser, bis es eines Tages ganz verschwunden war.

    Das Geheimnis liegt im Suchtgedächtnis begründet, das nur beschränkt vom Willen beherrschbar ist. Das Suchtgedächtnis funktioniert wie eine schlechte Software, die sich nicht aus dem Hirn deinstallieren,, sondern nur überschreiben lässt und dennoch gelegentlich zu zicken anfängt.

    Da musste halt bei mir so einiges überschrieben werden. Auch das geht nicht innerhalb weniger Tage, das benötigt Zeit, nämliche viele Wochenenden, an denen nicht getrunken wird.

    Die Stammkneipennummer war m.E. hoch gefährlich. Wenn einer der Saufkumpels Dich gesehen und in die Kneipe gewunken oder eingeladen hätte, dann wäre die Abstinenz konkret gefährdet gewesen. Daher rate ich Dir, Deine ehemaligen Sauftreffs erst mal weiträumig zu umfahren, bis Du gefestigter bist.

    Weiterhin gutes Gelingen wünscht

    Carl Friedrich

  • Zitat

    werde aber wahrscheinlich die Tage mal zum Labor mir Blut abnehmen lassen - wenn die Werte gut ausfallen, dann wäre ich erstmal beruhigt.

    Mach einfach. :thumbup:

    Lieber Gruß, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Guten Tag.

    Wieder ist eine Woche wie im Fluge vergangen. Arbeit läuft wie geschmiert und Partnerschaft ebenso. Ein Blick auf meine Nüchternheitsapp verrät dass in einigen Stunden Tag 90 erreicht ist :saint: und außerdem soll ich rund 1200 Euro in diesen 90 Tagen gespart haben. Mein Schlaf ist gut, und gestern wieder Sportstudio - dort habe ich die Rudermaschine seit längerem für mich entdeckt. Außerdem die Woche noch einiges an Papierkram geschafft - riesen Manko von mir, Bürokratie ! Leider habe ich innerlich ein abstoßendes Gefühl allen "Amtsblättern" gegenüber. Das kann man schon als richtige Aversion bezeichnen. Das führt leider immer noch dazu dass ich regelmäßig angemahnt werde und somit regelmäßig Mahngebühren entrichten muss. Dieses Verhalten ist schon so ausgeprägt dass es meiner Meinung nach nicht mehr der Norm entspricht. Noch ausgeprägter war es, als ich gesoffen habe. Vielleicht kriege ich den Papierkram 2022 besser hin als die Jahre zuvor.


    Meinem Nachbarn habe ich diese Woche verholfen in die Entgiftung zu gehen. Hatten mehrere Aussprachen miteinander - eigentlich schon seit den letzten 3 Jahren. Dieses mal hat er den Ernst der Lage erkannt. Würde er in diesem Tempo weitermachen, dann gäbe es ein 2023 für ihn nicht mehr. Gestern ist er in die Entgiftung gegangen. Ich habe ihn meine Unterstützung zugesagt unter der Prämisse dass er clean bleiben will. Ich muss gestehen dass ich ihm vor gut 1 Monat Nachschub besorgt habe, weil er mich darum bat. Er war aber zu diesem Zeitpunkt auch nicht bereit in das Krankenhaus zu gehen. Um einen Kaltentzug abzuwenden bin ich seiner Bitte nachgegangen, diese eine Mal wie ich es ihm dann auch mit Nachdruck mitteilte. Er ist gut 30 Jahre älter als ich. Alleinstehend, keine Kinde, die Arbeit ist durch den Renteneintritt weggefallen und somit steht er morgens auf und weiß nichts mit sich anzufangen. Und statt nur nach der Arbeit mit dem Trinken anzufangen, hat er nun seit über einem Jahr tagsüber schon die Blumen gegossen. Körperlich ist es in den vergangen Jahren rapide mit ihm Berg abgegangen. Ich saß schon oft bei ihm und habe mitgetrunken. Im Suff wollte ich ihn dann immer überzeugen dass er Alkoholiker sei, welches er eigtl immer vehement abstritt. Peinliche Szenen die sich da entsponnen haben. Und bis zuletzt findet er Theorien und Wege seinen Alkoholismus zu verunglimpfen und andere Probleme eher in den Vordergrund zu stellen. Ich hatte mich damit abgefunden und wurde nun doch überrascht, dass er scheinbar erkannt hat, dass es doch der Alkohol ist der an vielem Schuld ist.

    Ich bin heute Vormittag bei schönstem Sonnenschein mit meiner Tochter unterwegs gewesen. Innerlich ist mir das Herz aufgegangen. Wir hatten jede Menge Spaß. Und wie es Väter so machen, habe ich versucht ihr ein wenig die Welt zu erklären. Übrigens war ich genau vor 7 Tagen auch bereits Samstagvormittag mit ihr unterwegs. Und vor ca. 7 Monaten bin ich auch mit ihr spazieren gegangen und habe im Park, dort wo es keiner sah heimlich Bier getrunken, während sie im Kinderwagen saß. Jedes Wort darüber wäre eins zu viel. Ich könnte mir dafür einen Knüppel über den Schädel ziehen, dass ich solche heiligen Momente besudelt habe. Umso glücklicher gucke ich auf die vergangenen 90 Tage zurück und voller Hoffnung auf die nächsten 7 Tage.

    Gestern Abend (Freitags erfahrungsgemäß meistens Saufdruck) hatte ich erst nach 23 Uhr Feierabend. Es war für mich eine Selbstverständlichkeit mit dem Rad nach Hause zu fahren. Es hat nicht einmal irgendwo gekitzelt. Die Nacht war still bei klarem Himmel - genauso klar wie mein Verstand zu diesem Zeitpunkt - derselbe Verstand der mich 1000 Male hat links zur Kneipe abbiegen lassen, ist nun automatisch nach rechts gefahren.

    So macht das nüchterne Leben ehrlich Spaß.

    Nächste Woche Gesprächstermin zur Selbsthilfegruppe. Wobei ich sagen muss, dass ich wahrscheinlich doch eher Abstand nehmen werden von dem Gedanken einer realen Gruppe; aus beruflichen Gründen. Ich finde das macht aber nichts, da ich mich in diesem Forum genau richtig eingefunden habe. Ich lese täglich mehrfach mit - und es gibt mir so unheimlich viel dieser zwischenmenschliche Erfahrungsaustausch ! Gerade Berichte aus der Co-Abhängigkeit ergänzen aktuell meine doch sehr eingeschränkte subjektive Sichtweise meiner Sucht.

    So......wir sind hier gerade in Aufbruchstimmung, denn jetzt geht es zum Zoo ! :mrgreen:

    Schönen Tag euch und bleibt gesund.

  • Hallo!

    Zu Deinem Nachbarn: Es ehrt Dich, ihm unter die Arme zu greifen, aber so ganz fest sitzt Du noch nicht im Sattel.

    Riskant wird es für Dich, wenn er rückfällig wird. Da besteht die Gefahr, das er Dich als seine Vertrauensperson womöglich mit rein reißt.

    Ich muss gestehen dass ich ihm vor gut 1 Monat Nachschub besorgt habe, weil er mich darum bat.

    Das war eine äußerst riskante Nummer für Dich. Da hätte es bltzschnell zu einem Rückfall kommen können. Für jeden Helfer gilt erst mal die Eigensicherung. Und die hast Du in dem Moment vernachlässigt.

    Nächste Woche Gesprächstermin zur Selbsthilfegruppe. Wobei ich sagen muss, dass ich wahrscheinlich doch eher Abstand nehmen werden von dem Gedanken einer realen Gruppe; aus beruflichen Gründen. Ich finde das macht aber nichts

    In meiner ehemaligen SHG gab es auch "Teilzeitteilnehmer", die aus beruflichen Gründen (Schichtarbeit) halt nur 1-2x monatlich teilnehmen konnten. Vielleicht lässt sich in der avisierten Gruppe so etwas arrangieren?

    Du bist noch ganz am Anfang Deines Weges. Da Du keine Therapie machst, wäre es überlegenswert, auch noch einen unmittelbaren Austausch von Angesicht zu Angesicht zu probieren. Es ist in den ersten Monaten doch etwas anderes, sich live zwischen Gleichgesinnten und unmittelbar mit erfahrenen Abstinenten auszutauschen als nur mit jemand, der noch tief im Schlamassel steckt.

    Am wichtigsten waren mir in meiner Therapie und später in der analogen SHG die Ausführungen der Rückfälligen, da konnte ich viel mitnehmen.

    Wohl gemerkt: Ein "Muss" ist es genau so wenig wie eine Therapie zu machen. Es gibt hier einige Mitglieder, die nur mit diesem Forum und ggf. noch Fachliteratur clean geworden und geblieben sind. Ich habe über die beiden Punkte hinaus auch noch eine ambulante Therapie gemacht.

    Gruß

    Carl Friedrich

  • Hallo Carl Friedrich,

    im Grunde pflichte ich dir bei. Ich habe in meinem Kopf die Grenzen meines Hilfspakets für diesen klar umrissen. Geht er nach der jetzigen Entgiftung nicht nahtlos zur Suchtberatung, oder wird rückfällig, dann war es das auch für mich. Auf der anderen Seite hat mich dieses kurze Intermezzo auch nicht überanstrengt.


    Abstand zu den hiesigen Selbsthilfegruppen werde ich wohl doch nehmen, nicht wegen der Arbeitszeiten, sondern weil ich beruflich mit viele Menschen zu tun habe, ich in keiner Großstadt wie Hamburg oder Berlin lebe und einfach das berufliche von meinem privaten & selbsttherapeutischen Anstrengungen strikt trennen will. Auch wenn in der SHG das Gebot der Verschwiegenheit gilt, so meine ich die menschliche Natur leider anders kennengelernt zu haben.

    "Gutes" gibt es weiterhin zu berichten. Meine Freundin und ich haben uns gestern und vorgestern wegen zweier unterschiedlicher Lappalien ordentlich verbal gefetzt. Das Gute an der Sache war, dass ich nach beiden Malen keine Sauflust verspürte. Oft hatte ich nach solchen Auseinandersetzungen ziemliche Trinklust - aus Trotz heraus, aber auch zur Selbstbetäubung.

    Das blieb nun konsequent aus.

    Bleibt gesund.

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