Hallo zusammen,
und danke fürs Freischalten! Da der Vorstellungsthread ja schnell wieder geschlossen wird, wenn ich das richtig verstanden habe, kopiere ich hier noch mal meine Vorstellung hinein. Ich hoffe nämlich, dass das hier ein sehr langer Thread wird und möchte dann auch den Anfang hier stehen haben.
Ich fange einfach mal damit an, warum ich aufgehört habe - mit dem Trinken natürlich. Bin ich Alkoholiker? Vor fünf Wochen hätte ich das vielleicht noch nicht von mir behauptet, jetzt allerdings wird es mir immer klarer. Das ist ganz seltsam, schließlich hat Alkohol ein gutes Vierteljahrhundert eine enorm wichtige Rolle in meinem Leben gespielt, vielleicht sogar die Hauptrolle. Und trotzdem kommt die Erkenntnis erst - und auch dann nur schleichend - wenn ich eben nichts mehr trinke.
Noch mal zurück, ich wollte ja erzählen, warum ich überhaupt aufgehört habe. Vor fünf Wochen war einer meiner ältesten Freunde übers Wochenende zu Besuch. Wir haben schon zu Schulzeiten mit allen Arten von Betäubungsmitteln herumexperimentiert, später, in der Studenten-WG ist es eigentlich nur ärger geworden. Irgendwann haben sich unsere Wege getrennt, weil ich weggezogen bin. Seither sehen wir uns aber in regelmäßigen Abständen, gut zweimal pro Jahr. Und kaum sehen wir uns, ist alles wie immer. Nicht nur verstehen wir uns wie gehabt wunderbar, auch unser Konsummuster ist so, als hätten wir in zwei Jahrzehnten nichts dazugelernt. Saufen bis zum Umfallen. Diesmal waren es zwei Tage und Nächte mehr oder weniger durch, zwei Filmrisse inklusive. Danach der für mich wahrscheinlich längste Kater bislang, der fast eine Woche gedauert hat. Und die Erkenntnis: Es geht so nicht mehr weiter.
Mir war schon vorher klar, dass ein kalter Entzug lebensgefährlich sein kann, aber da mir nicht klar war, dass ich Alkoholiker bin, hätte ich das nie auf mich selbst bezogen. Ging ja dann auch, ich konnte zwar nicht schlafen, aber das kann ich schon seit Jahren nicht besonders. Während des Katers/Entzugs habe ich dann gleich "Nüchtern" von Daniel Schreiber gelesen und hatte sofort das Gefühl: "Das bin ja ich!" Wie ihr ja alle wisst, neigt man als Alkoholiker dazu, sich mit denen zu vergleichen, die noch tiefer drinstecken. Nur um sich selbst sagen zu können, dass es so schlimm ja längst nicht sei. Super Selbstbetrug, das habe ich inzwischen schon verstanden. Dabei waren die Anzeichen seit vielen Jahren unübersehbar:
- Filmriss sicher zweimal im Monat
- sehr oft verkatert ins Büro, machmal auch krankgemeldet
- zuletzt auch immer mal wieder aggressiv geworden, wenn auch nur mit Worten (das will ich aber gar nicht kleinreden, ist schrecklich und beschämend genug, vor allem, weil ich genau den Menschen weh getan habe, die mir am wichtigsten sind)
- nasses Planverhalten (mit wem kann ich diese Woche noch was trinken gehen? wann kann ich mir unter der Woche trinken erlauben? etc.)
Ich war sogar vor mehr als zehn Jahren mal bei den AA, hab damit aber gar nichts anfangen können. Die Einsicht war also tatsächlich schon einmal da, aber anscheinend hat der Selbstbetrug das Match damals für sich entschieden... Wenn ich so zurückdenke, fällt mir auch auf, in wie unterschiedlichen Gewändern sich der Alkoholismus zeigen kann. Damals hatte ich eine Phase, wo ich fast jeden Abend getrunken habe und sicher immer 3-6 Halbe Bier. Danach kamen dann aber immer wieder Phasen, wo ich - sogar halbwegs problemlos - nicht mehr jeden Tag getrunken, mich dafür aber regelmäßig richtig abgeschossen habe. In einer solchen Phase bin ich jetzt auch wieder ein paar Jahre, wobei zuletzt die Filmrisse deutlich zugenommen haben (und am Anfang des Trinkens das unbedingte Gefühl, mich abschießen zu wollen). Was ich ganz sicher sagen kann: Ein Glas Wien oder Bier interessieren mich nicht, interessant wird es ab Glas 3. Auch der Geschmack ist mir mehr oder weniger wurscht, Hauptsache, es fährt. Von Schnaps habe ich dennoch fast immer die Finger gelassen, eher habe ich mit anderen Substanzen kombiniert.
Von außen betrachtet gibt es übrigens keinen Grund zu saufen (angenehmer Job, nette Menschen um mich (auch solche, die relativ wenig Alkohol konsumieren), weitgehend gesund), also muss es wohl die Sucht sein. Natürlich ist mir bewusst, dass es in mir genug gibt, was den Alkohol so unwiderstehlich macht (Versagensängste, Schüchternheit, Traurigkeit, Langeweile und sicher noch mehr), nicht umsonst ist er mir schon ab dem ersten Rausch mit 15 vorgekommen wie eine Offenbarung. Wie der endgültige Problemlöser. Nun, das dicke Ende kommt anscheinend wirklich zum Schluss. Das weiß ich jetzt, obwohl ich gleichzeitig das Gefühl habe, dass ich gerade erst die Spitze des Eisbergs gesehen habe und da noch sehr viel mehr kommen wird. Das beunruhigt mich ziemlich, auch wenn ich kaum echten Saufdruck habe. Ich habe sogar vor Kurzem einen einwöchigen Urlaub mit meiner Partnerin ohne Alkohol "überstanden", und das ging ziemlich problemlos.
Was erhoffe ich mir von hier? Ich habe in den vergangenen Tagen recht viel mitgelesen und mir scheint, dass ihr ein ganz freundliches - und kritisch-aufmerksames - Grüppchen seid. Ich freue mich also, wenn wir uns austauschen können!
Ich möchte auch gleich einmal mit einem Thema anfangen, das mir gerade auf der Seele brennt. Und zwar hat ein weiterer langjähriger Freund, der ebenfalls nicht in meiner Gegend lebt, auch vor zwei Wochen mit dem Trinken aufgehört. Wir telefonieren/skypen in der Regel einmal im Monat. Gestern fragte er auch an, ob wir telefonieren könnten, ich habe aber erst mal abgelehnt, weil ich mich diesbezüglich sehr unsicher fühle. Er hat wesentlich mehr getrunken als ich (jeden Tag über zig Jahre mehrere Liter Bier, dazu auch härtere Sachen). Er sagt seit Jahren von sich, er sei Alkoholiker, er hat auch immer mal wieder Trinkpausen von mehreren Wochen eingelegt, sich aber niemals Hilfe von außen geholt oder sich anderweitig wirklich ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt, also z.B. Fachbücher oder Foren wie dieses gelesen.
Ich fühle mich jetzt hin- und hergerissen. Einerseits ist es schön, wenn noch jemand, den ich lange kenne und mag, sich auf denselben Weg begeben hat wie ich. Andererseits habe ich Angst, dass er es wieder nicht wirklich ernsthaft meint und der Kontakt mit ihm mir nicht gut tut. Nicht mit ihm zu reden oder den Kontakt abzubrechen macht mir aber wiederum ein schlechtes Gewissen, weil ich das Gefühl habe, ihn im Stich zu lassen.
Wie würdet ihr mit dieser Situation umgehen? Habt ihr schon mal mit einem euch Nahestehenden aufgehört und kennt diese Ängste?
Danke fürs Zuhören und lieben Gruß an alle