Wann habt ihr realisiert, dass eure Eltern/Elternteile

  • Hallo JoeJoker1979,

    dass meine Mutter trinkt, habe ich von Anfang an erkannt: Es war mir klar, nachdem sie die ersten 2-3 Wochen durchgehend jeden Abend 2 Flaschen Wein vernichtet hat - vor meinen Augen. Das war vor 9 Jahren.
    Dass es mein eigenes Leben betrifft, wusste ich seitdem. Hatte mir auch Hilfe gesucht. Aber so richtig bewusst wurde es mir auch erst vor ein paar Monaten. Das von dir genannte Buch hat auch bei mir zu einigen "Aha-Erlebnissen" geführt. Ich möchte fast sagen, das Buch war wie eine Erleuchtung.
    Es ist deshalb so schwer, sich dessen bewusst zu werden, weil man es ja einfach nicht anders kennt. Es war bis dato einfach "normal". Dabei ist es das nicht.
    Der Prozess ist ziemlich anstrengend und auch schmerzlich, aber befreiend. Halt finde ich bei meinen Freunden und meinem Partner. Dort finde ich sehr viel Unterstützung, da diese Menschen teilweise schon sehr lange ein wichiger Teil meines Lebens sind und mich gut kennen.

    Ich hoffe, ich konnte dir mit meinen Erfahrungen ein wenig helfen.

    Liebe Grüße und viel Kraft für dich,
    Colibri

  • Zitat

    Wie viel an mir ist nur die Rolle/das Verhaltensmuster?


    Hallo Joe,

    ich stelle mir gerade eine Rolle vor, z. B. eine Gesangsdarbietung. Über die Jahrzehnte wird sie immer wieder von wechselnden Sängerinnen gesungen. Und jedesmal merkt man, daß sie ganz anders interpretiert wird. Ich glaube, es ist nicht zu trennen. Man selber IST seine Biograpie, aber man kann heute jeden Tag die Biograpie selber weiterschreiben. Irgendwann wechselt die Perspektive vom Stück Papier, das beschrieben wird - hin zum Schreibstift, der auf Papier schreibt.

    Mir fiel das auf, als ich neulich mal die verschiedenen Versionen von 'O mio babbino caro' im Internet durchgehört habe, von bekannten und unbekannten Sängerinnen. Immer dasselbe Lied, aber jedesmal hörte ich andere Nuancen heraus. Die Tiefe, aus der manche dieser Frauen schöpfen können, war vielleicht früher auch mal ein Abgrund, das weiß ich nicht.

    Bei mir setzt die Erinnerung an den Alkoholkonsum meiner Mutter sehr früh ein, jedenfalls lang vorm 10. Lebensjahr schon. Der veränderte Geruch, dieser saure Haut- und Mundgeruch. Dann ihre völlige Abwesenheit, obwohl sie körperlich da war. Auch daß sie x mal am Tag Harmlosigkeit vorspielend pfeifend in den Keller ging und kurz darauf wieder zurück kam. Das Essen war manchmal versalzen. Beim Kämmen hat sie mir die Haare ausgerissen. Da war noch mehr.

    Kapiert habe ich das mit 25 noch nicht, aber genau weiß ich das nicht mehr, weil bei mir durch die Dissoziation die Zeiten vom Nebel verschluckt sind. Ich habe zu der Zeit, glaube ich, mit der ersten Therapie begonnen und die ersten entsprechenden Bücher gelesen. Schwerpunkt, daß ich mich nicht spüre. In Zusammenhang mit dem Aufwachsen als Kind mit einer alkoholkranken Mutter und den anderen Dingen, die damals geschahen, habe ich es erst später gebracht. Als ich stabilisierter war und mehr Abstand hatte.

    LG, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Joe
    Es wird ein langer, langer Prozess werden ....mir hat die Therapie geholfen aber es ist Vieles noch nicht da an Gefühlen ...ab und an kommen die alten Gefühle (positiven) so von "hinten durch die Tür" ....gestern zB war ich in einem Supermarkt und da war so ein typischer Geruch in der "Kühlthekenabteilung" ...dieser Geruch hat bei mir für Sekunden angenehme Gefühle aus der Kindheit reaktiviert. Schade nur, dass die Gefühle so kurz waren und so vergänglich. Weiter geholfen hat mir mein kleiner Sohn ...ich habe mir vorgestellt, dass ich das damals gewesen bin und habe dann die Gefühle gespürt ...

  • Hallo JoeJoker,
    das tut mir leid zu hören ......wirklich.
    Ich möchte Dir allerdings Mut machen, Deinen begonnenen Weg weiterzugehen, Dich selbst und Deine Bedürfnisse zu erkennen und (!) zu verbalisieren. Dieses von Dir beschriebene "Meideverhalten", die totale Anpassung, ist für eine Beziehung tödlich ..... keine Frau möchte mit einem Knetgummi zusammen sein ..... sondern ein Gegenüber, an dem sie sich gerne auch mal reiben kann (so oder so 8) ) .....und vielleicht ergibt sich ja dann eine neue Basis, für was-auch-immer.
    Grüsse von Lindi, die das gerade mit ihrem Partner "übt", also "er" übt .... :P

  • Zitat

    Und mein Verhalten kam/kommt einem Aufgeben des Selbst gleich, so dass ich nicht zeigen konnte/kann wer ich bin, dass ich ständig Angst hatte/habe, Fehler im Umgang mit meiner Partnerin zu machen, so dass ich diesen einen geliebten Menschen verliere - dass ich mich nicht mehr selbst sehen konnte,


    Hallo Joe,

    wenn man das mal übersetzt in die damalige Situation, als man selber Kind war: Man gibt sich selbst auf, zeigt nicht wer man ist, sondern ist völlig auf die Eltern fokussiert. Man hat eine Riesenangst Fehler zu machen, einmal daß man nicht verdroschen oder sonstwas wird und andermal, daß man nicht verlassen wird, daß man ja nix falsch macht, daß man Gedankenlesen lernt um perfekt zu sein usw.

    Kinder von Alkoholikern werden nicht nur EK, sondern meist auch Co-Abhängige. Und tragen dieses früh erlernte, völlig verquere Beziehungsmuster in die eigenen Beziehungen rein.

    Wenn du es noch nicht gemacht hast, lies mal den hier im Kinderbereich oben angepinnten Thread "Merkmale für ein EK". Wir haben hier mal eine Zeit lang etliches zusammengetragen. Mich hat das richtig betroffen gemacht, aber andererseits auch entlastet, weil ich plötzlich kein beziehungsunfähiger Alien mehr war, sondern begriffen habe, wie ein suchtstrukturkrankes Familiensystem funktioniert - und vor allem, was man selber für sich machen kann! Denn man kann etwas ändern. Aber vorher heißt es hinschauen, das kann weh tun. Mir hat viel auch der Humor geholfen. Also sowas wie wenn ich mit mir selber geduldig umgehe und lächle bei meinen ersten Wackelschritten, Hinplumpsern und Wiederaufstehakrobatik.

    Lieber Gruß, bleib dran. Kann sein, daß zwar deine Beziehung auseinandergeht, aber Papa bleibste immer, wer weiß, was in 20 Jahren oder in 30 für gute Gespräche möglich sind mit deinen Kindern. Immer dranbleiben für dich.

    Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo JoeJoker

    Bei mir war es so, dass ich schon sehr früh mitbekommen habe, dass meine Mutter eine Alkoholikerin ist. Ich kannte nichts anderes und so war ihr Alkoholkonsum und ihre "Abwesenheit" ganz normal für mich.

    Dass ich ein EKA bin, weiss ich erst seit etwa drei Jahren. Eine aussenstehende Person hat mich darauf aufmerksam gemacht, der ich sehr dankbar darüber bin.
    Und seit da weiss ich endlich, warum ich so bin wie ich bin.
    Endlich hatte ich dafür eine Erklärung, warum ich mich die ganzen Jahren durch immer so "falsch" fühlte, egal was ich gemacht habe, warum ich mein Leben nicht geniessen konnte, warum ich so viele Ängste habe und warum alles Zwischenmenschliche für mich manchmal unüberwindbar war.

    Obwohl es mir jetzt besser geht, frage ich mich doch noch, bin ich wirklich so wie ich bin, oder spiele ich nur eine Rolle?
    Ich finde es wahnsinnig schwierig zu spüren, was ist echt, und wo habe ich eine Mauer um mich gebaut.

    Zitat

    da ich es zum zweiten Mal erlebe Papa zu werden und meine Partnerin trennt sich von mir.


    Tut mir wirklich leid, dass du das durchmachen musst.

    Ich finde es zwar schrecklich, aber manchmal braucht es so einschneidende Erlebnisse, damit man in der persönliche Entwicklung einen Schritt weitergehen kann.

  • Hallo Joe,

    bei uns EKA's liegt die Schmerzgrenze schon recht hoch, so dass wir halt ein wirklich einschneidendes Erlebnis brauchen, um aufzuwachen.

    Auch bei mir war es so, dass ich als Kind zwar wusste, dass mein Vater säuft und habe meine eigenen Überlebensstrategien entwickelt, um brenzligen Situationen aus dem Weg zu gehen (hat nicht immer funktioniert). Richtig Kind war ich nie, immer schon sehr "erwachsen". Musste ich ja auch sein.

    Gleich nach dem Abi bin ich dann ausgezogen und sehr jung in meine 1. Ehe geflüchtet, wo ich im Schnellraffer alles nochmals durchlebt habe. Auch daraus bin ich wieder geflüchtet - dieses Mal sogar in ein anderes Land. Immer wenn es "ernst" wurde in einer Beziehung, bin ich raus - ich konnte keine "Abhängigkeiten" von anderen Personen ertragen.

    Erst als ich mit Ende 30 mehrere Monate wieder bei meinen Eltern war, um meiner Mutter durch ihre Krebstherapie zu helfen, fielen mir die ungesunden Strukturen und Mechanismen auf und erst da habe ich kapiert, warum ich so bin, wie ich bin. Das Buch "Familienkrankheit Alkoholismus" hat mir die Augen geöffnet und endlich konnte ich mich (ein wenig) verstehen. Meine Mutter ist hochgradig co-abhängig, mein Vater säuft immer noch - ich versuche mich soweit möglich abzugrenzen.

    Ab und zu lese ich hier bei den Co-Abhängigen und gerate regelmässig an meine Grenzen dessen, was ich ertragen kann, wenn mal wieder die Auswirkungen auf die Kinder verharmlost werden.

    Liebe Grüsse
    Heidi

  • Hallo Joe,

    das Kind in Dir will in erster Linie von Dir geliebt werden!!
    Sorge und kümmere Dich um Dich selbst.
    Tue Dir jeden Tag was Gutes. Das wird sicher nicht leicht, aber es wirkt nachhaltig.

    LG
    Girasole

  • Zitat

    Wie seid ihr mit diesem Aufwachen und Bewusstwerden umgegangen? Was hat euch eventuell Halt gegeben?


    Was mir u. a. sehr geholfen hat, war die Aussöhnung mit meiner Mutter, nachdem mir bewusst wurde, warum ich immer einen körperlichen sowie auch emotionalen Abstand zu ihr hatte, und warum ich sie immer so verabscheut habe.

    Und dann auch, dass ich in mir einen Halt gefunden habe. Ich bin jetzt nicht mehr auf Andere angewiesen, die mir in irgend einer Weise einen Halt geben. Das hat mein Leben sehr verändert.

    Ich finde es super und mutig von dir, dass du so offen mit dem Thema umgehen kannst. Und es ist ganz natürlich, dass bei den Leuten, die dir nahe stehen, die Tränen eher fliessen.

    Weisst du, wir haben so viel runterschlucken müssen um irgendwie heil aus der Kindheit rauszukommen, so sind Tränen eine wunderbare Möglichkeit, die Gefühle wieder zu spüren und aufleben zu lassen.

  • Mir wurde vor ca.8 Jahren die Alkoholkrankheit meiner Mutter bewusst, mein Vater ist seit eh und jeh ein Problemtrinker und in der Vewandtschaft gibt es noch jemanden mit den Problemen. Erst durch meine ehemaligen Kollegen lernte ich achtsamer mit mir umzugehen, Grenzen zu setzen, und als ich den Buchtipp 'Für die Freude entscheiden' bekam, löste sich für mich ein Knoten nach dem anderen. Mein wichtigster Schüssel zu einem ausgeglicheneren Leben wurde die Einstellung, nicht alles persönlich zu nehmen- Taten, Worte, Konflikte, es muss nicht gleich das Lebensglück bedrohen...
    Ähnlich wie bei dir Joe, purzeln mir derzeit in vielen Situationen die Schuppen von den Augen. Respekt dafür was du in der kurzen Zeit hast eingestehen, annehmen und anpacken können. Das Erkennen von Mustern ist eine Sache, sie zu durchbrechen eine andere... Sei stolz auf das bisher erreichte ;)
    Am Montag habe ich ein Erstgespräch bei der Caritas, ich bin so sehr darauf gespannt was dabei herum kommt... Wollte ich bei uns im Umkreis von 60 km eine Therapie beginnen, so besteht in allen Praxen derzeit eine Wartezeit von mindestens einem halben Jahr.

    vg Kitze

  • Janine : Wow, die Aussöhnung fiel sicherlich nicht leicht, das ist ein großer Schritt...
    Joe : Das Annehmen von Lob, Anerkennung, Hilfe ist nun eben nicht leicht...
    Wie klappt es denn mit den Kindern, bekommt ihr den Umgang stressfrei hin, besonders wenn ihr zwei aufeinander trefft?
    Das Gespräch bei der Caritas bestärkt mich in dem, was ich mir selbst vornahm: Stärkere Abgrenzung von den Situationen zu Hause, offenere Gespräche zu Hause und mit der Verwandtschaft, und Konsequenzen durchsetzen- ich werde auf dem Absatz kehrt machen, sollten meine Eltern alkoholisiert sein, lege auf wenn ich etwas am Telefon raushöre. Was mir schwer fällt, die Kinder da raus zu ziehen, aber das wäre der grösste Druck den ich setzen kann.
    Puh...

  • Hallo Sonnchen,

    woran hast du die Beeinträchtigungen denn gemerkt? Wenn ich fragen darf. Und hast du noch etwas außer Therapieversuche unternommen?

    Lg Kitze

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