Hallo zusammen,
ich hoffe, es ist ok, wenn ich meine Geschichte hier poste, obwohl ich nach 5 1/2 Jahren einen Rückfall hatte.
Es wird wohl ein längerer Beitrag werden auch wenn ich versuchen werde, mich kurz zu halten, damit niemand die Lust am Lesen verliert.
Aber fast 55 Lebensjahre lassen sich halt nicht in ein paar Sätzen darstellen.
Alles, was ich schreiben werde, basiert darauf, dass ich durch meine Therapie Worte und Begrifflichkeiten gefunden habe, die mir lange nicht klar waren.
Erst in der Suchtreha habe ich erfahren, dass Depressionen und Angstzustände häufig eine Folge von Alkoholmissbrauch sind. Bei mir war es anders.
Aber dazu später mehr.
Aufgewachsen bin ich als Jüngste von 3 Kindern. Meine älteste Schwester ist 15 Jahre älter, als ich. Sie zog aus, als sie schwanger wurde und heiratete.
Meine mittlere Schwester ist 2 Jahre älter als ich. Ich glaube bis heute, dass ich nur ein "Alibikind" war.
Schon früh merkte ich, dass alle Hoffnungen auf mir lagen und hatte immer parallel das Gefühl, dass mein Vater mich nicht mochte, weil er sich einen Sohn gewünscht hatte und ich wieder nur ein Mädchen war.
Ich lernte schnell, zu erkennen, was von mir erwartet wurde. Unbewusst, aber prägend. Immer schon achtete ich auf Schwingungen. Und tat alles dafür, die Menschen in meinem Umfeld zufrieden zu stellen.
Ich war ein unauffälliges Kind. Zuhause wurden gute Leistungen von mir nicht honoriert, schlechte Leistungen kritisiert. Bei uns war Alkohol keine Thema. Meine Mutter war vehement dagegen, mein Vater durfte aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht trinken.
Erste Kontakte mit Alkohol hatte ich mit 15 Jahren. Das übliche halt. Ausprobieren, sich mal auf Feten betrinken usw. Für mich blieb es eine Nebenerscheinung. Ich wollte dazugehören, war aber viel zu sehr damit beschäftigt, darauf zu achten, gute Leistungen zu bringen und es allen recht zu machen.
Ich fing eine Ausbildung beim Fernmeldeamt an, obwohl ich ganz andere Träume hatte. Aber mein Vater war Beamter dort und erwartete das einfach.
Mit 19 Jahren habe ich alles hingeschmissen und bin nach Griechenland geflüchtet. Zurück kam ich nur, um meine Sachen zu regeln und wieder zurück zu gehen. Und lernte den Vater meiner Tochter kennen.
Also blieb ich in Deutschland. Und wurde mit 21 Jahren schwanger. Was folgte, war meine erste gewalttätige Beziehung. Inklusive Vergewaltigungen. Aus der konnte ich mich noch relativ schnell befreien.
1990 begann ich meine erste Therapie bei einer Psychologin. Aber vielleicht war ich einfach noch zu jung, um die Wichtigkeit zu erkennen. Ich brach die Therapie ab.
Ich war alleinerziehend, kämpfte mich durchs Leben, wollte für meine Tochter da sein und uns ernähren.
Nach aussen hin schien ich stark, niemand bekam mit, wie es mir ging. Ich wollte alles alleine schaffen, Hilfe anzunehmen erschien mir unmöglich. Denn das hätte ja bedeutet, Schwäche zu zeigen!
1996 zog ich mit meinem damaligen Partner zusammen und mein Martyrium begann. Ich hatte im Vorfeld die Zeichen missachtet. Er war Alkoholiker und noch dazu sehr aggressiv, wenn er getrunken hatte.
Er isolierte mich. Freunde durften mich nicht besuchen, er kontrollierte meine Telefonate, verfolgte mich.
Als er mir zum ersten Mal die Faust ins Gesicht schlug mit den Worten:"Bevor du mich verlässt, schlage ich dich tot!", brach etwas in mir.
Ich traute mich nicht, mich jemandem anzuvertrauen, weil ich immer den Gedanken im Kopf hatte "Du bist schuld!"
Also fing ich an, zu trinken. Manchmal, um meinen Schmerz zu betäuben, manchmal, um ihn ruhig zu stellen, wenn er angetrunken nach Hause kam und mit mir reden wollte.
Nach 3 endlosen Jahren habe ich den Absprung geschafft. Ich wusste, das ich nicht mehr viel Kraft habe. Ich kannte inzwischen seine Mechanismen und Vorgehensweisen. Schaffte es, mir heimlich eine Wohnung zu suchen. Als er mit einem Freund eine Woche auf Mallorca war, habe ich meine persönlichen Sachen gepackt, meine Tochter genommen und bin gegangen.
Was folgte, waren 1 1/2 Jahre Psychoterror.
Dazu kam, dass mein Vater 2000 starb. Vorher hatten wir noch ein sehr intensives Gespräch, in dem wir viele Missverständnisse aufgeklärt haben und ich erfahren durfte, das er mich immer geliebt hat.
Auch das habe ich überstanden, ohne das je Alkohol bei mir zu Hause war.
2002 bin ich mit einem Mann zusammengezogen, den ich sehr geliebt habe. Meine Tochter war inzwischen 16 Jahre alt und begann, ihren eigenen Weg zu gehen. Für mich also die Chance, endlich im Beruf vorwärts zu kommen und Karriere zu machen.
Und so begann das "Dilemma". Verfolgt von meine Gedanken, es allen recht zu machen, überschätzte ich mich. Es wurde mir alles zu viel.
Job, Karriere, unsere Hunde, Garten, Beziehung....
Ich fing an, abends zu trinken, um runter zu kommen. Zuerst Wein, dann Hochprozentiges. Ich befand mich in einer Abwärtsspirale und war mir dessen total bewusst.
Meinen Job habe ich nie vernachlässigt. Und niemand hat etwas bemerkt. Ich war perfektionistisch darin geworden, "Masken" zu allen Gelegenheiten zu tragen.
2009 war ein schlimmes Jahr. Meine Mutter war an einer schweren Form der Demenz erkrankt. Ich rieb mich auf zwischen Job, Betreuung und Zuhause.
Wenn mich heute jemand fragt, wie ich das geschafft habe, kann ich nicht antworten.
Ich merkte selbst, was mit mir los war, konnte es aber nicht ändern.
Weitere Schicksalsschläge und letztendlich der Tod meines Schwiegervaters 2012 ließen meinen Körper um Hilfe schreien.
Am Tag der Beerdigung meines Schwiegervaters brach ich zusammen, mein Herz spielte verrückt. Ich musste wiederbelebt werden und im Krankenhaus wurde schnell die Diagnose gestellt, dass ich Alkoholikerin bin und deshalb Herzbeschwerden habe.
Das war das 1.Mal, dass ich den Stempel "Alkoholikerin" aufgedrückt bekam. Ich schämte mich unendlich!
Ich danke an dieser Stelle meinem resoluten Hausarzt,der gnadenlos mit mir umging! Er schrieb mich krank, stellte einen Antrag auf Suchtreha usw.!
Januar 2013 begab ich mich in die Reha und hatte keine Vorstellung davon,was mich erwarten würde.
Schnell merkte ich, dass es mir nicht gut ging.Ich fühlte mich unverstanden.
Erst später durfte ich erfahren, das es auch daran lag, dass nicht erkannt wurde, dass meine Depressionen keine Folge des Konsums sind und das ich im Gegensatz zu vielen anderen Mitpatienten, noch ein soziales und strukturiertes Leben hatte.
Wie auch immer, 2013 war der Beginn meines neuen Lebens.
Fortsetzung folgt.
Vielen Dank an alle, die bis hierhin gelesen haben!
lg,
Topaz