Hallo,
Mein Freund ist Alkoholiker!
Ich werde euch meine Geschichte erzählen, die zwar erst von kurzer Dauer aber doch intensiv ist. Sie wird etwas länger werden.
Alles begann 2018 auf meiner Arbeit. Jede Woche kam ein Mann. Er war sehr muskulös und wirkte nach außen sehr böse. Aber seine Augen sagten mir etwas anderes. Sie waren ehrlich, liebevoll und auch sehr traurig. Von Anfang an fühlte ich mich stark zu ihm hingezogen. (Im Nachhinein stellte sich heraus bei ihm war es genauso)
Da ich wieder in meinen alten Beruf zurück wollte und er in derselben Branche arbeitete, bewarb ich mich bei seinem Chef. 3 Monate später waren wir dann Arbeitskollegen.
Mir wurden von einigen Kollegen schauergeschichten über ihn erzählt (Alkoholprobleme, Straftaten, Aggressionen und große familiäre Probleme) doch all das reizte mich noch mehr ihn näher kennenzulernen.
Irgendwann lud er mich zum grillen ein.
Als ich gegen 17 Uhr bei ihm ankam, merkte ich schnell das er schon gut einen getrunken hatte. Er trank immer Rosé Wein. Da Wochenende war dachte ich mir nicht viel dabei.
Ab dann war ich öfters bei ihm, jedes mal trank er seinen Wein. Egal zu welcher Uhrzeit. Da ich von den Kollegen schon informiert war, ahnte ich schon, dass er ein Problem damit hat.
Schnell hatte er Vertrauen zu mir gefasst und erzählte mir all seine Geschichten von Verhaftungen, einstweiligen Verfügungen, seinen Gewaltausbrüchen, seine Strafzahlungen und teilweise schweren Unfällen unter Alkohol.
Sehr oft mochte ich ihn Abends nicht alleine lassen. Er ist viel in meinen Armen eingeschlafen. Oft hat er sich auch in seinem Zustand bei mir ausgeweint.
Ich fühlte mich mehr und mehr zu ihm hingezogen. Ich spürte was für ein liebenswürdiger Mensch er ist, wenn er nicht trinken würde.
Schon nach 2 Wochen habe ich dauerhaft bei ihm gelebt. Nach 4 Monaten zog ich bei ihm ein. Wohlwissend auf was ich mich einlasse.
Seine ganze Familie hat mich liebevoll aufgenommen. Sie merkten sehr schnell das ich meinem Freund gut tat und Ruhe in sein und ihr Leben brachte.
Er trank immer nach Feierabend, morgens nie. Am Wochenende ab Mittag etwa. Das waren die schlimmsten Tage für mich. Je später es wurde, desto aggressiver und boshafter wurde er. Ich würde dann zu seiner Feindin. Vieles verstand er falsch. Liebgemeinte Worte und Taten wurden von ihm falsch verstanden. Sehr sehr oft hat er mich missverstanden, hat mich nicht mehr beachtet oder ist einfach gegangen.
Viele Nächte bin ich weinend eingeschlafen. Andere Nächte habe ich ihn im Park gesucht und wieder nach Hause gebracht. Denn einschlafen ohne zu wissen wo er ist, das ging nicht.
JEDES MAL, wenn er mich verletzt hat, habe ich ihm am selben Abend (oder in der Nacht wenn er schlief) einen Brief geschrieben. Was er wann getan hat und wie sehr es mich getroffen hat. Ich habe ihm nie Vorwürfe darin gemacht. Lediglich von mir und meinen Gefühlen habe ich geschrieben. Diese Briefe hat er von mir immer am nächsten Morgen ins Badezimmer gelegt bekommen. IMMER war der letzte Satz etwas sehr positives wie: ich glaube an dich! Ich habe dich heute Nacht vermisst! Ich glaube daran das alles gut wird...
Er hat sich meist nicht dafür entschuldigt, aber er war dann immer sehr nachdenklich.
Mittlerweile sind es wohl an die 70 Briefe! Jeden einzelnen hat er sauber abgeheftet. Er meint sie tun ihm gut.
Als ich ein paar Tage bei meinen Eltern zu besuch war, ist er betrunken Auto gefahren und wurde erwischt. Führerschein und Fahrzeug sichergestellt. Einweisung Psychatrie, da er sehr gewalttätig war.
Als ich dann wieder bei ihm war hat er mir die Geschichte erzählt... natürlich wieder mit dem Wein in der Hand.
Das war dann der absolute Tiefpunkt. Er trank immer mehr. Nach Feierabend mind. 2 Liter Wein. Am Wochenende sind es auch mal 3.5 Liter geworden.
Eines Samstags ist es dann ausgeartet. Seine Tochter war abgehauen. Er wollte nun "welche" beauftragen sie zu finden und die Beine zu brechen... dafür musste er von mir gefahren werden. Das tat ich auch!
Allerdings fuhr ich ihn nicht dorthin wo er hin wollte!!!
Ich hatte mir geschworen, dass ich es niemals zulassen würde, dass er etwas tut, was er später sehr bereuen würde. Also fuhr ich mit ihm kreuz und quer durch die Stadt (er war viel zu betrunken um es zu merken) als er es dann doch bemerkte und während der Fahrt aussteigen wollte, um mit Bus weiter zu fahren, musste ich reagieren...
Ich fuhr wie eine Irre durch die Stadt, ich durfte auf keinen Fall stehen bleiben. Also ab auf die Autobahn! Tank war voll 500km konnte ich locker fahren. (Er schläft ja meist ein)
Ich schrieb seine Tochter an, dass sie sofort nach Hause kommen soll. Seine Schwester bat ich per WhatsApp um Hilfe... aber es war ja mitten in der Nacht.
Nach etwa 80km merkte er es dann doch und flippte aus. Er drohte die Handbremse zu ziehen, schlug auf das Armaturenbrett ein, beschimpfte mich aufs übelste. Er zwang mich auf dem Standstreifen anzuhalten.
Dort stieg er aus, haute auf den Kofferraum. Dann schaute er mich böse an und meinte ich solle ihn gefälligst da hin bringen wo er hin will. Ansonsten ruft er die Polizei!
Ich fuhr also wieder zurück (langsam).
Dann plötzlich ein Sinneswandel. Ich sollte zur Wohnung seines verstorbenen Vaters fahren. Dort angekommen hat er viel geweint und von ihm geredet. Ich tröstete ihn.
Dann nach etwa 2 std rief endlich seine Schwester bei ihm an... sie brachte ihn dazu, dass wir nach Hause fuhren. Sie wolle sich um seine Tochter kümmern.
Dort angekommen wartete seine Tochter schon auf uns. Ich war fix und fertig. Ich zitterte am ganzen Körper. Hatte einen Weinanfall und konnte nicht mehr stehen. Ein Nervenzusammen muss so ähnlich sein. Ich ging ins Bett, ich konnte nicht mehr. Seine Tochter hat sich dann um mich gekümmert. Später kam mein Freund und hat mich in den Arm genommen, aber nichts gesagt.
Noch in der Nacht, als er schlief habe ich ihm all das aufgeschrieben damit er nachlesen kann was er getan hat.
Die nächsten Tage war er sehr ruhig und er trank von da an weniger.
Wochen später dann seine MPU wegen Führerscheinneubeantragung. Natürlich negativ und er muss 12 Monate Abstinenz nachweisen!!!
Zudem soll er zu einer Suchtberatungsstelle gehen.
Ist das machbar fragte ich mich... ich machte mich schlau wie das von statten gehen kann. Er sagte er hört am 15.7. Mit dem trinken auf. Dann 12 Monate nix mehr!
Das dies mit gewissen Gefahren verbunden ist, wusste er nicht. Ich klärte ihn über den kalten Entzug auf (aus dem Internet)
Ich hatte Angst ob er das wirklich durchsteht und wie es abläuft. Er hatte vorher schon extrem stimmungsschwankungen, aber wie wird das erst wenn er auf entzug ist.
Auch mit den Kindern habe ich darüber gesprochen damit sie vorbereitet sind. Unserem Chef habe ich heimlich Bescheid gegeben damit er sich drauf einstellen kann, falls mein Freund doch in die Klinik muss.
Schnell war DER Termin da. Ich war gespannt was passiert. Auf jede Situation habe ich mich eingestellt.
Mein Freund zeigte keinerlei Entzugserscheinungen. Auch war er guter Laune. Nachts auch alles ok.
Von da an war er dann also trocken und ich happy.
Es dauert einige Monate bis ich mich auf die neue Situation eingestellt hatte. Ich konnte ruhig schlafen. Keine boshaftigkeiten mehr. Keine Angst mehr vor den Wochenenden. Da merkte ich zum ersten mal was es bedeutet Co Abhängig zu sein. Welche Last mir von den Schultern fiel.
Ich hatte immer versucht ihm den Rücken freizuhalten. Probleme aus der Welt schaffen bevor sie bei ihm ankommen. Vieles im Haushalt oder an Papierkram habe ich ihm abgenommen. Sobald er etwas wollte habe ich es gemacht. Denn jeglicher Stress führte damals dazu, dass er mehr trank worunter ich dann leiden musste.
In seiner trockenen Phase hat er dann auch einen MPU vorbereitungskurs besucht. Dort hat er sich zum ersten mal mit dem Thema alkoholiker befasst. Aber sich selbst sieht er (noch) nicht als einer.
Da er für die Abstinenz Urin abgeben musste, kam er schnell auf den Trichter das er ja freitags Bier trinken könne. Die rufen ja frühestens am Montag zur urinabgabe und dann ist der alkohol raus.
Er fing dann wieder an zu trinken. Aber kontrolliert. Freitags max 5 Bier, sonst nichts.
So überstand er die 12 Monate "Abstinenz".
Es waren die schönsten 12 Monate mit ihm. 12 Monate Scheiße, 12 Monate Klasse!
Zwischendrin hatte ich immer überlegt was ist wenn der Tag X da ist an dem er seinen Führerschein wieder hat. Trinkt er dann wieder? Wird er so wie früher?
Er hat in den letzten Monaten sehr oft gesagt wie happy er ist, das er den scheiß hinter sich hat. Nie wieder soll es soweit kommen.
Aber schafft er das auch wirklich? Immerhin hat er oft genug auch davon gesprochen das wir einiges nachholen wenn er durch ist. Er will mit mir Bierchen trinke, grillen, feiern... all das geht bei ihm nur mit Alkhol.
Tag X ist jetzt da und er kann wieder trinken und tut es auch! Bier - kontrolliert. Bisher max. 8 stück (finde ich schon viel) früher habe ich auch viel Bier getrunken. Heute ist nach 2 stck meist schluß. Ich bin damit nicht mehr so entspannt. Außerdem muss ich aufhören können.
Mein Freund kann es meist nicht. Er trinkt nach Feierabend und hört erst dann auf wenn es essen gibt. Ich fühle das er schon wieder einen gewissen Zwang hat.
Vorgestern fragte er ob wir ein Bierchen wollen. Das verneinte ich- es war mir zu ungemütlich dafür. Am besten schmeckt es wenn es draußen heiß ist. Aber bei Regen - nein danke. Er nahm dann auch keins. Aber ich merkte, dass er schon gerne eins wollte. Seine Laune blieb stabil. Das entspannte mich ein wenig.
Nun schaue ich mal was die nächsten Wochen so bringen werden. Anfang August ist MPU angesagt. Ich glaube nicht das er durchkommt, da er schon häufiger wg alkohol am Steuer auffällig geworden ist. Außerdem hat er die suchtberatungsstelle nicht aufgesucht, obwohl es eine Empfehlung dafür gab.
Da ich zwischendrin drohte unterzugehen, hatte ich schon die Reißleine gezogen. Ging meinem Sport nach oder kümmerte mich bewusst um meine Dinge.
Für mich ist Fakt, dass ich NICHT bei ihm bleiben kann, sollte er wieder regelmäßig trinken. Diesen dauernden Stress halte ich nicht nochmal aus.
Aber ich wünsche mir sehr das er den Absprung schafft, denn so einen Menschen finde ich nicht wieder. Wir sind Seelenverwandte. Bereits nach kurzer Zeit haben wir uns blind verstanden. Wir sind auf einer Wellenlänge, dieselben Interessen, dieselben Einstellungen, wir ergänzen uns zu 100%. Trotz dieser ganzen Geschichte fühle ich mich mehr zu ihm hingezogen als früher.
ABER es würde mich kaputt machen wenn es wieder wie früher wird. Ein kontrolliertes trinken wird in seinem Stadium nicht möglich sein.
Ich muss jetzt aufpassen nicht wieder zu sehr in die Co zu fallen, sollte er doch extrem rückfällig werden.
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Vielen Dank fürs lesen und vllt auch kommentieren. Was ich genau damit bezwecken will weiß ich nicht. Wollte es einfach nur gerne mal loswerden.
Ballast abwerfen um wieder Platz für neuen zu haben. Habe leider niemanden mit dem ich darüber reden kann.
Dank des Forums habe ich schon viele Gleichgesinnte gesehen. Ich bin nicht alleine und weiß auch das es an mir liegt etwas zu unternehmen.
Aber alleine der Gedanke ihn zu verlassen zerreißt mir das Herz, da ich ihn wirklich sehr liebe. Es ist kein Mitleid mit ihm (das war am Anfang so) denn ich weiß wenn er will, kann er ohne Alkohol.
Das größte Problem ist, dass ich in keinster Weise Druck aufbauen darf. Denn dann trinkt er noch mehr bzw. Extra... so wird der Druck aber bei mir mehr... baue ich druck auf werde ich wiederum auch leiden. Es ist zum verrückt werden!!! Das Leid endet doch immer wieder bei mir. Egal wie ich es angehen werde.