Liebe Billy,
ich kann gut nachvollziehen, dass du Zeit brauchtest und brauchst, um manches, was du hier gelesen hast, erstmal verdauen zu können. Du schreibst, dass das Aufarbeiten für dich jetzt erst so richtig anfängt, und wie Anfänge nun einmal so sind, sind sie in der Regel nicht leicht.
Du schreibst von dem Gefühl unfassbar tiefer Scham, dass du dich dein ganzes Leben lang für deinen Vater geschämt hast und dass du‘s noch immer fühlst. Du beschreibst dieses Gefühl als lähmend, als ein Gefühl, das dich nicht weiterbringt.
Ich kenne dieses Gefühl durchaus, weniger allerdings habe ich mich für meinen Vater direkt geschämt. Das liegt sehr wahrscheinlich aber daran, dass mein Vater bereits starb, als ich erst 15 Jahre alt war, und wir zudem auch nicht in einer dörflichen Gemeinschaft gelebt haben, in der die Krankheit meines Vaters besonders aufgefallen wäre und ich mitbekommen hätte, dass er Gesprächsthema wurde. In den ersten 15 Jahren meines Lebens sind wir siebenmal umgezogen und das jedes Mal in andere Orte.
Sich für einen Elternteil schämen, habe ich so eigentlich erst als Erwachsene in Bezug auf meine Mutter kennengelernt. Nachdem die Depressionserkrankung bei ihr ausgebrochen war, war ihr ihr Aussehen egal geworden.... Es war mir mitunter unangenehm, mit ihr in unserem Ort, wo man mich kennt, unterwegs zu sein, und ich weiß, dass es meiner Schwester nicht anders ging.
Ja, Scham kann lähmen. Inzwischen aber versuche ich bei mir immer wieder herauszufinden, was die eigentliche positive Aufgabe des Gefühls ist, das ich als unangenehm oder sogar lähmend empfinde. Auch Scham hat eigentlich eine positive Aufgabe.....
Du wirst dieses Gefühl nicht wegbekommen, aber du kannst lernen, wie du es zu seiner ursprünglichen Aufgabe zurückführst.
Mit der Krankheit meiner Eltern gehe ich inzwischen offen um. Ich binde sie nicht jedem auf die Nase, aber, wenn es sich ergibt und ich das passende Gegenüber habe, spreche ich tatsächlich offen darüber.
Dass sich die Stimme deines Inneren Kritikers mit dem deckt, was dein Vater gesagt hat oder sagen würde, wundert dich das? In der Therapie habt ihr bestimmt schon darüber geredet.
Letztens hab ich während der Therapiesitzung unbewusst eine Kopfbewegung gemacht, die ich an meiner Mutter immer gehasst habe..... Der Therapeut hat mich überhaupt erst darauf hingewiesen, dass ich diese Kopfbewegung gemacht habe. Ich war schockiert, als er mich darauf ansprach. Er hat mir dann erklärt, wie es dazu kommt, dass wir Dinge von unseren Eltern oder anderen prägenden Personen übernehmen.
Was Beziehungen betrifft: Auch da wirst du hier im Forum Informationen finden, worauf du achten kannst. Und wenn du an jene gescheiterte Beziehung zurückdenkst, wirst du möglicherweise auch herausfinden können, was dich an diesem Mann so angezogen hat. Es muss dir nicht zwangsläufig so ergehen wie deiner Mutter.
Liebe Grüße
AufderSuche