• Hallo zusammen,

    da es gerade durch viele Threads geht, wollte ich Euch mal an meinen Erfahrungen der Stigmatisation Alkoholismus in den letzten 16 trockene Jahren erzählen. Wie geschrieben ich wollte, aber auch nach intensiven nachdenken, grübeln zurückschauen waren außer ein paar doofe Sprüche von noch trinkenden Menschen, nichts Nennenswertes dabei.

    Enttäuschend oder doch ermutigend? Jeder strickt sein eigenes Teil daraus. ;) Und nicht weil ich mich eingesperrt hatte, Nö habe jeden Tag mit sehr vielen Menschen beruflich zu tun.

    Ich kenne auch keinen persönlich, dem durch seine gestoppte Krankheit ein Nachteil erfahren hat. Ich war ja am Anfang auch felsenfest davon überzeugt, dass es sehr dramatisch ist. Habe es ja überall gelesen, da muss doch was dran sein. Da muss ich ja als trockener Alkoholiker geduckt durch die Straßen laufen. War aber nur mein Denken, was ich übernommen hatte.

    Also Bullshit, nothing, nix, niente, nada Pustekuchen, ein Hauch von nichts ist mir entgegengekommen. Als trockener Alkoholiker habe ich überwiegend nur Positives mitnehmen können. Natürlich werde ich nicht auf den Schultern durch die Arena getragen, aber warum sollte ich das auch? Nur weil das Saufen gelassen habe?

    Stigmatisierung. Die Gesellschaft denkt so? Liest man hin und wieder und hier im Forum wird auch sein Bestes dazu gegeben, dazu gereimt oder erzählt. Ist das wirklich so oder ist das nicht eher die eigene Denke sich selbst zu stigmatisieren. Vielleicht liegt es auch an meiner Natur. Opferrolle war nie was für mich.

    Das Bild eines nassen Alkoholikers ist da anders. Aber als Trockener? Ich kann dieser Empörung nichts abgewinnen. Obwohl Empörung für viele ein Grundnahrungsmittel in der digitalen Welt geworden ist, habe ich kein Bedarf

    Leute lasst Euch nicht von etwas herunterziehen, was ihr nicht selbst erfahren habt.

    Gruß Hartmut

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    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Genau: nothing, nix, niente.

    Die größte Ablehnung erlebte ich bei einem Familiengeburtstag, wo ein Verwandter der Freundin des Geburtsstagskindes meinte, alle mit Schnaps & Wein aufmuntern zu müssen.

    "Mit euch habe noch etwas vor," sagte er, an unseren Tisch kommend & einen Schwung Schnapsgläser darauf stellend. "Danke, aber wir trinken überhaupt keinen Alkohol."

    Er guckte erst ganz erstaunt & entfernte sich ohne ein weiteres Wort von unserem Tisch.

    Was glaubt ihr, hat mich das betroffen gemacht?

    Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns.
    Vor uns liegen die Mühen der Ebenen. (Bert Brecht) 8)

  • Ich war ja am Anfang auch felsenfest davon überzeugt, dass es sehr dramatisch ist. Habe es ja überall gelesen, da muss doch was dran sein

    Danke Hartnut für deinen Impuls! In dem Satz find ich mich voll wieder.

    Zu den Geschichten,die ich höre und lese,habe ich auch selbst eine Alkoholkranken-Geschichte in meinem Leben,die mich als Kind sehr geprägt hat. Taschen wurden kontrolliert,sie wurde weggeschickt von den anderen,abwertend gesprochen in ihrem Beisein und ihrer Abwesenheit.

    Sie ist leider verstorben,aber im nassen Zustand.

    Ich hab schon lange nicht mehr daran gedacht,aber wenn ich jetzt drüber nachdenke,hängt wohl vieles wie ich meine Sucht nass und trocken auslebe,damit zusammen. Die Angst vor Stigmatisierung -selbst erlebt hab ich sie nie. Hab das aber immer darauf geschoben,dass ich ja dachte/denke,dass ich alles komplett heimlich mache.

    Um zu deinem Zitat oben zurückzukommen,ich seh mich noch am Anfang,mehr denn je und will in diesem Forum lernen (so nach dem Motto:nur nicht-trinken reicht nicht). Und ich im Moment dieses innerliche darauf beharren,dass das meine Privatsache ist und ich keinem Rechenschaft ablegen muss hinterfrage. Es fühlt sich nicht mehr so richtig gut an. Vielleicht finde ich da noch den Weg für mich.

    Danke für dieses Thema!

  • Die einzigen, die es gestört hat, sind die, welche selbst ein Problem haben. Denke, die lästern nicht. Habe ja keinen Kontakt mehr. Brauche ja nur an mich zu denken. Wenn einer von "uns" aufgehört hätte zu trinken und das dann auch noch durchzieht. Was hätte ich da gedacht? Also, ich hätte gedacht "Sch... wie hat der das hinbekommen?"

    Ich wäre aber auch froh gewesen, wenn er wegbleibt. Weil ich mir doof in seiner Gegenwart vorgekommen wäre.

    Bei meinen Kollegen gehe ich davon aus, dass da sicher einiges gesprochen wurde. Sowas wie "hättest du das gedacht?" usw. Aber diese Gespräche erschöpfen sich ja auch und gerade weil ja keine "Nahrung" mehr erfolgt, verebbt das ganz schnell. Was will man schon über jemanden lästern, der nichts macht?

    Nass, wäre das was ganz anderes. Mit dem Moment, als ich es öffentlich gemacht habe, war mir eines klar. Hier gibt es jetzt kein Zurück mehr. Denn jetzt würde es sofort auffallen und dann gute Nacht.

    Ich glaube, die meisten sind einfach nur froh, dass ich hier nicht bekehren will. Ansonsten betrifft es sie ja nicht.

  • Moin

    Als ich hier aufschlug war ich erst mal nur mit mir und dem trockenen Weg den ich einschlagen wollte, beschäftigt. Der Rest der Welt war egal. Raus aus der Sucht, trockenen Boden unter den Füßen spüren und los laufen, hinein in ein trockenes und freies Leben.

    Mein Umfeld staunte, begriff, sie trinkt nicht mehr und war und ist stolz auf mich.

    Seit nun bald 15 Jahren gibt es meine klare Aussage, danke, für mich ein Wasser. Einmal ist es mir passiert, dass in einer Runde nachgefragt wurde, ich brauchte nicht antworten, er bekam eine passende Antwort, nicht von mir und Ruhe war.

    Hätte ich damals noch die Kraft gehabt. mir über Stigmatisierung oder sonst was Gedanken zu machen, ich wäre wohl noch nicht so weit gewesen.

    LG PB

    Es nützt nichts Jemandem eine Brücke zu bauen, der gar nicht auf die andere Seite will.

  • Hätte ich damals noch die Kraft gehabt. mir über Stigmatisierung oder sonst was Gedanken zu machen, ich wäre wohl noch nicht so weit gewesen.

    Guter Ansatz.

    Wenn ich mich auf dem trockenen Weg nur dem Negativen widme, dann bin ich noch nicht so weit. Ich kann ja gar nicht aufhören, ich werde sonst stigmatisiert.

    Gruß Hartmut

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    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Des Öfteren lese ich auch, dass jeder, der freiwillig und aus eigenem Antrieb es schafft den Weg aus der Sucht zu gehen, kann stolz auf sich sein. Stolz darauf, dass er etwas geschafft hat, wo andere noch drinnen hängen. Und das erzeugt ja auch bei dem einen oder anderen Neid.

    Ich sage nicht das es keine Stigmatisationen gibt, aber ich habe etwas dagegen es als Gesamtbild zu sehen, da es eben nicht stimmt. Vieles was "draußen" herumgeht, ist einfach nur Trash und wird vom Menschen mit einem angehörten Halbwissen weiter verbreitet.

    Zu den Geschichten,die ich höre und lese,habe ich auch selbst eine Alkoholkranken-Geschichte in meinem Leben,die mich als Kind sehr geprägt hat. Taschen wurden kontrolliert,sie wurde weggeschickt von den anderen,abwertend gesprochen in ihrem Beisein und ihrer Abwesenheit.

    Sie ist leider verstorben,aber im nassen Zustand.

    War sie trocken als sie stigmatisiert wurde oder noch nass? Schreibst ja das sie nass verstorben ist.

    Übrigens wurde auch über mich geredet, das wird es immer, ob nun nass oder trocken, aber es ist doch meins wie ich damit umgehe. Auch hier im Forum wird meine unglaublich nette und empathisch wirkende Art nicht bei jedem gerne gesehen. :saint: ..

    Ich war derjenige, der nach einem Kasten Bier breitbeinig da stand und fragte, was trinken wir jetzt. Bei den nassen Mitstreitern kam das Schulterklopfen, bei dem trockenen Alkoholiker ein wissendes Kopfschütteln, beim Rest den üblichen Trash. Damit meine ich nicht mein Privatleben, das war mein Berufsleben auf Meetings und Veranstaltungen.

    Ich war auch derjenige, der genau dieses Stigmatisierungsbild im Kopf hatte und es in der nassen Zeit ohne Wenn und Aber vertritt. Ist ja auch schön, seinen einigen Alkoholismus dahinter zu verstecken.

    Aber bei meiner "berufliche Laufbahn" hat es nicht gestört trocken zu sein. Da hinter dem Rücken gesprochen wurde, ist normal, aber das hatte nicht auf die berufliche Laufbahn ausgewirkt. Das stand eben das Leistungsprinzip und die Qualifikation im Vordergrund. Als Nasser hatte ich mich auf der Kariere Leiter tief nach unten bewegt. Als Trockener nach oben.

    Stigmatisierung ist auch ein weitgreifendes Bild. Veganer stigmatisieren ja auch Fleischfresser und umgekehrt. Liest man nur weniger.

    Und nun mal ehrlich. Es ist weniger als du denkst.


    Übrigens ich habe da mein Problem mit Stolz, wenn es um mich selbst geht. Krankheit gestoppt, mehr war es nicht. Aber das ist ein anderes Thema. Was ich jedoch in den 16 Jahren lernen konnte. Je weniger ich Aufhebens ich um meine Krankheit mache, was sein könnte, was sein wird, um so entspannter ist das Leben mit dieser. Muss nur meine Regeln einhalten, damit ich nicht rückfällig werde .

    Gruß Hartmut

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    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • War sie trocken als sie stigmatisiert wurde oder noch nass? Schreibst ja das sie nass gestorben ist

    Ja genau,wollte ich eigentlich noch dazu schreiben,aber hab ein bisschen abgekürzt.

    Meine Überlegung ist nämlich genau die. Vielleicht hätten das alle total super gefunden,wenn sie trocken geworden wäre und wären froh gewesen. Kann mir das sogar sehr gut vorstellen.

    Ich kannte sie leider nie trocken,

    Hätte ich damals noch die Kraft gehabt. mir über Stigmatisierung oder sonst was Gedanken zu machen, ich wäre wohl noch nicht so weit gewesen.

    Ich hab mir glaube ich auch nicht aktiv Gedanken gemacht,die Angst oder Scham sitzt bei mir einfach mega tief. Will immer funktionieren,richtig machen,gefallen und sowas

    Ich wäre echt lieber im Entzug gestorben,als die sucht vor andern einzugestehen. Und selbst da habe ich mich schon für mein zukünftiges (totes) Ich geschämt,weil dann hätte es ja jeder gewusst.

    Klingt irre,war aber echt so.

    Ich glaube auch,dass der Weg,den man in die Abstinenz macht,einen großen Unterschied macht. Ich war ja eh schon schambesetzt bei den AA. Eine hatte ich mal angerufen,als es mir an einem Wochenende im Entzug körperlich furchtbar ging. Sie hat zu mir im Laufe des Gesprächs gesagt,dass die Alkis in der Notaufnahme nicht so gerne haben. Das blieb hängen. Hätte ich vielleicht den Weg mit diesem Forum gemacht und hier hätten die Leute gesagt: geh zum Arzt,ist ne Krankheit,das ist dein gutes Recht, wär das bestimmt anders gelaufen.

    So hab ich gedacht,ich hab keine andere Chance als im Entzug zu sterben oder mich umzubringen,weil ich aus dieser Sucht nicht rauskomme. Weil meine Scham und Angst vor Ablehnung so groß war.

    Für den richtigen Gang in die Abstinenz ist es für mich (zum Glück) jetzt zu spät aber ich hab das ganze Thema zwei Jahre nicht zugelassen und hoffe,dass ich diese Themen jetzt nüchtern aufarbeiten kann.

    . Stolz darauf, dass er etwas geschafft hat, wo andere noch drinnen hängen

    Und Stolz habe ich noch nie empfunden. Demut und Dankbarkeit und auch Hoffnung und auch Realismus,dass ich diesen Weg nie wieder gehen will.

    Einmal editiert, zuletzt von Sahnehaube (7. September 2023 um 11:36)

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