Vorstellung - 15 Tagen Nüchternheit

  • Hallo
    Jetzt habe ich den Thread einige Male durchgelesen, und er lässt mich jedesmal etwas verwirrter zurück.
    Nicht dass es sich gewiss über Werbebotschaften streiten ließe, verschiedene therapeutische Ansätze und unterschiedlichen Schulen kontrovers diskutiert werden können und auch philosophische Meinungen mannigfache Wertungen zulassen – jedoch stellen alle eine gemeinsame Frage.
    Wie will ich (weiter)-leben (oder sterben)?
    Eine Antwort darauf zu finden war zu Beginn meines Abstinenzversuchs jedenfalls weitaus wichtiger, als die Konzentration auf „die Anderen“ und anderes.
    Was ich feststellen musste war, dass ich es alleine über den Verstand nicht wirklich auf die Reihe gebracht hätte.
    Auch wenn dir (wie mir einst) Emotionen skurril, fehlerhaft und eher lästig vorkommen sollten, waren sie der Schlüssel zu dem, was ich nunmehr erreicht habe.
    Leider haben sich die Empfindungen jeglicher klassischen Analyse widersetzt – sie sind einfach nur da und ich habe nunmehr Übung darin mit ihnen angemessen umzugehen.
    Wie hast du mit ihnen vor? Kannst du sie zulassen?
    Gruß - Uwe

  • Guten Morgen, Uwe!


    Zitat von uwe.rothaemel

    (...) jedoch stellen alle eine gemeinsame Frage.
    Wie will ich (weiter)-leben (oder sterben)?

    Ja, das ist die existentielle Frage, die sich die meisten Schwerstkranken wohl stellen. Auch der z.B. an Krebs Erkrankte.

    Zitat von uwe.rothaemel

    Was ich feststellen musste war, dass ich es alleine über den Verstand nicht wirklich auf die Reihe gebracht hätte.

    Das ist ein Topos, den man häufig lesen kann. Aber welche Instanz hat das festgestellt? Der Satz "das hätte ich mit dem Verstand alleine nicht geschafft" ist nur mithilfe eben des Verstandes denk- und formulierbar. Ganz analog verhält es sich mit der Frage, ob "ich Gefühle zulasse oder nicht". Gefühle und Affekte sind da. Sobald ich versuche, diese vorsprachlichen Phänomene zu versprachlichen, objektiviere ich sie, mache sie zum Gegenstand meiner Untersuchung. Überspitzt formuliert, werden die Gefühle und Affekte durch die Reflexion kontaminiert. Sie sind nicht mehr dieselben. Viele, die sich die Illusion der "reinen Gefühle" nicht nehmen lassen wollen, reagieren aggressiv, wenn man z.B. ihren Lieblingsfilm "zerredet". Ohne diese Möglichkeit, Gefühle und Affekte zu objektivieren und zu versprachlichen (wenn auch niemals vollständig, es bleibt immer ein nur schwer zugänglicher Rest) wären Gesprächstherapie oder Seelsorge nicht möglich. Wenn wir uns etwa "Kummer von der Seele reden" und dann Erleichterung verspüren, haben wir das unangenehme Gefühl verändert, "kontaminiert". Gesellschaftliche Konventionen, aber auch das Gesetz verlangen von uns ohnehin eine gewisse Kontrolle über unsere Gefühle und Affekte.


    Zitat von uwe.rothaemel

    Leider haben sich die Empfindungen jeglicher klassischen Analyse widersetzt – sie sind einfach nur da und ich habe nunmehr Übung darin mit ihnen angemessen umzugehen.

    Eben. Du "gehst mit ihnen angemessen um". Dieses "Du" haust aber nicht in der Milz. Um nicht missverstanden zu werden: das Gehirn ist kein "perfekter, fehlerfreier Ratgeber", im Gegenteil, nicht selten täuscht es uns, gaukelt vor, gibt uns falsche Ratschläge ("komm, trink doch einen, das geht schon"). Gleichwohl ist es der einzige Ratgeber, den wir haben.

    LG

  • Hi c2h05!

    Was ist denn mit dem Körper? Der lernt z.B. Rad fahren und der Verstand kann es ihm nicht mehr verlernen.
    Der merkt sich alles, deswegen reagiert meiner schneller als mein Gehirn.
    "Er" hat mich auch schon massiv vor meinem Alkoholmissbrauch gewarnt, als mein Hirn noch -einer geht schon noch- sagte.
    Wie auch immer, ich brauche alle drei. Meinen Verstand, meine Gefühle und meinen Körper.
    Ich nehme an, deswegen habe ich auch alle drei.

    Wie geht's dir denn mit dem nicht trinken?

    LG

  • Hallo Frank!

    Zitat von garcia


    Mich würde dennoch sehr interessieren wie Du diese beiden (je für sich ja an sich wertvollen) Ansätze für deine eigene Problematik zusammenbringst - im Sinne einer selbststeuernden Handlungsalternative.

    LG

    Die Problematik, Vp und Vl in Personalunion zu sein, ist mir bewusst. Und wir brauchen wohl nicht Gödel zu bemühen, um zu erkennen, dass Vollständigkeit nicht möglich ist.
    Zur Methodik: weil ich weiß, dass tiefenpsychologische Mechanismen (triebökonomische) Ergebnisse, die "an der Oberfläche", hier zunächst die Konditionierung einer Aversion gegen Alkohol, verfälschen können, folge ich radikal Poppers Forderung nach Falsifikation. Beispiel: durch die schon von mir vorgestellte Technik scheint die Konditionierung erfolgreich zu sein. Ich denke an ein alkoholisches Getränk, es stellt sich ein Ekelgefühl ein. Diese Verifikation stelle ich in Frage aus oben genannten Gründen und versuche, das Ergebnis zu falsifizieren. Akribische Selbstbeobachtung und Introspektion sollen das Ergebnis widerlegen. Nehmen wir an, Vorzeichen eines "Saufdrucks" (hier genannt wurden Alkoholblitz, unerklärliche innere Unruhe. Nochmals danke für die wertvollen Auskünfte!) würden sich zeitnah einstellen. Dann wäre die Falsifikation gelungen, was bedeutet, dass die Konditionierung noch nicht abgeschlossen ist oder ein reinforcement indiziert ist. So entsteht ein permanentes dialektisches Spannungsfeld zwischen tiefenpsychologischen Konzepten und Methoden der Verhaltensforschung. Und so würde ich konsequent weiter verfahren.

    LG

  • Zitat von schnuffig

    Hi c2h05!


    Wie geht's dir denn mit dem nicht trinken?

    LG

    Hallo schnuffig,

    vielen Dank für die Nachfrage. Mir geht es gut. Die Arbeit an meinem Fall ist sehr spannend. Nota bene: bei einer Schädigung der motorischen Hirnzentren könntest du nicht mehr Fahrrad fahren. Aber schließlich ist das Gehirn Teil des Körpers.

    LG

  • Ebenso einen Guten Morgen
    Ich fühle mich etwas missverstanden. Ich hatte nicht vor einen Diskurs über die Wechselwirkungen von Emotionaler- und Rationaler Intelligenz zu führen (wenn mir danach ist lese ich bei Daniel Goleman).
    Auch habe ich die Frage: „Wie will ich weiterleben?“ nicht an einen schwerstkranken Krebspatienten, sondern an dich gestellt.
    Genauso war die Frage nicht, wie irgendjemand reagiert, wenn ihm sein Lieblinsfilm zerpflücket wird.
    Mir geht es darum: wie gehst du konkret damit um? Wohin zum Beispiel mit der Wut?
    Oder auch die Frage: was fehlt mir nun, seitdem ich keinen Alkohol mehr trinke?
    Letztendlich ist Selbsthilfe ein Weg zur Alltagsbewältigung.
    LG. - Uwe

  • Zitat von uwe.rothaemel


    Auch habe ich die Frage: „Wie will ich weiterleben?“ nicht an einen schwerstkranken Krebspatienten, sondern an dich gestellt.
    Genauso war die Frage nicht, wie irgendjemand reagiert, wenn ihm sein Lieblinsfilm zerpflücket wird.
    Mir geht es darum: wie gehst du konkret damit um? Uwe

    Es tut mir leid, dich missverstanden zu haben. Wie ich konkret damit umgehe, ist meinen Ausführungen zu entnehmen. Genau so gehe ich damit um.

    LG

  • Lieber ?
    Ich hab jetzt alle Fremdwörter nachgeschlagen, ich verstehe ein bisschen besser aber ich kann Dich nicht erkennen..ich finde Dich nicht hinter den vielen Theorien,Lösungsansätzen, Worten und sicher hochintellektuellen Sätzen. Das tut mir irgendwie leid. Wer bist Du? Ich bin Consuela, Alkoholikerin, die auf dem Weg der Genesung ist

  • Zitat von consuela

    Lieber ?
    Ich hab jetzt alle Fremdwörter nachgeschlagen, ich verstehe ein bisschen besser aber ich kann Dich nicht erkennen..ich finde Dich nicht hinter den vielen Theorien,Lösungsansätzen, Worten und sicher hochintellektuellen Sätzen. Das tut mir irgendwie leid. Wer bist Du?

    Hallo Consuela,

    ich weiß nicht, wer ich bin. Ich empfinde meine Existenz als absurd und "verfluche die Stunde meiner Geburt" (Salomon). Wenn ich wie Ödipus das Delphische Orakel befragte, bekäme ich auch nur Gnothi seauton (griech.: Erkenne dich selbst) zu hören. Aber es gibt auch für mich Zeiträume, in denen Intellekt und Ekstase zu vollkommener Ergriffenheit zusammenschießen: beim Anhören oder Spielen von Musik. Das Versenken in eine Bach'sche Fuge, Mozarts spätes Streichquintett KV 516, Mahlers Kindertotenlieder u.v.m. Ich habe als Kind nie mit anderen Kindern gespielt, konnte mit ihren Spielen nichts anfangen, so meine Mutter. Ich stand aber stundenlang still neben dem Klavier, wenn Vater spielte und vor allem, wenn er Schubertlieder sang. Ich mochte wohl 4 Jahre alt gewesen sein, als mir beim "Wegweiser" aus Schuberts Winterreise die Tränen aus den Augen schossen. Ich kann wenig mit den heutigen Schubertsängern anfangen, auch Fischer-Dieskau war mir in der Winterreise unerträglich mit seinem Hang zur Überdeklamation. Hans Hotter ist schon lange tot. Was mir bleibt, ist das tränenlose Weinen über der Partitur.
    Ich trinke keinen Alkohol mehr, weil ich sonst mein Versprechen nicht halten könnte.

    LG

  • glück auf uwe, glück auf consuela, und glück auf alle

    mir fällts grade schwer grade euch zu verstehn

    Zitat von c2h5oh

    Ich bin Asperger-Autist, mein Verhältnis zu anderen Menschen, ja zur Welt, war und ist sehr distanziert.

    da is wohl doch vieles ganz anders als bei anderen.
    vorab: ich hab wiedermal "keine ahnung" (oder nur wenig), bin weit entfernt mich da "hineinversetzen" zu können oder irgendwas nachzuempfinden".
    ich "glaube"(was bleibt mir anderes) aber einfach, das der c2h5oh auf seinem richtigen weg is. für mich reicht s aus was im ersten beitrag geschrieben steht. und ich seh die wissenschaftlichen darlegungen als ergänzug und als beschreibung wie er seinen richtigen weg gehen will.

    für alle mal n "geduldsfadenverstärker" und ne portion "verstehstemich"

    ich verschlinge jedes wort was hier geschrieben wird - und ich fang an zu verstehn, wovon ich "keine ahnung" hab.

    schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Hallo c2h5oh,

    willkommen hier im Forum . Ich kenne mich mit Asperger-Autismus nicht aus und will es auch nicht wissen, da es über meinem Horizont raus geht. Ich finde da reicht auch eine Akzeptanz aus das ich nicht alles verstehen muss.

    Was ich jedoch bin, ist ein trockener Alkoholiker und ich reduziere mich nicht mit meinem Nick auf c2h5oh (Ethanol) da ich es mir wert bin, als Mensch und nicht als Suchtmittel angesprochen zu werden. Was jedoch auch nur mein Denken ist . Jedoch in einem Punkt ist der Mensch unabhängig vom Intellekt , Abstammung oder anderen Krankheiten gleich . Die Sucht kennt keine Individualität und führt bei jedem zum Tod wenn sie nicht gestoppt wird. Deswegen habe ich mich auch hier angemeldet.

    Was mir aufgefallen ist und ich es nicht ganz einordnen kann, wollte ich mal wissen ob das Versprechen deine Grundlage ist um trocken zu werden ? (habe auch noch nicht alles gelesen :) )

    Zitat

    ch trinke keinen Alkohol mehr, weil ich sonst mein Versprechen nicht halten könnte.

    oder habe ich es aus einem Zugsamenhang gerissen?

    Gruß Hartmut

    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

    2 Mal editiert, zuletzt von Hartmut (14. November 2012 um 13:16)

  • Lieber C2h ..na Du weisst schon..
    Ich danke Dir sehr für Deine Worte und Matthias hat recht, nichtsdestotrotz erkenne ich gerade durch Deine Worte ein winziges kleines Stück...und es freut mich und das soll reichen! Meine eigene Einschätzung und Gefühlswelt ist halt auch mein eigener begrenzter Maßstab und ich muss mich anstrengen darüber raus zu denken.deswegen hab ich gefragt...ich wünsche Dir in jedem Fall dass Du Dein Versprechen halten wirst..wie immer Du es auch anfängst..leicht verschämte Grüße Consuela

  • Hallo,

    ich danke dir für deine Antwort.

    Ich finde schön und richtig was Silberkralle schrieb.

    Mich hat sehr berührt was Du über deine Erfahrungen mit Musik geschrieben hast (ich liebe Musik auch sehr, nur ist mein Zugang ein rein emotionaler und von der strukturellen Seite verstehe ich wenig - wohl daher sagt mir z.B. Bach nicht viel, hingegen liebe ich Mozart, Haydn, Chopin, manches von Beethoven)...

    Wie hälst du es mit Jazz (improvisierter Musik), in der die strukturelle Ebene eine weniger wichtige Rolle spielt als die emotionale? (Jazz liebe ich auch sehr wegen der Intensität)...

    Ich hab das Gefühl daß Du mit deiner Art die Sucht zu bearbeiten nicht nur auf einem "spannenden" Weg bist sondern auch auf einem für dich richtigen Weg. Und ich glaube daß da jemand heranwächst der einen wunderbaren Klavierlehrer haben wird. Und dafür drück ich dir die Daumen.

    Einen schönen Tag! Frank

  • Zitat von Hartmut

    Hallo c2h5oh,


    Was mir aufgefallen ist und ich es nicht ganz einordnen kann, wollte ich mal wissen ob das Versprechen deine Grundlage ist um trocken zu werden ? (habe auch noch nicht alles gelesen :) )

    Hallo Hartmut,

    ich nenne es Primärziel. Ich muss dieses Versprechen in 4 Jahren und 9 Monaten einlösen. Ich werde meinen Enkel unterrichten, denn das habe ich meiner Tochter versprochen. Wenn ich eine Mindeststudiendauer von 5 Jahren zugrunde lege, wären das 9 Jahre und 9 Monate, die ich abstinent sein muss. Dann wäre ich 66 Jahre alt.

    LG, Jonas

  • Hallo c2... ,

    ich sehe es ganz einfach:
    Da ich nicht mehr trinke, benötige ich keine wissenschaftliche Erklärung, warum ich trank.
    Ich erkenne aber an, daß Du Dich gern intensiv mit den Dingen beschäftigst.
    Ich weiß nicht, ob es Dir beim Nichttrinken nütze sein wird.

    Sich hier auszutauschen ist aber schon einmal ein Schritt zu einem positiven Lebensgefühl,
    denn Du kannst anderen viel geben und ( so Du willst ) lernen, wie andere Menschen "ticken".

    LG Jürgen

  • Hallo c2h5oh,

    und wenn es über das- Versprechen -ist das du trocken bleibst ,finde ich das wunderbar.
    Ich mag deine Beiträge und freue mich auf deine weiteren Vorträge.Jeder kann sich davon nehmen was er mag oder es auch sein lassen.

    LG

  • Zitat von garcia

    Hallo,


    Wie hälst du es mit Jazz (improvisierter Musik), in der die strukturelle Ebene eine weniger wichtige Rolle spielt als die emotionale? (Jazz liebe ich auch sehr wegen der Intensität)...

    Hallo Frank,
    solange der Jazz sich nicht als Avantgarde aufplustert (eher eine europäische Albernheit), kann ich dieser raffinierten Unterhaltungsmusik viel abgewinnen. Bebop, Hardbop, Lennie Tristano Sextett, aber auch Tristanos Soloeinspielungen (Sein C-Minor Complex ist hörenswert) unterhalten mich gut. Improvisiert wurde auch in der Großen Musik, zumindest bis Beethoven, der seine Kadenzen ausschrieb. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal des Jazz. Haydn ist Mozart durchaus ebenbürtig, beide hatten großen Respekt voreinander. Es ist bezeichnend, dass Mozart nach der Kenntnis der Haydn'schen Streichquartette kaum noch Quartette schrieb und Haydn im Gegenzug keine Opern mehr schrieb. Es ist bedauerlich, dass Haydn in Deutschland in Mozarts Schatten steht. In England werden beide gleichermaßen verehrt.

    LG, Jonas

  • Hallo c2h5oh

    nun sind wir ein Forum das eine lebenslange Abstinenz anstrebt . Das was du vor hast nenne ich mal eine "Trinkpause" die unserem Ziel nicht entspricht. Oder meinst du es als Etappenziel?


    Gruß Hartmut

    Gruß Hartmut

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    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Zitat von Hartmut

    Hallo c2h5oh

    nun sind wir ein Forum das eine lebenslange Abstinenz anstrebt . Das was du vor hast nenne ich mal eine "Trinkpause" die unserem Ziel nicht entspricht. Oder meinst du es als Etappenziel?


    Gruß Hartmut

    Hallo Hartmut.
    mein Fehler. Etappenziel meine ich natürlich, nicht Primärziel.

    Gruß, Jonas

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