Tiefpunkt-Warum erst jetzt???

  • Liebes Forum,
    ich würde hier gerne mal Gedanken zum „persönlichen Tiefpunkt“ sammeln.
    Ich überlege seit einiger Zeit, warum ich letztes Jahr aufhören konnte zu trinken und mich mittlerweile auch schon ziemlich stabil in meiner Abstinenz fühle. Der Gedanke keinen Alkohol mehr zu trinken mach mir überhaupt nichts mehr aus bzw. ich denke ihn meistens gar nicht.
    Aber warum ging das erst letztes Jahr? Ich hatte schon eine ambulante Therapie gemacht und eine stationäre Therapie. Nach der stationären Therapie war ich sehr zuversichtlich und trotzdem hielt die Abstinenz nur acht wochen. Ich kann nicht erkennen, was letztes Jahr anders war. Probleme in vielen Bereichen hatte ich schon seit mehreren Jahren, die waren letztes Jahr nicht größer.
    Darüber nachzudenken wurde auch angeregt durch User, die hier starten und fest das Ziel haben abstinent leben zu wollen und es dann nach kurzer Zeit doch nicht schaffen. Daher frage ich mich, woran erkenne ich, dass der Versuch irgendwann ernster und zielorientierter ist.
    Über eure Gedanken würde ich mich freuen. Vieleicht kann ich meinen langen Weg rückblickend dann besser verstehen.
    Enya

  • Hallo Enya,

    ich finde diese Frage sehr interessant und kann mich daran erinnern, dass ich sie oder ne ähnliche vor einiger Zeit auch jemandem stellte, der schon sehr lange abstinent lebt.
    Dass mein "Versuch" ernst gemeint ist, spürte ich vielleicht daran, dass ich mich irgendwann selbst in die Pflicht nahm, vor allem nicht mehr rumzueiern.
    Ich erinnere mich noch daran, dass ich alle Korkenzieher und Weingläser verschenkte und zwischendrin doch nochmal dachte: "... aber vielleicht brauchste das ja nochmal.". Sie gingen trotzdem weg. Vielleicht war mir bewusst, dass ich bei Bedarf neue hätte kaufen können. Ich weiß es nicht.
    Aber in dem Moment war mir klar, dass ich sie heute, morgen und auch in der nächsten Woche nicht mehr brauchen werde.

    Ich spüre, wenn ich innerlich Argumente suche, um mir etwas "passend" oder schön zu denken. Das betrifft nicht nur den Alkohol. Gerade hier lag wohl meine größte Baustelle.
    Ich wollte damit aufhören, Dinge zu tun, die ich so eigentlich gar nicht wollte.
    Beim Tagebuchschreiben achtete ich z.B. darauf, davon zu schreiben, was ich tat und nicht mehr ausschließlich von unrealistischen Illusionen oder davon wie ich mir denke, dass etwas sein müsste.
    Eine andere Frage, die für mich damit im Zusammenhang stand, war die, wann ich bei mir angekommen wäre.
    Es blieb nicht mehr viel übrig, als es mir wirklich nur noch um mich ging. Mit dem verlorenen Halt durch meinen "Tiefpunkt" gingen ebenso auch Druck und Belastung durch andere Abhängigkeiten als die vom Alkohol. Es war für mich ein Fluch, der mir ne Menge Einsamkeit bescherte, aber auch ein Segen, der unendliche Freiheit brachte.
    Ich spürte seinerzeit und auch heute noch beides. Nur das Verhältnis und die Intensitäten verändern sich immer wieder.

    Vielleicht ist zu merken, dass ich keine wirkliche Antwort auf diese Frage habe. Bei "unlösbaren" Fragen rette ich mich gern darauf, dass jetzt wohl einfach die richtige Zeit gekommen war.
    Ich konnte viele Dinge aus meinen Therapien erst Jahre später umsetzen oder verstehen, weil ich erst dann trocken war. Vielleicht brauchte ich einfach diese Zeit.

    Viele Grüße, Penta

  • Hallo Enya,


    Zitat

    dass jetzt wohl einfach die richtige Zeit gekommen war.

    ...gilt auch für mich.

    Ich stellte mir die Frage dieses threads lange Zeit, ohne wirkliches Ergebnis.

    Ich kam zu keinen triftigen Gründen, außer dass es das Schicksal nun eben mit mir gut gemeint hat.

    Ich hatte Therapie gehabt aber trotzdem weiter getrunken.
    Menschen verletzt, auch das konnte mich nicht abhalten.
    Mein Körper schwächelte schon längere Zeit, mir war lange klar, dass ich Alkoholikerin bin, trotzdem konnte ich nicht aufhören.

    Bei mir war es eine Stimme aus dem *off* :shock: , die mit mir sprach.

    Ihr eindringlicher Appell brachte mich dazu von heute auf morgen nichts mehr zu trinken, mich hier anzumelden und Nägel mit Köpfen zu machen.

    Beim Umsetzen all der wichtigen Schritte hielt ich mich dann an die Stimmen hier :) und an meine Intuition die mir sagte, dass sie nicht so falsch liegen können.

    Damit bin ich nun über 2 Jahre trocken.

    Neben allem was ich selbst beeinflussen konnte und kann um trocken zu bleiben, hatte ich zuvor beim trocken werden, vielleicht einfach ganz schön viel Glück gehabt.

    Slowly

  • Hallo Enya,

    bei mir war es so, dass ich immer schon "wusste" dass ich mit Alkohol "eigentlich" nicht umgehen konnte. Ich hatte im Laufe meiner Trinkerei stets Phasen, in denen ich mehr getrunken hatte und mit viel Zusammenreißen dann auch wieder weniger. Nach außen hin habe ich noch funktioniert, also ich habe noch mehr oder weniger alles geregelt bekommen. Somit war der Druck von außen, für mich irgendwas zu ändern, noch nicht da. Ich "durfte" alleine drauf kommen.

    Ich unternahm etliche Trinkpausen, und sie waren schon mit dem festen "Wollen" verbunden, nicht mehr zu trinken. Jedoch wollen alleine reichte eben nicht, außer für ein paar Tage. Und die Erkenntnis, alkoholkrank zu sein und daraus die notwendigen Schritte zu erkennen, das erreichte mich irgendwie nicht. Ich schrieb an anderer Stelle, dass es mir durch monatelanges lesen hier und informieren über die Alkoholsucht in Fachbüchern nach und nach klar wurde.

    Irgendwann hat es dann "klick" gemacht und ich konnte meine Abhängigkeit anerkennen, das war dann eher unspektakulär. Ich kann mich auch noch daran erinnern, dass ich mir die Frage ähnlich gestellt habe. Und auch ob mein Tiefpunkt damals auch wirklich mein Tiefpunkt ist/war und auf Dauer tief genug; weil tiefer geht ja immer.

    Dass dieser "Versuch" ernsthafter Natur ist merke ich vor allem daran, dass ich ihn mit einer ganz anderen Konsequenz und Weitblick angehe, als alle anderen zuvor. Ich habe auch kein typische Glas mehr, aus dem Alkohol getrunken wird, oder Flaschenöffner... alles typische Alkoholequipment habe ich entsorgt oder verschenkt. Ich habe geschaut, welche Türen ich schließen muss, damit sie mich nicht überraschen. Die wichtigsten Menschen um mich herum, habe ich informiert. Sie unterstützen mich. Das war anfangs ein wenig schwierig, aber nachdem sie gemerkt haben, wie wichtig es mir ist und ich wenig Kompromisse mache, ist das keine Frage mehr.

    Kurz gesagt... ich merke es daran, dass ich tue und anwende.
    So isses bei mir.

    Lieben Gruß
    Maria

  • Zitat von Enya


    Daher frage ich mich, woran erkenne ich, dass der Versuch irgendwann ernster und zielorientierter ist.

    Hallo Enya,
    in meinem fast 65.jährigen Leben habe ich viel Kontakt und Abstand mit den "bürgerlichen Suchtmitteln" Alkohol, Nikotin, Koffein, und ich zähle auch die Fettsucht dazu, gehabt. Bei mir war es ein auf und ab. Ich bezeichne sie immer als fette und magere Jahre. Ich habe alle Süchte durchlebt (wobei sich die "Fettsucht" bei mir mit max. 88kg bei 1,80m zum Glück in Grenzen hielt), aber irgendwann kam immer zwischendurch der Vernunftgedanke, der mich auf eine notwendige Lebensveränderungen hinwies. War dieser Gedanke geboren, hat es irgendwann Klick gemacht und ich wußte instinktiv, daß dies der Tag war, wo ich spontan und nicht nur für Wochen diesen Süchten keine Chance mehr geben würde. Auch die Rückfälle waren eine freie Entscheidung und ich wußte worauf ich mich einlasse. Bis auf den Alkohol, hatte ich die bezeichneten Süchte schon vor mehr als einem Jahrzehnt beendet. Beim Alkohol kam vor 76 Tagen wieder dieser Klick und auch hier die Gewissheit, daß ich ihm nun auf Dauer keine Chance mehr geben werde.
    Wie ich in anderen Foren und nun auch ansatzweise hier lesen kann, scheint dies bei mehreren Menschen so der Fall zu sein. Ohne diese Gewissheit und dieses starke instinktive Gefühl in sich, bleibt wahrscheinlich nur der ständige Kampf oder Maßnahmen, wie sie hier in den Grundbausteinen beschrieben werden, um nicht mehr in die Sucht zurückzufallen.
    Schönen Tag und weiterhin ein Leben der positiven Genüsse!
    Manni

    Tag 79 ohne Alkohol!👍
    Zum Glück habe ich ständig einen sehr guten Freund an meiner Seite. Er heißt "Optimismus"

  • Hallo liebe Schreiber,
    vielen Dank für eure Gedanken.
    @Pwnta und Slowly ihr beschreibt ziemlich genau auch meine Gedankengänge und dises nicht erklären können und doch wissen.
    Maria, auch ich habe letztesJahr von einem Tag auf den anderen alle Wein- und Sektgläser entsorgt. Außerdem fällt mir jetzt rückblickend auf, dass ich etztes Jahr auch ziemlich schnell aufgehört habe, die alkoholfreien Tage zu zählen, weil es nicht mehr wichtig war wie lange ich es diesmal schaffe, da ich tatsächlich spürte es soll für immer sein.
    Auch habe ich aufgehört zu denken, dass ich mir nahestehende Personen damit bestrafe, dass ich trinke. Ich habe erst dann wirklich realisiert, was ich mir antue.
    Wie möchte ich mein Leben gestalten, war auch eine wichtige Frage. Nicht mehr die Erwartungen anderer erfüllen zu wollen war auch eine Erkenntnis, die glaube ich erst letztes Jahr kam, obwohl auch das schon in den Therapien oft besprochen worden war.
    Ihr merkt schon, ich habe da viele verschiedene Gedankengänge, die ich versuche zusammen zu fügen.
    Ich merke, das das für mich wichtig ist, um mir selbst die Zeit zu verzeihen, die ich nicht nutzen konnte.
    Gruß
    Enya

  • Hallo,

    warum ich als Co solange gebracht habe um den Absprung zu schaffen, ist mir teilweise immer noch ein Rätsel.

    Manfred1

    "Süchte" und "Rückfälle" als freie Entscheidung" schließen sich per Definition aus.

    Gruß

  • Hallo co2013,

    Zitat


    "Süchte" und "Rückfälle" als freie Entscheidung" schließen sich per Definition aus.

    das stimmt so meines Erachtens nicht ganz.
    Wer längere Zeit abstinent lebt hat sehr wohl die freie Entscheidung, wie er mit seiner Sucht und seiner Abstinenz umgeht.
    Körperliche und psychische Abhängigkeit sind ja gebrochen während der Abstinenz.

    Wer allerdings der Sucht dann nachgibt, der hat nicht mehr die Möglichkeit gezielt zu kontrollieren, wann, ob und wie er aus der Suchtspirale wieder aussteigen kann.

    Insoweit verwende ich auch eher das Wort "Wendepunkt" als "Rückfall".
    Wer 1 oder 3 Wendepunkte hat, lebt abstinent.
    Wer 2 oder 4 Wendepunkt hat eben nicht.

    Gruß Jürgen

  • Zitat von juergenbausf

    Hallo co2013,


    das stimmt so meines Erachtens nicht ganz.
    Wer längere Zeit abstinent lebt hat sehr wohl die freie Entscheidung, wie er mit seiner Sucht und seiner Abstinenz umgeht.


    Auf jeden Fall! Trifft zumindest für mich (und wahrscheinlich teilweise andere) zu.


    Zitat

    Wer allerdings der Sucht dann nachgibt, der hat nicht mehr die Möglichkeit gezielt zu kontrollieren, wann, ob und wie er aus der Suchtspirale wieder aussteigen kann.


    Jaaa! Ansonsten wäre ich kein Süchtiger. Ich habe mich freiwillig wieder der Sucht hingegeben, aber den Zeitpunkt wieder abstinent zu werden konnte ich nie bestimmen. Es bedurfte für mich nicht genau definierbarer Anstöße und den schon beschriebenen "Kick" oder "Aha Effekt".
    Gruß
    Manni

    Tag 79 ohne Alkohol!👍
    Zum Glück habe ich ständig einen sehr guten Freund an meiner Seite. Er heißt "Optimismus"

  • Hallo Enya,

    Zitat

    Ihr merkt schon, ich habe da viele verschiedene Gedankengänge, die ich versuche zusammen zu fügen.
    Ich merke, das das für mich wichtig ist, um mir selbst die Zeit zu verzeihen, die ich nicht nutzen konnte.

    An Fragen wie diesen z. B. habe ich es auch gemerkt, dass ich es ernst mein' ;-).

    Für mich gehörte die Auseinandersetzung aller Gefühle und das kritische Hinterfragen meiner selbst auch vollkommen dazu. Schamgefühle, mir verzeihen, dass ich nicht früher handlungsfähig werden konnte usw.

    Ich finde es richtungsweisend, dass du jetzt es tust.

    Die Zeit, die hinter uns liegt, können wir ja nicht ändern. Aber aus ihr lernen und es für die Zukunft anders zu machen.

    Mir hat mal jemand geschrieben, auf meine Frage, ab wann man denn selbst akzeptieren kann, Alkoholiker zu sein. Es reiche nicht, es zu wissen.... Es ist ein bisschen mehr und ein bisschen anders.

    So empfinde ich auch.

    Liebe Gruße
    Maria

  • Also bei mir war es so, dass ich Anfang März ganz abgestürzt bin und meinen Tiefpunkt kennen lernte. Eigentlich war das ganze Jahr vorher schon eine Farce gewesen. Ich habe oft in dieser Zeit gedacht, dass ich unten angekommen wäre, aber selbst 2 Trinkpausen von 21 Tagen haben nichts gebracht, so dass ich wieder trank, weil ich der Illusion erlegen war, dass diesmal alles okay war. Am Ende war ich so tief drin, dass ich ohne Alkohol körperlich nicht mehr zurecht kam...

    Ich hatte alles verbockt was man so verbocken kann, zumindest auf der menschlichen Ebene. Ich war alleine, völlig fertig und sass mit Musik an auf dem Boden und hab mich betrunken. Es schien keinen Ausweg zu geben, aber obwohl ich alles verloren hatte, war der Überlebenswille stärker. Ich wollte nicht Opfer des Alkohols werden und habe mich dann nach meiner Anmeldung hier in die Klinik begegeben und bin jetzt 89 Tage trocken.

    Es gab eh nicht viele Menschen die ich liebte, aber die letzten die ich hatte, denen habe ich sehr weh getan und verloren. Hab jemanden so sehr weh getan verbal, dass ich immer noch daran knacke wer ich war und warum ich so fies war damals. Die Zeit mag alle Wunden heilen, aber sie hinterlässt Narben und das ist eine Narbe die jeden Tag juckt, um mich mit mahnender Stimme darauf hinzuweisen, was der Alkohol aus mir macht.

  • Hallo Enya,

    sich diese Fragen überhaupt zu stellen, ist für mich durchaus auch ein Indiz dafür, dass es ernst sein könnte. Das sehe ich ähnlich wie Maria.
    Bei mir ist es auch so, dass sich verschiedenen Fragen mit den Antworten, die ich darauf finde, zusammen finden.
    Mal geht es um das Umfeld, das (durchaus auch berechtigte) Ansprüche an mich hat, mal um den Job, mal um die SHG. Und immer wieder verstecken sich hinter fast allem einheitliche Muster, die ich dann auch wieder in meiner Abstinenz oder bei meinen Depressionen erkenne.
    Ähnlich war es möglicher Weise auch mit meinem Weg hierher. Ich sehe meinen persönlichen Tiefpunkt eben nicht kurz vor dem Ende meines Alkoholkonsums, sondern einige Jahre früher. Für mich ist das stimmig, denn ab da ergab sich eines zum anderen, wie auch der vergleichsweise kleinere Anlass, der mich letztlich noch dazu brachte, nun das Saufen zu beenden.
    Meine Sauferei und später meine Abhängigkeit waren Symptome. Meine Probleme lagen weit dahinter.

    Zitat

    Ich merke, das das für mich wichtig ist, um mir selbst die Zeit zu verzeihen, die ich nicht nutzen konnte.


    Das geht mir ähnlich. Alllerdings kam hinzu, dass ich die mir jetzt gegebene Zeit dafür wohl umso intensiver nutze.

    Viele Grüße, Penta

  • Was mir jetzt auch klar wird, ist, dass ich erst letztes Jahr die angebotene Hilfe richtig für mich nutzen konnte. Plötzlich konnte ich in der SHG wirklich offen über meine Rückfälle und gescheiterten Abstinenzversuche sprechen. Auch in den Gesprächen bei der Suchberatung konnte ich erstmals wirklich offen und da auch ohne Scham über das Ausmaß meiner Abhängigkeit reden. Ist mir in der ambulanten Therapie nie gelungen. Da habe ich meinen Konsum immer wieder verharmlost. Ich konnte nicht offen und ehrlich über meine Alkoholabhängigkeit reden. Jetzt bin ich im Familien- und Freundeskreis ehrlich. Diese beginnende Ehrlichkeit war auch ein neuer Umgang und deutete auf ein Ernsthaftigkeit zur Abstinenz hin. Ehrlichkeit also vielleicht auch ein Zeichen, dass der Tiefpunkt erreicht ist.

    Grüße an Alle
    Eya

  • Hallo Enya,

    Zitat

    Ehrlichkeit also vielleicht auch ein Zeichen, dass der Tiefpunkt erreicht ist.


    ja.
    Auf jeden Fall sehe ich es so, dass es ab dem Zeitpunkt keinen Grund mehr für Lügen gab, an dem ich mir meine Alkoholabhängigkeit eingestanden habe und sie nicht mehr als Bedrohung oder ein Vergehen oder Verbrechen ansah. So lange ich vor dem Makel "Alkoholiker" mit den Folgen des Eingeständnisses größere Angst hatte als vor den Folgen meines Saufens, war es nötig, vor allem mir gegenüber unehrlich zu sein, um meinen Status aufrecht halten zu können oder dürfen.
    Anders war es gegenüber anderen. Wenn die Argumente zu drängend wurden, war ich "ehrlich". Das Problem war, dass ich nicht gemeint habe, was ich sagte. Deshalb fehlte zu meinen Lippenbekenntnissen die passende Handlung.

    Gruß und alles Gute dir, Penta

  • Zitat von Penta

    Hallo Enya,


    ja.
    Auf jeden Fall sehe ich es so, dass es ab dem Zeitpunkt keinen Grund mehr für Lügen gab, an dem ich mir meine Alkoholabhängigkeit eingestanden habe und sie nicht mehr als Bedrohung oder ein Vergehen oder Verbrechen ansah. So lange ich vor dem Makel "Alkoholiker" mit den Folgen des Eingeständnisses größere Angst hatte als vor den Folgen meines Saufens, war es nötig, vor allem mir gegenüber unehrlich zu sein, um meinen Status aufrecht halten zu können oder dürfen.

    Treffend formuliert...wobei ich die Ehrlichkeit mir selbst gegenüber und die gegenüber anderen Menschen nicht trennen würde. Denn genaugenommen hab ich selbst schon seit langer Zeit gewußt, daß ich ein Problem habe, aber die Definition "Ich bin Alkoholiker" brachte ich dann doch nicht so einfach über die Lippen...also weiter Selbsttäuschung, Selbstbetrug, das Hintertürchen offen gelassen, doch nicht alkoholabhängig zu sein.

    Komischerweise hat mir hier das Forum, insbesondere Karsten und Hartmut, geholfen, diesen Knoten zu lösen, indem sie darauf bestanden haben, daß ich mich mit einem Arzt unterhalte...genaugenommen hätte das auch der Bäcker von nebenan sein können oder ein Busfahrer...es ging einfach drum, die eigene Abhängigkeit zu verbalisieren und damit auch einzugestehen, daß es eben nicht nur Alkoholprobleme sind.

    Bei mir war es tatsächlich so, daß dieser Gang zum Arzt, dieses Outen vor einem Unbeteiligten, den Stein entgültig ins Rollen gebracht hat und mir persönlich ein ähnlich großer vom Herzen gefallen ist. Es war endlich raus, der ständige Selbstbetrug hatte ein Ende. Jetzt konnte es endlich weitergehen.

    Ich vergleich das mal mit einer Situation als Kind. Ich hab in meiner Kindheit nicht nur eine Fensterscheibe mit dem Ball getillt, aber nur ein einziges Mal habe ich tatsächlich behauptet, daß es ein anderer war. Es folgten Wochen des schlechten Gewissens, weil ein anderer meine Strafe abbekommen hatte. Und die Tatsache, daß ich um meine Strafe rumkam, konnte das Gefühl, falsch gehandelt zu haben, nicht kompensieren. Als ich dann nach Wochen doch noch zugab, der Übeltäter gewesen zu sein, war das eine Befreiung, für die ich jede Strafe in Kauf genommen hätte.

    So ähnlich ging es mir, als ich endlich offen zugab, Alkoholiker zu sein. Es war nicht beschämend, es war befreiend für mich.

    Schönen Gruß und schöne Zeit

    Andreas

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