Ich war gestern Mittag beim Blauen Kreuz für meinen Termin. War an sich sehr gut, der Herr ganz nett und wir haben alles besprochen. Und obwohl ich ja wusste, dass ich Alkoholsüchtig bin, war es mega hart es aus einem fremden Mund zu hören. Musste dann echt auch weinen, weil ich mich irgendwie geschämt habe überhaupt so tief zu sinken und weil ich enttäuscht von mir selbst bin. Aber nun gut, eigentlich wusste ich es ja. Jetzt habe ich die Bestätigung, und genau darum ging es ja.
Hallo Mery,
dieses Schamgefühl und diese Enttäuschung über mich selbst ist mir auch vertraut.
Dahinter steckt nach meiner eigenen Erfahrung und Beobachtung eine gewisse Vorstellung, die man glaubt, nach außen hin erfüllen zu müssen und eine gewisse Vorstellung, dass, wer an Alkoholismus erkrankt ist, selbst schuld sei, dass man früher hätte erkennen müssen, wo die Reise hingeht.
„Hätte, hätte“ spielt aber im Nachhinein betrachtet eigentlich keine Rolle. Es ist aus gewissen Gründen so passiert, wie es eben passiert ist. In die Alkoholkrankheit rutscht man aus verschiedensten Gründen, die sich einem teilweise entziehen, irgendwie hinein, absichtlich hat das gewiss keiner von uns gemacht. Alkohol kommt ja auch anfangs und dann noch eine ganze Weile irgendwie so harmlos daher. Und Alkoholkonsum ist in unserer Gesellschaft ja sooooo etabliert.
Manchmal lohnt es sich, nach Gründen zu suchen, warum man da reingerutscht ist, manchmal lohnt es sich überhaupt nicht.
Entscheidend ist doch, dass du schließlich Einsicht bekommen hast, wie’s um dich steht, und dass du da JETZT daran arbeitest.
Zitat
Was mich enttäuscht gerade ist, dass ein "Freund" von mir, von dem ich hoffte eine starke Schulter zu bekommen und gestern etwas zuspruch (nach dem Motto "das ist der richtige schritt, ich bin stolz auf dich, kann ich etwas für dich machen, bitte sag mir dann wie es war", solche normalen dinge halt) mich einfach ignoriert hat. ich sagte ihm, ich hätte mittags ein gespräch das mir auf dem magen liegt, habe ihm dann gesagt wohin ich gehe... und da kam einfach nichts. heute nur die info dass es ihm leit tut, dass er nicht geantwortet hat, er sei wahnsinnig im stress. Kann ich verstehen, das kanns ja echt mal geben... aber nicht mal heute ist dann das gekommen, was ich gestern hätte hören wollen.
Es klingt doof das so zu sagen, "was ich hätte hören wollen"... aber ich bin seit jaaaaahren immer die, die die starke schulter ist für meinen Mann usw, resp. es ist jahre her, dass mir jemand eine Schulter bieten konnte. und ich hoffte jetzt, das auch mal zu spüren zumal dieser "Freund" teilweise auch mehr ist als nur ein Freund.
Aber hey.... ich war alleine stark, ich kann das weiterhin sein.
Dazu habe ich auch so ein paar Gedanken, die ich mit dir teilen möchte.
Kann es sein, dass du auch jemand bist, der an sich den Anspruch hat, ständig für andere da sein zu müssen?
Kommt mir jedenfalls irgendwie bekannt vor. 😉
Leicht beschleicht einen da der Gedanke oder eine gewisse Anspruchshaltung, dass man, wenn man selbst in Not ist, mehr oder minder unmittelbar etwas zurückerhalten müsste. Man selbst ist IMMER da, also kann man von anderen doch eine gewisse Gegenleistung erwarten?
Könnte es aber sein, dass dieses „Immer für andere da sein“, „Immer stark sein“ nicht so gesund ist, wie man (du und auch ich) das gemeinhin glaubt?
Da stellt sich nämlich die Frage, wo die Selbstfürsorge bleibt.
Ich selbst hab lange dafür gebraucht, das zu erkennen. Selbstfürsorge war bei mir früher herzlich wenig drin. Und mein Alkoholkonsum hatte u.a. mit Kompensation zu tun. Er ließ mich mehr leisten, mich besser, stärker fühlen und so weiter.
Dein Freund schreibt, dass nicht geantwortet habe, weil er wahnsinnig im Stress sei, und er hat auch geschrieben, dass es ihm leid tut, nicht geantwortet zu haben. Kann es sein, dass er gerade so viel mit sich und seinem Stress zu tun hat, dass er gerade einfach nicht den Kopf dafür frei hat, was für lebensverändernde, dramatische Ereignisse bei dir anstehen, und dir deshalb nicht das antworten kann, was du gerade eigentlich von ihm hören möchtest?
Lass dir und auch diesem Freund Zeit. Nach und nach wird dir vielleicht einiges klarer werden und du wirst zu deinem eigenen Wohl und Schutz etwas verändern können.
Viele Grüße
AufderSuche