Hallo liebe Forumsteilnehmer,
Ich bin Clara, bald 27 und seit 3 Monaten trockene Alkoholikerin.
Ich weiß nicht recht, wie und wo ich anfangen soll, und diese Tatsache ist auch exemplarisch für meinen gegenwärtigen Trockenheitszustand - ich habe 3 Monate geschafft und sehe eigentlich überall Probleme, die nach Bearbeitung fordern. Die letzten 10 Jahre, in denen ich getrunken habe, die ja auch gleichzeitig eine ohnehin schwierige Zeit in der Entwicklung darstellen, haben einen Lebensstil bewirkt, in dem ich nur weggerannt bin, ich habe mein Leben nicht gestaltet, sondern war in jeder erdenklichen Art abhängig: von Drogen, Alkohol, anderen Menschen...
Vielleicht versuche ich kurz, meinen "Werdegang" zu umreißen:
- aufgewachsen bei meinen Großeltern in einem vollkommen alkfreien Zuhause (Wegen Trennung und Vater Alk- und drogenabhängig - bin also supertolles Exempel für die Verfechter der genetischen Bedingtheit unserer Krankheit)
- Mit 15 erster Kontakt zu Alk (relativ spät und wirkte bei mir fast psychedelisch)
- Bis 18 das für das Alter typische, grenzwertige Missbrauchstrinken am Wochenende, Parties, etc.
- Ab 18: eigene Wohnung, andere Drogen, destruktive Beziehung mit Co-Struktur, Synchrontrinken. Jeden zweiten Tag eine Flasche Whisky, was ich mit selbstgewähltem Lebensstil rechtfertigte: Ich werde Rockstar und bin außerdem trotzdem hochfunktional
- die nächsten Jahre: schwankender Konsum, bereits mit einigen Versuchen des Aufhörens, aber null Krankheitseinsicht.
- mit Kennenlernen des Vaters meiner Kinder (erneute Alkbeziehung, wüsste eigtl nicht, mal mit jemanden zusammengewesen zu sein, der nicht trank) zementierte sich eine neue Trinkstruktur, die einerseits meinen Tiefpunkt darstellt und dadurch aber später auch endlich Krankheitseinsicht produzieren konnte: Tägliches Trinken, mit Ausnahme der Schwangerschaft, erneuter Trinkbeginn nach der Geburt mit der "Entschuldigung": Ich muss saufen, weil ich sonst nicht funktioniere, und nicht aushaltbar bin, und es auch alles nicht aushalte.
Irgendwann begann ich hier im Forum zu lesen, damals noch unter Einfluss der allabendlichen Flasche Rotwein, und mit der Einstellung, alles und jeder, aber auch wirklich jeder, sei schuld an meinem Trinken und den Verfehlungen meines Lebens.
Nach einigen gescheiterten Versuchen des Nichtrinkens habe ich dann vor drei Monaten den ehrlichen Weg gewählt, bin zu meinem Hausarzt und habe auch endlich mal einen Termin bei der Suchtberatung gemacht.
Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, eigtl nach wie vor nicht ehrlich genug zu sein. Ich habe relativ schleppend den Menschen meines Umfeldes gesagt, dass ich nicht mehr trinke. Dass ich nicht "mal eine Zeitlang aufhöre", sondern nie mehr trinken werde. Einigen habe ich es aber immer noch nicht gesagt, teils, weil ich Angst habe, in Diskussionen über deren eigenes Trinkverhalten verwickelt zu werden, und deren eigene Widerstände zu spüren: "Wenn sie (ich) Alkoholikerin sein sollte, dann bin ich es doch auch?!" - Hier merke ich zB, dass ich mich viel zu viel um andere und deren Leben kümmere, anstatt endlich vor meiner eigenen Tür zu kehren, und ich habe weiß Gott genügend eigene Baustellen.
Ich habe das Gefühl, seit meinem Saufstopp bin ich mit voller Wucht mit der Realität konfrontiert, keine besonders geistreiche Einsicht, wenn man bedenkt, dass es in dieser Situation wohl kaum jemandem anders geht.
Auch wenn drei Monate bereits eine längere Zeit sind, habe ich das Gefühl, noch ganz am Anfang zu stehen.
Ich habe hier schon öfter den Satz gelesen, "nur nicht trinken reicht nicht", ich formuliere ihn für mich so: nur nicht trinken geht auch nicht.
Wenn ich mit einer Situation konfrontiert bin, in der ich früher einfach klein bei gegeben hätte, weiß ich sofort, ich hätte damals mit Saufen meinen Frust kompensiert. Diese Option fällt nun weg, allerdings gibt es ja 100erte von Wegen, erneut wegzurennen, zu verdrängen. Diese Wege möchte ich mir nicht erlauben, und scheitere dennoch immer wieder daran, weil die Fülle an Verdrängtem und zu Erledigendem einfach zu groß ist.
Ich sage mir dann: Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, also brauche Geduld mit mir selber, und muss der Nüchternheit Priorität geben, das ist etwas, was ich aus der Lektüre des Forums bereits gelernt habe.
Prekär ist nur, dass es Lebensentscheidungen gibt, die sich nicht ewig nach hinten verschieben lassen, und allein die Priorisierung von zu Bearbeitendem ist eine Sache für sich.
Ich möchte bald noch etwas detaillierte auf meine eigene Geschichte eingehen, das wahrscheinlich dann aber im geschlossenen Bereich.
Ansonsten werde ich jetzt mal schließen und vielleicht das ein oder andere zu anderen Beiträgen schreiben - die Balance zwischen der eigenen Problemwälzerei und der Notwendigkeit, auch mal bewusst von mir selbst abzusehen - auch so eine Schwierigkeit von mir...
Liebe Grüße,
Clara.