Beiträge von Lust for Life

    Aber um das Ganze noch mit dem angemessenen Ernst zu beantworten: Na klar trinkt so jemand irgendwann wieder. Ich sitze da nur daneben und schüttel innerlich mit dem Kopf, weil ich mich eigentlich nur wundere, warum er es nicht schon längst getan hat. Ich weiß nicht, was solche Leute sich beweisen möchten und deshalb verstehe ich nicht so ganz, warum sie dafür Zuspruch ernten. Auf der anderen Seite muss man sagen: Jeder Tag ohne Alkohol ist besser als mit - egal für wen, wenn du mich fragst. Der Allmächtige hat die kognitiven Fähigkeiten nun einmal nicht jedem gleich gegeben, trotzdem wird dieser Mensch sicherlich ein besseres Leben führen, als wenn er gar keine SHG besuchen würde und auch das ist in Ordnung.

    Hallo Carl Friedrich,

    Knifflige Frage, tatsächlich sogar. Es geht mir nämlich mehr um die Situation, in welche man sich begibt, als um alles andere. Trinker sind für mich Leute, die auf Effekt trinken. Es soll auch Menschen geben, die tatsächlich um des Geschmacks Willen Alkohol konsumieren, beispielsweise Weißwein zu Fisch, soll ja ganz toll sein, war für mich aber noch nie nachvollziehbar, weil für mich Essen und Alkohol einfach nicht zusammenpasst.

    Um ein konkretes Beispiel für meine Aussage zu geben: Eine mir Bekannte Person (trockener Alkoholiker) gibt beispielsweise noch regelmäßig Vodkarunden in seinem privaten Umfeld, eben mit genau den Kollegen von damals. Da spielt es aus meiner Sicht keine Rolle, ob die Anwesenden Gästen nur an genau diesem Abend trinken und sonst keinen Alkohol konsumieren. Das Problem hat doch der Trockene und natürlich respektiere ich eine solche Person dennoch, wenn ich sie in der SHG treffe. Nicht ernst nehmen, ist vermutlich einfach die falsche Ausdrucksweise: Für mich ist ihr Weg nichts und ich kann ihn Null nachvollziehen, das trifft es viel besser. Aber naja, heute ist bei mir ohnehin so ein Tag, wo ich immer knapp neben dem lande, was ich eigentlich ausdrücken möchte, aber damit kann ich Leben :).

    Tag 420: Ich nehme Leute nicht ernst, die sagen sie wären zufrieden trocken, aber sich trotzdem noch mit Trinkern umgeben. Das halte ich für eine überaus vernünftige Entscheidung. Wer daran zweifelt, sollte sich vielleicht mal selbst fragen, ob er mich noch ausreichend Ernst nimmt. Gründe dafür mag ich genug geliefert haben, aber geschenkt, zum Thema:

    "So ein Graßentzug ist ganz einfach, hörste auf zu kiffen und nach vier Tagen ist gut." Ich weiß schon sehr genau, wen ich Ernst nehme und warum, und so einfach, wie das gerne mal vermittelt wird, ist diese Geschichte bei weitem nicht. Ich zähle bei den Tagen ohne Graß nicht genau mit, aber ich bin jetzt bei ca. 15 Tagen und hätte ich letzte Nacht wieder nicht schlafen können, denn wäre ich definitiv zum Arzt. Von zu viel Schlafmangel kann man nämlich durchaus wahnsinnig werden und ich habe ein recht feines Näschen für psychotisches Verhalten meinerseits. Von gestern auf heute konnte ich jedoch sehr gut schlafen und ich müsste damit jetzt in Phase 2 des Entzugs sein, der unter anderem von sehr wirren Träumen gekennzeichnet ist, aber das kann ich ab.

    Ich möchte übrigens niemandem auf die Füße treten, aber der Unterschied zwischen kalten und warmen Entzug besteht Großteils in der medikamentösen Unterstützung und das möchte ich nicht, wenn ich es vermeiden kann. Ist eine persönliche Sache, aber begleitet fühle ich mich hervorragend vor allem durch familäre Unterstützung.

    Ansonsten achte ich auf mich. Danke nochmal für die H.A.L.T. Regel, die ich hier aus dem Forum kenne, die hilft so gut wie immer weiter, wenn ich merke, dass ich mich irgendwie unwohl fühle. Gut, reicht erstmal für heute. Ich bin jetzt ohnehin regelmäßig wieder hier, vorausgesetzt das ist bei noch laufendem Cannabisenzug in Ordnung.

    Sollte sich jemand zu Recht wundern, warum ich anders schreibe, als man das von mir gewöhnt ist: Ich bin halt nicht mehr bekifft und das ist verdammt nochmal gut so.

    Dann sei mal weiter fasziniert und nimm es eben nicht ernst.Deine Entscheidung.

    Ihr habt mich komplett missverstanden, ich sollte echt nicht schreiben, bevor ich richtig wach bin. Ich sitze da mit großen Augen in der lokalen SHG und kann es nicht fassen, wie unglaublich behämmert ich das finde, wenn alles sagen: "Ist ja toll, dass du jetzt, wo du nicht mehr trinkst, noch mit deinen Alten Saufkumpanen abhängst." Ist das jetzt eindeutig genug?

    Niemand "muss" sich daran "gewöhnen", sich mit trinkenden Menschen zu umgeben!

    Das ist einfach Bullshit.

    Solche Argumente kommen nur von denjenigen, die nichts groß in ihrem Leben ändern wollen.

    Ich bin bei solchen Aussagen auch immer wieder fasziniert Sunshine, in meiner lokalen Selbsthilfegruppe wird man für so etwas mitunter auch gefeiert, aber ich muss da halt auch nicht jeden ernst nehmen und kann mir meinen Teil denken.

    Ich kann nur für mich sprechen, aber bei mir hat jedes zusammensitzen mit Trinkern seit meiner Trockenheit (und das kann ich an einer Hand abzählen) nur dazu beigetragen, dass es mir im nachhinein um die Zeit Schade war, die ich damit verschwendet habe, was ich auch für den richtigen Effekt halte. Mich nerven Trinker einfach nur noch, relativ egal ob moderat oder volle Kanne, ich habe diesen Leuten nichts mehr zu sagen und sie mir auch nicht.

    Grüß Dich Erna,

    Ich kenne ja das Tempelhofer Feld ganz gut, auch wenn ich selten drauf war, man fährt ja doch häufig dran vorbei, wenn man mit der Ringbahn unterwegs ist und das ist schon weitläufig genug um da seinen eigenen Weg gehen zu können, auch während so einer Veranstaltung, das stimmt schon. Ich wohne schon länger nicht mehr in Berlin, aber dem Anblick von Wegbieren und permanent die Gegend verschandelnden Alkoholflaschen kann man da ja wirklich nur dann ganz aus dem Weg gehen, wenn man sich ganz zu Hause einsperrt - und das kann auf Dauer natürlich auch keine Lösung sein.

    Du hast dir das Ganze angesehen und gemerkt, dass deine Abstinenz noch nicht so ganz angekommen ist, das ist ja nicht schlimm. Ich habe jetzt nicht im Kopf, wie lange du getrunken hast, aber setz dagegen mal deine zarten zwei Monate ohne Alkohol, dann wirst du selber feststellen, dass das nun so besonders lang auch noch nicht ist. Aber du bist ja nicht auf den Kopf gefallen, also weißte das vermutlich ohnehin selber und eine tolle Leistung ist es natürlich trotzdem.

    Tolle Leistung finde ich ich vor allem, dass du dich sehr intensiv mit dem Thema auseinander setzt. Dafür was dein Suchtgedächtniss dir in den Kopf bringt, kannst du ja nichts. Du bist nur dafür verantwortlich, dass die erste Flasche stehen bleibt und das jeden Tag aufs neue. Ich würde das als Warnung sehen und erstmal weitere Veranstaltungen in der Art meiden. Auch wenn ich dich gut verstehen kann: Nächsten Jahr ist auch wieder ein Sommer/schöne Tage und ist ja nicht so, als würde die Welt untergehen, wenn du erst dann mal wieder schaust, was "so geht" und was eher nicht :).

    Das macht Sinn, denn du hast deine Gefühle über lange Zeit unterdrückt, bzw. einfach weggespült. Klar, dass da jetzt richtig viel hochkommt, aber wie gesagt, das legt und sortiert sich mit der Zeit.

    Ein guter Freund, der auch schon lange trocken ist, hat mir mal gesagt, dass irgendwann das Heulen kommen wird und das auch ok ist. Er hatte recht. Soll heißen: Wenn dir nach heulen zumute ist, ist das auch ganz normal und das kann sehr befreiend sein. Du bist ein Mensch, du hast Gefühle, da ist nichts schlechtes dran.

    Hallo Natze,

    Ich bin ungefähr in deinem Alter und seit mittlerweile über einem Jahr trocken und ausgesprochen zufrieden damit. Geholfen hat mir in erster Linie diese SHG, steht alles in meinem Thema. Bei mir sind die Gedanken am Anfang auch ziemlich durcheinander gegangen: "Kein Alkohol mehr? Wie soll das überhaupt gehen? Wie soll ich denn dann noch Spaß haben können?" Das waren so ein paar Fragen und keine davon konnte ich mir beantworten solange ich das mit dem abstinent sein noch nicht erlebt hatte. Ist vollkommen logisch, aber natürlich etwas unbefriedigend am Anfang.

    Mit der Zeit sieht man hier eine ganze Menge Leute kommen und leider auch wieder gehen. Irgendwann entwickelt man ein Gefühl dafür, wer es wirklich ernst meint und wer eher nicht so und ganz ehrlich: Bei dir habe ich ein gutes Gefühl.

    Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber, wie das alles werden soll, denn es wird schon werden. Mir hat am Anfang viel lesen, Tee trinken und ganz ruhige entspannte Musik hören geholfen. Lo-Fi Beats Playlists waren für mich Gold wert und ich bekomme heute noch sehr angenehme Gefühle, wenn ich die mal wieder anschmeiße, auch wenn mir das jetzt meist schon zu ruhig ist.

    Pass auf dich auf, gib dem Verlangen nicht nach und alles wird besser, vielleicht nicht gleich gut, denn wann ist schonmal alles gut, aber besser in jedem Fall. Hausärzte sind übrigens leider selten Suchtexperten, auch wenn man hier den Eindruck bekommen könnte, dem wäre so, aber deiner scheint halbwegs in Ordnung zu sein. Einige greifen da deutlich weiter daneben, so durfte ich mir mal implizit anhören, dass ich wohl noch nicht genug saufe um Alkoholiker zu sein - und zu der Zeit soff ich bereits täglich. Ich hoffe das hilft ein bisschen weiter.

    Ganz kurz noch, weil nur mit Emotes zu reagieren ist mir dann doch zu unpersönlich. An Bolle : Ja, da ist ein richtiger Knoten geplatzt danach, das wirkt jetzt noch und mir geht es hervorragend. Das mit dem Tagebuch finde ich auch gut, ich kann mich sogar noch mit Grausen an meinen letzten Tagebucheintrag vor einigen Jahren erinnern, da stand unter anderem: "Ich möchte nie wieder Rasierwasser trinken." Das sagt alles glaube ich.

    Und an Carl Friedrich : Den Vergleich mit dem am Beckenrand festhalten finde ich hervorragend, trifft es einfach und hilft mir weiter. Das mit Alkohol nochmal "was gehen" könnte, da mache ich mir keine Illusionen, ist nicht möglich, aber vor allem will ich es auch einfach nicht mehr. Alkohol wird mir auch zunehmend egaler und ist viel seltener in meinen Gedanken. Das ist ein gutes Zeichen.

    Allgemein noch: Das Leben ohne Kiffen schlägt das Leben mit Kiffen um Längen, in jeglicher Hinsicht. Dafür musste ich halt - logischerweise - erstmal mit aufhören, um das zu merken. Aber jetzt merk ich's und zwar sowas von :). Wochenende wird anstrengend, aber auch wunderschön, die ganze Familie ist da und ich bin völlig ausgelastet. So, jetzt bin ich aber wirklich erstmal weg.

    Tag 408: So, das war's: Der letzte Kontakt ist blockiert, die letzte Nummer gelöscht und die Cannabis SHG hat mich auch genommen. Der Entzug ist durch, ich träume wieder und im Moment habe ich vor allem eins: So richtig die Schnauze voll.

    Ich habe mir jetzt über ein Jahr lang hier, da und dort Selbsthilfe gegeben, mich täglich mit dem Thema auseinandergesetzt und jetzt kommen die auch noch an mit "Ja, ohne Therapie wissen Sie ja gar nicht, warum Sie überhaupt getrunken haben? Das MÜSSEN Sie doch wissen!" Verdammt nochmal NEIN, muss ich nicht, irgendwann muss doch auch mal gut sein.

    Versteht mich nicht falsch, ich habe diese Angebote alle gebraucht und gerne genutzt, ich habe nur über eine Sache nie nachgedacht: Das damit irgendwann auch mal wieder Schluss sein muss. Nicht im Sinne von "Ich nutze jetzt gar keine Selbsthilfe mehr", sondern ohne mir da irgendwelchen Druck zu machen. Ich fang schon an Gespenster zu sehen vor lauter Selbsthilfe und hinter jeder Ecke lauert der Rückfall, der ja eh immer eine Armlänge entfernt ist (dieser Vergleich regt mich auf bis zum Mond und zurück): So kann man sich das Leben auch versauen. Indem man sich am Ende einfach gar nichts mehr zutraut, weil es könnte ja sein das und...nö, Schluss jetzt!

    Ich habe, im Gegensatz zu vielen anderen, eine komplett Drogenfreie Jugendzeit verbracht. Bei mir ging das erst mit 22 so richtig los, soll heißen, ich habe das durchaus gelernt, wie man zufrieden ohne Drogen und Alkohol leben kann und das in einem Alter, das für unser ganzes Leben so prägend ist, wie kein anderes. Ich muss das jetzt einfach mal runterfahren, sonst wird mir das zu viel, ist es ehrlich gesagt schon. Ich habe mich teils schon fast genötigt hier mitzulesen und zu schreiben, weil das ja dazugehört und was weiß ich, dabei war das nie die Intention. Ich wollte mein freies, selbstbestimmtes Alkoholfreies Leben zurück, das habe ich schon längst. Das ich dazu jetzt auch noch Cannabisfrei sein möchte, ist ein Bonus, aber dafür hatte ich mich überhaupt nicht hier angemeldet und hätte deshalb auch niemals so ein Trara veranstalten müssen, wenn es mir damit nicht - da bin ich ehrlich - tatsächlich sehr schlecht gegangen wäre.

    Mein Verstand streikt: Er will sich nicht mehr mit Selbsthilfe beschäftigen. Ich dreh mich im Kreis und komme nicht mehr voran damit und das beste was ich im Moment tun kann, ist hier einfach mal auf Ausloggen drücken und dann einen Monat nicht mehr reinschauen. Nicht im Bösen, überhaupt nicht, aber es gibt mir einfach nichts mehr. Es belastet mich sogar und bei jeder Neuanmeldung habe ich das Gefühl ich müsste/könnte/sollte da doch jetzt unbedingt aufbauende Worte zu schreiben. Wieso eigentlich? Ich habe mich nicht hier angemeldet, weil ich anderen helfen möchte. Ich schreibe auch gerade keine Songs gegen Alkoholmissbrauch, weil ich damit anderen helfen will, sondern weil ich selbst eine Tonne zu verarbeiten habe.

    In dem Sinne: Ich bin hier erstmal raus. Ich werde im Zweiwochentakt bei den Anonymen vor Ort erscheinen, weil ich die Gruppe wirklich mag und mir die Leute gefallen. Ich werde auch das einmonatige Programm der Cannabisgruppe vermutlich durchziehen. Ich schreibe vermutlich, weil sich das mit Cannabis für mich ohnehin erledigt hat, da brauche ich keinen Anstandswauwau für und aus Höflichkeit da mitzumachen, nee, das klingt schon falsch.

    Ich mag viele Leute hier sehr gerne und ich will es nicht darauf anlegen, dass mir der Schädel platzt vor lauter nett sein und alles richtig machen wollen. Deshalb ist eine Pause gerade das beste, was ich tun kann.

    Macht's gut und bleibt trocken, ich schau hier morgen nochmal rein, aber dann für eine ganze Weile nicht mehr. Ich hoffe, ihr könnt das verstehen und falls jemand irgendwas in diesem Text findet, das ihn wirklich mit Sorge erfüllt, immer raus damit, ansonsten gerne einfach so stehen lassen. Vielen Dank.

    Ich möchte mir heute einfach mal was von der Seele schreiben: Ich habe vorhin die Stimme meines Bruders gehört, er hatte meinen Vater angerufen und ich stand in der Nähe. Mein Bruder und Ich wurden getrennt, als ich 8 Jahre alt war (er ist 5 Jahre älter) und meine Eltern sich geschieden haben. Mein Vater nahm mich mit nach Berlin, mein Bruder blieb in Süddeutschland bei meiner Mutter. Wir konnten nie ein gesundes Verhältniss zueinander aufbauen und irgendwann wurden auch normale Konversationen eher schwierig. Während ich die Alkoholsucht und Drogenexperimente mitgenommen habe, hat mein Bruder massive psychische Störungen mitgenommen. Ich brauchte beispielsweise mal dringend eine Unterkunft und er hatte zu diesem Zeitpunkt eine ungenutzte Mietwohnung. Er hatte mir ohne große Diskussionen den Schlüssel übergeben, aber diese Wohnung war fast das schlimmste was ich in meinem Leben gesehen habe - und ich habe jede Menge übles Zeug gesehen.

    Es gab zwischen dem ganzen Müll in der Wohnung exakt einen freien Pfad, den man noch nehmen konnte. Klar, irgendwie musste er ja noch vom Computer zur Toilette und zurück kommen. Zu der Zeit kam ich noch halbwegs zurecht und ich habe die Wohnung im Rahmen meiner Möglichkeit und mit Unterstützung eines Freundes zwar nicht grundsaniert, aber in einen deutlich besseren Zustand gebracht. Irgendwann brauchte ich die Wohnung nicht mehr, gab ihm den Schlüssel zurück. Tenor danach war: Ich hätte seine Wohnung verwüstet. Ich bin heute noch, nicht wütend, aber verdammt traurig wenn ich daran denke, wie kaputt das eigentlich alles war. Auch an das Lachen meiner Mutter erinnere ich mich noch, als ich sagte, dass ich die Wohnung nur betrunken aushalte. Das fand sie lustig, warum auch immer.

    Als wir uns ca. ein Jahr später, ich hatte dann was zur Untermiete in Berlin gefunden, wieder trafen und ich mir dabei ein Bier kaufte, da lag so viel Ekel in seinem Blick, kann ich gar nicht beschreiben, aber war schon richtig so. War dann auch erstmal unser letztes Treffen.

    Heute scheint er ganz gut zurechtzukommen. Er hat eine Frau gefunden, mittlerweile eine Tochter und einen ordentlichen Job. Solange das läuft, wird er zurecht kommen, da bin ich recht zuversichtlich, aber sollten die sich mal trennen: Der Sturz könnte sein letzter sein.

    Was mein Bruder bräuchte, wäre eine Therapie denke ich, aber darum soll es nicht gehen. Ich wollte mir das gerade wirklich nur von der Seele schreiben, weil das meine Gedanken sortiert und etwas von dieser tiefen Trauer, die ich irgendwo in mir wohl immer mitragen werde, ein Ventil gibt. Er ist mein Bruder, ein Mensch für den ich fast alles zu tun bereit wäre, aber gleichzeitig ist er mir immer fremd geblieben. Vermutlich wird es einfach Zeit für eine Aussprache zwischen uns, er muss furchtbar gelitten haben unter dem Alkoholismus meiner Mutter und der Behandlung durch deren geisteskranke Eltern. Die waren übrigens von Beruf Zahnärzte, was sie nicht daran gehindert hat, dem Kind Süßigkeiten zu geben, bis ihm die Zähne einfach weggefault sind. Das glaubt mir aus irgendwelchen Gründen nie jemand, aber es gibt Bilder davon und klar hat mein Bruder eine Macke weg, was seine Zähne angeht. Mittlerweile trägt er vermutlich zumindest ein Teilgebiss, aber das Reime ich mir nur zusammen, weil damals Gebisshaftcreme zwischen dem ganzen Müll in seinem Badezimmer lag.

    Abgesehen davon, geht es aufwärts. Ich bin immer noch etwas genervt davon, dass die Cannabisselbsthilfegruppe durch den Servercrash weg war, aber ich habe da Dienstag nochmal eine Chat-Beratung vereinbart. Ansonsten komme ich mit dem Entzug gut zurecht, hin und wieder denke ich dran was zu holen, ja, aber der Entschluss ist final. Gedanken stattdessen Alkohol zu trinken, bringen mich eher zum schmunzeln, weil die Vorstellung so bescheuert ist: Ich will gesund sein und mich nicht umbringen, folglich kann Alkohol keine Lösung sein. Alles andere kriege ich schon irgendwie geklärt, aber dorthin will ich nie mehr zurück.

    Na dann hoffe ich, daß dir diese Erkenntnis/ Weiheit dich bei der Bewältigung deiner Sucht weiterhilft.

    Nein, denn das hat damit nicht das Geringste zu tun. Bei der Suchtbewältigung hilft mir die SHG hier, ein langzeittrockener Freund, den ich im Notfall jederzeit anrufen kann und in erster Linie meine eigenen Erfahrungswerte darüber was passiert, wenn ich trinke. Offensichtlich habe ich mich da wohl nicht klar genug ausgedrückt, kann ja mal vorkommen.

    Heute war ein guter Tag, nicht nur, weil ich so langsam endlich wieder richtig klar im Kopf bin, sondern vor allem, weil ich heute mal wieder eine richtige Entscheidung getroffen habe: Morgen wäre eine etwas seltsame Mischung aus Messe und Fest, eine Stunde Fahrtzeit von hier und grundsätzlich sehr interessant, aber ich habe abgesagt. Es hat sich richtig gut angefühlt, einfach sagen zu können, warum, ohne irgendwelche Ausreden: Ist mir gerade zu viel Stress, Alarmglocken läuten wegen Rückfallgefahr und Schluss. Danach ist mir ein richtiger Stein vom Herzen gefallen.

    Davon abgesehen, habe ich gestern mit meinem Freund aus Berlin gesprochen, das letzte mal war eine ganze Weile her, aber das ist bei uns normal und jetzt kommt der Knaller: Dieser Mensch, dem ich wirklich viele attestieren würde, allerdings weder übermäßige Ambitionen noch besonders viel Eigeninitative, hat sich tatsächlich aus Eigeninitative heraus eine für seine Verhältnisse absolute Top-Stelle sichern können. Assistent der Einkaufsleitung bei einer großen Hotelkette wird es werden, erstmal mit einem halben Jahr Probezeit, aber das ist schon ein richtiger Knaller. Würde ich noch trinken, hätte ich ihm jetzt wohl erstmal aus Neid die Freundschaft temporär gekündigt (leider kein Witz), aber so kann ich mich einfach richtig dolle drüber freuen. Mich darüber freuen, dass ein anderer Erfolg hat, das hatte ich seit Jahren nicht mehr.

    Davon abgesehen, habe ich gestern auch mal darüber nachgedacht, wo ich eigentlich stehe. Nachdem ich einige Jahre meines Lebens auf der Straße verbracht habe, hing ein Teil von mir tatsächlich noch daran, nur, ich habe da nie hingehört. Ich war jetzt über einige Jahre hinweg ALG2 Empfänger, in meinem Freundes- und Bekanntenkreis (der zugegebenermaßen recht überschaubar ist) findet sich nicht ein einziger Mensch, der das jemals auch nur beantragt hätte. Keine Ahnung, wo ich in ein paar Jahren stehe, aber da scheint mir noch mächtig Luft nach oben zu sein...und das ist verdammt nochmal gut so :).

    du wirst vielleicht lachen

    Ich weiß, das ist nur eine Phrase, aber nein, ich wüsste nämlich nicht worüber...

    Mein Körper ist das Wichtigste, worüber ich verfügen kann - natürlich interessiert der mich!

    Das habe ich nicht in Frage gestellt, manchmal habe ich den Eindruck, du springst von einem Punkt zum anderen ohne dazwischen eine Linie zu ziehen und wunderst dich dann, wenn andere nicht folgen können/möchten, aber das ist nur mein Eindruck. Mir ging es darum zu vermitteln, dass ich die hinter der Sucht liegenden Prozesse für zu komplex halte um die als Laie ohne massiven Zeitaufwand vollumfänglich begreifen zu können. Auch sind mir Fragen wie: "Ist ein trockener Alkoholiker noch abhängig?", einfach nichts. Du kennst die Antwort doch: Dein Stoffwechsel ist im Eimer und die Sucht schlummert, aber sie ist nie weg. Alles weitere dazu wären jetzt noch Wortklaubereien darüber, wie man eine schlummernde Abhängigkeit alternativ betiteln könnte, aber das überlasse ich den Leuten, die für die Beantwortung solcher Fragen bezahlt werden und die vor allem auch den nötigen Abstand zum Thema haben, weil sie halt selbst nicht Abhängig sind.

    Im übrigen Zweifel ich an, dass das Verstehen der Prozesse besonders viel hilft. Als Morphiumsucht noch "ein Ding" war, waren die Abhängigen großteils Ärzte, die ganz genau wussten, worauf sie sich da einlassen, nur, das hat ihnen halt auch nicht geholfen...

    Ich gebe mal kurz meine Fünf Cent zu dem Thema dazu. Achelias, du hast ja schon gemerkt, dass mich die hinter der Sucht liegenden Prozesse auch interessieren. Nun, bei mir läuft das tatsächlich unter "Hobby", weil bis auf die Tatsache, dass ich einen wissenschaftlichen Beweis dafür habe, warum es mir schlichtweg schier unmöglich ist, nach dem ersten Tropfen noch aufhören zu können, mir das beim Umgang mit der Sucht keinen Deut weiterhilft.

    Ich finde das zwar alles interessant, aber verstehen werde ich es nur schwerlich, da hier mehrere komplexe Systeme (Belohnungssystem, Stoffwechsel, etc.) ineinander greifen und da fehlt mir schon alleine die Zeit für und selbst wenn ich es wüsste: Das interessiert die Sucht einfach nicht. Wie schaffe ich es, die erste Flasche stehen zu lassen und wie schaffe ich es, zufrieden damit zu sein, dass diese Flasche stehen geblieben ist, das ist am Ende des Tages doch die entscheidende Frage, oder liege ich da falsch?

    Schonmal darüber nachgedacht, dich mit Studenten oder Professoren auszutauschen? Ist nicht böse gemeint, aber die meisten interessiert die Wissenschaft hinter der Sucht einfach nicht besonders denke ich und das kann auf Dauer dann vielleicht eher frustrieren als alles andere...

    Tag 403: Ich bin gerade einfach nur müde. Erstmal folgendes: Ich komme gerade von der Suchtberatungsstelle. Wir haben uns eine Stunde unterhalten und auch von dort habe ich folgendes gehört: Einfach aufhören mit dem Kiffen. Alternative wäre, mich jetzt für paar Monate stationär behandeln zu lassen, weil, ich glaube das hatten wir schon mal, ambulant gibt es hier auf die Schnelle einfach nichts. Ich werde trotzdem mal zum Hausarzt gehen die Tage und mir eine Überweisung für eine psychologische Behandlung geben lassen. Verdacht auf drogeninduzierte Psychose ist da, aber die Psychose ist mittlerweile wieder abgeklungen. Nichts davon ist übrigens ausschließlich auf meinem Mist gewachsen, das ist das Ergebniss des Gesprächs und wie schon angedeutet: Die Frau ist Profi in dem Bereich und meine letzte Instanz in Suchtfragen. Ich höre auf das, was sie sagt.

    Nachsorgetermin ist in einem Monat und ich schreibe gerade hier, weil die Online-Selbsthilfegruppe speziell für Cannabisentzug gerade offline ist. Da hätte ich jetzt sonst einen Chattermin, ist aber nicht wahrnehmbar, wenn ich die Seite nicht aufrufen kann.

    Im Großen und Ganzen geht's mir gut. Die Reste, die ich noch da hatte, habe ich entsorgt und ich bin auf paar Tage mit schlechter Laune und Einschlafproblemen vorbereitet. Einschlafprobleme hatte ich allerdings vorher schon, da ändert sich jetzt nicht viel.

    Ich hoffe das reicht, um als begleiteter Entzug durchzugehen. Der Hausarzt könnte auf die Schnelle auch nichts machen, außer mich in die stationäre Therapie zu schicken und das ist für mich gerade keine Alternative. Ansonsten werde ich die Tage genießen und wenn ich mich zu gestresst fühle, zieh ich mich zurück und rechne mir aus, wie viel Geld ich diesen Monat sparen werde. Das hilft erstaunlich gut, denn ich bin die letzten Monate immer ganz kurz vor knapp gewesen und schon Schuhe kaufen war finanziell ein ziemlicher Akt. Für Nachfragen bin ich offen, ansonsten wünsche ich euch erstmal noch einen schönen Tag.

    Ich weiß, während einer der Trinkpausen, die ich in meiner nassen Zeit hatte, wurde ich von offizieller Seite, durch einen psychologisch geschulten "Coach" in der Vorstellung gestützt, ich könnte kontrolliert trinken. Die Folgen waren katastrophal, der Mann ist gekündigt und die großartige Mitarbeiterin der Suchthilfe sagte daraufhin zu mir: "Das ist nicht schön, aber sie sind ein erwachsener Mensch." Das waren wichtige Worte für mich in dem Moment. Da Begriff ich auch zum ersten Mal wirklich ein bisschen, was das heißt, Alkoholkrank zu sein und wie fatal das ist, wenn man Fehler macht.

    Der (für mich) sinnvollste Hinweis zum Thema Alkoholismus in letzter Zeit kam allerdings tatsächlich von der Zahnärztin. Sie sprach davon, dass der Schaden irreversibel wird, sobald der Stoffwechsel einmal gekippt ist und "erfolgreich" auf Alkoholversorgung geschaltet wurde. Der Körper erinnert sich und das ist der Grund, warum ich nicht nur ein Glas trinken kann, weil mein Körper nach Alkohol SCHREIEN würde, sollte ich es tun. Überhaupt nichts trinken ist bedeutend leichter, als sich mit einer solchen Schädigung noch arrangieren zu wollen. Es geht auch gar nicht: Tötet mich. Punkt.

    Das ist ein ziemlicher Hammer mit Mitte 30. aber ich bin im Grunde sehr erleichtert darüber: Ich habe Alkohol noch nie wirklich gemocht und vor meinem Neunzehnten Lebensjahr keinen Alkohol zu trinken, war die allerbeste in einem an schlechten Entscheidungen reichen leben.

    Ich möchte hiermit auch Hanseat recht herzlich wieder begrüßen, von dem ich hoffe, dass er sich kleine bleibenden Schäden zugezogen hat, denn Alkohol ist verflixt gefährlich, wie wir alle gut wissen. Ich hoffe du erholst dich gut und kommst hier wieder in Ruhe an. Das Leben geht weiter, zur Not auch einen Tag nach dem anderen.

    Was hast Du damit gewonnen, eine Sucht gegen eine andere zu tauschen?

    Sollte die Frage nicht ohnehin rhetorischer Natur sein, die Antwort lautet: Nichts. Eine Sucht ist immer teuer, belastend und erzeugt Unmengen an Stress. Das vermeintliche Qäntchen an Entspannung, dass man sich dann durch Konsum wieder reinholen möchte, ist die verschlissenen Tage einfach nicht wert, bei egal welcher Droge.

    Ich hatte mich bislang einfach noch nicht damit abgefunden, dass an dieser Tatsache nichts zu rütteln ist und da habe ich dann schon Gegenargumente ohne die Rückfallgefahr zu Alk überhaupt einrechnen zu müssen. Ich schätze als neutraler Beobachter muss man zu dem Schluss kommen, dass ich eventuell einfach noch ein bisschen Lebensmüde war. Nicht im Sinne von, sich umbringen, sondern im Sinne von: Die einfachen Lösungen vorziehen, weil man sich nicht so sehr mit den eigenen Problemen beschäftigen möchte. Da scheinen viele dran zu scheitern und das möchte ich nicht.

    Ich möchte mich auch nicht als Menschen begreifen, der jetzt wieder soweit hergestellt ist, dass er einer Arbeit nachgehen kann und gut ist. Das Thema, in das ich hier reingeschlittert bin, gibt genug her um für den Rest des Lebens ein erfüllendes "Hobby" daran zu haben und gleichzeitig eigene Rückfallprävention zu betreiben. Diese Sichtweise sollte ich mehr verinnerlichen, dann habe ich auch wieder mehr Freude im Leben.