Langsam kommt was an

  • Moin zusamm'!

    Wer mich nicht aus der Vorstellungsecke kennt:

    Ich bin männlich, 44, trinke seit meinem 16. Lebensjahr Alkohol – seit Ende der 90er problematisch, seit 2003 auf jeden Fall mißbräuchlich und kurz darauf mit Sicherheit abhängig.

    2005 war mal ein "freiwilliger" (na ja, der Arzt bemängelte den gammaGT) Versuch der Abstinenz. Der Erfolg ließ sich in Wochen ausdrücken, die Blutwerte danach waren OK, also wieder grünes Licht und Prost.

    Ende 2007 ging es einfach nicht mehr. Depressionen kamen dazu (oder waren sie schon da? Habe ich wegen der Depressionen gesoffen? Habe ich vom Saufen Depressionen bekommen? Man weiß es nicht...), ich hing nur noch durch, verschlief den halben Tag und mußte letztendlich nachts oder spätestens frühmorgens 'n Bier nachlegen.

    Immer schön den Tag dran lang, Spiegeltrinker also. Als Hausmann mit Nebengewerbe hat man ja den Vorteil freier Zeiteinteilung. Aber das kennt Ihr ja.

    Gut, 2008 kam der erste ernsthafte Anlauf: 3 Wochen qualifizierte Entgiftung. Ich habe danach noch ein paar Monate die Motivationsgruppe der Klinik besucht, jedoch kam ich zu dem Schluß, keine Therapie zu machen. Selbsthilfegruppe wollte ich auch nicht, das war nicht mein Ding.

    Ich wollte da alleine durch, schließlich brauchte ich ja einfach nur nicht mehr zu trinken. Es hat auch zwei Jahre funktioniert.

    Dann habe ich mich mit alkoholfreiem Bier wieder in die Richtung getastet und irgendwann auch mal wieder nach einem "Richtigen" gegriffen. Ein halbes Jahr habe ich es meiner Frau (und allen anderen) verheimlicht, bis ich schließlich wieder voll drauf war und merkte, daß ich es nicht in den Griff bekam.

    Nächste Entgiftung, danach 16 Wochen Stationäre, ambulante Nachsorgegruppe und auch AAs. Diesmal wollte ich alles richtig machen. Ich wollte mich ändern, damit meine Ehe erhalten bleibt; ich wollte Arbeit suchen (schließlich auch therapeutisch wertvoll sowohl bei Sucht als auch bei Depris); ich wollte allen zeigen, daß ich es schaffe.

    Nur geschafft habe ich es nicht, denn es hat sich nichts verändert.
    Vor allem ich nicht.

    Diese erste Therapie habe ich "machen lassen" – für andere. Danach setzte irgendwann Frust ein, weil alles so war wie vorher. Keine Arbeit, im Bett lief immer noch nichts, meine Frau entfernte sich zusehends von mir. Ich habe es nur nicht begriffen. Allerdings konnte ich den Frust ja nicht mit Alkohol bekämpfen.

    Nicht? – Doch. Und das tat ich irgendwann auch!

    Mai bis Oktober 2013 waren eine einzige Katastrophe. Trinkphasen, Entgiftungen – jeden Monat ein Zyklus. Ein Wochenende im Juli waren für mich drei Tage Blackout. Danach Antrag auf erneute LZT, die auch genehmigt wurde und Anfang November begann.

    Wieder war ich fest entschlossen, alles besser zu machen. Vor allem wollte ich unbedingt an meiner Ehe festhalten, weil ich meinte, daß diese für mich der größte Rückhalt und das Wichtigste im Leben wäre. Ich habe mich in den Indikationsgruppen und Einzelgesprächen außer zu Rückfallprophylaxe u.ä. vornehmlich in die Richtung Kommunikation, Vertrauensaufbau, soziale Netzwerke, Parternschaft usw. bewegt, weil ich dachte, damit was retten zu können.

    Allerdings war mir klar: Es reicht nicht, wenn ich allein mich ändere. Wenn eine Beziehung krankt (und das tat sie schon länger), gehören zwei dazu. Meine Frau hingegen war nicht bereit, an sich zu arbeiten, sondern sie hatte sich inzwischen soweit von mir gelöst, daß sie mir 10 Tage vor Ende meiner Therapie sagte, daß sie die Trennung durchziehen wollte und bereits eine Affäre hatte.

    Für mich brach erstmal alles zusammen.

    Und dann, in den letzten Wochen, passierte das, was wohl endlich mal passieren mußte:
    Ich habe gemerkt, daß


      1.) mehr dazu gehört als "nur nicht zu trinken"

      2.) ich Abstinenz nicht für irgendwen oder irgendwas leben kann, sondern nur für mich

      3.) ich auch alleine existenzfähig bin und mir (für mich!) schöne Zeiten machen und schöne Dinge unternehmen kann

    Die Zwölf Schritte der AA und das Büchlein "Heute" habe ich im letzten Jahr immer betrachtet und auch gleich hinterfragt nach dem Motto: "Kann man machen – muß man aber nicht", "Ist das wirklich notwendig, das so zu sehen?", "Ist das nicht nur so ein grober Leitfaden?", "Was der da jetzt draus macht..."

    Inzwischen ist es so, daß ich beim Lesen oder Zuhören immer öfter ein "So isses!" oder "Das ist ja genau wie bei mir" o.ä. denke. Es kommt an!

    Ich lasse es mehr an mich heran – und ich lasse auch mehr aus mir heraus, was auch Rückmeldungen zufolge anderen aufgefallen ist. Ich bin nicht mehr auf der Suche nach jemandem, dem ich die Schuld für all das geben kann, was passiert ist, was ich angestellt habe, sondern sage:

    Es ist Vergangenheit. Ich werde es nie vergessen, aber ich werde es auch nie ändern können. Ändern kann ich nur mich und das Heute (und darüber vielleicht ein bißchen die Zukunft). Und ich kann nicht heute den Rest meines Lebens perfekt bis in alle Einzelheiten planen. Das geht schief und führt zu Enttäuschungen, und die sind ja bekanntermaßen gefährlich für manchen. ;)

    Interessant und natürlich schön finde ich, daß ich trotz der Situation, in der ich jetzt stecke, nicht versuche, die alte "Medizin" zu nehmen. Vielleicht ist das auch einfach der Punkt in meinem Leben, der sich ändern mußte.

    Anfang der Woche stand im "Heute" etwas über den Groll. Er und seine Verwandten, die negativen Gefühle Kritiksucht, Selbstgerechtigkeit, falscher Stolz und vor allem Selbstmitleid sind ein "Luxus, den ein Alkoholiker sich nicht leisten kann". Für ihn ist es Gift.

    Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht, das Büchlein mit zum Meeting mitgenommen und vorgelesen. Wir hatten eine Basis für sehr anregende Gespräche.

    Vielleicht ist das jetzt das Erkennen der Höheren Macht, die Bereitschaft und der Weg zur Gelassenheit.

    Er wird noch lange nicht zu Ende sein, wie mir viele sagten. Vielleicht ist er nie zu Ende, sondern der Weg ist das Ziel. Irgend etwas wird kommen, irgend etwas wird passieren. Und es kann eigentlich nur besser werden – vor allem, wenn ich die Kontrolle darüber behalte.

    Ich wünsche mir, daß ich "auf Kurs" bleibe.

    __________________
    So denn, das war's...
    ...DFR

  • Hallo DFR,

    erstmal herzlich willkommen bei uns. Schön das du dich auch auf den Weg gemacht hast und außerdem auch hierher gefunden hast.

    Dein Schreibstil hört sich sehr lebendig an, liest sich gut.


    Das kenne ich auch und musste irgendwie lachen, eben weil es so typisch ist:

    Zitat von DFR

    ...also wieder grünes Licht und Prost.

    Ich glaube du bist schon auf einem sehr guten Weg angekommen, was ich deinen Gedanken entnehmen kann.

    Seit wann bist du jetzt trocken?

    Viele Grüsse
    Zotti

  • Moin Zotti!

    Zitat von Zotti

    Seit wann bist du jetzt trocken?


    Jetzt aktuell seit Anfang November 2012. Mann, das is' ja fast schon 'n halbes Jahr... :wink:

    __________________
    So denn, das war's...
    ...DFR

  • Guten Morgen DFR,

    auch von mir ein herzliches Willkommen :)
    Meinst du mit Mai bis Oktober 2013 das Jahr 2012? War wohl ein Tippfehler :lol:

    Ich finde auch, dass du auf einem guten Weg bist und habe Respekt, dass du nicht zu deiner "Medizin" gegriffen hast nach dieser Hiobsbotschaft. Immerhin hattest du dich vorher noch an deine Ehe geklammert.
    Dass du genau das richtige gemacht hast erkanntest du schon.
    Ich liebe es auch endlich wieder Dinge zu machen zu denen ich damals einfach nicht fähig war oder Lust hatte. Es ist ein ganz tolles Lebensgefühl das zurückgekehrt ist.

    Bleib auf diesem Weg, immerhin hast du ja schon fast ein halbes Jahr geschafft :wink:

    Liebe Grüße
    Verena

  • Hallo DFR,

    das ändert sich nun auch hoffentlich nicht mehr, Oder?

    Zitat von DFR


    Jetzt aktuell seit Anfang November 2012.

    Ich hab grad mein halbjähriges vollbracht und das fühlt sich schon richtig gut an. Somit sind wir in etwa gleich weit...

    Viele Grüsse
    Zotti

  • Hi DFR,

    Und herzlich Willkommen hier im Forum.

    Wow, das hier

    Zitat

    Der Erfolg ließ sich in Wochen ausdrücken, die Blutwerte danach waren OK, also wieder grünes Licht und Prost.

    habe ich damals haargenau so erlebt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, ich ließ mich voll und ganz auf den Fortgang meiner ja eigentlich beendeten Sauferei ein, und wusste dann aber gleichzeitig, dass dies meine Abhängigkeit endgültig besiegelte. Mir schaudert's heute noch ein wenig.

    Klick gemacht hatte es für mich dann endlich, als ich mich voll und ganz auf ein neues Leben einlassen wollte, und zwar gerne, ohne wenn und aber, und mit dem Blick 100 % auf die schon vor mir gegangenen Schritte der Langzeittrockenen gerichtet.

    Zufriedene Abstinenz ist der richtige Weg, aber wie ich herauslese, weisst Du das ja schon.

    Gruß, Bruce

  • Hallo lieber DFR, :D

    sei herzlich willkommen in unserer Runde.
    Auch ich lese mich durch diverse Lektüre, unter anderem auch durch die von dir erwähnten Büchlein.

    Und auch ich kann mit so manch Geschriebenen darin etwas anfangen, und es in meinen Alltag integrieren.

    Mich freut es, dich so aktiv und reflektierend zu lesen.

    Liebe Grüße
    Lito
    :wink:

  • Moin Bruce!

    Zitat von Bruce

    Zufriedene Abstinenz ist der richtige Weg, aber wie ich herauslese, weisst Du das ja schon.

    Ja, das weiß ich. Und ich weiß auch, daß Zufriedenheit das Wichtigste ist.
    Unzufrieden trocken zu sein ist nicht von Dauer.

    Und ich weiß auch, daß es schwierig ist, das immer hinzubekommen.
    Und daß ich dafür viel Geduld brauche.

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    ...DFR

  • Hallo DFR,

    willkommen hier bei uns im Forum :)

    Ohne Frage ist es wichtig, grundsätzlich zufrieden zu sein, um trocken zu bleiben. Doch ist es auch ein Trugschluss zu meinen, dass man Dauerzufrieden sein kann, dass geht aus meiner Sicht nicht. Wir sind Menschen mit Höhen und Tiefen. So finde ich es viel erstrebenswerter auch Zeiten der Unzufriedenheit mit sich aushalten zu können, da sie nun mal zum Leben dazu gehören.

    Lieben Gruss Martha

    Achte auf deine Gedanken, sie sind der Anfang deiner Taten ...

  • Moin Martha!

    Zitat von Martha66

    So finde ich es viel erstrebenswerter auch Zeiten der Unzufriedenheit mit sich aushalten zu können


    "Zeiten", ja, sicher. Vorübergehende Phasen.

    Aber im Grunde sollte man mit dem gewählten, trockenen Leben schon zufrieden sein und nicht ständig damit hadern; sich nicht fühlen, als ob man sich was verkneifen, auf etwas verzichten müßte und irgend etwas nachtrauern (nämlich dem Trinken). Dann geht es schätzungsweise schief.

    Und wie heißt es so schön:
    Ein solides Fundament ist die Basis einer jeden Grundlage.
    :wink:

    So denn, das war's...
    ... Dirk

    __________________
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  • Hallo Dirk,

    da muss ich Dich wohl missverstanden haben :) Mit Deiner Trockenheit oder Abstinenz solltest Du auf jeden Fall zufrieden sein. Ist sie ein Verzicht für Dich oder würdest Du der Trinkerei nachtrauen halte ich das für extrem rückfallgefährdet.

    LG Martha

    Achte auf deine Gedanken, sie sind der Anfang deiner Taten ...

  • Hallo Dirk,

    gerade habe ich Deinen Bericht gelesen. Zuerst gratuliere ich Dir zu Deinem vollen halben Jahr, klasse gemacht und "weiter so!" kann ich nur sagen. Tusch!

    Deine Stationen über die vielen Jahre sind für mich beängstigend und beeindruckend zugleich. Am besten aber finde ich, daß Du hier genau darüber offen berichtest. Ein Grundbaustein zur zufriedenen und stabilen Trockenheit ist Ehrlichkeit zu sich selbst. Mit einem schonungslosen Bericht fing es auch bei mir an und dieser Prozess hat mich dahin geführt, wo ich heute bin.

    Als ich Begriff, daß niemand außer MIR SELBER Schuld an meinem Elend ist, endete mein Leidensweg. Von da an blieb ich ehrlich zu mir und fragte mich bei allem, was ich tat: "Will ich das?". Ich versuchte, mich auf mich selber zu konzentrieren - das klappte (meistens).

    Du bist auf einem guten Weg. Bleib´da drauf!

    LG Peter

  • Hallo Dirk,

    wo steckst du denn ?, lass doch mal was von dir lesen :lol:

    LG Martin

  • Moin Martin!

    Ich stecke zu Hause ,-)
    Einfach nur viel um die Ohren im Moment, aber alles im grünen Bereich.

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  • Bei mir ist irgendwie inzwischen alles anders gekommen, aber das ist vielleicht auch gut so.

    Nach der Aktion mit dem Praktikum (das hatte sich ja dann erledigt) habe ich per Psychiater die Aufnahme in unserer Tagesklinik angeleiert, wo ich die Depressions-/Panikschiene noch bearbeiten möchte. Entweder ich bekomme die Gründe heraus oder zumindest Anlässe, bei denen ich vorsichtig sein muss und am besten schon eine Taktik parat habe – oder zumindest Mittel und Werkzeuge, damit umzugehen.

    Das kann durchaus zum Jahresbeginn schon losgehen da.

    Medikamente auf Dauer möchte ich möglichst nicht. Da werde ich aber wohl auch noch mal einen Versuch mit homöopathischen Präparaten starten (ist mir von einer Chatkollegin aus eigener Erfahrung wärmstens empfohlen worden).

    Tja, und die Therapie kann durchaus Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung beinhalten, das ist dann bestimmt besser, als alleine gegen die Wand zu fahren. Vielleicht war das Thema Ausbildung jetzt so "aus dem Stand" nach 12 Jahren zu Hause auch einfach zu hoch gegriffen, dass da Versagensangst mit bei war...

    Aber wie auch immer, es geht weiter. Und Schritt für Schritt ist wahrscheinlich ohnehin besser als alles auf einmal.

    Ich habe jetzt ein Jahr trocken rum und fühle mich dahingehend auch stabil. Und das soll so bleiben :!:, und dafür tu ich halt noch was.

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    ...DFR

  • Moin Karsten!

    Ja, danke! :D

    ...ich hätte jetzt im fünften Jahr sein können, wenn ich nicht fast zwei Jahre lang soviel Mist gebaut hätte... :cry:

    Aber es ist, wie's ist – und jetzt ist es gut.
    Das ist das Wichtigste.

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