Der "Drei-Jahres-Faden"

  • so nenne ich jetzt mein neues thema hier bei euch. ich habe überlegt, ob ich es tagebuch nenne oder sonstwie - aber es fiel mir nichts passendes ein.

    ich kann nicht täglich hier reinschreiben, aber ich möchte schreiben, wenn mir danach ist und ich etwas loswerden muss und/oder möchte.

    heute habe ich ein wenig in meinen "anfängen" hier im forum herumgestöbert... meinen ersten beitrag zum beispiel.. ich sehe meine alte wohnung in berlin vor mir - nach jahren mal ohne leergut.., ich sehe mich ganz hibbelig hier reinschreiben und noch viel hibbeliger die ersten antworten lesen.. du meine güte war das aufregend!! ich habe gerade angefangen zu weinen, so hat es mich angefasst: einfach nur tiefe dankbarkeit, aus dem dunkel des alkohol herausgekommen zu sein.

    chiara, engelchen, teufelchen, annika, karsten, freund... und und und: ich kann sie nicht wirklich alle aufzählen, die mir hier bei den ersten schritten behilflich waren.. es war wunderbar für mich und ohne euch hätte ich die ersten wochen nicht geschafft. ich werde das nicht vergessen.

    drei jahre lebe ich trocken. drei sehr aufregende jahre... voller hoffnungen, fürchterlichen enttäuschungen und neuen hoffnungen. ich habe meinen freundeskreis "ausgedünnt".. ich habe eine vollkommen neue arbeit gesucht und gefunden, ich habe die stadt, in der ich das saufen anfing und beendete, verlassen. ich habe uralte freunde wiedergefunden - das ist mit das schönste in dieser zeit...

    ich habe lernen müssen, mit einer chronischen krankheit zu leben. und ich habe lernen müssen, dass ich nicht alles kontrollieren kann... zuallererst meinen alkoholkonsum: damit fing alles an und mit diesem eingeständnis konnte ich mir ein neues leben aufbauen.

    es war ein "auf-den-kopf-stellen" meines bisherigen lebens, eine sehr offene und harte bestandsaufnahme. plötzlich, nach meinem eingeständnis, dass ich alkoholiker bin und nicht mehr weiter weiss, ging es relativ schnell... ich suchte und bekam hilfe, ich traute mich, dinge auszusprechen, die vorher undenkbar waren: ICH ein säufer? ICH - einer, der "entzugserscheinungen" hatte? ICH, der sein leben zuletzt nur noch nach dem stoff ausgerichtet hatte? ICH, einer, der sein leben nicht mehr im griff hatte? das mag nach pillepalle klingen... aber es sind viele kleine schritte und das erkennen der eigenen niederlage, des eigenen kläglichen lebens, das zum schluss nur noch auf den alkohol ausgerichtet war - dies eingeständnis war mein start für ein neues leben.

    das erkennen meines trümmerhaufens, der sich auch MEIN LEBEN nennt, war das schlimmste... irgendwann, ein paar tage später, begann ich trocken zu werden. es gab nicht zwei oder mehrere möglichkeiten, zu leben. es gab nur EINE: trocken und nüchtern zu werden und zu bleiben.

    wie ich diese drei trockenen jahre erlebt habe, aus der perspektive von heute, das werde ich hier reinschreiben, mit aktuellen dingen von heute.

    ich würde mich sehr freuen, wenn es anderen hilft, trocken zu werden. über das eine oder andere feedback freue ich mich natürlich auch.

    petter

  • Hallo Petter,
    dann hat sich meine Frage in deinem alten Thread ja erübrigt :lol:

    Schön das Du jetzt des öfteren wieder hier mal zu lesen bist,ich freue mich!!

    Lieben Gruß,Andi

  • moin zusammen!

    ich muss mich hier erstmal wieder reinfummeln bei euch.. so richtig habe ich das ja nie verstanden..: da macht jemand ein thema auf und im laufe der tage und wochen entwickelt es dann mit den vielen antworten ein ganz anderes thema, denke ich manchmal. dann muss ich zurückblättern und gucken: worum ging es eigentlich?! aber vielleicht bin ich auch zu alt und verstehe das system nicht? ich werd es weiter beobachten ;)


    wenn ich versuche, mich an meine ersten versuche zum trockenwerden zu erinnern, muss ich leicht lächeln... aber auch mich schütteln. mein leben war (auch wenn ich das damals nicht so sah) voll und ganz auf meinen alkohol-konsum ausgerichtet: wann kann ich wo was einkaufen, wen treffe ich, kann ich einladungen annehmen - wird da auch genug getrunken, habe ich genug bier und wein zuhause und so weiter...

    immer, wenn einmal ein leichter blitz durch meinen kopf ging: "mann, lass das endlich!!" habe ich diese gedanken schnell wieder beiseite gespült.. denn erstens wusste ich, dass es alles andere als einfach ist und zweitens ahnte ich auch, WARUM das nicht so leicht sein würde...

    ich hatte viele "freunde", die nasse alkoholiker waren - aber ich hatte nur einen freund, der trocken war und blieb.

    von anfang an, schon vorher auch, war mir klar: trocken werden und trocken bleiben sind verschiedene dinge... und genau DAVOR hatte ich angst.

    es war die angst zu erfahren, was dazugehört, trocken zu bleiben: nämlich die dauerhafte umstellung meines eigenen lebens. tief im innern wusste ich: das ist keine sache von heute auf morgen - das ist etwas, mit ich nach meinem verkorksten leben und alk-missbrauch mein leben lang zu tun haben werde. auf den logischen gedanken, dass ich als säufer ERSTRECHT mein leben lang damit zu haben würde bin ich natürlich nicht gekommen... lieber weitersaufen und das leben "geniessen" als trocken und nüchtern werden. bloss nicht an der seele kratzen.. das könnte ja weh tun ;)

    das saufen, die nebenwirkungen, die auswirkungen auf meine psyche und meine umwelt, mein asoziales dasein, die totale perspektivlosigkeit meines lebens, das weitermachen-es-merkt-schon-niemand.... das alles tat so sauweh und doch machte ich weiter. ohne rücksicht auf mich und noch rücksichtsloser gegenüber anderen.

    letztlich war es der körper, der mir signalisierte: "STOP"... nicht mein kopf.. der war schon zu verblödet vom saufen und kam leider nicht auf den gedanken, aufzuhören. zweimal war ich im krankenhaus wegen meines bluthochdrucks. ich hatte fürchterliche angst.. und bin hin- und hergeeiert... zwischen den "freunden" aus der kneipe, die voller mitleid waren und dem arzt, der mir tabletten verordnete.

    ein jahr habe ich sicher gebraucht... dabei war es "nur" das jahr der inneren vorbereitung zum ändern meines lebens. jeden tag habe ich x-mal gedacht: "hör auf...!!" ....und es doch nicht geschafft. das waren die monate, in denen ich in meiner wohnung stets frische neue kästen bier hortete... dies letzte jahr meines saufens war geprägt von tagen ohne nüchternheit, von immer wiederkehrendem entzug.
    es war aber besonders geprägt von einem unausstehlichen und unzufriedenen menschen.. ich habe begonnen, alles zu vernachlässigen:

    meine finanzen, meine psyche sowieso, die wenigen wirklichen freunde habe ich vor den kopf gestossen, meine körperhygiene. nachdem ich mehrmals im eigenen kot aufgewacht bin und ich gerade noch die spuren beseitigen konnte, bevor ich zum nachschub holen eilte, begann ganz langsam mein umdenken.

    aber ich hatte noch immer sooooviel angst vor einem trockenen leben... es kam mir so "freudlos" vor... so "sinnlos".. da lag ich also im eigenen dreck (tatsächlich) und zweifelte immer noch..

    --
    jetzt atme ich mal kurz durch. es nimmt mich immer noch mit und ich werde es fortsetzen.


    petter

  • was für eine beichte.
    du musst schon ganz schön nach vorne gekommen sein, um das so schreiben zu können.
    respekt.
    ich freue mich auf die fortsetzung
    gruss frank

  • guten morgen!

    ich schreibe gern weiter, es ist wichtig für mich. es ist aber auch nicht ganz einfach, weil ich mich plötzlich vor strukturellen schwierigkeiten sehe: mache ich das chronologisch? springe ich in verschiedenen ebenen? wie bekomme ich mit, wenn ich mich wiederhole? - letztlich entscheide ich mich gerade für: ich mache es einfach, auch auf die gefahr hin, dass es manchmal durcheinander gerät. ich bin kein schriftsteller und ich habe auch keinen lektor.


    *schnipp*


    ich lag öfter in meinem eigenen dreck, als mir lieb war. aber ich hatte auch so eine "schnell-spuren-beseitigen* - mentalität und so sah es bei mir zuhause immer recht ordentlich aus. mir war das wichtig und es gehörte zu meinem versteckspiel: "bei mir ist alles in ordnung!"... sogar die weinflaschen und bierkästen waren ordentlich hingestellt, obwohl sie nur einen einzigen sinn hatten: mich zu betäuben und mich WEGzumachen.

    irgendwann klappte das mit der körperhygiene nach meinen immer länger dauernden saufexzessen nicht mehr so gut. meist habe ich es gar nicht gemerkt... einer freundin habe ich mal - natürlich im brustton der überzeugung - gesagt, öfter als zweimal duschen sei sehr schädlich für die haut... dabei war der einzige grund dafür meine faulheit und natürlich das, was immer mehr an die erste stelle in meinem leben gerückt war: der konsum von alkohol.

    was muss ich gestunken haben.... oh je... von vielen saufabenden in meiner stammkneipe bin ich mit dem taxi nach hause gefahren. ich konnte gerade noch sagen, wohin ich musste. danach schaltete ich schon um auf pöbeleien, unverschämtheiten und so weiter. wenn ich überlege, wieviele völlig unbeteilgte menschen ich im suff beleidigt und beschimpft habe, wird mir schlecht. dass ich nie verprügelt wurde, liegt allein an meiner körpergröße und meinem direkten und massiven auftreten. da wagt kaum einer was zu sagen - und das wusste ich natürlich. also immer drauf auf die kleinen, immer weiter gepöbelt und rumgestänkert. ich war ein ausgesprochen widerlicher kerl.

    wenn ich nach so einer nacht endlich zuhause ankam, musste natürlich immer noch ein "gute-nacht-schluck" irgendwo gebunkert sein. dann warf ich die glotze an, schmiss mich aufs sofa und trank mich endgültig in die besinnungslosigkeit. das erwachen war immer böse... nicht nur der übliche kopfschmerz, der fürchterliche geschmack im mund und die merkwürdig aussehende wohnung wurden meine häufigen begleiter. auch die kotverschmierte toilettenbrille - und eben leider immer öfter, die eingemachte bettwäsche und matratze.

    ich habe mich nicht geschämt, glaube ich. in meiner erinnerung habe ich funktioniert: heisses wasser in den eimer, essig rein, geschrubbt... so gut das ging. die wohnnung wieder halbwegs auf vordermann gebracht... sozusagen einen "haushaltstag-extra" eingelegt. ich glaube, ich habe noch nicht mal etwas gedacht, als ich die "bescherung" im bett das erste mal sah... es war so ungeheuerlich, dass ich es selber ausblendete.

    nach so einem anstrengenden erwachen ist es selbstverständlich, dass ich mich belohnte: schnell zum einkaufsladen und nachschub geholt, der tag sollte schliesslich schön werden...

    zu meiner fehlenden achtsamkeit mir selbst gegenüber gehört natürlich auch die kleidung. ich habe noch in erninnerung, wieviel hosen und hemden ich am ende hatte, die ich benutze... eine hose, zwei hemden. der rest passte nämlich nicht mehr, weil ich immer fetter wurde und auf 4XL anzuschwellen drohte: im klartext: das ist X X X X L... bei 3XL habe ich dichtgemacht. ich betrieb "leben-auf-substanz" in jeglicher richtung.

    die hose hatte im schritt keine heile naht mehr; meine unterhosen waren durchlöchert. irgendwann hatte ich einen arzttermin, zu dem ich MUSSTE, das heisst, mir gings wirklich schlecht. bei der sonographie bemerkt der arzt natürlich meine kleidung und guckte beschämt leicht nach oben. diesen blick vergesse ich nie. ich bin fast gestorben... so tief kam mir der fall vor. das war kein fremder arzt... das war einer, mit dem ich ich duzte und der mich kannte.

    so lebte ich von tag zu tag... in immer schlechter werdender kleidung und mit immer schlechter werdender gesundheit durch die tage, die ich nicht mehr merkte und deren wochentage ich oft nicht wusste.

    im hinterkopf hatte ich ständig den gedanken: "peter, wenn du so weitermachst, wirst du richtig krank werden."

    wie weit ich krank werden würde durch meinen alkoholmissbrauch, ahnte ich nicht. ich verdrängte es, bis der körper sich holte, was er brauchte. und selbst diese anzeichen, in ihrer art durchaus lebensbedrohlich, die eben keine zeigefinger mehr waren, sondern sehr deutliche warnhinweise - ich sah sie nicht und wollte sie nicht sehen.


    danke fürs lesen. es geht weiter.

    peter

  • Hallo Peter,

    danke fürs mit-teilen. Ich bin sehr berührt von deiner Ehrlichkeit und danke dafür, das du mir zeigst wo mein Weg hätte hingehen können, wenn ich noch trinken würde.

    LG Sabine

    Nicht ärgern nur wundern!

  • die vernachlässigung meiner äusseren erscheinung war das eine. kleidung hätte ich ja kaufen können - aber ich hatte andere prioritäten, "mein" geld auszugeben: alkohol, zigaretten, kneipen, alkohol. einen blick in meinen einkaufswagen beim supermarkt zeigte deutlich, wohin das geld floss. natürlich habe ich auch alibi-einkäufe getätigt: ich habe dinge gekauft, die ich eigentlich nicht dringend brauchte, aber dann sahen die flaschen im korb nicht ganz so nach säufer aus - dachte ich.

    ich bewohnte in meiner immer schlimmer werdenden saufzeit ein paar jahre eine parterre-wohnung in kreuzberg. sehr praktisch: gleich ein haus weiter ein türkischer kiosk, wo ich bis spät abends meinen stoff bekam und gegenüber eine tankstelle, rund um die uhr geöffnet und mit dem kiosk in ständigem kampf, wer das billigere bier anbot. drei häuser weiter befand sich ein wohnheim der evangelischen kirche. hier "wohnten" jene suchtkranken und obdachlosen männer, bei denen man jede hoffnung aufgegeben hatte und denen man ein halbwegs würdiges ende bieten wollte. ich habe jahrelang vor augen gehabt, WAS geschieht, wenn ich weitersaufe.

    es versteht sich von selbst, dass ich zu diesem zeitpunkt nicht im traum daran dachte, ich sei alkoholiker. ICH doch nicht. zu keinem zeitpunkt, während ich dort wohnte, habe ich die rutschbahn erkannt, auf der ich mich befand. mein konsum waren zu der zeit ungefähr drei halbe bier und ein liter wein, zuzüglich der vier biere in kneipen.... mal mehr, mal weniger, schnaps habe ich zuhause nicht getrunken, nur ab und zu mal in einer kneipe. zu meinem alkoholkonsum kam noch mein rauchen: mein konsum lag bei 30 bis 50 kippen am tag. meine wohnung habe ich jedes jahr komplett neu gestrichen. es war so gelb und so verqualmt, dass ich selbst es nicht aushielt und renovieren musste.

    ich diese zeit fallen einige krankheiten (und nun komme ich wieder auf die vernachlässigung meiner körperhygiene zurück), die mir schwer fallen zu schildern. für manch einen ist das vielleicht auch sehr unangenehm zu lesen. aber es gehört zu meinem säuferleben... und ich denke, es sind noch die geringsten krankheiten, die einen alkoholabhängigen menschen mittelbar heimsuchen können.

    aus purer faulheit und aus einer entsetzlichen "scheiss-egal-haltung" habe ich unter anderem meine fussnägel vernachlässigt. die pflege, die ich heute sehr akribisch betreibe, liess ich meinen füssen fast nie zukommen. im sommer sehe ich manchmal noch trinkende männer in sandalen... und dann sehe ich meine geschundenen füsse wieder. irgendwann war alles soweit vernachlässigt, dass ein schneiden der nägel der großen zehen nicht mehr möglich war: sie waren eingewachsen. die schmerzen wurden stärker, ich pulte daran herum und versuchte irgendwas, aber das half natürlich nicht mehr. einzig ein gang zum chirurgen half. die nägel waren so verkrümmt und eingewachsen, dass mir seitlich an beiden zehnägeln bis hinter die nagelwurzeln der nagel weggeschnitten wurde. das sah erstmal merkwürdig aus, war aber die rettung. heute sieht man das kaum noch.. - nur wenn man es weiss.

    das zweite und weitaus schmerzhaftere war eine zweimalige erkrankung am steissbein: ich kann darüber spekulieren, ob es etwas mit mangelnder hygiene zu tun hatte, aber sicher ist, dass der heilungsverlauf ein besserer gewesen wäre - ohne alkohol und nikotin. und erkannt hätte ich ohne alkohol auch eher, dass "da hinten" etwas nicht in ordnung ist.

    ich bekam einen steissbein-abzess. so etwas wünsche ich wirklich niemandem... für die chirugurgin muss das schon ein besondere anblick gewesen sein: dieser ungepflegte und aufgedunsene mann mit so einem ding am steissbein. aber sie war cool. in einer operation unter vollnarkose wurde das ding entfernt. danach begann das dilemma.

    menschen, die rauchen und trinken, haben eine schlechte wundheilung. nach so einer operation war das richtig dumm: denn ich konnte nicht sitzen und nicht liegen. ungefähr fünf wochen dauerte es, bis mit hilfe von "leukase-kegeln", die immer wieder in die wunder gelegt wurden, sich diese schloss. sie musste von innen zuwachsen... hätte ich nicht geraucht und gesoffen - ich hätte nach zehn tagen alles vergessen können. so aber dauerte es und dauerte... ich war fix und fertig.

    natürlich war ich krank geschrieben und aus lauter langeweile und weil ich ja sooo schrecklich krank war, musste ich weiter viel trinken. es war ja auch so langweilig und ich hätte zuviel zeit haben können, über mein verkorkstes leben nachzudenken.

    es kam wie es kommen musste: die wunde schloss sich irgendwann. ich dachte nicht mehr an das gewesene, soff weiter und ging weiter schlecht mit mir um. ein jahr später hatte ich wieder einen steissbeinabszess. meine stimmung war grässlich. eine neue operation und diesmal eine noch längere heilungszeit. zumindest danach wusch ich mich wieder öfter und achtete auf ein mindestmass an körperpflege.

    ganz besonders unangenehm war mir zu saufzeiten mein umgang mit meinen zähnen: ich hatte schon immer angst vor zahnärzten und ein erlebnis als heranwachsender auf einem zahnarztstuhl hat mich tief geprägt und die zahnpflege schleifen lassen. als säufer hatte ich dann für die zahnpflege so gar nichts mehr übrig. über die jahre, die ich nicht mehr zum zahnarzt ging, verfaulten viele zähne, besonders die backenzähne haben sehr gelitten. ich war ein guter konsument von schmerzmitteln und nach vielen jahren der vernachlässigung konnte ich nur noch mit den vorderen zähnen beissen. mein zähneputzen beschränke sich auf ein sekunden-geschrubbel und hatte eher alibifunktion. nachdem ich trocken wurde, habe ich als erstes die zähne in angriff genommen: es hat tausende gekostet und ich habe auch noch glück gehabt: ich fand einen zahnarzt, der mehr wert auf erhaltung denn auf prothetik legte und so wurde mein gebiss langsam wieder gut. viele kronen, viele brücken. aber es hat mich dennoch fünf oder sechs zähne gekostet.

    wenn ich das so schreibe fällt mir auf, dass ich mich wirklich von kopf bis fuss vernachlässigt habe. das verrückte ist: zu dieser furchtbaren zeit sah ich mich immer nur als opfer und hatte damit viele gründe, weiter fleissig zu trinken. natürlich bekommt man einige krankheiten auch so - ohne alkoholiker zu sein. aber man vernachlässigt sich selten so, wie ich das getan habe. ich habe raubbau betrieben am eigenen körper, bis dieser sich vehement wehrte.

    wie er sich zu wehren begann, erzähle ich nachher oder morgen. jetzt brauche ich eine pause um durchzuatmen und das nochmal sacken zu lassen.


    danke fürs lesen!

    peter

  • ich bin nicht all die ganzen jahre meines saufens so lieblos und pfleglos mit mir umgegangen. es hat sich entwickelt: die dinge, die mir wichtig waren, gerieten ganz langsam in den hintergund und die beschaffung und der konsum von alkohol schoben sich langsam aber mit druck in den vordergrund. es war eine sehr merkwürdige und hässliche verschiebung, denn meine persönlichkeit änderte sich.

    ersthaft ängstlich wegen meines saufens wurde ich im jahr 2005 das erste mal. ich lies mich in ein krankenhaus bringen, weil ich atemnot bekam und hyperventilierte. an diesem tag hatte ich noch nichts getrunken und so lag ich ausnahmsweise einmal ohne fahne auf diesem untersuchungstisch. mein blutdruck war beängstigend hoch und man gab mir nitro-spray, damit das herz wieder etwas runterfährt. ein arzt kam, zog den vorhang zu und unterhielt sich fast eine stunde mit mir: erst ein wenig über mich und ich gab zu "die letzten tage" etwas viel getrunken zu haben. was war ich feige... dieser arzt war gut: er redete MIT mir über das leben, die welt, die gesundheit und was man alles noch erleben möchte. dann gab er mir den rat, zum hausarzt zu gehen und den blutdruck einstellen zu lassen. er wusste genau, was sache war, hat es aber nicht angesprochen, sondern mich spüren lassen. ich fuhr nach hause und war beeindruckt und nachdenklich. zum aufhören reichte es noch nicht - aber es war ein grundstein gelegt... und das wusste ich.

    der blutdruck wurde eingestellt, ich nahm medikamente und mein leben ging in der gleichen art und weise weiter. der konsum wurde mehr und mehr, arbeiten konnte ich immer weniger. ich versuchte, meine wohnung einigermaßen ordentlich zu halten und war ansonsten damit beschäftigt, die fassade aufrecht zu erhalten und den konsum zu sichern.

    beides war sehr anstrengend, denn zum fassade aufrecht erhalten brauchte ich eine menge energie, weil ich jeden tag betrunken war und einen kater (im kopf) hatte. vor die tür zu gehen und den alkohol einzukaufen aber war der schlimmere und anstrengendere teil: erstens musste ich ein minimum an ordnung herstellen und mich irgendwie anziehen. zweitens musste ich nach draussen, unter menschen.. und das war am ende der absolute horror für mich. in der regel versuchte ich, dies möglichst in der dämmerung zu erledigen - aber im sommer ist das schwierig. keine sonnenbrille kann die scham verstecken, die ein säufer empfindet. nach so einem einkauf war ich zu gar nichts mehr zu gebrauchen - ich lag erschöpft auf meinem sofa. der einkaufsladen war übrigens keine fünfzig meter entfernt von meiner wohnung.

    ich trank also weiter... manchmal dachte ich: "na, wenn es sich bei dieser menge einpendelt, ist es ja gut." ... nun, das ist ein trugschluss, denn die menge wird natürlich mehr. mittlerweile war ich bei drei litern bier und 1,5 litern wein am tag zuzüglich den getränken in der kneipe, und dort trank ich nun auch regelmäßig einen "absacker".. also schnaps zum bier.

    es kam, wie es kommen musste. auf einem spaziergang durch den wald verliessen mich plötzlich die kräfte. ich musste mich auf einen baumstamm setzen und konnte nicht mehr aufstehen. ich hatte schweissausbrüche am ganzen körper und ich fror und zitterte. ungefähr eine halbe stunde dürfte ich dort gesessen haben, dann bin ich im schleichgang zur s-bahn. ich hatte grosse angst, diesen weg nicht mehr zu schaffen und rechnete ständig damit, umzufallen. mein zustand wurde nicht wirklich besser, auch in der s-bahn nicht. zum reden war ich zu schwach und meine angst wuchs. ich konzentrierte mich ganz auf meine atmung. ich fuhr wieder in ein krankenhaus. der blutdruck war entsetzlich. der untere wert war bei fast zweihundert - wieder bekam ich nitrospray. der arzt sagte, ich sei in einer sehr gefährlichen situation gewesen und riet mir, zu einem kardiologen zu gehen.

    dazu kam es nicht mehr. mir kam etwas viel besseres in den sinn, denn ich glaubte, dem ursprung meines übels auf die schliche gekommen zu sein. ich nahm mir vor, nicht mehr zu trinken. das setzte ich zwar noch nicht am selben tag um, aber der gedanke war in meinem kopf und lies sich nicht mehr vertreiben: "der alkohol ist es, peter. du machst dich kaputt. hör´auf damit." - jeden tag spukte dies durch meinen kopf, hundertemal. es wurde stärker und stärker und das beste: ich lies es zu und hörte auf mich.

    ich beging eine letzte grosse dummheit: noch von meiner kranken denke beeinflusst, wollte ich auch das ende meines säuferlebens selber in die hand nehmen und machte einen kalten entzug. ich rate jedem dringend davon ab - allein, ich wusste es damals nicht besser und ich hätte mich leider auch niemandem offenbart, denn ich hatte vermeintlich niemanden mehr, dem ich hätte sagen können, was mit mir los ist. ich fühlte mich entsetzlich, entsetzlich allein. tief in meinem inneren ahnte ich aber, dass ich mit diesem entzug etwas dummes tat: denn ich legte meine matratze in die nähe der wohnungstür, damit mich jemand hört, falls etwas schief gehen sollte. mit einem telefon und meinem teddy erlebte ich meine erste alkoholfreie nacht seit über fünfzehn jahren. wie diese nacht war, kann ich nicht schildern - ich ärgere mich bis heute über meine dummheit und meinen leichtsinn.

    *schnipp*

    ein paar tage später meldete ich mich in diesem forum an.


    ich danke fürs lesen. es geht weiter.

    peter

  • hallo zusammen,

    danke für die feedbacks, sie tun mir gut. ich gebe gern zu, dass ich dies alles in erster linie für mich schreibe: um zu verstehen, einzuordnen und weiter an mir zu arbeiten. wenn es anderen hilft, freue ich mich darüber und bin natürlich auch ein wenig stolz.

    *schnipp*

    ich möchte heute über etwas schreiben, was mich sowohl in meiner nassen zeit als auch danach immer besonders bewegt hat: die scham.

    nachdem ich das große wunder des trockenwerdens erleben durfte, habe ich mich natürlich immer wieder gefragt: "was hat dich zum suff getrieben, peter?" - diese frage habe ich immer noch nicht abschliessend für mich beantwortet und das wird wohl auch nie möglich sein. vielleicht - so dachte ich manchmal - ist sie auch nicht wichtig. doch je länger ich trocken werde, umso mehr bewegt mich diese frage.

    "was hat mich zum alkoholiker werden lassen?" oder besser: warum habe ich mich dorthin gebracht? darauf gibt es in meinem fall eine menge möglicher antworten und noch viel mehr unsinnige vermutungen. in diesem thread komme ich darauf wohl noch etliche male und so verkürze ich heute meine antwort, um zum thema zurückzukommen: ich war immer ein schüchternes kind, ich habe meine position in meinem leben von anfang nicht gefunden, ich habe mich immer für alles mögliche geschämt.

    ganz besonders krank wurde mein verhalten und meine denke in bezug auf menschliche beziehungen: ich bekam nichts auf die reihe - und das jahrelang. ich tappte im nebel, auch als ich noch gar nicht trank. irgendwann wurde es mir wohl zuviel und eine mischung aus gesellschaftlichen / sozialen umständen und meiner psyche lies mich zum alkohol gleiten. ich sage "gleiten", weil es ein langsamer prozess war.

    aber es gab einen entscheidenen unterschied zum trinkverhalten meiner freunde: ich trank, um mich WEGzumachen, um nicht mehr DENKEN zu müssen, um mein kopfkino zum stoppen zu bringen. das habe ich damals geahnt, nicht bewusst wahrgenommen. ich trank nicht nur zum "spass", wie so viele andere, und das war mir voll bewusst. war ich im kreis von freunden angetrunken, ging es mir gut! ich war beliebt - durch und durch... bei jedem und jeder.

    ich trank immer dann, wenn ich an meine grenzen stiess; ich habe damit angefangen, als ich ungefähr 21 jahre alt war. ich hatte weder beziehungserfahrung, noch wirklich befriedigende sexuelle erfahrungen gemacht und hatte das gefühl, ich würde das auch nie mehr erleben. ein tiefer frust machte sich breit in mir und die ungeheure scham, dass ich mich nicht traute, mit jemandem darüber zu sprechen. der gang nach nebenan zum supermarkt und der griff zum wein war einfacher. allen erklärte ich gott und die welt, aber menschlich habe ich nichts auf die reihe bekommen. damit das keiner mitbekam, becherte ich gern... ich machte mich WEG und musste nicht mehr über mich nachdenken.

    dieses trinkverhalten behielt ich die nächsten zwanzig jahre bei. es gab kurze unterbrechungen, aber ich hatte nie den ernsthaften willen, damit aufzuhören. ich begann aus scham zu trinken und irgendwann schämte ich mich, trinker zu sein.

    in meinen letzten nassen jahren wurde alles schlimmer... viel schlimmer. die vernachlässigung meines äußeren habe ich schon beschrieben. die verrohung meiner seele schritt ebenfalls in großen schritten voran. all das war mir immer bewusst und die scham begann zu wachsen. dieser wachsenden scham begegnete ich mit noch mehr alkohol. ich machte mich wirklich nur noch weg, ich wollte nicht mehr denken müssen. das funktioniert aber nur so lange, wie der stoff die birne benebelt.

    das erwachen ist so sicher wie das amen in der kriche und es wird mit jedem mal grausamer.

    meinen alltag bekam ich nur noch mit mühe auf die reihe. einladungen lehnte ich am ende ab oder ging nicht hin. der einzige platz ausserhalb meiner wohnung, wo ich es noch aushielt war die kneipe - aber auch erst, wenn die dämmerung eingetreten war (... eben auch wegen der scham, gesehen zu werden... ). es kam vor, dass ich jemandem von ganz, ganz früher zufällig begegnete: das waren die allerschlimmsten momente... diese menschen kannten mich noch als sportlichen mann, stets gut gekleidet und mit einem freundlichen wesen ausgestattet: nun trafen sie einen sehr fetten mann mit schlechten zähnen und in schlimmer und verschmutzter kleidung, der ihnen noch nicht mal die hand gab, sondern weiterging. aus scham. ihre blicke im nacken, weil ich wusste, dass sie sich nochmal nach mir umdrehen würden: das waren sekunden, die mein innerstes trafen und in denen ich mir den tod gewünscht habe.

    gesundheitliche gründe zwangen mich zum umdenken - ich wurde in den wenigen wachen augenblicken vernünftig, in denen ich nicht zur flasche griff. aber mein umdenken hat lange gedauert.. auch weil ich wusste: dann musst du an DICH ran... an dein versoffenes und kaputtes leben. meine menschlichen kontakte waren auf ein minimum zusammengeschmolzen - ich habe die meisten vergrault und viele wollten mit diesem fetten, stinkenden kerl auch nicht zusammen sein.

    am ende meiner "saufkarriere" schämte ich mich, auf die strasse zu gehen. die einsamkeit war entsetzlich und innerlich schrie ich nach einem ende. ich hatte angst vor menschen, vor der sonne, vor dem leben. fürchterliche angst. ich brauchte nach meinem entzug genau eine woche, bevor ich meine wohnung wieder verliess und mich unter menschen traute. ich war ein körperliches und seelisches wrack - aber ich war das erste mal seit vielen jahren nüchtern und konnte ganz verzagt und vorsichtig in die zukunft sehen - mit der kleinen hoffnung, dies auch mal ohne scham tun zu können.


    danke fürs lesen. es geht weiter.


    peter

  • hallo zusammen -

    danke, coloradobelle, für dieses liebe feedback. du hast recht: ich bin auch erheblich stolzer auf mein neues leben, als die worte es vermuten lassen!

    zu meiner scham, über die ich gerade geschrieben habe, gehört auch die lüge. sie steht ganz schön eng neben der scham und beide ergänzen sich irgendwie... zumindest bei mir. darum mache ich weiter mit der lüge.


    *schnipp*


    "alkoholiker sind die besten lügner, sie lügen dir das blaue vom himmel herunter!" - das hat mir einmal eine freundin gesagt, die damals schon sehr lange trocken war und als ich noch nichts über alkoholismus wusste.

    jahre später, ich war schon auf der rutschbahn nach unten, kamen mir ihre worte immer mal wieder in den kopf. wie recht sie doch hatte.. wie verdammt recht sie hatte. ich wurde ein lügner: je mehr ich soff, umso mehr log ich. zum einen belog ich mich selbst und machte mir ständig etwas vor - ich lebte in einer eigenen scheinwelt. vor allem aber belog ich andere - um mich zu schützen. UND um zu überleben... besonders finanziell. das lügen zum erlangen finanzieller vorteile - das hatte ich für mich entwickelt und angewendet.

    es gibt nicht viele menschen, die man anlügen kann, um an geld zu kommen. ich brauchte aber dringend geld. im laufe der jahre immer mehr und immer häufiger... weil ich weniger arbeiten konnte und mehr alkohol brauchte, um mich zu betäuben. wen geht man um geld an, wenn man nicht weiter weiss? richtig... ich begann, meine eltern anzupumpen. aus meiner sicht hatten sie doch einen großteil der schuld für mein verkorkstes leben auf sich geladen - also: her mit dem geld... so dachte ich wirklich. es funktionierte sehr gut und jahrelang.

    letztlich hat meine mutter meinen suff finanziert. sie weiss das auch, meine schwestern wissen es, und ich begann mein widerliches verhalten erst zu begreifen, als ich trocken wurde. es beschämt mich bis heute sehr. was habe ich nicht alles erfunden, um von ihr geld zu bekommen. angefangen vom abgebrochenen studium, weiter über angebliche mieterhöhungen, angebliche geklaute geldbörsen, angebliche wohnungseinbrüche... ich habe ihr jede menge lügen aufgetischt, damit sie überweist. und das tat sie... bis zum schluss, bis ich aufhörte mit dem saufen. unzählige briefe habe ich von ihr bekommen, in denen ein "scheinchen" steckte, den ich sofort in alkohol und zigaretten umsetzte.

    diese lügen habe ich nicht nur bei ihr angewendet... auch alte freunde mussten dran glauben. ich habe mir geld "geliehen" und nicht zurückgezahlt. ich habe in läden gestohlen, zwar nicht viel, weil ich angst hatte, erwischt zu werden, aber immerhin: ich habe geklaut. ich habe auch gelogen, wenn es nicht ums geld ging: ich habe gelogen, um nicht arbeiten zu müssen, oder ich habe gründe vorgeschoben, um mich nicht mit anderen menschen treffen zu müssen. wenn ich irgendwas verbockt hatte, mussten lügen her, damit ich selber nicht als schuldiger da stehe.

    in meinem weiter abstürzenden säufer-leben wurde alles immer mehr zu einer einzigen lüge: irgendwann lebte ich nur noch, um alkohol trinken zu können... damit ich das selber nicht so merkte, belog ich mich selber: "... ist doch alles nicht so schlimm.... andere trinken doch auch.. das leben ist eben so... " und so weiter. diese art der lebenslüge wurde besonders in den kneipen gewürdigt, in denen ich verkehrte. nie ist mir damals aufgefallen, dass sich alle dort ausnahmslos als opfer sahen - mich eingeschlossen. es war ein einziges herumlamentieren und nörgeln an der schlimmen welt da draussen...
    schuld sind immer die anderen. die schuld sucht man NIE bei sich selber... man tut nichts anderes, als sich zu belügen. in solchen kneipen findet man bestätigung und geht irgendwann betrunken nach hause. das aufwachen am nächsten tag straft einen dann - das lügen hat sich nicht gelohnt. man muss schnell weiter trinken... denn das böse leben hat einen wieder.

    als ich erkannte, dass ich mich immer weiter in die gefühlslosigkeit und damit in die isolation soff, hörte ich langsam auf, mich zu belügen. ich habe viel geweint, als ich begann, wieder gefühle zuzulassen. immer wieder lese und höre ich vom berühmten "tiefpunkt" den ein suchtkranker braucht, um aus dem dunkeln loch vielleicht wieder herauszukommen. dieser tiefpunkt ist bei jedem menschen ein anderer, es gibt keine wertigkeiten oder wertungen: für den einen ist es die brücke, unter der man zuhause war, für den anderen das erkennen einer lebenlüge, für den nächsten beides - was auch immer.

    in meinem fall war es vielleicht das erkennen meines sinnlos gewordenen lebens und der einsicht: "hey... mit anfang vierzig gibt es doch wohl noch was anderes, als sich dauernd zu bemitleiden und weiter zu versinken." ich habe keine ahnung, wer mir mit dem zeigefinger drohte und damit in meinem kopf etwas in bewegung setzte.... aber ab dem augenblick, in dem ich mich als säufer akzeptierte, ging es langsam bergauf. sehr langsam! bis ich wirklich VERSTAND, was ich da mit mir angestellt habe die vielen jahre, verging noch eine menge zeit. aber alles braucht einen anfang. bei mir war es mein erkennen: "peter, du bist alkoholiker, du bekommst dein leben nicht mehr auf die reihe. der alkohol bestimmt dein leben. wenn du es allein nicht schaffst, dann such dir hilfe."

    ab da brauchte ich nicht mehr lügen. und mit dem aufhören der lüge endete sehr bald auch meine fürchterliche nasse zeit.


    ich danke fürs lesen. es geht weiter.


    peter

  • Hallo Peter, guten Morgen!

    Danke, daß du uns in dieser Tiefe teilhaben läßt.

    Das da

    Zitat

    *schnipp*

    gefällt mir soooo gut! Da steckt glaube ich ein höchst lebendiger, humorvoller Mensch zwischen den Zeilen...

    Schön, daß du dich selber ausgegraben hast.


    Viele Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • hallo zusammen,

    und wieder sage ich "danke" für den lieben zuspruch, der mir gut tut und der mir hilft, mein leben zu erzählen. es fällt mir viel leichter, als man es vermuten könnte. ich habe schon vor längerer zeit daran gedacht, dies zu tun - aber ich war noch nicht so weit. in mein trockenes leben war zwar schon vernunft eingekehrt, aber zum schreiben langte es nicht, ich konnte noch nicht aus dieser perspektive erzählen, aus der ich es heute kann.

    scham und lüge, diese beiden bei mir so eng zusammenliegenden dinge bringen mich dazu, über meine finanzen und meine arbeit zu sprechen...


    *schnipp*


    1984 / 1985 zog ich von der kleinstadt im nordwesten deutschlands nach berlin. dort holte ich mein abitur nach und hatte vor, zu studieren. ungefähr in diese zeit fiel auch meine sehr langsame gewöhnung an alkohol. ich begann zu studieren, aber mich langweilte alles... egal, welches fach - ich habe dreimal das studienfach gewechselt - alles fand ich letztendlich belanglos. ich erinnere mich sehr genau, wie ich nach einer stunde unterricht an der technischen uni raus bin, über die strasse in ein café und dort erstmal ein glas sekt trank... zur entspannung natürlich. mit dem studium wurde es nichts, das wusste ich von anfang an. aber es hinderte mich auch nicht, weiter an der uni eingeschrieben zu bleiben...

    über einen freund kam ich an das taxifahren. ich dachte, ich könnte in dem job schnell geld verdienen und dann wieder etwas anderes versuchen. ich machte den taxischein und fing an zu arbeiten... für einen säufer ist dieser job im grunde nicht schlecht - wenn man nicht zuviel restalkohol hat....
    der riesenvorteil dieses jobs lag in der vermeintlichen freiheit, arbeiten zu können, wann man will, nie einen chef neben sich zu haben und abends mit einem beutel geld nach hause gehen zu können. ich wurde auf provisionsbasis bezahlt und legte den anteil des chefs abend raus - meinen anteil versoff ich zum teil.

    im laufe der jahre wurden die umsätze schlechter, mein einkommen auch - aber mein alkoholbedarf stieg. ich begann immer mehr, meine kompletten einnahmen nach der schicht in der kneipe zu lassen. als auch das nicht mehr reichte, verging ich mich am anteil meines chefs. rechtlich gesehen ist das mindestens "veruntreuung" - aber das war mir egal. es häuften sich schulden an bei meinem chef... wenn es mehr wurden, als 2000/3000 DM, bettelte ich meine eltern an und die beglichen die schulden... denn sonst wäre der job weg gewesen.. wer will das schon - und damit habe ich meine eltern immer rumgekriegt.

    zu den schulden beim arbeitgeber häufte ich schulden bei freunden an, bei der telekom - und bei meinem vermieter. den briefkasten machte ich irgendwann nicht mehr auf, denn ich wusste ja, was da drin war. wenn er zu vollgestopft war, leerte ich alles in eine einkaufstüte und schmiss die briefe ungeöffnet weg. man muss sich das mal vorstellen: ich hatte dann wirklich das gefühl der erleichterung, weil der briefkasten wieder leer war... so eine kranke denke... und wenn das telefon wieder mal abgestellt wurde, sprang meine mutter ein. für andere beträge habe ich freunde angebettelt und wieder irgendwelche komischen geschichten erfunden...

    es kam, wie es kommen musste...: irgendwann stand der briefträger vor mir und überreichte mir etwas in einer "zustellungsurkunde" - die kündigung meiner parterre-gruft-wohnung wegen nicht geleisteter mietzahlungen. in einem akt der riesengroßen lüge und mit hilfe eines befreundeten rechtsanwaltes wurde die kündigung der wohnung zurückgenommen. natürlich, nachdem die mietschulden ausgeglichen waren. dies hatte wieder einmal meine mutter übernommen.

    mein chef bekam natürlich mit, dass ich ständig ohne geld war. ich war auch vollkommen abgegessen vom taxifahren und konnte keine fahrgäste mehr sehen, wenn ich denn mal welche hatte. auch meine nerven wurden schwächer und ich anfälliger, überhaupt noch ins taxi zu steigen und zu arbeiten. ich wurde langsam aber stetig UNFÄHIG, zu arbeiten. ich übernahm andere aufgaben in der firma - gott sei dank! ich fuhr nur noch an sonntagen tagsüber taxi und schmiss ansonsten das büro und machte die schulung für menschen, die sich auf das taxifahren und die ortskundeprüfung vorbereiten wollten. endlich war ich weg vom fahren... denn das wurde immer gefährlicher wegen meines erheblichen restalkohols. tja, so schmiss ich das büro - mit einer flasche bier unter dem schreibtisch... ich konnte nun während der arbeit weiter trinken.

    mein chef sagte mal zu mir, ich sei "gesellschafts-unfähig" und "sozial nicht kompatibel".. er hatte recht und er half mir, nicht vollkommen ohne arbeit zu sein. so bekam ich eigentlich nie das gefühl, ich würde gesellschaftlich im abseits oder ich würde in der nähe eines obdachlosen stehen. das schicksal eines wohnungslosen menschen blieb mir erspart... aber ich war immer um haaresbreite am abgrund und es hätte nicht viel gefehlt, dass ich diese erfahrung hätte machen müssen, denn irgendwann hätte auch die familie dichtgemacht und mich nicht mehr unterstützt.

    ich lebte von sehr wenig geld, das meiste setzte ich weiter in alkohol um. ich besorgte mir eine billigere wohnung neukölln und hatte von nun an das elend vieler alkoholiker vor meiner wohnungstür und vor meinen augen - denn in nord-neukölln, wo ich hinzog, prallten nicht nur viele verschiedene kulturen zusammen, sondern auch massive gesellschaftliche probleme. es ist ein wenig paradox - aber ich zog in einen problematischen stadtteil und öffnete mir damit selbst die augen: DAS kann auch alles DIR passieren.. - und ich war ja auf dem allerbesten weg dahin.

    meine immer wiederkehrenden geldprobleme habe ich versucht, mit hartz4 und "aufstockenden leistungen" der jobcenter in den griff zu bekommen, das funktionierte eine zeitlang ganz brauchbar, aber das geld floss in alkoholischer form letztlich doch in die kneipe oder gleich zuhause in meinen hals. was ich auch versuchte, um finanziell besser dazustehen: ich tat es NUR, um weiter problemlos saufen zu können.

    meine finanziellen angelegenheiten bekam ich erst wieder sehr langsam geregelt, als ich zugab, mein leben nicht mehr im griff zu haben. bevor ich vor dem alkohol kapitulierte, waren alle versuche vergebens: sie hatten nur ein ziel: weiter trinken zu können. der alkohol hatte mich also vollkommen im griff... ich konnte nicht mehr klar denken. mein leben drehte sich nur noch um beschaffung und konsum, auch wenn ich stets versuchte, die fassade zu wahren und kein mensch mehr an mich glaubte. sogar in dem jämmerlichen zustand, in dem ich mich am ende befand, dachte ich meistens, ich sei doch vollkommen normal.

    WIE krank ich schon war, vor allem im kopf, bekam ich allenfalls in kurzen zeitfenstern mit... dass mein denken vom alkohol bestimmt wurde und diese denke und der alkohol mir meine wirtschaftliche lebensbasis zerstörte... "ach gott... sooooo schlimm ist es ja nun auch nicht".

    diesen unsinn glaubte ich wirklich...


    danke fürs lesen. es geht weiter.


    peter

  • Lieber Peter!

    Danke für Dein Schreiben!

    Weisst Du,auch wenn mein Krankheitsverlauf etwas anders verläuft,ich kann alles was Du beschreibst unterschreiben.Das hatte/habe ich auch in mir.

    Diese Erkenntnis liess mich hier im Forum anklopfen.

    In einem hellen Blitzlicht habe ich gesehen wo ich landen würde,wenn ich so weiter machen würde.

    Du hast echt lange gelitten,alle guten Gedanken ausgeblendet.

    Ich gratuliere Dir ganz herzlich,dass Du da rausgefunden hast
    Du bist nicht liegen geblieben,Du hast Dich aufgerafft.

    Das war,denke ich ,inDeinem Stadium ein Kraftakt.

    Deine Worte berühren mich sehr.

    Liebe Grüsse
    Yvonne

    ichbinda123

  • bevor ich erzähle, wie ich mein leben langsam und dauerhaft umkrempelte, möchte ich kurz etwas zu "freunden" schreiben.


    ich habe langjährige freunde, die ich bereits vor meiner nassen zeit hatte.

    ich hatte freunde, die ich zu beginn meiner nassen zeit hatte.

    ich hatte freunde, die ich NUR zu meiner nassen zeit hatte.

    ich habe wieder neue freunde, die peter als nassen alkoholiker nicht kennen.


    die freunde der ersten gruppe sind fast vollständig wieder da und haben ungläubig und oft entsetzt gehört und gesehen, wie mein leben verlief. diese menschen wiedergewonnen zu haben ist für mich ein ganz großes glück, dass ich manchmal nicht fassen kann.

    die freunde der zweiten gruppe waren freunde, mit denen ich begonnen habe, zu trinken. diesen freunden mache ich nicht den vorwurf, mich zum trinken gebracht zu haben. aber diese menschen waren eben genau zu dem zeitpunkt in mein leben getreten, als ich begann mich mit alkohol WEGzumachen. zu diesen freunden habe ich keinen kontakt mehr. meiner besten freundin aus dieser gruppe habe ich drei monate vor meinem trockenwerden die freundschaft vor die füsse geworfen. mit dieser frau verband mich eine gemeinsame zeit, die ausschliesslich vom saufen geprägt war. sie trinkt heute noch.

    die freunde der dritten gruppe gibt es (mit einer ausnahme) nicht mehr. sie sind tot oder sie sind auf dem wege dahin. es waren meine "sauffreunde", die den absprung nicht schafften, starben oder teilweise noch heute leiden. hier werde ich kurz etwas genauer: der erste starb in seiner wohnung auf der toilette, seine organe waren soweit zerstört, dass es fast ein wunder war, wie er die letzten monate gelebt hatte. er war 37 jahre alt. der zweite starb an krebs... jahrelanger alkoholkonsum und nikotin haben seinen magen "verdorben". er war ende 40. den dritten hat der tod links liegen lassen: er ist dauerpatient in einer klinik: er erkennt niemanden mehr, ist mit psychopharmaka eingestellt und scheppert den ganzen tag mit plastiktellern gegen wände und zäune. er war bildender künstler. der vierte starb letzten montag... er hatte schon vor sechs jahren eine magenkrebs-operation und konnte sich nicht entschliessen, das saufen zu lassen. sechs jahre hat er noch gebraucht, um sich mit hochprozentigem das leben langsam zu nehmen. er wurde mitte 50. die angesprochene ausnahme unter diesen menschen ist ein freund, der den weg nicht findet und für den ich ein vorbild geworden bin. die tür zu diesem menschen kann ich nicht zuwerfen, sie wird immer nur angelehnt sein für den fall, dass er mal aufhören möchte, sein leben zu zerstören. wenn er soweit ist, bin ich da.

    die freunde der vierten gruppe sind völlig neue menschen, die mein leben mit alkohol nicht kannten. für viele ist es ganz unspektakulär, dass ich nichts alkoholisches trinke, einige waren verwundert und dann sehr respektvoll, als ich ihnen sage, warum ich lieber bei tee und kaffee bleibe. mein nicht-trinken wird allgemein akzeptiert, niemand schert sich im grunde darum. es ist viel leichter, menschen zu sagen "ich bin alkoholiker" als ich jemals dachte. ich hätte nicht geglaubt, wie schnell die luft raus ist aus dummen sprüchen und wie schnell ernsthaftes interesse an der eigenen geschichte entsteht.

    die alten freunde und die ganz neuen freunde - und dazwischen diese merkwürdige lücke, die keine ist: all diese freunde machten und machen mein leben aus. auch wenn einige daran nicht mehr teilhaben, aus verschiedenen gründen.


    ich danke fürs lesen. es geht bald weiter.


    peter

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