Hey, liebe Gemeinde.
Die Nacht ist für mich heute mal wieder eine schlaflose, ich habe so einige davon hinter mir. Jetzt setz ich mich also hin und schreibe ein Update, um vielleicht ein wenig Ordnung in meinem Kopf zu schaffen, der aktuell eher einem wildgewordenen Wühltisch gleicht denn einem wohlsortierten Gedankenlager.
Gut eine Woche, nachdem ich 'Diego' rausgeworfen habe -- das ist nun etwa dreieinhalb Wochen her --, haben wir angefangen, wieder Kontakt zu haben. Zunächst sporadisch, dann regelmäßiger, das Meiste schriftlich, nur ein oder zwei Telefonate hat es gegeben.
Er war ja vorübergehend in einem Ferienapartment seiner Exfrau untergekommen, danach ist er zu besagter befreundeter Familie nach Südeuropa gefahren. Dort kann er aber nicht -- wie ursprünglich angenommen -- bis Mitte Januar bleiben, wenn die Sanierung seiner Mietwohnung abgeschlossen ist, sondern er muss noch vor Weihnachten weg.
Nach wie vor hat er also keine Bleibe und auch keine Freunde mehr, die ihn noch aufnehmen können oder wollen. Alle sagen ab. Einzig eine alte Freundin in Berlin, die ich ebenfalls kenne, hat ihm angeboten, er könne bis Anfang des neuen Jahres bei ihr unterkommen. Es überrascht mich -- als sie ihn mit ihren beiden Kindern im Juli für eine Woche besucht hat, hatte er einen krassen tagelangen Exzess, die Kinder haben alles mitbekommen. Vermutlich lautet auch hier die Prämisse, solange Du nüchtern bist, kannst Du bleiben.
Ich weiß, es geht ihm nicht gut. Mir auch nicht.
Eigentlich möchte er am liebsten Weihnachten mit mir und meiner Familie verbringen. (Ich bin selber kinderlos und jedes Jahr bei meinen Eltern inkl. Großfamilie im Heimat-Bundesland, Weihnachten ist für meine Familie besonders wichtig und immer sehr harmonisch bis wahrlich kitschig.)
Aber er schämt sich. Naja, zurecht.
Er sagt, er weiß, dass er ein Problem hat und Hilfe braucht, und er ist bereit dafür. Aber er benötigt Stabilität, er benötigt seine Wohnung, aktuell kann er nichts tun. Das stimmt ja tatsächlich auch -- wie soll er sich auf Therapien und Beratungen einlassen, solange er kein Zuhause hat und gezwungen ist, durch den ganzen Kontinent zu tingeln. Die Situation, wie sie gerade ist, ist selbstverschuldet, das ist ihm auch bewusst -- aber sie ist nun einmal nicht zu ändern.
Er sagt, er wünsche sich, dass ich ihn auf diesem Weg begleite, verstehe aber auch, wenn nicht.
Meine Familie hat ihn sehr liebgewonnen, vor allem meine Eltern haben ihn ins Herz geschlossen. Trotzdem sind sie natürlich enttäuscht von seinen ganzen Aktionen. Davon, wie er mir den Geburtstag versaut und uns alle tagelang im Ungewissen gelassen hat, wo er ist und ob er überhaupt noch lebt. Und sie machen sich Sorgen um mich und mein Wohlbefinden.
Gleichzeitig ist es ein Horror für mich, mir vorzustellen, wie er irgendwo an Weihnachten alleine sitzt. Seine eigene Familie ist auf einem anderen Kontinent, seine Tochter lebt bei der Kindsmutter und feiert mit dem Stiefpapa, die Freunde haben selber Familien...
Ich würde mich momentan gar nicht trauen, meine Familie zu fragen, ob er Weihnachten mit uns verbringen kann. Das hab ich ihm auch gesagt. Ich habe ihm gesagt, wenn Du das wirklich willst, dann musst Du sie selber kontaktieren. Klär das.
Daraufhin hat er mir nun heute neuerlich -- wie schon häufiger in den letzten Wochen -- vorgeschlagen, dass er gerne zuerst für ein paar Tage zu mir kommen würde. Um persönlich zu reden, um gemeinsam zu sehen, wie es weitergehen kann. Ich habe mir etwas Bedenkzeit erbeten.
Der kleine Funke Hoffnung in mir drin, dass alles gut werden kann, glüht noch schwach, oder wieder. Gleichzeitig hab ich Bauchschmerzen und große Zweifel. Ich bin in den letzten Wochen in eine ziemlich heftige Depression geschlittert, war nicht arbeitsfähig und berapple mich gerade wieder so, dass ich meinen Alltag einigermaßen bewältige.
Er schreibt Dinge wie, er wolle es schaffen, er wisse, was zu tun sei, er brauche einfach nur seine Wohnung und dann würde er seine Therapien fortsetzen. Er schreibt, er liebe mich über alles und würde alles dafür tun, wieder mit mir zusammen zu sein.
Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Am liebsten wär mir, ich hätte meine Wohnung und er seine, wir könnten uns alle paar Tage mal nett auf einen Kaffee treffen und ich dazwischen etwas aus der Ferne beobachten, was sich so entwickelt bei ihm. Aber das ist aufgrund der Distanz nicht möglich.
Es funktioniert aber auch nicht, die Dinge übers Telefon zu klären.
Ich habe ihm gesagt, dass ich in der Wohnung keine Drogen und keinen Alkohol haben möchte, und ihn gefragt, wie er mit diesem Wissen umgehen will, wenn der Suchtdruck kommt. Dass ihm dann ja nichts anderes übrig bleiben wird, als mich wieder anzulügen. Und dass mir das große Angst macht.
Darauf meinte er, er sei bereit, seinen Teil zu leisten und er würde mit mir sprechen, wenn der Suchtdruck komme, und mich um Hilfe bitten. Er wolle nichts vor mir verstecken.
Ich möchte ihm gerne vertrauen und an ihn glauben, aber ich spüre, vieles ist zerstört und liegt brach.
Ich frage mich, was ihr mit eurer Erfahrung mir hier raten würdet. Ich möchte ihm vermitteln, dass ich an ihn glaube. In Wirklichkeit ist es (noch?) nicht so, aber gerade jetzt, wo sich möglicherweise Anflüge von Einsicht und ersten Schritten zeigen, möchte ich ihm nicht das Gefühl geben, ich wäre nicht für ihn da, weil ich eh nicht denken würde, dass er es schaffen kann.
Was soll ich nur tun?
Ich weiß, dass es ihn große Überwindung gekostet haben wird, mir diesen Vorschlag zu machen -- einfach, weil ihm bewusst ist, was er alles angerichtet hat. Und auch, dass es ihn sehr verletzen würde, wenn ich ihm nun absage. Ich weiß aber auch, dass ich jedes Recht dazu habe.
Was ich nicht weiß, ist, was ich will. Ich glaube, ich habe mich noch nie in meinem Leben so hilflos und orientierungslos gefühlt.