Hallo zusammen,
ich bin Thomas, 49 Jahre alt und nunmehr seit 1 1/2 Monaten trocken. Um trockener Alkoholiker zu sein, muss man ja von der Logik her auch mal gesoffen haben, wie es dazu kam, schildere ich nachfolgend:
Meine „Karriere“ begann klassisch in der Sturm-und-Drang-Zeit mit Anfang 20, am WE wurde Party gemacht, viel getrunken und gefeiert. Ich tat mich stets damit hervor, am meisten und am schnellsten trinken zu können. Am Sonntag wurde dann der Kater auf dem Sofa auskuriert, unter der Woche wurde gearbeitet und nichts getrunken, um dann am WE wieder loszulegen.
Irgendwann habe ich dann meine Frau kennengelernt und geheiratet. Wir haben dann ein Haus gekauft und ich habe Karriere im Außendienst gemacht. Den Job hatte ich absolut im Griff, es war aber normal, einerseits viel Umsatzdruck zu haben, andererseits aber auch mit Kunden und/oder Kollegen auf Veranstaltungen einen zu bechern…. Auf Messen, die meistens von Dienstag bis Samstag gingen und entweder in Frankfurt oder in Essen waren, war es normal, sich abends mit den Kollegen mächtig einen zu brennen. Am nächsten Morgen ging es mir immer schlecht und ich habe die Kollegen bewundert, die zwar am Abend die Letzen in der Kneipe waren, aber am Morgen danach die Ersten am Messestand… Booohhh, hatte ich immer nen dicken Kopp….
Heute weiß ich, dass es genau umgekehrt war: Ich war noch nicht so weit wie manche meiner Kollegen. Ein echter Säufer/Alkoholiker kennt keinen Kater, denn der Körper schreit nach noch mehr Alk und der den Kater verursachende Mineralstoffmangel tritt in den Hintergrund.
Der Druck im Job und die durch den Job bedingten Trinkgewohnheiten führten dann dazu, dass ich auf einmal auch unter der Woche zuhause 2-3 Feierabendbierchen getrunken habe. Meine Frau fand dies zwar befremdlich, denn sie hat immer nur auf Feiern getrunken, maß dem jedoch keine Bedeutung zu.
Parallel war immer das Thema eigene Kinder auf der Agenda, meine Frau wollte welche, ich habe das Thema immer auf das nächste Jahr verschoben. Dann hatte ich die Chance, mich in einem sehr lukrativen Umfeld selbständig zu machen. Ich habe also den Job gekündigt und der Wechsel war ein Riesenerfolg. Ich war meines Glückes Schmied, im Guten wie im Schlechten… Mega-Provisionen, aber eben kein Festgehalt… Und so wurden aus 2-3 dann 4-5 Fläschchen, was das Klima in der Ehe massiv verschlechterte.
Wir hatten uns ein Haus gekauft, dieses fast in kompletter Eigenleistung zusammen renoviert, alles war (bis auf meinen Alk) wunderbar. Das Thema Kind kam immer wieder hoch und wurde immer wieder von mir vertragt. Heute weiß ich, dass mir Kinder gar nicht lästig gewesen wären, sondern dass ich damals schon wusste, dass im Keller meiner Seele eine Bombe namens Alkohol wohnt, die irgendwann in die Luft gehen würde. Da meine Eltern beide Alkoholiker waren und wir Kinder massiv darunter zu leiden hatten, wollte ich um keinen Preis unseren etwaigen Kindern selbiges zumuten. Fadenscheinig wurden Argumente wie „dann können wir nicht mehr 3x im Jahr in Urlaub“ etc. vorgebracht. Bei meiner Frau tickte jedoch die Uhr und rechts und links wurden alle Frauen in unserem Bekanntenkreis Mütter….
Schließlich setzte mir meine Frau die Pistole auf die Brust, entweder Kind oder Scheidung. Heute weiß ich, dass die Fragestellung nicht Kind oder kein Kind war, sondern Alkohol oder kein Alkohol. Meine Säuferkarriere hätte mit einem oder gar mehreren Kindern enden müssen, dies wollte ich auf keinen Fall. Also haben wir uns dann im Guten getrennt, das Haus verkauft und die Kohle aufgeteilt und haben bis zum heutigen Tag ein freundschaftliches Verhältnis. Unzählige Male hat mir meine Exfrau auf den Weg gegeben, ich solle auf mich aufpassen und meinen Alkoholkonsum reduzieren.
Es folgten unzählige Beziehungen mit Frauen aus dem Internet, die Gemeinsamkeit der Frauen war, dass alle psychische Probleme hatten, selber gerne getrunken haben und niemals auf die Idee gekommen wären, meinen Konsum zu kritisieren und so dazu beizutragen, dass ich vom Alkohol wegkomme. Genau dies habe ich mir aber immer gewünscht, war dann unzufrieden, habe die Beziehung beendet mit der Gewissheit, dass eine Co-Abhängige mich nur weiter in die Sch… reitet, um mir dann die nächste Co-Abhängige zu suchen.
6-8 Bier täglich waren mittlerweile normal wie auf Toilette gehen, macht man ja auch jeden Tag… Ich habe allerdings nur abends getrunken.
Im September 2015 habe ich dann bei einem Fußballspiel eine ehemalige Schulkameradin wieder getroffen und wir haben uns verliebt. Auch hier war Alkohol, -wohl u. a. durch das Umfeld Fußball-, normal. Wir sind dann recht schnell zusammengezogen und mein Konsum wurde weniger, denn die Frau tat mir sehr gut und ich ihr auch.
Ich arbeitete primär zuhause im Homeoffice und sie halbtags. Sie ist dann nach der Arbeit immer einkaufen gegangen und hat dann nach 4 Monaten Zusammenleben täglich 4 Weizen und 2 Flaschen Wein mitgebracht. Die Weizen waren meine, den Wein haben wir geteilt. Neigte sich die zweite Flasche Wein dem Ende zu, habe ich sie beäugt wie ein Löwe den anderen, wobei ich Löwe ja schon weit mehr als das halbe Zebra im Bauch hatte. Wenn sie dann zur Toilette ging, habe ich oftmals Wein aus ihrem Glas getrunken, obwohl ich ja schon ohne Ende Alk intus hatte. Sie war dann sauer und auch alarmiert, denn ich hatte ja schon einiges auf. „Reicht das denn nicht, Thomas?“
Die Lösung war schnell gefunden, ich beauftragte sie, 6 Weizen und 2 Flaschen Wein zu kaufen und habe dann für eine sehr lange Zeit ihr Weinglas nicht mehr angefasst.
So kam dann der Mai 2017 und die oben genannte Menge war wieder mal weggesoffen, aber aus irgendeinem Grund hatte ich noch nicht genug. Also forderte ich die Dame auf, zur Tanke zu gehen und nochmal 6 Weizen zu holen (waren dann in Summe 12 Weizen und 1 Pulle Wein an EINEM Abend). Unter Protest folgte sie meinem Wunsch. Dies wiederholte sich 4-5 Mal, bis sie dann mitteilte, meine immer mehr eskalierende Sauferei nicht mehr unterstützen zu wollen. Wir hatten heftigsten Streit, ich hatte beruflich sooooo viel Stress und die Halbtagsschlampe (Zitat) missgönnte mir doch tatsächlich mein Feierabendbierchen, oder um präzise zu sein: Meine ZWÖLF und die Pulle Wein!
Meine Freundin hat sich an diesem Tag radikal verändert und seither keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Ebenso hat sie keinen einzigen Tropfen mehr gekauft, was am Anfang wieder zu heftigstem Streit führte, ich schaffte dann aber Abhilfe, indem ich eben selber den Alk einkaufen ging. Hatte den Vorteil , dass ich mehr kaufen konnte und außerdem der Stoff früher da war. Wenn es Verkehrsprobleme gab, war sie manchmal erst um 14:10 Uhr statt um 14 Uhr zuhause, diese extrem verspätete Lieferung des Alkohols wurde durch meinen eigenen Einkauf vermieden.
Unsere Beziehung war nur noch eine Farce, sie war da oder nicht, ich war eh nie da… Der Job lief im Notbetrieb und der Beginn der täglichen Sauferei verschob sich immer mehr nach vorne. 13:30, 13 Uhr, dann 12 Uhr.
Problem: Je früher man anfängt, desto weniger ist abends da. Also wieder die „GEH-ZUR-TANKE“-Diskussion, was sie ablehnte. Da sie sich standhaft weigerte, habe ich sie dann rausgeschmissen und sie ist interimsmäßig zu ihrer Mutter gezogen. Sie nahm die notwendigsten Dinge mit und ihr folgten aus unserem Wohnzimmerfenster wüsteste Beleidigungen meinerseits. Ja: Klar haben wir Nachbarn, aber was soll es denn? Die Olle wollte ja kein Bier holen, was will man da machen…
Nunmehr wohnte ich alleine, hätte fast „lebte“ geschrieben, aber Leben kann man das nicht nennen, denn jetzt brachen alle Dämme…. Der beste Supermarkt ist sicherlich xxx und eben nicht - edit, bitte keine Firmennamen, danke- . Nicht etwa, weil im xxx die Preise niedriger sind oder die Auswahl besser, nein: xxx öffnet morgens um 7 Uhr, die anderen erst um 8 Uhr. Also bin ich dann (immer mit ordentlich Restalk im Bauch und der Führerschein ist meine Existenz) zum Netto gefahren, habe meine 6-8 Pullen Weißwein geholt und bin fröhlich nach Hause. Dummerweise hat der Mensch nur einen Mund, den er fakultativ benutzen kann. Entweder isst er oder er trinkt. Ich habe so gut wie nichts mehr gegessen und 15 kg abgenommen. Die Kalorien kamen aus dem Alk, die Nährstoffe kamen eben gar nicht, aber wen stört das?
Gegen 14 Uhr wurde dann beinahe täglich meine Freundin bombardiert mit der Aufforderung, mir auf dem Nachhauseweg Alk zu bringen, was sie natürlich ablehnte. Es folgten ungeheuerliche Beschimpfungen sowie mehrere abgrundtief beleidigende SMS täglich. Dennoch ist meine Freundin immer ans Telefon gegangen, wenn ich sie anrief und hat mir immer angeboten, mir zu helfen. Wir hatten nur unterschiedliche Auffassungen, was denn Hilfe bedeutet.
Mitte November 2017 wuchs wie ein sehr zartes Pflänzchen in mir die Einsicht, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Die Wohnung sah aus wie ein Schlachtfeld, ich war total verwahrlost, überall standen leere Flaschen, der Müll türmte sich. Also habe ich mich im Internet nach Alkoholentzug erkundigt, diesen Gedanken aber immer verworfen. Das Eingeständnis, Alkoholiker zu sein und die Akzeptanz der Tatsache, dass ich auf das Ende der Klippe zurase, hatte sich noch nicht in meinem Kopf gefestigt. Als Alternative zwei habe ich mir im Internet Infos besorgt, wie man sich einfach und schmerzlos umbringen kann.
Interessant und kurios hierbei sind 100% sichere Tipps von Leuten, wie man sich effektiv die Pulsadern aufschneidet. Die Frage ist (heute, damals nicht), woher die Leute, die dies schreiben, dass denn wissen? Ist aber ein anderes Thema….
Am Samstag, den 02.12.2017 habe ich mir morgens per Taxis einen Kasten Bier bringen lassen, den ich an diesem Tag komplett geleert habe. Am Sonntag bin ich dann um 07 Uhr zur Tanke und habe mir 6 Flaschen Weißwein geholt, mehr hatten die nicht, doofe Tanke… Abends kam dann das Pizzataxi und brachte mir eine Pizza und 8 Bier. Die Pizza landete ungeöffnet und ungegessen in Müll, das Bier habe ich hingegen gesoffen. Die liefern halt nicht, wenn man kein Essen bestellt, warum auch immer…
Der Montag fehlt komplett, keine Ahnung, was ich da gemacht habe, gesoffen habe ich aber in jedem Fall.
Am Dienstag, den 05.12.2017, war ich am „point of no return“ angelangt. Am Ende des Weges, der sich gabelte nach rechts oder nach links, aber eben nicht mehr geradeaus.
Ich bin aufgestanden mit dem festen Willen, der täglichen Sauferei ein Ende zu setzen, so oder so.
Es gab für mich an diesem Tag keinen Supermarkt, kein Taxi, keine Tanke. Ich habe an diesem Tag beschlossen, zu meinen Lebzeiten keinen Alkohol mehr zu trinken.
Ich habe mir dann Badewasser eingelassen und mich in die Wanne gelegt. In meiner rechten Hand befand sich mein frisch geschliffenes Ausbeinmesser und es gab nur zwei Möglichkeiten:
a) Pulsadern auf und in der Wanne auf den Tod warten
b) Raus aus der Wanne und den RTW anrufen und mich zur Entgiftung einweisen
Zunächst lag a) vorne, hierfür gab es aus meiner damaligen Sicht unzählige Gründe. Mein Leben war verpfuscht, ich hatte alle Menschen, denen ich etwas bedeute, enttäuscht und wie Dreck behandelt. Ich sah aus wie ein Penner, war total abgemagert, einfach eine jämmerliche Gestalt. Und der Hauptgrund: Wenn ich mich einweisen lasse, gestehe ich final, Alkoholiker zu sein. Ich begebe mich in fremde Hände von Leuten, die mich sicherlich für den letzten Asozialen halten, denn es gibt sicherlich niemanden, der so tief gesunken ist wie ich. Und ich hätte an dem Dienstag nichts trinken können, dies hätte ich aber nicht als Mangel empfunden, wenn ich tot wäre..
Dann aber drehte sich das Bild um 180°, ich bin quasi aus der Wanne gestiegen und habe einen Blick auf den Typen geworfen, der da mit dem Messer in der Hand lag. Der undankbar sein Leben wegwerfen wollte, der sich schlichtweg verpissen wollte vor der Verantwortung für sein Leben, vor der Verantwortung, Dinge bei anderen Menschen, vor allem bei meiner Freundin, zu heilen, die er kaputt gemacht hatte. Da der Alkohol dafür da ist, den Menschen kaputt zu machen, hätte der Alkohol gewonnen. Es entwickelte sich im Bruchteil einer Sekunde ein abgrundtiefer Hass auf dieses Teufelszeug und auf einmal war wie aus dem Nichts die alte Kraft wieder da, die mich in all den Jahren in schwierigen Situationen so oft ausgezeichnet hat.
Also bin ich dann raus aus der Wanne, habe das Messer in die Ecke geworfen, den RTW angerufen. Habe mich angezogen und auf den RTW gewartet. Die Gefühle waren zwiespältig, ich wusste ja nicht, was mich erwartet.
Wer in geselliger Runde viel saufen kann, ist ein Held. Wer Alkoholiker ist, ist stigmatisiert. Dachte ich…
Dann kam der RTW und die Jungs verfrachteten mich nach Langenberg. Meine Scham wurde mir sofort genommen, denn für die Jungs war die Tour nix ungewöhnliches, sie fahren laut eigener Aussage 3-4 Leute pro Woche dahin…
Wir waren sofort per Du und der eine meinte, dass es schon ein harter Film sei, den ich gerade fahre, aber dass sie schon ganz andere Leute gesehen hätten. Alles wird gut, wir fahren Dich jetzt erst mal in die Klinik….
Dort angekommen wurde ich aufgenommen. Der eine der RTW-Leute hatte sich Notizen gemacht von meinem Wannenbad und dem Ausbeinmesser, so dass ich dann zunächst vom diensthabenden Psychiater interviewt wurde, ob ich denn noch vor hätte, meinem Leben ein Ende zu setzen. Außerdem durfte ich pusten und hatte 1,66 Promille. Da der Psychiater der Meinung war, dass ich zwar stinkbesoffen war, aber nicht mehr vorhatte, mich umzubringen, kam ich auf die normale Station, für die erste Nacht dann ins „Aquarium“.
Dies war der Beginn der Trockenheit.