Geht ihr mit der Sucht offen um?

  • Darüber habe ich nie nachgedacht. Zu Hause wurde immer heile Welt gespielt und meine Mutter lebt irgendwie damit, ohne das Problem meines Vaters nach außen zu treten. Ich glaube, sogar mit ihren Freundinnen spricht sie nicht darüber. Früher als kleines Kind dachte ich immer, es wäre normal und in allen Familien so, dass die Papas nach der Arbeit oder am Wochenende auf ihrer Couch sitzen, dort Bier trinken, rauchen, sich von Frau und Kinder bedienen lassen und Fernseh gucken. Erst als wir in der Schule (etwa 6. oder 7. Klasse) einen Infotag über Alkoholsucht hatten, bei dem trockene Alkoholiker ihre Gescichte erzählt haben und wir ein Informationsblatt bekommen haben, auf dem einige Punkte standen, die man mit "Ja" oder "Nein" beantworten musste, ist mir klar geworden, dass mein Vater Alkoholiker ist. Das muss jetzt etwa 18 Jahre her sein. Ich war ziemlich geschockt. Einen Tag später kam mein jüngerer Bruder zu mir, genauso geschockt, da auch an seiner Schule dieser Infotag stattfand. Ihm ging es genauso wie mir. Wir wurden durch unsere gleichen Gedanken und Eindrücke bestärkt, dass wir Recht hatten mit unserer Vermutung. Meine Mutter habe ich daraufhin angesprochen, sie wollte aber von dem Thema nie was wissen und hat (bis vor 3 Wochen) nie mit mir darüber geredet. Mein Bruder hat in den ganzen Jahren nie was dazu gesagt. Ich war diejenige, die als Jugendliche Kontra gegeben hat. Wenn er mal wieder von mir bedient werde wollte, habe ich ihm dann z.B. gesagt, dass ich seine Sucht nicht noch unterstütze und dass er sich sein Bier gefälligst selber holen soll. Das ist mir dann allerdings zum Verhängnis geworden, denn mein Vater hat mir seit dieser Zeit das Leben richtig schwer gemacht. Ich bin damals kurz nach dem Abi ausgezogen, da ich seine Psychospielchen nicht mehr aushalten konnte. Meine Mutter sagt damals immer nur zu mir, ich soll mich von ihm einfach fern halten und nichts sagen, dann wäre es für mich nicht mehr so schlimm. Mein Bruder sagte mir damals mal, ich solle es so machen wie er, einfach das machen, was Papa verlangt, dann wäre das Leben angenehmer...
    Ich habe in meinem Freundeskreis immer offen darüber gesprochen. Klar ist es einerseits unangenehm, aber es ist meine Art, über Dinge, die mich beschäftigen, im Freundeskreis darüber zu sprechen.

  • Hallo Kiwipresse,

    ich differenziere hinsichtlich Offenheit in puncto Alkoholkrankheit meines Vaters. Ich habe die Beziehung zu meinem alkoholkranken Vater mit Mitte Zwanzig beendet und keinen Kontakt mehr. Je weiter ich mich von ihm entfernt habe, umso mehr bin ich zu mir selbst gekommen und meinen Weg gegangen. Auf diesem Weg komme ich hin und wieder in Situationen, wo nach dem Elternhaus gefragt wird. Ich differenziere und wäge vorher ab, was es mir bringt, offen mit dem Thema umzugehen. Ich will nicht auf meine Vergangenheit reduziert, sondern als Mensch gesehen werden, der ich hier und heute bin - erwachsen und ohne Eltern.

    Gruß Kopfmensch

  • Also, bevor ich irgendwelche Lügengeschichten erzähle, sage ich entweder die Wahrheit oder gar nichts dazu. Meine Eltern wollten früher einmal, dass ich lüge und erzähle, dass mein Arm verbunden ist, weil ich die Treppe runtergefallen bin. Ich habe aber meinen Freundinnen erzählt, dass mein Vater mir im Zorn beinahe den Arm (völlig ohne Grund) gebrochen hätte (da ich nicht eingesehen habe, weshalb ich etwas anderes erzählen sollte)...

    Meinst du nicht, dass in Wirklichkeit die nähere Umgebung deiner Eltern (Verwandtschaft, Freunde, Nachbarn) von der Alkoholsucht weiß, auch wenn deine Eltern es nicht nach außen tragen? Ich bin mir absolut sicher, dass die Nachbarn meiner Eltern, Papas Arbeitskollegen und alle anderen näher Bekannten davon wissen, ohne dass man je mit denen darüber gesprochen hat.

    Ich bin ja damals nach dem Abi ausgezogen und habe mich sehr schwer in der Schule getan, habe so gerade mein Abi geschafft. Als ich dann während meiner Ausbildung in meiner eigenen Wohnung war und Abstand von dem Ganzen hatte, habe ich meine Gesellenprüfung mit einer super EINS bestanden, ein Stipendium erhalten... Ich denke, es liegt auch ein bisschen mit an der Situation, dass ich mich in der Zeit aus meiner Familie rausgezogen habe. Mit meiner Mutter hatte ich regelmäßigen Kontakt, meinen Vater habe ich im Jahr höchstens 3mal gesehen, obwohl meine Wohnung nicht einmal 2km entfernt war.

  • Mein Vater war früher auch Alkoholiker und ich habe viele Schamgefühle und Schuldgefühle entwickelt, die ich dann jahrelang mühsam austreiben musste.
    Wenn man es offen bekennt und die Leuten, mit wem man redet, nichts davon verstehen, zwingen sie einem fast dazu sich für den "falschen" Verhalten zu rechtfertigen.
    Ich glaube, am besten ist, wenn man wirklich nur davon erzählt, wo man voller Vertrauen hat, dass man auch verstanden und abgefangen wird.

  • Ich gehe damit inzwischen sehr offen um und erzähle es auch am Arbeitsplatz.

    Anders konnte ich nicht erklären, warum ich frei brauchte, um meine Mama zu pflegen, obwohl es doch einen Rentner im Haushalt gibt, der das auch übernehmen könnte ....

    Warum sollte ich mich dafür schämen? Es ist seine Sucht, nicht meine.

  • hallo, ich finde es total schwer mich zu outen. daheim meine mum und ich haben öfters drüber geredet. flaschen verstecken und streits waren an der tagesordnung.
    mein freund weiß bescheid, ist mir aber total schwer gefallen ihm das zu sagen... wobei er es für meine begriffe super aufnimmt und auch in seiner entfernteren verwandtschaft gibts alkis.
    meine freundinnen wissen nicht bescheid, erzähle nur dass es daheim mal wieder streit gab, dass sie sich nicht mehr vertragen meine eltern. aber würde mir total falsch vorkommen mich nach 10jahren freundschaft noch zu outen.
    hab ja auch abstand und will das nicht auch noch in meiner freizeit zum thema machen.
    die nachbarn wissen ziemlich sicher bescheid, zwar nie offen ausgesprochen aber die sind ja auch nich blind. und sonst die geschwister meiner mum denke ich wissen auch bescheid. ist bei uns daheim ja nicht wirklich zu übersehen.

  • Hallo Maschinchen,

    ich kennen diesen mitleidigen, hilflosen Blick von meinem Umfeld auch. Deshalb wähle ich heute auch mit Bedacht aus, wem ich was erzähle. Mir ist es in der Vergangenheit schon einmal passiert, das mich jemand analysieren wollte, weil ich ihm erzählt habe, dass ich Kind eines Alkoholikers bin. "Ach, deshalb bist Du so". Er schob plötzlich alles darauf. Ich fühlte mich als Mensch reduziert.

    Schlechte Noten hatte ich teilweise auch, weil ich Nächte mit meinem Vater durchdiskutiert habe und nur wenige Stunden Schlaf hatte. In der Schule war ich gleichzeitig Außenseiterin und Idol, weil ich so eigenartig war. Es wusste jedoch niemand von meinen Verhältnissen zu Hause. Erzählt habe ich es aus Scham nicht.

    Naja - heute bin ich erwachsen und ich bin, wie ich bin - egal, was meine Eltern sind.

    Gruß - Kopfmensch

  • Ich trug auch lange Zeit das Herz auf der Zunge. Heute bin ich eher verschwiegen. Normalos sind mit den Storys, die ich auf Lager habe restlos überfordert. Und die EKAs die ich kenne haben ihre eigenen Stories.

    Ich wünsche mir eine EDIT-Funktion...

  • Hallöchen :)
    ich bin immer offen mit der Sucht meiner Eltern umgegangen.. es war auch eigentlich nicht zu leugnen.. man sah es ihnen an! Es hätte also eh jeder gemerkt und ich selber habe mir auch nie in dieser Beziehung was vorgemacht! Einer meiner Brüder hat es allerdings immer geleugnet oder super Erklärungen für die leeren Flaschen im Schrank gefunden.
    Es muss jeder mit sich selber ausmachen aber ich denke, dass es nicht gut ist, so zu tun als wenn alles klasse wäre.. der Knall wird kommen und dann ist es schlimmer, als wenn man lernt damit umzugehen! Meine Eltern sind mittlerweile beide am Alk gestorben.. und auch das spreche ich offen aus!

    Manchmal ist das Leben einfach nur grausam :(

  • Zuerst habe ich mir selbst nicht eingestanden, dass mein Vater süchtig ist...aber inzwischen spreche ich mit sehr guten Freunden darüber. Alllerdings bin ich sehr vorsichtig mit der Auswahl der Geschichten und dem Zeitpunkt wann ich sie erzähle. Irgendwie scheint man damit die meisten Leute erstmal abzuschrecken.
    An für sich finde ich es aber für mich selbst wichtig, darüber sprechen zu können. Es hilft mir bei meinem "Heilungsprozess", den ich mir gerade selbst verschrieben habe. Deshalb denke ich, dass es auch für viele andere ein Fortschritt und wohltuend sein kann, darüber zu sprechen.

    In meiner Familie ist das Thema schwierig - ich traue mich kaum, meinen Vater darauf anzusprechen. Ich habe es 3 mal getan, und er war danach extrem traurig. Was er getan hat ums zu "verarbeiten" kann man sich ja denken.

    Mit meiner Mutter kann ich ganz gut darüber sprechen, solange es mich und meine Gefühle im Bezug auf die Sucht geht. Wenn es sie selbst betrifft wirds schon schwieriger.

  • Hallo.

    Als ich noch ein Grundschulkind war, hatte meine Mutter auch ein immer größer werdendes Alkoholproblem. Darüber gesprochen wurde nicht - zumindest nicht mir gegenüber oder in meinem Beisein und ich glaube bis heute, es wurde auch unter den Erwachsenen unter sich nie darüber geredet. Bis es so eskaliert ist, dass meine Mutter stockbetrunken im Dorf mit dem Fahrrad hingefallen ist und mein Vater daraufhin regelrecht ausgerastet ist und ihr gegenüber gewalttätig wurde.

    Da war dann nichts mehr zu verstecken - die Verwandtschaft hat sich eingeschaltet und meine Mutter kam zum Entzug in eine Suchtklinik. Ich kann mich an diese Zeit kaum erinnern. Auch da wurde mit mir kein Wort über das Problem geredet und was jetzt gerade passiert.

    Danach habe ich bruchstückhaft mitbekommen, dass sie noch diverse Therapien und Entspannungskurse mitgemacht hat. Auch darüber hat nie jemand mit mir geredet.

    Danach war meine Mutter zwar trocken, aber ich entwickelte im Laufe meiner Kindheit und Jugend jede Menge psychische Störungen (Ängste, Atemnot, Panikattacken, soziale Probleme ...). Darüber habe ICH wiederrum mit niemandem geredet, weil ich nie gelernt habe, dass man über Probleme redet, sondern, dass man so macht, als wäre alles gut.

    Heute bin ich in der traurigen Situation, dass meine ohnehin schon gesundheitlich ziemlich angeschlagene Mutter im Alter von über 70 Jahren wieder mit dem Trinken angefangen hat. Sie leugnet es natürlich und sieht nicht ein, dass sie ein Problem hat und sich damit immer kaputter macht (es geht rasant, dank ihrer Vorerkrankungen).

    Allerdings mache ich es jetzt anders als in meinem bisherigen Leben - ich habe SIE als erstes mal darauf angesprochen, irgendwann habe ich dann meinen Lebensgefährten eingeweiht und ihm alles erzählt. Auch meine Erfahrungen aus der Kindheit. Dann habe ich dem Hausarzt meiner Mutter bescheidgesagt - gegen ihren Willen - allerdings mit dem Ergebnis, dass er das ganze ziemlich heruntergespielt hat. Und meine engsten Freunde sind jetzt auch eingeweiht.

    Und ich kann nur eines sagen: ES TUT SO GUT! Ich kann endlich über diese ganzen Dinge reden und bin bis jetzt ausnahmslos auf Verständnis und offene Ohren gestoßen.

    Allerdings würde ich auch nicht jedem von diesen Alkoholproblemen erzählen. Schon gar nicht den Leuten, von denen ich weiß, wie sie mit Problemen umgehen und von denen ich zu 99 % sicher zu hören bekäme, ich müsse mich dann halt mehr um meine Mutter kümmern oder sie zu einer Therapie bringen oder ähnlichen Kram. Eben diese halbherzigen bis offenen Vorwürfe nach dem Motto "es liegt an dir als Tochter, dass es deiner Mutter bessergeht".

  • Mittlerweile bin ich da eher offen. Menschen, die mir wichtig sind, wissen dass mein Vater Alkoholiker ist, der Rest ist mir eher egal. Im Moment stellt sich für mich allerdings die Frage, ob meine zukünftigen Schwiegereltern informiert werden sollten oder nicht. Meine Hochzeit steht im September an und mein Vater soll nicht dabei sein (aber das ist ein Thema für sich ) :roll:

    Meine Familie, außer Mutter und Bruder wissen offiziell nichts, aber sie müssten schon blind und taub sein, um nichts zu ahnen.

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