Hallo liebe Leute,
ich bin hier, weil mein Mann alkoholabhängig ist. Es fällt mir schwer, Alkoholiker zu schreiben, weil mir sein Fall subtiler erscheint. Er trinkt jeden Tag, meistens ab ca. 17 Uhr und dann kommt er auf 1-2 Flaschen Bier plus 2-3 Gläser Wein, ca. 200ml. Mal mehr, mal weniger. Wenn tagsüber Nachbarn vorbeikommen oder es eine Baustelle am Hof gibt, wird schon vormittags mit Bier angefangen. Er ist nie betrunken, wenn abends Besuch da ist und er mehr trinkt, gibt es hin und wieder mal Zungenschlag, das ist aber sehr selten. Er ist sehr zuverlässig, sorgt für alles rund ums Haus und macht auch allerlei für Nachbarn und Freunde, da kommen ihm seine wirklich brillanten geistigen Fähigkeiten zugute. Er hilft mir, wo es notwendig ist und ist insgesamt ein dienstbarer Mensch, worauf er auch sehr viel Wert legt (er ist in einem Gastgewerbebetrieb aufgewachsen). D.h., ich kann mich zu 100% auf ihn verlassen.
ABER: ich stelle schon seit über 10 Jahren eine zunehmende Persönlichkeitsveränderung fest. Es hat was sehr dissoziatives. Ich fühle mich schon lange emotional extrem vernachlässigt. Wir sind vor fast 20 Jahren auf einen Bauernhof gezogen und haben seither unendlich viel gearbeitet. Ich habe viel zu spät realisiert, dass er zu viel trinkt, weil das Mengen sind, die hier am Land ziemlich normal sind und ich keinerlei Erfahrungen mit Alkoholikern hatte. Deswegen frage ich mich auch immer wieder, ob ich mir das alles einbilde. Ich weiß, ich weiß, die alte CO-Frage Die letzten Jahre hat sich alles ziemlich zugespitzt und wir sind in eine heftige Krise geschlittert. Er ist eigentlich ein sensibler Mann, kann aber auch unglaublich gemein sein. Sein Verhalten mir gegenüber kann man durchaus als emotionale Gewalt bezeichnen. Ich habe das Gefühl, ständig über Fallstricke zu stolpern. Dauernd mache ich irgendetwas falsch und er fühlt sich durch in meinen Augen lächerliche Dinge provoziert, obwohl ich nichts mehr zu vermeiden versuche, als ihn zu provozieren. Ich habe ja Angst vor seinen Reaktionen. Er stellt irgendwelche seltsamen Regeln auf, die eingehalten werden müssen. Als ich ihn vor vielen Jahren das erste Mal auf seinen Alkoholkonsum angesprochen habe, hat er mich angeschrien, dass mich das nichts anginge. Wir sind jetzt 25 Jahre zusammen und hatten einige sehr schöne Jahre zu Beginn, ohne Alkohol. Es wäre völlig undenkbar gewesen, dass er mich anschreit. Das hat auch vor ihm nie jemand getan. Mich hat das sehr schockiert und geängstigt und ich denke, dass ich damals in die CO-Rolle gerutscht bin. Grundsätzlich findet er sich in Ordnung, während er mich für schwierig und kompliziert hält (liest man hier auch des öfteren).
Ich habe mich voriges Jahr intensiv in das Thema Entwicklungstrauma eingelesen und weiß, dass wir beide traumatisiert sind. Ich habe eine entsprechende Therapie begonnen, die mir hilft, wieder zu mir zu finden und meinen Weg zu gehen. Seit er das merkt und ich ihm davon erzähle, hat sich die Situation wieder etwas entspannt. Mit dem Alkohol aufhören will er nicht, da fühlt er sich in seiner "Freiheit" eingeschränkt und da reagiert er aggressiv. Er hat es voriges Jahr im Frühjahr versucht, ist aber nach 2 Tagen gescheitert. Aus seiner Sicht hatte er halt "einfach wieder Lust", etwas zu trinken.
Ich fühle mich seit über 10 Jahren total allein, wir machen nichts miteinander, leben abgeschieden zu zweit und seit wenigen Jahren arbeiten wir beide zuhause, d.h. wir sind an den meisten Tagen 24 Stunden am gleichen Ort. Das macht die Situation noch schwieriger. Er baut sich zwar gerade ein Geschäft auf und arbeitet viel, hat aber ansonsten jegliche Interessen verloren. Abends sitzt er in der Küche, raucht und trinkt seine Gläser. Dabei starrt er oft vor sich hin, ich kann das nicht ansehen. Wenn ich ihn darauf anspreche, meint er nur, er denke nach und so sehe das halt aus. Für mich ist das schrecklich, er kriegt dann rundum gar nichts mit. Ich habe das Gefühl, es ist völlig egal, ob ich da bin oder nicht. Das meinte ich mit dissoziativ.
Warum ich das so genau und so lang beschreibe: ich weiß, dass die Menge nicht unbedingt ausschlaggebend für die Abhängigkeit ist. Aber ich lese hier hauptsächlich von Alkoholikern, die schon morgens trinken und dann auch wirklich besoffen sind. Oder von denen, die sich alle paar Wochen komplett besaufen. Vielleicht gibt es aber doch noch andere, deren Fall ähnlich ist, wo die Menge nicht so extrem groß ist, aber dennoch Symptome auftauchen, unter denen sie leiden. Ich habe mich heuer nach ein paar heftigen Bemerkungen total zurückgezogen und bin innerlich auf dem Absprung. Ich halte diese Einsamkeit zu zweit nicht mehr aus. Schweigende Abendessen, kaum Gesprächsthemen, obwohl wir früher über alles geredet haben. Jetzt bespreche ich alles, was mich berührt, mit anderen Personen. Was meint ihr, reicht diese Menge Alkohol, um so deutliche Persönlichkeitsveränderungen zu bewirken? Ich habe es ausgerechnet, er bewegt sich zwischen 50 und 90g reinem Alkohol. Er hält diese Menge auch schon relativ lange. Ich zweifle NICHT daran, dass er abhängig ist! Mist, ich weiß eh, dass diese Verunsicherung eine CO-Geschichte ist!