Warum werte ich meine Situation ab?

  • Hallo Ihr,

    ich habe in letzter Zeit immer mal wieder gelesen, daß es Sätze gibt wie:

    *naja, meine Situation ist ja nicht so schlimm*

    *Anderen gehts ja viel schlechter als mir*

    *wenn ich an das Leid von der und der denke, schreib ich mal lieber nicht mehr..mir gehts ja dagegen gut.*


    Wie seht Ihr das? Ist es nicht eine Abwertung der eigenen Person? Oder ist es Rücksichtsnahme?

    Lieben Gruß

    S.Käferchen

  • hallo liebes käferchen! :D

    nach MEINER meinung/erfahrung ist es wiedermal nur ein DEUTLICHES merkmal MEINER EIGENEN KRANKHEIT!

    ist es nicht so, das ICH mich in laufe meiner krankheit ,"gewöhne"an alle arten von gewalt und grausamkeiten!?und mich ihnen auch anpasse!?und das soweit das ich meinen natürlichen fluchtinstinkt nahezu vollauf verliere...
    diese(meist bereits in der kindheit)angelegte hilflosigkeit führt zu einer gewöhnung an das TÄGLICHE entsetzen

    "is ja alles nich so schlimm" :twisted:

    realität ausblenden :roll:

    MICH SELBST NICHT WICHTIG GENUG NEHMEN! :cry:

    nach dem motto:lieber das bekannte UNGLÜCK,als das unbekannte GLÜCK!

    lass ich selbst, dieses merkmal NICHT LOS(wie du es so schön beschreibst)..ach mir gehts ja im gegensatz zu der oder dem "echt gut",versperre ich mir den zugang zu mir, als mensch, der auf dem weg ist SEINE GESUNDHEIT wiederzuerlangen/wiederherzustellen


    liebe grüsse caro :wink:

    dem was über mich einstürmt,möchte ich gelassen gegenüber stehen...

  • Hallo Käferchen,

    der Gedanke – anderen geht es noch schlechter – ist mir in manchen Situationen auch bekannt.
    Ich kämpfe seit 5 Jahren um meinen Arbeitsplatz. Nach Auslagerung meiner Abteilung (Datenverarbeitung) und Schließung von Standorten bin ich von einem Platz zum anderen verschoben worden, teilweise mit Umzügen in andere Bundesländer. Gehaltsabzüge von ca. 30 % und immer wieder die Drohung Betriebsbedingte Kündigung. Zurzeit warte ich täglich auf die Kündigung (2 Jahre arbeitslos dann ab 60 ab in die Rente mit allen Abzügen).
    Wen ich dann im Fernsehen Berichte über insolvente Unternehmen und ihre betroffenen Mitarbeiter sehe, ist es schon so – denen geht es noch schlechter, dagegen geht es mir noch verhältnismäßig gut -.

    Es gibt bestimmt in allen Lebensarten gleiche Vergleiche. Dieses –es hätte alles noch schlimmer kommen können – ist wohl eine Art Selbstschutz um seine Situation erträglicher zu machen.

    So meine Gedanken dazu.


    Gruß

    Weißbär

    Liebe Grüße
    Weißbär

  • Hallo Käferchen,

    wenn ich so denken würde, wäre das keine Rücksichtnahme, sondern eine Verniedlichung meiner eigenen Situation.

    Sicher gibt es Menschen, die weitaus länger und mehr trinken, als ich es getan habe / tue, es gibt viele, die es tatsächlich nicht einen Tag ohne aushalten bzw. ohne Entgiftung es gar nicht allein schaffen könnten (kalter Entzug), aber das ist für mich kein Grund zu schreiben, hier bin ich fehl am Platz.

    Alkoholismus hat viele Gesichter, nicht umsonst stuft man ja von Alpha bis Epsilon ein und auch ich Missbräuchlerin gehöre nun mal dazu, jemehr mir das bewusst wird, umso leichter fällt mir das Schreiben und sicher auch der Verzicht.

    LG euer Neuling rose71

  • ****unterschrieben***** den Beitrag von Nemesis*****

    Auch ich halte es für einen Weg sich selber zwar zu beschweren, wie schwer alles ist, aber sich dann immer noch in die Sicherheitszone zurückzuziehen im Sinne von "sollen erst mal die handeln, denen es vermeintlich schlechter geht"....

    Blaubärs Äußerung jedoch sehe ich in einem ganz anderen Licht, denn Job ect. sind Dinge, die das Leben bestimmen, finanzieren und am Laufen halten. Dass Jobs nicht vom Himmel fallen wissen wir alle und somit hat Blaubär in meinen Augen das "Recht" in einem solchen Fall solche Vergleiche zu ziehen.

    Blaubär kann derzeit in der jetzigen Situation nicht so sehr viel tun - ein Angehöriger sehr wohl!!!!

    Auch kriege ich ganz dicke Backen, wenn ich lese, wer alles (Arzt, Krankenhaus, Suchtberatung ect.) den armen Leidenden gerade jetzt im Stich gelassen hat, wo er doch gerade jetzt aussteigen will....

    Hallo, will er/sie es wirklich, so bin ich mir sicher, dass es Überbrückungshilfen gibt bis zum Zeitpunkt der Entgiftung - im Notfall über den Hausarzt! Nehmt es mir nicht übel, aber als Angehöriger wieder einmal andere dafür verantwortlich zu machen, dass nicht gerade jetzt sofort geholfen wird finde ich nahezu unverschämt.
    ... und das am Besten dann, .... wenn es vor ein paar Tagen "noch nicht so schlimm war"....

    Ob Alkoholiker oder Angehöriger: entweder ich bin mir wichtig und betrachte mich in meinem Wunsch mich zu verändern ohne Vergleichsmenschen an meiner Seite, oder ich lasse es am Besten....

    HEY - ich will kein Co mehr sein, egal wie wenig oder stark ich es jemals war. ER oder SIE will kein Alkoholiker mehr sein, egal wieviel oder wie wenig wie oft er/sie getrunken hat und wie fertig der Körper ist oder mit oder ohne Job .....

    Ich kann das nicht, ich kann jenes nicht, er ist schlimmer dran, sie ist asozialer, und was weiß ich für Vergleiche jeder Mensch immer ziehen kann. Es wird immer "andere" geben, denen es besser oder schlechter geht! ICH will MEINE Situationen ändern, das spielen die "Besseren" oder "Schlechteren" absolut keine Rolle.... sollte ich es ernst meinen....

    Lieben Gruß von Dagmar

  • Hallo Käferchen,

    dieses „nicht so schlimm“ ist für ganz einfach die Legitimation, nichts verändern zu müssen. Wobei es für mich immer schlimm war und ich deshalb auch etwas verändert habe. Aber oft lese ich auch:“.... wenigstens schlägt er mich nicht...“ und denke mir, willst du erst warten, bis du geschlagen wirst, um etwas zu verändern?

    Ich glaube, wir Co´s haben einfach ein unbeschreibliches Talent dafür, uns immer wieder und wieder alles mögliche schönzureden. Wir biegen uns unsere Sicht vom Leben so zurecht, dass wir sie ertragen können. Es ist meiner Meinung keine Abwertung der eigenen Person, die dahintersteckt, sondern die Angst vor der Veränderung. Was ich habe, weiß ich, auch wenn es ein trinkender Partner ist und dadurch eine schlechte, ausbeutende Beziehung. Aber was danach kommt, macht Angst. Ungeübt im alleine leben, u. U. mit Kindern, ohne eigenes Einkommen, ist es schier überlebensnotwendig, sich die Situation erträglich zu reden. Auch die unter uns, die auf den ersten Blick stark und lebenstüchtig erscheinen, verstecken dahinter in der Regel ein kleines Selbstwertgefühl, das es scheinbar für unmöglich hält, das Leben alleine, ohne den Alki zu meistern.

    Mir sind Frauen begegnet, vor denen jeder den Hut ziehen würde darüber, was sie so alleine auf die Reihe bekommen. Wenn sie aber in die Lage versetzt werden, sich aus einer schlechten Beziehung zu verabschieden, mutieren sie zu kleinen Mädchen, die ohne Mann hilflos und nicht wirklich lebensfähig sind. Eine Situation, die dann „eigentlich doch nicht so schlimm ist“, erspart ihnen die Trennung.

    Für mich ist diese quasi „Verniedlichung“ der eigenen Situation ein Selbstschutz, der teilweise bis hin zum Realitätsverlust betrieben wird.

    LG
    Ette

    Im Schmerz von gestern liegt die Kraft von heute.
    ("Handbuch des Kriegers des Lichts" v. P.Coelho)

  • Hallo Käferchen!

    Als ich zur Kur war, dachte ich auch noch oft:
    Bei mir ist es ja nicht so schlimm. Auch seelisch. Die anderen haben es doch noch viel schwerer.
    Aber am Ende der Kur war ich weiter.
    Für mich war meine Situation schlimm gewesen. Ich hatte schwer zu tragen, zu leiden gehabt.
    Das konnte mir keiner abnehmen, hat auch keiner.
    Mit der Findung zu mir selbst habe ich auch die Wichtigkeit erkannt, wie sehr mich die Krankheit meines Mannes betroffen hat. Kein anderer hat in mich hineinsehen können, und sehen können, wie sehr ich leide.
    Nur ich selbst.
    Ich bin auch zu der Erkenntnis gekommen, dass ICH nicht in die anderen hineinsehen kann, also auch nicht weiss, wie schwer ihr Päckchen ist, das sie tragen müssen. :wink:
    Also kann ich mir da kein Urteil bilden.
    Auch wenn es manchmal schwer fällt.
    LG Gotti.

    Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich.

  • Hallo,
    ich bin ein Angehöriger und somit Co-Abhängiger, richtig?

    Ich finde das, was mein Vorschreiber geschrieben hat, sehr zutreffend:

    Code
    =>Für mich ist diese quasi „Verniedlichung“ der eigenen Situation ein Selbstschutz, der teilweise bis hin zum Realitätsverlust betrieben wird.

    Ich bin als Partner einer trockenen Alkohilikerin mit Rückfällen auch in dieser Zwangsjacke. Wo beginnt der Selbsschutz und hört die Verantwortung für den anderen auf. Diese Grenze ist schwer zu finden und muss jeder für sich definieren.
    Ich habe da jedenfalls noch meine Schwierigkeiten....müsste mich eigentlich aus Selbstschutz aus der Beziehung zurückziehen, mag es aber vielleicht aus falschverstandenem Veratwortungsgefühl nicht tun.
    Liebe Co´s , ich wünsche uns allen viel Erfolg beim Erkennen dieser Grenze und zu wissen, wann man für sich selber die Reissleine ziehen muss....

  • Hallo Käferchen,

    also ich denke für mich habe ich schon viel erreicht.
    Lese viel im Forum, nicken bei diesem oder jenem und denke oft genauso geht es dir, aber warum sollst du das alles noch einmal schreiben.
    Mir hilft es schon entscheidend zu wissen, wenn Not an der Frau ist, dann finde ich hier Hilfe.

    Als Rücksichtnahme oder Verniedlichung würde es für mich nicht bezeichnen, denn ich denke, dass jeder auch seine Situation selbst einschätzen muß.

    LG wurzelchen

  • Hallo an alle,

    es gibt auch das Umgekehrte: So schlecht wie mir gehts keinem.
    Das find ich noch bescheuerter.

    Diese Vergleiche bringen eigentlich sowieso nicht so viel, aber sie sind einfach menschlich.
    Als ich mich richtig schlecht gefühlt habe, war es eine gewisse Erleichterung, mir noch schlimmere Situationen vorzustellen.
    Solange es eben nicht dazu führt, dass man nichts unternimmt, finde ich es eigentlich eine Strategie, die legitim ist, um Leid besser ertragen zu können.

    Allerdings hab ich den Eindruck gewonnen, dass das objektiv Schlimmere nicht unbedingt subjektiv schlimmer ist.

    Ich hab mich ja von meinem Mann schon mal getrennt, und im Vergleich zu meiner Situation jetzt war das damals ein Spaziergang.
    Wir hatten keine Kinder, waren nicht verheiratet, ich war in keinster Weise offiziell mit ihm verbandelt und er hatte den Mietvertrag.
    Ich musste nichts weiter tun als gehen.
    Aber es war schrecklich für mich.

    Jetzt ist alles total kompliziert, er ist viel aggressiver gegen mich, wir haben die Kinder, wir haben das Haus, wir sind verheiratet.
    Aber innerlich bin ich an einem anderen Punkt und es quält mich jedenfalls nicht mehr als damals. Anders, aber nicht schlimmer.

    Ich les hier manchmal: Zum Glück haben wir keine Kinder zusammen, dann wärs ja noch viel schlimmer.
    Stimmt natürlich irgendwie, einerseits.
    Andererseits: Die Kinder sind für mich eine ganz wichtige und positive Motivation, mich von ihm zu lösen.
    Wenn ich mein blödes schlechtes Gewissen bekomme, dass ich ihn fallen gelassen habe, dann denke ich kurz drüber nach, dass ich jetzt viel besser für die Kinder sorgen kann und dann gehts mir gleich besser.

    Viele Grüße
    Doro

  • Guten Morgen,

    ein paar Gedanken noch zu diesem Thema:

    Zitat von wurzelchen

    Als Rücksichtnahme oder Verniedlichung würde es für mich nicht bezeichnen, denn ich denke, dass jeder auch seine Situation selbst einschätzen muß.

    Als sich für mich die Lage zuspitzte, war ich meines Erachtens zu einer REALISTISCHEN Einschätzung meiner Situation gar nicht mehr in der Lage. Die Aussicht, ohne IHN leben zu „müssen“, kam mir vor wie die Hölle auf Erden. Ich hab mir monatelang etwas vorgemacht über das, was da um mich herum passierte, nur um nichts verändern zu müssen.

    Zitat von Doro

    Andererseits: Die Kinder sind für mich eine ganz wichtige und positive Motivation, mich von ihm zu lösen.
    Wenn ich mein blödes schlechtes Gewissen bekomme, dass ich ihn fallen gelassen habe, dann denke ich kurz drüber nach, dass ich jetzt viel besser für die Kinder sorgen kann und dann gehts mir gleich besser.

    Auch das ist nicht untypisch für Co´s. Doro, warum war es für dich eine größere Motivation, zu gehen, wenn es um dich UND deine Kinder ging als wenn es nur um DICH geht? Für Andere sorgen, ist auch, für die Kinder zu sorgen. Nicht selten bekommen dann die Kinder all die „Fürsorge“ ab, die vorher teilweise an den trinkenden Partner ging. Ein ganz schönes Paket für son Kind, finde ich.

    LG
    Ette

    Im Schmerz von gestern liegt die Kraft von heute.
    ("Handbuch des Kriegers des Lichts" v. P.Coelho)

  • Hallo Ette,

    bei mir persönlich steckt, glaub ich, ganz stark dahinter, dass ich nach außen als "die Gute" dastehen will, weniger, dass ich unbedingt eine Fürsorgeaufgabe brauche, um mich wohl zu fühlen.
    Ich bin auch mit mir alleine sehr zufrieden, aber ich kann ganz schlecht aushalten, wenn ich - scheinbar - moralische Kratzer bekomme.

    Ich hab selten erlebt, dass irgendjemandem moralisch vorgeworfen wurde, dass er sein eigenes Glück gefährdet.
    Sich aufopfern für andere wird gesellschaftlich hoch geschätzt.

    Aber es ist doch auch einfach ein sachlicher Grund, wenn man hört, dass es für die Kinder auf die Dauer sehr schädlich ist.
    Es erhöht den Druck, dass man was ändern muss.

    Damals, bei der ersten Trennung, entstand der Druck auch, da war es meine Ausbildung, die ich nur abschließen konnte, wenn der Psychoterror zu Hause aufhörte. Diesen Druck brauchte ich, um mich trennen zu können.

    Ich bin grad ganz stark damit beschäftigt: Was denken die anderen über mich - moralisch gesehen?
    Von IHM hab ich mich mittlerweile ganz gut gelöst.
    Aber wenn irgendjemand (nicht er) mit dieser Moralschiene kommt, dann bricht in mir alles zusammen und ich bin zu fast allem bereit.

    Danke für die Denkanregung, Ette.

    Gruß
    Doro

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