Mightymary - Alkoholkranker Vater - Kontakt abbrechen?

  • Hallo. Ihr seht es an der Uhrzeit, ich kann mal wieder nicht schlafen, meine Gedanken drehen sich ununterbrochen um meinen alkoholkranken Vater. Ich bin auf dieses Forum gestoßen in der Hoffnung, ein paar Erfahrungen von anderen Kindern suchtkranker Eltern zu lesen. Ich tausche mich mit meinen lieben Freunden aus, die mir zwar beistehen, jedoch, da sie solche Situationen noch nie hatten, nicht wirklich helfen können.

    Mein Vater ist schwerer Alkoholiker, eigentlich seit ich denken kann. Er war schon öfter zur Entgiftung und geht nun angeblich einmal die Woche zur Therapie, jedoch hat er noch keine Abstinenzentscheidung getroffen. Ich hatte bis vor kurzem kaum Kontakt zu ihm, da ich weit weg wohne und mir mein eigenes Leben aufgebaut habe.

    Vor zwei Monaten stand er plötzlich betrunken vor meiner Tür (ich wohne 600km entfernt), es war das erste Mal, dass er mich überhaupt “besucht” hat (ich bin seit 16 Jahren ausgezogen). Er log mich an, er hätte seit Monaten nichts getrunken (er lügt immer, aber eigentlich ist er immer betrunken, streitet es aber jedes Mal ab). Ich nahm ihn auf, es war eine super unangenehme Situation, und am nächsten Morgen war er schon wieder weg.

    Meine co-abhängige Mutter hat es nun nach ewigen Jahren geschafft, sich von ihm zu trennen und ist ausgezogen. Für sie freue ich mich. Er hat sich mittlerweile “so tief in die Sch*** geritten”, dass er schon lange seinen Führerschein und nun auch seinen Job verloren hat. Zudem hat er sehr hohe Schulden. Er sitzt nun in seinem komplett zerfallenen Haus, in dem meine Mutter immer noch etwas Ordnung gehalten hatte, und überdies - abgesehen von dem körperlichen Verfall, der mir das Herz zerrissen hat, als ich ihn gesehen habe (Haut, dicke Beine, etc.) sieht er nun auch nichts mehr, seine Sehnerven sind extrem entzündet, so dass er quasi blind ist. Er ist aber der Meinung, dass dies natürlich nichts mit dem Alkohol zu tun haben kann… Kurzum, er ist echt am Ende.

    Nun ruft er mich aber jeden Tag an (da meine Mutter ja nicht mehr da ist). Das belastet mich so sehr, dass ich direkt eine Therapie angefangen habe. Meine Therapeutin empfiehlt mir, den Kontakt abzubrechen um mich zu schützen. Das wäre auch richtig und wichtig, aber irgendwie habe ich es noch nicht über das Herz gebracht. Ich sehe ständig seine Anrufe, gehe aber in den letzten Tagen nicht mehr ran. Ich traue mich irgendwie nicht, die Nummer zu blockieren. Jedes Mal wenn ich einen Anruf sehe, wird mir schlecht und mein Herz fängt an zu rasen. Ich will nicht einfach die Nummer blockieren, aber kann auch gerade nicht mit ihm sprechen, um ihm zu sagen dass ich keinen Kontakt mehr möchte. Warum? Weil er mir so unendlich leid tut. Es zerreißt mir jedes Mal das Herz wenn ich daran denke wie er da sitzt in seinem Elend. Hinfahren ist keine Option für mich, ich schaffe es ja gerade nichtmal ans Telefon zu gehen, beim Gedanken daran habe ich mich schon übergeben. Aber ich will auch nicht dass er alleine ist.

    Sein Bruder hat sich vor einigen Jahren umgebracht und ich denke das könnte bei ihm auch bevorstehen (zudem hat er einige Waffen zuhause - er war mal Jäger). Ich kann nicht mehr schlafen und weiß gerade einfach nicht was ich tun soll, ich bin einfach komplett überfordert mit der Situation.

    Naja, vielleicht hat ja der oder die ein oder andere mal Ähnliches durchgemacht… <3

  • Hallo Mightymary,

    herzlich willkommen bei uns in der Gruppe. Ich bin auch EKA.
    Schlüpfst du in die freiegewordene Rolle deiner Mutter? Wirst du genauso lange brauchen, um aus der Co-Falle rauszukommen?
    Es ist erlaubt, dass es dir gut geht, während es ihm schlecht geht. Er kann jederzeit sich ärztliche Hilfe nehmen und aufhören.
    Aber einfacher und bequemer ist es, die Familienkrankheit Alkoholismus bestehend aus Süchtigen und ihren Co‘s aufrecht zu erhalten.
    Steig aus. Du kannst es und du darfst es. Ich hab den Schritt gemacht. Es war sauschwer. Aber aus der äußeren Abgrenzung wurde eine innere Haltung.
    Meine Mutter ist inzwischen sehr alt, trinkt immer wieder mal. Das ist ihre Sache. Ich halte den Abstand, der mir gut tut.
    Das mit den Waffen. Ganz im Ernst. Geh zur nächsten Polizeistelle, rede ganz offen mit denen, teile deine Sorgen und Beobachtungen mit. Dann geht das seinen Weg. Die behandeln das vertraulich.
    Kann sein, dass er sich erschiesst. Kann sein dass er aus Frust deine Mutter erschiesst. Kann sein dass er aus Wut dich erschiesst. Nein, würde er nie tun? Doch. Fast jeden Tag wird in D eine Frau im Rahmen häuslicher Gewalt umgebracht. Ich würde mit ihm darüber kein Wort reden und den Ball flach halten. Da sollen sich die Profis drum kümmern.

    Ich glaub dir, daß du Schlafstörungen hast. Es ist gut, dass du hier bist. Meistens ist auch nachts irgendjemand online. Aber lesen und schreiben geht immer.

    Lieber Gruß, Linde


    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Mightymary,


    Herzlich willkommen hier bei uns. Schön, dass du da bist.

    Das klingt nach einer sehr großen last, die da mit dir trägst.

    Ich bin ebenfalls eine EKA.

    Bei mir sind weitaus weniger Dinge vorgefallen als bei dir, den Kontakt zu meinem Vater habe ich aber auch abgebrochen. Einfach, weil ich gemerkt habe, wie sehr mich dieser Kontakt belastet. Diesen schreck, wenn das Telefon klingelt hatte ich auch. Und ich wollte diese last nicht mehr. Es hat mich runtergezogen und ich wollte einfach nicht mehr mit ihm reden.

    So etwas ist nicht einfach, war es für mich auch nicht. Aber danach hatte ich ein Gefühl von Freiheit. Ich wünsche dir das gleiche.


    Viele Grüße

    Twizzler

  • Hallo Mightymary,

    auch ich bin EKA und denke, dass Du Abstand halten darfst und in Deiner Situation auch unbedingt solltest. Es ist sehr gut, dass Du Dir sofort therapeutische Hilfe genommen hast.

    Deinem Vater kannst Du nicht helfen.

    Versuche Dir das immer wieder deutlich zu machen: Du kannst nichts an seiner Alkoholkrankheit ändern, das liegt nicht in Deiner Macht. Ich selbst rufe mir immer wieder einen Satz in Erinnerung: Ich kann nichts dafür! Mir hilft dieser Satz sehr, um den emotionalen Abstand zu halten und bei mir zu bleiben.

    Auch ich würde Dir raten, den Kontakt wirklich ganz abzubrechen. Null Kontakt.

    Ich habe zwar selbst nach langjährigem Kontaktabbruch nach dem Tod des Partners die Vorsorgevollmacht für meine bald 80ig jährige alkoholkranke Mutter übernommen, die auch viele hundert Kilometer entfernt wohnt. Doch ich koordiniere die Pflege "nur", die tatsächliche Pflege übernimmt ein professioneller Dienst.

    Niemals könnte ich es ertragen, wenn die Gefahr bestünde, dass meine Mutter hier bei mir vor der Tür stünde oder auch nur von sich aus regelmäßig anrufen würde. Wenn es so wäre, würde ich alle Hebel in Bewegung setzen, damit das nicht mehr passiert. Meine Mutter hat akzeptiert, dass ich das nicht wünsche und ruft in sehr seltenen organisatorischen Notfällen aufs Handy meines Mannes an. Wenn etwas ist, meldet sich der Pflegedienst. Auch das hat mich zu Beginn in Alarm versetzt, jetzt geht es, weil die Pflegerin zu Beginn des Gesprächs immer sofort erstmal sagt, wie die Lage ist. Ich kann mich auf den Pflegedienst verlassen und nur so ist es möglich, diese Vorsorge-Aufgabe zu übernehmen.

    Dein Vater hat mit seinem Auftauchen bei Dir und den täglichen Anrufen eine Grenze überschritten. Wie die anderen Forumsmitglieder hier auch sehe ich das sehr kritisch. Er terrorisiert Dich und das darfst Du nicht zulassen. Es ist sehr wichtig, dass Du Dich schützt!

    Deine seelischen und körperlichen Reaktionen auf die Kontaktaufnahme Deines Vaters zeigen, dass jeglicher Kontakt zu viel ist.

    Es ist legitim und für Dein eigenes Leben wichtig, dass Du Dich jetzt selbst an erste Stelle setzt und Dich schützt. Es gibt ja Gründe für Deine Abgrenzung zuvor und die bleiben auch jetzt alle gültig, auch wenn sich die Situation für Deinen Vater verändert hat. Aber das ist seins, nicht deins.

    Wohnst Du denn alleine oder hast Du zu Hause Unterstützung? Falls das nicht so sein sollte und Dein Vater die Übergriffe nicht einstellt, würde ich überlegen, ob ich irgendwo anders für eine Zeit unterkommen könnte. Eine Adresse, die Dein Vater nicht kennt.

    Alles Gute und viel Kraft Dir!
    LG Siri

  • Wow, vielen lieben Dank für eure lieben, ausführlichen, und sehr bestimmten Nachrichten und dass Ihr eure Erfahrungen mit mir teilt! <3

    Ich hatte lange überlegt, ob ich es überhaupt schreiben soll, aber irgendwann dachte ich - wo, wenn nicht hier? Es tut sehr gut zu wissen, dass man nicht alleine ist und es Leute gibt, die einen verstehen (auch wenn ich mir natürlich wünschte, dass niemand so etwas durchstehen muss!).

    Ich wohne mit meinem Freund zusammen, der mich unglaublich unterstützt und habe auch so ein ganz tolles Netzwerk aus Freunden, aber es eben doch etwas anderes, wenn man diese zerrütteten Familienerlebnisse nicht kennt und daher dieses Leid und die eigene Zerrissenheit gar nicht so wirklich nachvollziehen kann.

    Ich habe jetzt schon sehr viel Kraft aus euren Antworten gezogen; vor allem, was die Erlaubnis angeht, dass ich mich eben um mich kümmern darf und dass es mir gut gehen darf. Im Kopf weiß ich das ja auch alles, ich habe mich intensiv mit dem Thema Co-Abhängigkeit beschäftigt, und möchte da auf gar keinen Fall tiefer reinrutschten und genau, auf gar keinen Fall in die Rolle meiner Mutter schlüpfen, aber es ist eben gefühlsmäßig manchmal so unglaublich schwer.

    Ich bin so glücklich, dieses Forum gefunden zu haben, besonders was das Thema EKA angeht, mir war es gar nicht bewusst, dass es da einfach bei allen so viele Parallelen gibt! Das bestärkt mich auf jeden Fall darin, dass ein Kontaktabbruch der richtige Weg ist, und ich mich nicht als “die schlechte Tochter” fühlen muss.

    Ich danke euch schon einmal von ganzem Herzen! 🩷🩷🩷

  • Hallo Mightymary,

    willkommen bei uns in der Selbsthilfegruppe!

    Der Austausch mit anderen Betroffenen wirkt stärkend und man kann sich informieren, was man alles für sich tun kann, damit es einem besser geht.

    Möchtest Du Dich im offenen Bereich mit den anderen austauschen?

    Hier ist der Bewerbungslink für Dich:

    https://alkoholiker-forum.de/bewerben/

    Anklicken und kurz etwas dazu schreiben. Nach der Freischaltung werden wir Dein Thema in den offenen Bereich zu den "Erste Schritte für EKA" verschieben.

    LG Elly

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    Mancher wird erst mutig, wenn er keinen anderen Ausweg mehr sieht.

    - Trocken seit 06.01.2013 -

  • Hallo Mightymary.

    Ich habe Doch für den offenen Bereich freigeschaltet und Dein Thema direkt dorthin, in den EKA-Bereich, verschoben.

    Du kannst Dich jetzt überall austauschen, jedoch bitte nicht in den ersten 4 Wochen bei den neuen Usern im Vorstellungsbereich.

    Ich wünsche Dir einen guten Austausch.
    Hier geht es jetzt weiter :)


    LG Cadda

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