Tag 4 nach Entscheidung

  • Hallo Calida,

    da bist du ja wieder. :) Tut mir leid zu hören, dass es dir momentan nicht so gut geht. Viele der Gedanken, die du hast, kann ich gut nachvollziehen. Diese "Sinnkrise" mache ich auch schon seit ein paar Monaten durch. Mal treffen mich diese depressiven Gedanken mehr, mal weniger. Momentan bin ich auch wieder sehr nachdenklich. Ich fühle mich oft wie in einer Warteschleife - warten auf das glückliche und sinnerfüllte Leben. Es ist nicht so, dass ich an gar nix mehr Freude hätte, aber ich merke, dass mir in meinem Leben irgendetwas Erfüllendes fehlt. Die Suche danach zehrt ganz schön an einem, gerade dann wenn noch so absolut gar kein Lichtlein in Sichtweite ist. Aber nur derjenige der weitersucht, wird auch irgendwann etwas finden. Fühl dich gedrückt.

    LG, Ina

  • Guten Morgen,
    ach - schön zu merken, dass man nicht allein ist:-)
    Ja - ich erarbeite meine Sinnkrise bzw. deren Lösung ja in meiner Therapie. Aber das dauert eben. Diese Gefühle vonn allein sein, verlassen sein, die sind tief in mir verwurzelt, hat sich heraus gestellt. Es gibt eben keine Anleitung fürs weitermachen, sondern ich muss alles zulassen, wie es gerade ist. Und das macht mir als rationaler Mensch zu schaffen. Wenn ich wüsste: zwei Wochen auf Gefühle konzentrieren, sie zulassen und irgendwann ist alles gut - diese Aussicht fehlt mir eben.
    Im Moment merke ich, dass ich mich sehr auf meine Bedürfnisse konzentrieren muss. Nach einigen Wochen ohne Alk hatte ich wieder Lust, Sachen zu machen und Leute zu treffen. Und gerade ist es so, dass mich schon der Gedanke stresst, dass jemand zum Kaffeetrinken kommt oder so. Und da denke ich: lieber nochmal zurückziehen, als dass ich vor lauter Stress zur Flasche greife.
    So sieht es im Moment aus.
    Viele liebe Grüße und ich wünsche Dir, Ina, dass sich bald ein Lichtlein am Horizont auftut!!!

  • Habe mal in Rattenschwanz' Thread über Therapien gelesen und mir Gedanken über meine gemacht.
    Also einerseits ist es ein Wagnis - ja! Ich hab mich trotzdem drauf eingelassen, weil mein Leidensdruck so groß war. Und es hat sich bestätigt: meine Trinkerei hängt ganz klar mit einem Trauma in meiner frühen Jugend zusammen. Ich habe sehr wichtige Menschen um mich verloren - und ich wurde mit dieser Trauer allein gelassen. Kurze Zeit später fing ich an zu trinken. Einfach mal so geht ne 15jährige in den Keller ihrer Eltern und bedient sich. Dass das damals der Anfang war, wurde mir auch erst jetzt bewusst. Das ganze Erlebnis hatte ich ja verdrängt, v-a- die Gefühle, die damit verbunden waren. Und das kommt jetzt wieder hoch, deshalb spreche ich von Wagnis. Andererseits war das der Beginn einer Menge von Mustern, die sich durch mein Leben ziehen und bei denen Alkohol stets willkommen war. Und das möchte ich gerne aufbrechen. Deshalb kann ich für mich sagen, dass die Therapie genau das richtige für mich ist. Vermutlich gibt es keine schnelle Lösung. Aber jahrelang hab ich mein Selbst verdrängt und jetzt mache ich mir mit Hilfe endlich Gedanken über mich. Es ist auch nicht so, dass meine Therapeutin mir sagt, was ich machen soll. Sie fragt gezielt nach und mir wird dabei von selbst vieles klar.
    Also, ich wünsche Euch einen schönen 1. Advent!
    Calida

  • Hallo Calida,

    ich habe auch mithilfe von Psychotherapie (nicht im Kontext der Alkoholkrankheit) viel über mich gelernt.

    Im Rahmen des Austausches in dieser Selbsthilfegruppe auch.

    Für mich ergänzt sich beides hervorragend.

    Viele herzliche Grüße und ihnen guten Start in die Woche!

    Thalia

  • Hallo Karsten,
    aus allem, was die anderen über Therapien gesschrieben habe, denke ich: Es gibt viel Skepsis. die ist aber oft bei denen angelegt, die gar keine eigene Erfahrung mit Therapien haben. Im Grunde gehts mir wie Ina, die auch jemanden gebraucht hat, der für sie Zeit hat.
    Dieses Forum finde ich wichtig, um mich für einzelne Situationen auszutauschen. Was machen andere, wenn es ihnen nicht gut geht, wie gehen sie mit Saufdruck um, wie schützen sie sich am besten? Wie könen wir uns gegenseitig helfen?
    Ich finde, dass sich Thrapeutin und Forum gut ergänzen. Meine Therapeutin brauche ich, weil ich tatsächlich sonste mit niemandem eine Stunde nur über mich sprechen kann oder will? Und das Forum ist wichtig, weil es auch gut ist zu schauen, wie es anderen geht. D akrieg ich neue Ideen, vielleicht auch mal einen Perspektivwechsel, wo ich sehe: aha - das kann man also auch anders sehen.
    Letztendlich würde ich nach Bauchgefühl gehen, wenn es um die Entscheidung geht: mache ich eine Therapie oder nicht? austausch mit Betroffenen dagagen find ich unverzichtbar.
    Viele Grüße
    Calida

  • Hallo Calida,
    Du schreibst:

    Zitat

    Meine Therapeutin brauche ich, weil ich tatsächlich sonste mit niemandem eine Stunde nur über mich sprechen kann oder will?

    Das erinnert mich jetzt an einen Gedanken, den ich vor einigen Tagen bezüglich dieses ganzen Themas Therapie hatte...
    Ist aber halt nur so ein unausgegorener Gedankengang :wink:
    Brauchen denn so viele Menschen heutzutage wirklich eine Therapie?
    Oder reden wir Menschen in der heutigen so auf Leistung fixierten Gesellschaft einfach viel zu wenig miteinander?
    Das geht ja häufig schon in Beziehungen los und in der Familie weiter.
    Keiner hat mehr Zeit für den anderen bzw. mag sich keine nehmen.
    Alles wird immer unpersönlicher, auch durch das internet.
    Viele Menschen möchten sich auch dort toll darstellen, da hat natürlich keiner Ängste, Schwächen, Probleme oder sonstwas 8)
    Passt nicht so recht in die heutige Gesellschaft.
    Und am Ende müssen wir schon dafür bezahlen, das uns und unseren Problemen jemand nur mal für ne Stunde zuhört ? :(

    Komisch, ich habe noch Ansprechpartner für meine Probleme und Sorgen, die keine Therapeuten sind.
    Ich kenne allerdings auch noch ganz andere Zeiten...
    Wo auch noch in Familien miteinander geredet wurde...
    Wo man unter Freunden auch über Probleme sprach...
    Und ich frage mich, ist das heute alles gar nicht mehr so bei den jüngeren Menschen?

    Im übrigen stelle ich nicht grundsätzlich Therapien in Frage, das möchte ich nochmal betonen.
    Es gibt Menschen, die sie ganz dringend brauchen und auch schnellstens bekommen müssen.
    Da gibt es für mich gar nix zu diskutieren.
    Meine Frage ist eigentlich nur, ob es nicht auch schon evtl. gesellschaftlich bedingt ist, das immer mehr Menschen eine Therapie machen?

    LG Sunshine

  • Hallo Sunshine,
    mit sicherheit ist das zum Teil gesellschaftlich bedingt. Ja - wir reden zu wenig. Und ich finde es persönlcih auch schwierig Menschen zu treffen, mit denen man reden kann, die auch zuhören. Viele sind mit ihrem Hamsterrad beschäftigt, rennen immer weiter. Richtige Anteilnahme am Leben des anderen erlebe ich kaum. Aber das ist für mich nicht der Grund, eine Therapie zu machen. Denn da geht es ja um noch viel anderes. Sachen aufarbeiten, ein stück weit in der Vergangenheit zu forschen - und das eine Stunde am Stück, so viel möchte ich ehrlich gesagt auch keinem Freund zumuten. Denn das kann auch wirklich viel für eine Einzelperson werden.
    Aber ich mache auch dei Gesellschaft mit dafür verantwortlich, dass ich getrunken habe. Ich will nicht die Schuld abwenden und so tun als hätte ich nix damit zu tun. Das nicht. Aber ist doch wurscht. Die eine trinkt, die andere nimmt Beruhigundmittel, die nächste ist Laufsüchtig....
    Ich erlebe das bei vollberufstätigen Müttern duch die Bank durch. Wir sind alle permanent überfordert. Wenn Du dann noch anstrengende Kinder hats, hast Du geltten. Aber das ist ein Tabu. Darüber redet keiner. Und wenn Du jammerst, bist Du ein Weichei oder eine überforderte Kuh und man hats ja eh gewusst, dass die zu viel arbeitet, selber schuld, wenn man nicht kürzer treten kann..... das alles habe ich so erlebt. Alle tun stets perfekt: Nein, bei uns gibts keine Diskussion um die Hausaufgaben, alles läuft superduper und ich bin soooooo zufrieden. Ha! Denkst Du?
    Und dann allein im Kämmerlein, da liegen die Nerven schon mal blank. Und dass viele andere in der gleichen Situation versuchen sich ebenfalls mit Mittelchen zu beruhigen, das erfährst Du nur mal so, wenn Du bei Deiner Therapeutin bist.
    Ja, manchmal würde ich auch gern in einer anderen Gesellschaft leben!
    Viele grüße Calida

  • Na ja, das ist auch einfach, der „Gesellschaft“ die Schuld in die Schuhe zu schieben. Hat die Gesellschaft nicht gewusst wann Sie die Bremse ziehen soll und hat deswegen angefangen zu saufen oder du?

    Wer hat dich denn daran gehindert, diesen ganzen Trott nicht mitzumachen, das war doch dein Verlangen so zu leben wie du lebst. Oder hat dich dazu jemand gezwungen?

    Ich nehme mich hier nicht aus. Ich hab mir’s auch – vermeintlich – einfacher gemacht und bin mitgeschwommen und rausgekommen ist die Sauferei. Wirklich einfacher wär’s wahrscheinlich gewesen, mal den Ar.sch zusammen zu kneifen, nicht alles mitzumachen was andere machen und dafür am Ende glücklich und zufrieden zu sein. Es gibt genug Menschen die das vormachen und es gibt eben uns (auch genug).

    Die Kurve hätte ich aber kriegen müssen und nicht die Gesellschaft. Hab ich nicht, statt dessen hab ich gesoffen und brauch mich nun über Niemanden zu beschweren außer über mich selbst.

  • Siehst Du, genau das meine ich.
    Ich bin selber schuld!
    Wie konnte ich nur so dumm sein und kapieren, dass ich das alles gar nicht mitmachen muss?
    Ich hätte doch meine arbeitslosen Mann verlassen können und mir einen reicheren suchen.....
    Oder keine Kinder kriegen.
    Genauso wie immer - es ist jetzt voll egal, ob ich und warum genau ich zur Trinkerin geworden bin.
    Es geht darum, dass man in dieser Gesellschaft eben nicht in jedem Fall die Freiheit hat, sich für etwas zu entscheiden -
    wenn man nicht von Natur aus reich ist und wenn man nicht im schlechtesten Stadtteil leben will....
    Die Zeit, in der es Freiheit gibt, ist längst vorbei - wenn sie jemals dagewesen ist.
    Zwang und Druck verkraftet dann nicht jeder gleichermaßen. Alkoholismus ist für mich da nicht viel anders als Burnout -
    Letzteres hat den Vorteil, dass es Heilungschancen gibt.

  • Zitat von Calida78

    Siehst Du, genau das meine ich.
    Ich bin selber schuld!
    Wie konnte ich nur so dumm sein und kapieren, dass ich das alles gar nicht mitmachen muss?
    Ich hätte doch meine arbeitslosen Mann verlassen können und mir einen reicheren suchen.....

    Jetzt verwechselst du was, das hat nichts mit Dummheit zu tun. Das Anspruchsdenken, das ist z. B. was, was wir hätten ändern können/müssen. Ich kann dich verstehen - glaub mir - sonst hätte ich in der entscheidenden Zeit ja mein Leben auch anders gestaltet. Aber dass es so gekommen ist wie es ist, das haben wir nun mal selbst verbockt. Und jetzt haben wir die Gelegenheit nicht wieder in diese Falle zu tappen und entweder irgendwas runter- oder was hoch zu schrauben. Wir haben ja nun offensichtlich eine Chance bekommen was zu ändern und jetzt liegt's wieder in unsere Hand.

  • Zitat von Calida78

    Ich hätte doch meine arbeitslosen Mann verlassen können und mir einen reicheren suchen.....
    Oder keine Kinder kriegen.

    Das hättest du machen können, das hätte dich aber sicher nicht "weiter" gebracht.

    Und es stimmt, die Freiheit sich für etwas zu entscheiden hast du (ich) nicht immer. Ich wage aber zu behaupten, dass wir die Freiheit hatten, uns für ein für uns gut erträgliches Leben und gegen das Saufen zu entscheiden.

    Du musst - gut, du musst nicht - dich mal davon lösen, dass das einzig wahre Leben das Leben ist, welches in der Gesellschaft propagiert wird, nämlich ganz primitiv ausgedrückt: finanzieller Reichtum - wie viel auch immer das sein soll.

    Ja klar kann ich "klug daher schnacken", dass das nicht einfach ist was zu ändern, das weiß ich auch.

  • Rattenschwanz schrieb:

    Zitat

    Aber dass es so gekommen ist wie es ist, das haben wir nun mal selbst verbockt.


    Das sehe ich nicht so.
    Das geht mir auch wieder zu sehr in Richtung "selbst schuld an der Alkoholkrankheit".
    An Krankheiten IST man aber nicht schuld !

    Ich für meinen Teil bin da ganz einfach reingerutscht... und zwar immer tiefer und tiefer, bis ich am Ende abhängig war.
    Ich habe keine schwere Kindheit gehabt, sondern im Gegenteil, eine sehr schöne.
    Aber ich wurde sehr früh Mutter und wollte auch eine gute sein.
    Zudem war ich noch in der Ausbildung.
    Und danach gleich in einem sehr anspruchsvollen Beruf in Vollzeit.
    Und das alles machte mir viel Stress.
    Ich hatte den Anspruch an mich selbst, eine gute Mutter zu sein und auch einen guten Job zu machen.
    Um Kohle, um finanzielles Absichern etc. ging das ja gar nicht.

    Von daher kann ich Dich sehr gut verstehen, liebe Calida.
    Du schriebst:

    Zitat

    Ich erlebe das bei vollberufstätigen Müttern duch die Bank durch. Wir sind alle permanent überfordert. Wenn Du dann noch anstrengende Kinder hats, hast Du geltten. Aber das ist ein Tabu. Darüber redet keiner. Und wenn Du jammerst, bist Du ein Weichei oder eine überforderte Kuh und man hats ja eh gewusst, dass die zu viel arbeitet, selber schuld, wenn man nicht kürzer treten kann..... das alles habe ich so erlebt. Alle tun stets perfekt: Nein, bei uns gibts keine Diskussion um die Hausaufgaben, alles läuft superduper und ich bin soooooo zufrieden. Ha! Denkst Du?

    Ich denke nix davon, weil ich ja selbst erlebt habe, wie es ist, Mutter und berufstätig zu sein.
    Und ich sehe es nun auch wieder an meiner Tochter und meinen nun bald 3 Enkelkindern, wie anstrengend das alles ist mit Kindern.
    Sicher ist es auch wunderschön, Kinder zu haben, aber eben auch anstrengend.
    Und es geht ja oftmals gar nicht darum, sich Reichtum anscheffeln zu wollen, sondern einfach und ergreifend nur darum, einigermaßen über die Runden zu kommen.
    Denn Kinder verursachen auch nicht unerhebliche Kosten :wink:

    So, und wenn man nun mal Familie hat, kann man auch nicht einfach "aussteigen".
    Tja... und bei mir war es dann eben so, das ich mir "kleine Fluchten" im Alk suchte, ich meinte ja zu dem Zeitpunkt noch, das helfe mir gegen den Stress.
    Wenn man das Dummheit nennen möchte, solls mir auch egal sein, den Schuh ziehe ich mir allerdings kein Stück an.
    Ich war nicht dumm, sondern schlichtweg überfordert !
    Ich wollte zu viel allein schaffen.
    Ich war dem ganzen Stress aber nicht gewachsen.
    Und wollte mir dass nicht eingestehen. Und anderen schon gar nicht.
    So sah das mal aus.
    Und wer mir das Hinterherhecheln von Reichtum unterstellen würde, der kennt mich persönlich kein bisschen.
    Denn das hat mir nie was bedeutet !
    Aber meine Familie, mein Partner und meine Tochter haben mir was bedeutet !

    Ich gebe nicht der Gesellschaft irgendeine Schuld an meiner Krankheit, darum geht es ja auch gar nicht.
    Aber ich meine trotzdem, das sie uns auf Dauer krank macht.
    Weil wir der Schnellebigkeit, dem Leistungsdruck und dem allem nicht mehr gewachsen sind.
    Das trifft ganz insbesondere auch MÜTTER !
    Denn gerade von Frauen wird oft zu viel erwartet.
    Die sollen Mutter sein, aber am besten auch noch die Karrierefrau wie aus dem Werbefernsehen.
    Selbsttverständlich auch noch Partnerin, Köchin, Organisateurin von allem möglichen und pipapo... ich könnte hier noch ne ganze Litanei aufzählen.
    Und das Nicht-mehr-miteinander-reden hat auch seinen Anteil daran, das immer mehr Menschen psychisch krank werden.
    Und der Griff zu Suchtmitteln ist halt oftmals bei aller Überforderung auch nicht mehr weit.

    LG Sunshine

  • Zitat von Sunshine_33


    Rattenschwanz schrieb:

    Das sehe ich nicht so.
    Das geht mir auch wieder zu sehr in Richtung "selbst schuld an der Alkoholkrankheit".
    An Krankheiten IST man aber nicht schuld !

    So hab ich das nicht gemeint, von wegen selbst schuld an der Krankheit, daran sind wir nicht schuld.

    Ich hätte aber mit etwas mehr Mut und vlt. bissl mehr Selbstbewusstsein und auf jeden Fall ohne dieses schreckliche darüber Nachdenken, was der Nachbar dazu wohl sagen wird, einiges in meinem Leben anders regeln können. Und das bevor ich abhängig vom Alk wurde und das schieb ich mir schon in die Schuhe.

    Denn als ich mit dem Saufen angefangen habe, war ich noch nicht krank - du bestimmt auch nicht - und da hätte ich noch einen anderen Weg einschlagen können. Wollte ich - und kein anderer Mensch oder so nicht - aber offensichtlich nicht. Wahrscheinlich aus Bequemlichkeit nicht und weils eben nicht in die damalige Zeit und Gesellschaft gepasst hätte und ich so irgendwem irgendwas hätte erklären müssen. Sozusagen, keinen Ar.sch für Veränderungen zu meinen Gunsten in der Hose daraus folgt: Doch irgendwie Schuld an der Gesamtsituation.

    Bequem bin ich heute immer noch aber bissl anders als damals. Damit geht mir's aber entschieden besser, weil sich meine Wertevorstellungen verschoben haben, besser geschrieben: Weil ich - unter anderem - meine Wertevorstellungen verschoben habe, geht es mir heute gut.

  • Ja, das stimmt, Rattenschwanz... unser Verhalten war nicht gesund und es gab sicher (auch bei mir einen Punkt), an dem man noch hätte umkehren können.
    Und richtig, da wollte ich auch noch nicht umdrehen.
    Ich sah ja auch noch gar nicht den Schaden, den ich mit meinem Alkoholmissbrauch anrichten könnte und später auch tat.

    Ich möchte dazu auch nochmal anmerken, das wir in der Schule auch gar nicht über die schweren Folgen aufgeklärt wurden.
    Das ist aber auch KEINE Schuldzuweisung, sondern nur eine Feststellung.
    Wir wurden über andere Drogen mehrmals aufgeklärt und ich habe die auch nie angerührt.
    Ob es nun daran lag, kann ich auch nicht sagen.
    Aber ich würde mir wünschen, das junge Menschen heutzutage auch in der Schule schon gewarnt werden.
    Ob es hilft, steht auf nem anderen Blatt... aber drüber geredet werden sollte mindestens.

    Zitat


    Ich hätte aber mit etwas mehr Mut und vlt. bissl mehr Selbstbewusstsein und auf jeden Fall ohne dieses schreckliche darüber Nachdenken, was der Nachbar dazu wohl sagen wird, einiges in meinem Leben anders regeln können.

    Hmmm... aber auch das ist kein 100% Schutz, Rattenschwanz.
    Ich hatte nie zu wenig Selbstbewußtsein, eher im Gegenteil.
    Ich hatte nie Angst davor, was die Nachbarn reden könnten, und ich war immer ein autarker Mensch, der sich von nix wirklich abhängig machte.
    Und mutig war/bin ich auch.
    Ich bin trotzdem alkoholkrank geworden.
    Vielleicht auch aufgrund eines kleinen Größenwahns, das MIR sowas ja nicht passieren kann :oops:
    Aber ich denke trotzdem, das ein gesundes Selbstbewußtsein auch ein gewisser Schutz vor Drogenabhängigkeit ist.
    Damit kann man einfach besser Nein sagen.

    Da fällt mir eine Szene ein, vor einigen Jahren an der Kasse eines Supermarktes erlebt...
    3-4 Jugendliche standen hinter mir und kauften ne Fl. Wodka.
    Dem Gespräch heraus konnte ich entnehmen, das sie die vor einem Disko-Besuch trinken wollten, um "lockerer" zu werden.
    Der eine sagte auch noch, er traue sich sonst nicht zu tanzen.
    Mit so nem Mist geht es ja schon los...
    Da sind dann auch die Eltern gefragt, ihren Kindern ein gesundes Selbstbewußtsein mit auf den Weg zu geben.
    Damit sie zu so einer Situation beispieslweise Nein sagen können.
    Saufen werden sie alle mal, da bin ich mir beinah sicher.
    Aber mit einem gesunden Selbstbewußtsein kann man vielleicht früh genug wieder aussteigen?

    Zitat

    Damit geht mir's aber entschieden besser, weil sich meine Wertevorstellungen verschoben haben,
    besser geschrieben: Weil ich - unter anderem - meine Wertevorstellungen verschoben habe, geht es mir heute gut.

    Meine Wertvorstellungen haben sich auch verschoben.
    Ich bin während meiner Entgiftung einmal kurz klinisch tot gewesen.
    Das hat mein Leben nochmal sehr verändert.
    Es hat mir geholfen, wichtiges von unwichtigen zu trennen.
    Und es hat mir geholfen, mich von Ängsten zu befreien.
    So nach dem Motto: Mir ist das Schlimmste ja schon passiert...was sollte mir denn jetzt noch Schlimmeres zustoßen?
    Dann interessiert es n kompletten Dreck, was die Nachbarn labern, auch wenn mir das früher schon nicht wichtig war.
    Nun ist es völlig uninteressant. :wink:
    Und das gilt auch für einige andere alte Ängste.

    LG und sorry für den Threadmissbrauch, liebe Calida.
    Wie geht es Dir heute?

    LG Sunshine

  • Moin Calida,

    das klingt ziemlich verbittert bei Dir. Ich denke, so machst Du es Dir selber noch schwerer, als es eh schon ist.

    Schuld ist im Zusammenhang mit Alkoholkrankheit ein ziemlich unpassendes Wort, auch wenn ich es selbst öfter mal in diesem Zusammenhang verwende.

    Schuld impliziert irgendwie, man wäre ganz bewußt alkoholkrank geworden. Das ist natürlich Blödsinn, auch wenn es sicher Menschen gibt, die sich ganz bewußt zu Tode saufen wollten.

    Alleine die Tatsache, daß wir User hier aus den unterschiedlichsten Gründen mit dem Saufen angefangen haben, zeigt doch, daß es wenig Sinn macht, Verantwortlichkeiten zu verteilen...weder an uns noch an die Gesellschaft.

    Mir gefällt der Gedanke, für mein eigenen Leben verantwortlich zu sein, es beeinflußen zu können, sowohl positiv als auch negativ, insofern muß ich mir natürlich auch den Hut aufsetzen und sagen: Tja, als Alkoholiker bist Du sicher nicht auf die Welt gekommen, da mußt Du schon einige falsche Entscheidungen in Deinem Leben getroffen haben, daß es soweit kommen konnte.

    Und ich denke, das ist es, was Rattenschwanz ausdrücken will. Ein gewisses Maß an Selbstverschulden an unserer Krankheit können wir nicht leugnen (puh, Selbstverschulden klingt schon wieder irgendwie nach Schuld).

    Witzigerweise ist genau das die Lösung. Wir selbst hatten unseren Anteil dran, daß wir zum Alkoholiker wurden, genausogut können wir jetzt unseren Anteil daran haben, mit dieser Wahrheit zu leben, auf diese Wahrheit zu reagieren und zukünftig ein selbstbestimmtes Leben ohne Alkohol zu leben.

    Wir sind nicht gänzlich fremdbestimmt, wir haben immer noch die Wahl, unser Leben in eine positive Richtung zu lenken...und viele hier haben das auch wirklich realisieren können.

    Deine Einschätzung der Gesellschaft könnte glatt von mir stammen...in meiner Zeit, als ich noch gesoffen habe und bevor ich irgendwann kapiert habe, daß mir die Gesellschaft gar nix kann, wenn ich selbst es nicht zulasse.

    Natürlich haben es reiche Menschen in mancher Hinsicht leichter als arme Menschen. Aber diese Tatsache verhindert nicht, daß auch reiche Menschen saufen und koksen und ihr Leben wegwerfen...wenn auch aus anderen Gründen.

    Ich hoffe, ich trete Dir nicht zunahe, wenn ich Dir aus eigener Erfahrung sage, daß Wut und Zorn auf eine undefinierbare Gesellschaft einen nicht weiterbringen. Es gibt Dinge, die wir nicht ändern können und der Versuch, sie trotzdem ändern zu wollen, kann ziemlich frustrierend sein.

    Aber Deine eigene Situation kannst Du ändern...und niemand sonst. Was zunächst wie eine ziemliche Bürde klingt, ist gleichzeitig beruhigend...es liegt in Deiner Hand, was nicht zwangsläufig bedeutet, daß Du es ganz alleine schaffen mußt...aber Du kannst entscheiden, was und wer Dir helfen kann. Wenn das Deiner Meinung nach eine Therapie ist, dann zieh die Therapie durch, egal, was andere dazu sagen.

    Es macht absolut Sinn, sich Ratschläge und Tipps erstmal anzuhören und wirken zu lassen...aber dann müssen wir selbst entscheiden, was wir daraus mitnehmen und wie wir aus diesem Wissen heraus handeln...niemand sonst.

    Schönen Gruß und schöne Zeit Dir

    Andreas

  • Guten Morgen Sunshine, Rattenschwanz und Carpenter!

    Kein Threadmissbrauch - das ist doch Sinn der Sache, dass wir diskutieren.
    Sunshine, Du sprichst mir aus der Seele: Wie Du bin ich da reingerutscht. Man trinkt ja nicht das erste Glas mit dem Wissen, dass man abhängig wird.
    Ich möchte auch nicht allein die Gesellschaft für mein Fehlverhalten verantwortlich machen. Ich würd mich einfach freuen, wenn es willkommen wäre, dass wir Mütter oder jeder andere, der sich überlastet fühlt, mal jammern darf. Und dass er Verständnis bekommt und vielleicht sogar Unterstützung. Dieses "immer alles alleine regeln müssen" hat mich halt auch schon zu dem gemacht, was ich noch vor ein paar Monaten war.
    Und mit dem Reichtum - reich hätte ich eher in "" schreiben müssen. Nein, reich sind wir so oder so nicht, das will ich auch gar nicht. Es geht, wie Sunshine sagt, um "über die Runden kommen". Das würde meine Familie nicht schaffen, wenn ich nur halb arbeiten würde.
    Gut, ich hab ja auch erkannt, dass ich selbst viel in der Hand habe - und ich bin dabei, mir andere Entspannungsmöglichjeiten zu suchen. Das klappt ja auch gut bisher. Nur ist eben diese Grundunzufriedenheit da und oft diese depressiven Gedanken. Und die hätte ich eben gerne mal weg.
    Ich wünsche Euch einen schönen Tag!
    Calida

  • Zitat

    Ein gewisses Maß an Selbstverschulden an unserer Krankheit können wir nicht leugnen (puh, Selbstverschulden klingt schon wieder irgendwie nach Schuld).

    Könnte man es vielleicht "Selbstverantwortlichkeit" nennen?
    Denn alles, worin das Wort Schuld in Bezug auf unsere Krankheit vorkommt, ruft bei mir gleich Ausschlag hervor :lol:
    Mit Selbstverantwortlichkeit könnte ich mich hingegen anfreunden :wink:

    Ich denke, Calida geht es ebenso wenig wie mir darum, der Gesellschaft eine Schuld zuzuschieben.
    Außerdem sind wir alle "die Gesellschaft".
    Es ging eher darum, zu schildern, wie man in die Alkoholabhängigkeit geriet.
    Und nicht jeder hält einem gewissen gesellschaftlichen Druck stand.
    Schon gar nicht, wenn man durch Stress und Überforderung eh schon angeschlagen ist.

    Das wir etwas ändern müssen an unserem Leben, um nicht rückfällig zu werden, ist sicher allen klar.
    Und dazu sind Rückblicke mitunter auch wichtig, denn wie soll ich sonst meine Gefahrenpunkte erkennen?
    Wo soll ich sonst die Ansatzpunkte für nötige Veränderungen finden?
    Um dann zu schauen, was kann ich ändern, um nicht wieder trinken zu müssen?

    LG Sunshine

  • Liebe Sunshine,
    ja - zur Schuld habe ich noch gar nicht geschrieben. Da war ich gestern nur zynisch.
    Ich würde auch sagen: nein - ich bin nicht schuld.
    Sogar mit Selbstverantwortung tu ich mir schwer. Selbstverantwortung insofern, als ich nicht früher ehrlich zu mir war und mir eingestanden habe, dass ich ein Alkoholproblem habe.
    Aber - wie gesagt - ich konnten ja nicht ahnen, dass ich davon krank werden würde.
    Wenn ich bei mir zurückblicke und versuche aus Fehlern zu lernen, dann ist das wichtigste, nicht alles mit mir alleine ausmachen zu wollen. Durch das Trinken habe ich eine Art Mauer um mich gezogen. Ich war innerhalt der Mauer, hatte meine Probleme für mich allein, habe an deren Lösung allein versuch zu arbeiten, habe eigentlich kaum kommuniziert. Diese Trinkmauer ist jetzt weg und ich merke, dass ich mich auch gerne mal mitteile. Dabei erlebe ich, dass das aber ganz schön schwierig ist. Denn es gibt nicht viele Menschen um mich, die einfach da sind und die möchten, dass ich für sie da bin. Im Moment freue ich mich, dass mein Mann und ich wieder mehr gemeinsam sprechen und unds Dinge überlegen und dass ich es geschafft habe, einem Freund gegenüber ehrlich zu sein zu mein Herz auszuschütten.
    Mich nicht abgrenzen mit Stoff - das ist ein wichtiger Punkt für mich.
    LG - Calida

  • Hallo Calida,

    den Bild der "Trinkmauer", um dich abzugrenzen, kann ich gut nachvollziehen. Ich habe damals auch so ähnlich empfunden. Mir durch mein Trinken irgendwie "meinen Raum" geschaffen, in dem ich scheinbar Entlastung fand.

    Ich finde ja das mit der Überforderung z.B. durch Doppelbelastung oder auch einfach "nur" durchs Muttersein auch ziemlich schwer greifbar, weil dieses psychische Ausgelaugtsein von außen nicht sichtbar ist. Es ist ja nicht das "eben noch mal schnell Kekse für den Kindergarten backen", das so erschöpfend ist, sondern die permanente Inanspruchnahme meiner Person in ihrer Funktion als Mutter. Das was von "außen" nach Entspannung aussieht, z.B. dem Kind eine Geschichte vorlesen oder mit dem Kind Kekse backen, ist anstrengend, ist Arbeit, wenn ich es nicht tue, weil es mich in dem Moment zufriedenstellt. Da hat die "kleine Auszeit" hinter der Küchentür mit dem Weinglas in der Hand schnell den Anschein, als tue ich mir etwas Gutes, verschaffe mir etwas Entspannung, etc.

    Daher war für mich in der anfänglichen Zeit der Abstinenz, aber auch immer noch, ganz wichtig, auf diese Überforderung, Überlastung andere Antworten zu finden. Und mit den Monaten wurde ich auch mutiger und klarer in meiner Selbstfürsorge.

    Aber ich muss auch jetzt noch manchmal nachjustieren, wenn ich merke, da läuft was aus dem Ruder. Einen anderen Anspruch an mich selber entwickeln. Mein eigener Maßstab werden und mich nicht mehr an anderen messen.

    Und ich geb dir recht, es tut gut, sich darüber auch austauschen zu können, mit Menschen, die verstehen, wovon ich rede. Seit ich mich mehr öffne, umso mehr Möglichkeiten des hilfreichen sozialen Austausches eröffnen sich mir.

    Schön, dass du hier bist!

    Viele Grüße
    Thalia

  • Hallo Thalia!
    Schön, was Du geschrieben hast:-)))
    Ich hoffe, ich kann mich später ausführlicher melden.
    Die letzten Tage brennt die Hütte vor lauter Arbeit.
    Aber zumindets gibt es ein Lebenszeichen.
    LG - Calida

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