Erfahrung kalter Entzug/Lebensgefährte

  • Ich hab das Bedürfnis, mir diese Last von der Seele zu schreiben und andere vor solch einer Erfahrung zu schützen/warnen.

    Mein Lebensgefährte (Ex) wollte mir damals beweisen, das er es ernst mit uns meint und wollte einen Entzug zu Hause machen. Ich hatte zwar ein mulmiges Gefühl ,(auf das ich, hätte hören sollen) stimmte dem kalten Entzug aber zu. Er schwitze und zitterte schon ziemlich stark als er bei mir zu Hause ankam aber das hatte er bei anderen Entzügen die er alleine in seiner Wohnung vollzogen hatte auch schon. Krampfanfälle hatte er bis Dato laut seiner Aussage noch nie vorher gehabt. Wir haben uns dann über unsere gemeinsamen Pläne unterhalten, kümmerte mich darum das er genug Wasser trank und wechselte regelmäßig seine durchschschwitzte Kleidung. Alles war den Umständen entsprechend in Ordnung, dachte ich.. Ich legte mich dann gegen 22:00 Uhr ins Bett, er wollte noch bisschen vorm Fernseher bleiben.

    Gegen 2:00 Uhr weckte er mich und wollte mir unbedingt sofort etwas erzählen. Er stammelte irgendwas von:" komisch hier in diesem Zimmer hab ich das nicht". Ich wusste im ersten Moment überhaupt nicht was los ist und fing schlagartig an mir Sorgen zu machen. Er erzählte mir das er ein bestimmtes Lied hört und mit seinem Vater (der leider nicht mehr lebte) gesprochen hätte und er nun weiss was zu tun ist und das er weiss das er mich liebt aber das gerade nicht fühlen kann. Er wollte mir alles aufschreiben aber das hätte nicht funktioniert. Ich wusste das jetzt ganz gewaltig etwas schief läuft und mir schoß das Wort Dilirium in den Kopf. Ich versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben, innerlich hatte ich große Angst. Er legte sich dann hin und ich beruhigte ihn. Er schlief dann ein ( er hatte 3 Tage zuvor kaum bis garnicht geschlafen) und ich rief den Krankenwagen.

    Als sofort danach, nach ihm schaute war der Krampfanfall im vollem Gange. Ich blieb bis zum Ende des Anfalls bei ihm. Man kann sich nicht vorstellen was ich für eine Angst empfunden habe und wie lang es mir vorkam bis der Krankenwagen eintraf. Der Krampfanfall löste sich und er wusste natürlich nicht wo er sich gerade befand und wollte unbedingt los laufen, ich versuchte ihn daran zu hindern aber es war zwecklos zum Glück klingelte es dann auch endlich an meiner Tür. Ich erklärte den Rettungskräften kurz was passiert war und untersuchten kurz seine Pupillenreflexe. Sie fragten ihn nach seinem Namen, Adresse, wie alt er ist, welches Jahr wir haben. Er konnte nichts davon beantworten, er schaute mich hilfesuchend an. Sie nahmen ihn dann mit und als die Tür ins Schloss fiel, fing ich hemmungslos an zu weinen. Ich packte ein paar Sachen ein und fuhr in die Klinik, dort bekam er noch einen 2. Anfall bei dem er sich auch noch am Kopf verletzte. Er kam auf die Stroke Unit und ich musste draussen vor der Tür warten. Wir waren ja nicht verheiratet und ich hatte Angst das ich keine Auskunft bekommen würde. Gefühlt saß ich mit meiner Angst um ihn, stundenlang vor dieser Tür die mich von ihm trennte. Der Arzt kam heraus und fragte mich ob ich herein kommen würde um meinen Lebensgefährten zu beruhigen da er um sich tritt und nach mir ruft. Ich ging dann mit und sah ihn blutverschmiert, eingenässt, voller Angst und in einem erbärmlichen Zustand vor mir liegend. Ich konnte ihn zum Glück beruhigen. Er wurde sediert und fixiert, was mich fertig machte... er wirkte auf mich wie ein Kleinkind und ich hatte Angst das er Schäden die nicht wieder reperabel sind , davon getragen haben könnte. Die nächsten Tage folgten Untersuchungen und es war anscheinend nicht sein erster Krampfanfall was man auf den CT Bildern gut erkennen konnte. Sein Hirn hatte auch schon angefangen zu "schrumpfen" was auf den jahrelangen Alkoholmissbrauch zurück zu führen war. Ich war geschockt aber gleichzeitig dachte ich, nach so einer schrecklichen Erfahrung würde er sicherlich nicht wieder anfangen zu trinken. Er erholte sich langsam und kam wieder zu Kräften und ich war so glücklich das es ihm wieder besser ging. Leider war alles Hoffen umsonst und es war nicht sein letzter Entzug aber zumindestens keine kalten Entzüge mehr. Es war eine sehr traumatische Erfahrung und ich rate jedem davon ab es auf so einen Versuch ankommen zu lassen, es war lebensgefährlich für ihn und auch mich hätte es in eine gefährliche Situation bringen können.

  • Hallo Luna,

    ich hoffe, dein Erfahrungsbericht wird von vielen, vielen Menschen gelesen.

    Danke fürs Teilen deiner traumatischen Erfahrungen.

    Lieber Gruß, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Luna,

    vielen Dank für deinen Bericht, der bestimmt nicht einfach zu schreiben war. Ich hoffe auch, dass ihn viele lesen und etwas davon mitnehmen können.

    Nur eine Idee an die Mods:

    Diesen Beitrag könnte ich mir sehr gut als angepinnt im Vorstellungsbereich vorstellen. Vor allem als Warnung für alle, die einen kalten Entzug starten wollen.

    Vielleicht kann man ihn dorthin ja auch kopieren?

    Liebe Grüße

    Twizzler

  • Hallo Twizzler,

    wir haben ihn jetzt an zwei Stellen im Angehörigen- und auch im Alkoholikerbereich. :)

    Liebe Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Auch ich hatte vor 15 Jahren die "grandiose Idee" einfach nichts mehr zu trinken.

    Ich ernährte mich von Bachblüten Notfalltee und pendelte mit meinem Moped zwischen Fernseher und Caritas, PC und Kreuzbund hin und her, während ich immer nervöser und ängstlicher und kaltschweissiger wurde. Ich hatte Prädeliranfälle, Wahnvorstellungen und massive Herzrhythmusstörungen. Meine Lebensgefährtin war völlig überfordert und meinen Stimmungsschwankungen hilflos ausgesetzt (wie zuvor meiner Sucht).

    Schließlich nach drei Wochen fiel einem anderen Gast in der Selbsthilfegruppe auf, daß in meinen Erzählungen nie das Wort stationäre Entgiftung vorkam und fragte mich ganz entsetzt ob ich denn nicht wüsste wie gefährlich das sei.

    Daraufhin fuhr ich umgehend zur Bezirksklinik und lieferte mich selber ein.

    Das war buchstäblich Rettung in letzter Minute.

  • In meiner nassen Zeit, in der ich in unregelmäßigen Abständen von einer Entgiftung in die nächste gewandert bin, blieben kalte Entzüge leider nicht aus.

    Im Nachhinein erinnere ich mich an zwei Gegebenheiten besonders:

    Ich lag nachts im Bett und war mitten im Entzug. Mein Vater war in der Wohnung, drei Meter hinter der nur angelehnten Tür, durch die das Licht des Wohnzimmers und das flimmern des Fernsehers fiel.

    Plötzlich wimmelten irgendwelche Viecher um mein Bett herum. Die genaue Art kann ich auch heute nicht bezeichnen.

    Das schlimme daran war die Hilflosigkeit...ich konnte mich weder bemerkbar machen noch aufstehen. Nur beobachten und zittern. Und hoffen das mein Herz nicht explodiert.

    Dieses Gefühl in mir bin ich bis heute nicht ganz losgeworden. Es ist der Beweis dafür, das ein kalter Entzug nachhaltig die Psyche zerstören und die Seele schädigen kann.

    Das zweite war der tatsächliche Griff zu Parfum und Spiritus. Das wird man auch nicht mehr los.

    Ich habe diese Scene übrigens Jahre später im Film " Rückfälle " wiedererkannt. In allen Einzelheiten. Zitternd, die Umwelt nicht mehr wahrnehmend , von brutaler Angst geschüttelt.

    Für mich übrigens der beste Film zum Thema.

    Krampfanfälle hatte ich zum Glück keine, jedoch habe ich mal live einen miterlebt.

    Und das, man glaubt es kaum, in meiner Langzeitreha.

    Nach wochenlangem Aufenthalt, am hellichten Tag im Speisesaal beim Mittagessen. Das geschulte Personal war schnell und hat funktioniert wie ein Uhrwerk.

    Der Therapeut hat uns hinterher erzählt das soetwas ab und zu vorkommt. Auch nach längerer Zeit ohne Alk.

    Rückblickend sind das Mahnmale, welche von keinem Arzt oder Therapeuten vermittelt werden können. Und sie sind ein Zeichen für meine Machtlosigkeit gegenüber diesem Suchtmittel.

    m. , Bj. 67 :wink: , abstinent seit 2005

    Wir gehen unseren Weg, weil wir nur den Einen haben. Hätten wir mehrere zur Auswahl, wären wir total zerrissen und unglücklich. Einzig die Gestaltung unterliegt uns in gewissen natürlichen Grenzen.

  • Du lieberLuna46!!! Es tut mir sehr sehr leid, was du da erleben musstest!!! Wahnsinn, dass er danach wieder getrunken hat. Man sieht daran, wie unglaublich schwer das alles ist…..

    ich wünsche Dir, dass du Dich von diesem Erlebnis ganz gut erholen kannst und dass Du nie wieder so etwas erleben musst.

    Danke fürs teilen. Mein Mann will auch immer alles am liebsten alleine hinbekommen!!! Dein Bericht macht mich vorsichtiger!!!!!

  • Hallo DSE,

    Ich sehe es aus heutiger Sicht anders und ja es war schwer für mich aber all diese krassen Momente haben mich dazu veranlasst über das Leben was ich da gelebt habe nachzudenken und mich davon zu trennen. Wenn ein Mensch alle Warnschüsse in den Wind schießt, dann ist es eine Entscheidung für die Sucht und ist frei gewählt und keiner ausser der Mensch der sie betreibt, kann etwas daran ändern. Das es möglich ist, beweisen ja genug trockene Alkoholiker die alle nötigen Schritte gegangen sind. Wer nicht will darf Selbstmord in Raten begehen und die, die all das unterstützen wollen und bereit sind mit unterzugehen auch. Auch wenn es hart klingt ..jeder ist seines Glückes Schmied. Liebe Grüße, Luna

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