Ich möchte mir heute einfach mal was von der Seele schreiben: Ich habe vorhin die Stimme meines Bruders gehört, er hatte meinen Vater angerufen und ich stand in der Nähe. Mein Bruder und Ich wurden getrennt, als ich 8 Jahre alt war (er ist 5 Jahre älter) und meine Eltern sich geschieden haben. Mein Vater nahm mich mit nach Berlin, mein Bruder blieb in Süddeutschland bei meiner Mutter. Wir konnten nie ein gesundes Verhältniss zueinander aufbauen und irgendwann wurden auch normale Konversationen eher schwierig. Während ich die Alkoholsucht und Drogenexperimente mitgenommen habe, hat mein Bruder massive psychische Störungen mitgenommen. Ich brauchte beispielsweise mal dringend eine Unterkunft und er hatte zu diesem Zeitpunkt eine ungenutzte Mietwohnung. Er hatte mir ohne große Diskussionen den Schlüssel übergeben, aber diese Wohnung war fast das schlimmste was ich in meinem Leben gesehen habe - und ich habe jede Menge übles Zeug gesehen.
Es gab zwischen dem ganzen Müll in der Wohnung exakt einen freien Pfad, den man noch nehmen konnte. Klar, irgendwie musste er ja noch vom Computer zur Toilette und zurück kommen. Zu der Zeit kam ich noch halbwegs zurecht und ich habe die Wohnung im Rahmen meiner Möglichkeit und mit Unterstützung eines Freundes zwar nicht grundsaniert, aber in einen deutlich besseren Zustand gebracht. Irgendwann brauchte ich die Wohnung nicht mehr, gab ihm den Schlüssel zurück. Tenor danach war: Ich hätte seine Wohnung verwüstet. Ich bin heute noch, nicht wütend, aber verdammt traurig wenn ich daran denke, wie kaputt das eigentlich alles war. Auch an das Lachen meiner Mutter erinnere ich mich noch, als ich sagte, dass ich die Wohnung nur betrunken aushalte. Das fand sie lustig, warum auch immer.
Als wir uns ca. ein Jahr später, ich hatte dann was zur Untermiete in Berlin gefunden, wieder trafen und ich mir dabei ein Bier kaufte, da lag so viel Ekel in seinem Blick, kann ich gar nicht beschreiben, aber war schon richtig so. War dann auch erstmal unser letztes Treffen.
Heute scheint er ganz gut zurechtzukommen. Er hat eine Frau gefunden, mittlerweile eine Tochter und einen ordentlichen Job. Solange das läuft, wird er zurecht kommen, da bin ich recht zuversichtlich, aber sollten die sich mal trennen: Der Sturz könnte sein letzter sein.
Was mein Bruder bräuchte, wäre eine Therapie denke ich, aber darum soll es nicht gehen. Ich wollte mir das gerade wirklich nur von der Seele schreiben, weil das meine Gedanken sortiert und etwas von dieser tiefen Trauer, die ich irgendwo in mir wohl immer mitragen werde, ein Ventil gibt. Er ist mein Bruder, ein Mensch für den ich fast alles zu tun bereit wäre, aber gleichzeitig ist er mir immer fremd geblieben. Vermutlich wird es einfach Zeit für eine Aussprache zwischen uns, er muss furchtbar gelitten haben unter dem Alkoholismus meiner Mutter und der Behandlung durch deren geisteskranke Eltern. Die waren übrigens von Beruf Zahnärzte, was sie nicht daran gehindert hat, dem Kind Süßigkeiten zu geben, bis ihm die Zähne einfach weggefault sind. Das glaubt mir aus irgendwelchen Gründen nie jemand, aber es gibt Bilder davon und klar hat mein Bruder eine Macke weg, was seine Zähne angeht. Mittlerweile trägt er vermutlich zumindest ein Teilgebiss, aber das Reime ich mir nur zusammen, weil damals Gebisshaftcreme zwischen dem ganzen Müll in seinem Badezimmer lag.
Abgesehen davon, geht es aufwärts. Ich bin immer noch etwas genervt davon, dass die Cannabisselbsthilfegruppe durch den Servercrash weg war, aber ich habe da Dienstag nochmal eine Chat-Beratung vereinbart. Ansonsten komme ich mit dem Entzug gut zurecht, hin und wieder denke ich dran was zu holen, ja, aber der Entschluss ist final. Gedanken stattdessen Alkohol zu trinken, bringen mich eher zum schmunzeln, weil die Vorstellung so bescheuert ist: Ich will gesund sein und mich nicht umbringen, folglich kann Alkohol keine Lösung sein. Alles andere kriege ich schon irgendwie geklärt, aber dorthin will ich nie mehr zurück.