Beziehung mit einem Quartalstrinker

  • Liebe Catalina, ich möchte da ehrlich gesagt gar nix empfehlen, es war ein Impuls, den ich auch schon bei deiner Beschreibung von eurem Telefonat und deinem anschließenden Anruf bei der Exfrau hatte.

    Zum einen ist mit jedem "handlungsunfähigen" Tag seit der Trennung mein Zustand zusehends miserabler geworden. Seit ich nun wieder ins Handeln gekommen bin (mit dem Verpetzen), geht es mir deutlich besser. Worauf weist das hin? Vermutlich kann ich die Kontrolle nicht bis sehr schlecht abgeben. Das ist mir bewusst, auch in anderen Dingen.

    Auch hier mein erster Impuls: Dem Süchtigen geht es auch erstmal „besser“ wenn er seine Droge bekommt. Den Begriff hast du ja selbst rein gebracht 😉

    Mit Sicherheit will ich mit meinem Vorgehen gerade ein bisschen "nachhelfen" und Brandbeschleuniger spielen. Wenn er niemanden mehr hat, der für ihn da ist (also mit Unterschlupf und so), vielleicht kommt er dann endlich ins Überlegen und ins Handeln? (Teilweise ist er da ja schon. Er sagt, er hat ein Problem und möchte sich helfen lassen. Aber wie überzeugt das wirklich ist - keine Ahnung...)

    Tja… aber warum ist das überhaupt noch deine Baustelle? Weil er dann auf dich und deine Hilfe zurück greifen muss? Weil er dann endlich den Dreh bekommt trocken zu werden und ihr glücklich in den Sonnenuntergang reiten könnt?

    Wenn du dich schon selbst als süchtig empfindest, dann ist es recht weit hin mir dir. Bleibt dann nicht nur noch die komplette Abstinenz?

    Liebe Grüße, Lea

  • IIrgendwie fühl ich mich gerade so als "Petze" und hab ein schlechtes Gewissen. Aber wieso? Es gab eine Vereinbarung und der besäuft sich da und besudelt die Hilfsbereitschaft seiner Exfrau und die Tochter sitzt nebenan und darf zusehen.

    Ja, mag sein, vielleicht hast Du tatsächlich zuviel gequatscht. Du hast aber mindestens seine Tochter geschützt, und vermutlich wäre er da sowieso rausgeflogen. Das sind aber nicht die Dinge, über die Du jetzt nachdenken solltest. Frag Dich lieber mal, wie Du Abstand zu der Sache gewinnen kannst. Du denkst ja an gar nichts anderes mehr.

  • Auch hier mein erster Impuls: Dem Süchtigen geht es auch erstmal „besser“ wenn er seine Droge bekommt. Den Begriff hast du ja selbst rein gebracht 😉

    Ja, ich hab das mit Schrecken festgestellt und es schwirrt mir jetzt im Kopf rum und muss sich dort sortieren. Dass ich irgendwie "süchtig" geworden bin nach ihm.

    Wenn du dich schon selbst als süchtig empfindest, dann ist es recht weit hin mir dir. Bleibt dann nicht nur noch die komplette Abstinenz?

    Das ist alles sehr neu für mich, ich erlebe mich in dieser Art Ausnahmezustand erst seit ein paar Tagen. Ja, ich gebe es ganz offen zu - ich würde mir wünschen, dass wir die Beziehung hinkriegen könnten. Es ist nach wie vor mein Wunsch - nur hat er über die letzten Tage und Wochen gehörig an Realistik verloren und damit muss ich mich erst 'anfreunden' und auseinandersetzen.

    Tja… aber warum ist das überhaupt noch deine Baustelle? Weil er dann auf dich und deine Hilfe zurück greifen muss?

    Nein, das ist es eher nicht. Es ist nicht die Notwendigkeit, gebraucht zu werden - ich werde von vielen Menschen gebraucht, bin in meinem Umfeld eine gefragte Ratgeberin (Ursprungsberuf Sozialarbeiterin, aber nicht mehr dort tätig, zumindest offenbar nicht beruflich :roll:).

    Mit meinem "Hilfedrang" geht's mir tatsächlich um ihn. Dass ich ihn aber so schwer loslassen kann, dieses Thema liegt bei mir, das hab ich erkannt. Wobei halt auch erst eine Woche vergangen ist seit der Trennung. Es ist nicht meine erste Trennung - ich weiß, dass das einfach auch dauert.

    Und es ist sehr, sehr hart, jemanden aus Vernunftgründen gehen lassen oder wegschicken zu müssen, den Du von Herzen liebst.

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Frag Dich lieber mal, wie Du Abstand zu der Sache gewinnen kannst. Du denkst ja an gar nichts anderes mehr.

    Nein, ich denke an nichts anderes mehr, seit er weg ist. Es ist wirklich erschreckend und ich weiß gerade nicht, wie ich das abstellen kann.

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Mir fällt noch eine Sache ein, wo du vielleicht helfen kannst: Eine andere Therapie oder externe Unterstützung zu finden.

    Übrigens vielen Dank auch Dir noch mal für Deine Tipps! Leider ist der Beitrag bei mir iwie untergegangen.

    Also erstmal tu ich jetzt gar nix, worum mich niemand bittet, das ist für mich ein erster Schritt. Ich hab ihm Hilfe angeboten, sollte er in eine Klinik etc. wollen. Wenn er darauf zurückkommt, gern - wenn nicht, kann ich nichts tun.

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Das Forenteam
    15. Mai 2021 um 17:15

    Hallo Catalina,

    wir haben hier einige hilfreiche Punkte für Angehörige bzw. Ex-Angehörige zusammengestellt. Vielleicht ist etwas für dich dabei.

    Zitat

    tu ich jetzt gar nix, worum mich niemand bittet

    :thumbup:

    Viele liebe Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Vielen Dank, liebe Linde66 , für den Text. :) Ich hatte ihn bereits gelesen und habe ihn gleich noch mal durchgelesen.

    In einigem erkenne ich mich definitiv wieder, in anderen Dingen (zum Glück) nicht. Daran merke ich, dass ich doch glücklicherweise recht "gesund distanziert" immer mit dem Thema umgegangen bin und gut abgrenzen konnte, dass die ganzen Probleme SEIN Thema sind. Allerdings nur, solange die Beziehung aufrecht war. Jetzt, wo sie beendet ist, ist es viel schwerer. Warum?

    Ich war zum Beispiel - glücklicherweise - nie in der Situation, etwas vertuschen zu müssen, habe Familie und Freundinnen und Freunde, mit denen ich ganz ungeschönt und offen reden kann etc., das hilft und finde ich sehr wichtig. Und ein kleines bisschen hilft vielleicht auch der berufliche Hintergrund im Sozialbereich, dass man manche Dinge und Verhaltensweisen, auch Störungen etc. leichter enttarnen kann. Auf der anderen Seite wiederum spielt auch vor dem Beruflichen die Tendenz zum "Helfersyndrom" eine große Rolle.

    Naja, wieder mal einiges Blabla direkt vom Hirnkasten in die Tasten gehauen.

    Ich bin vorhin endlich mal ein bisschen raus (notgedrungen, Tabak war aus und das an einem Sonntag), das hat gut getan, und für morgen hat sich eine sehr gute Freundin angekündigt, die bleibt ein paar Tage. Ich hatte gestern ein paar Sekunden lang ein bisschen Angst um mich und glaube, es ist gut, die Tage jetzt nicht ganz allein zu sein.

    Einen schönen Sonntagabend allen!

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Darf man hier so etwas posten?

    Daraus ist das Zitat aus meiner Signatur. Mich berührt der Song, begleitet mich schon seit vielen Jahren und ich wollte ihn gern teilen. Falls nicht erwünscht, wird's natürlich wieder gelöscht.

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

    Einmal editiert, zuletzt von Linde66 (28. November 2021 um 17:53)

  • Hallo Catalina,

    ich kann verstehen, wenn ein Songtext absolut perfekt auf einen passt.

    Aber es geht darum, hier im Forum eigene Erfahrungen mitzuteilen.

    Viele liebe Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Ich hatte den Song gerade zum neuerlichen Abschied dem 'Diego' geschickt, manchmal können Künstler halt besser ausdrücken und auf den Punkt bringen, was man denkt und fühlt. Aber ist natürlich in Ordnung, ich hatte es eh befürchtet. :)

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Hallo Catalina,


    Beim Lesen deines Threads fiel mir spontan Rio Reiser (Ton Steine Scherben - falls das jemandem noch etwas sagt) ein, „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Meiner Meinung nach sind deine Gewissensbisse durchaus angebracht, denn man hat als Außenstehende nicht den Eindruck, dass du bei deiner selbstlosen Information sämtlicher Kontakte deines XY über seinen wahren Zustand nur anderer Leute Kinder, Exen und Bekannte „schützen“ möchtest. Ist es möglich, dass dein wahres Motiv Rache ist?


    Du lässt ihn von der Polizei suchen, einen erwachsenen Menschen, stellst Ultimaten und wirfst ihn raus. Aber damit nicht genug, er darf auch nirgendwo anders unterkommen. Was willst du damit wirklich erreichen? Das er zur Einsicht gelangt, clean wird und du dann dein ersehntes Happy End bekommst? Oder dass er in der Gosse landet und du ihn dann wieder „retten“ kannst?


    Warum lässt du ihn nicht los und kümmerst dich um dich selbst? Stell dich deinem Schmerz, den kann dir nichts und niemand nehmen, egal wieviele Aktionen du noch startest.

    Solea

    Ein Problem lösen, heißt manchmal, sich vom Problem lösen.

  • Hallo Solea ,

    danke für Deinen Beitrag. Ich hab erklärt, warum er von der Polizei gesucht wurde. Das waren Höllennächte, die schwierig genug waren - dafür möchte ich mich nicht auch noch rechtfertigen müssen.

    Was den Rest Deiner Zeilen angeht - Dein Eindruck von mir steht Dir frei zu haben.

    Danke für Deine Zeit und liebe Grüße.

    EDIT - Ich wünsche Dir und hoffe für Dich, dass Du nie in Deinem Leben in die Lage kommst, einen erwachsenen Menschen von der Polizei suchen lassen zu müssen.

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Hm, also… nun äußer ich mich auch mal 🙈

    Also Rache kann ich persönlich nun nicht zwingend sofort entdecken, zumindestens nicht aus den Ausführungen. Aber das ist schlussendlich auch egal, ob aus Rache oder liebe oder helfen wollen. Du fragst dich, ob Du zu weit gegangen bist. Ich überlege die ganze Zeit, seit ich das gelesen habe, dass du sie ex angerufen hast und nun auch andere noch informieren möchtest, was würde ich tun? Ich versuche mich da hinein zu versetzen, aber es ist echt schwer.

    Prinzipiell würde ich sagen, es geht dich nichts an und man sollte nicht bei jemandem anrufen, und die Aufgabe übernehmen ihn zu „outen“

    Jetzt kommt aber mein ABER… andererseits bin ich wenn Kinder im Spiel sind auch immer eher auf der Seite der Kinder, um diese zu schützen und wenn neben meinem Kind ein Mensch hausen würde, der unter Umständen nicht mehr zurechnungsfähig ist, würde ich als Mutter erwarten, dass man mich hierüber in Kenntnis setzt. Wer weiß, ob derjenige im Alkohol oder Koks Trip nicht plötzlich mit nem Messer in der Hand da steht, sich umbringen möchte ist womöglich das Kind noch gefährdet…? Also ich habe bei sowas wirklich schiss, muss ich gestehen, denn ich traue schwerst alkoholisierten Menschen oder Menschen unter drogeneinfluss leider sowas zu. Oder besser, für mich ist es einfach unberechenbar, ich kann mir nicht sicher sein, ob alles gut geht und wenn dann was passiert, und es kommt heraus, andere haben es gewusst und mir als Mutter nichts gesagt, denen würde ich dann Vorwürfe machen. Alsonim Ergebnis, wenn was passiert wäre weil du nichts gesagt hast, wäre das schlechte Gewissen bestimmt höher, als jetzt, da du ihn verpetzt hast…

    ich denke, das sieht hier nicht jeder so, denn ja, man soll sich nicht in andere Leute Angelegenheiten einmischen, aber ich habe extreme Angst das meinem Kind etwas passieren könnte und möchte sowas nicht erleben.

    Nun kann ich auch nur deine Version als gegeben annehmen, über deinen Partner kann ich mir ja kein Bild machen und weiß in keinster Weise, wie er ist und ob von ihm Gefahr ausgeht. Dass musst du für dich selber überlegen und entscheiden. Und halt auch vor dir selber rechtfertigen.

    Also, geht von ihm unter Umständen Gefahr aus oder geht es dir nur darum, dass er ohne Unterkunft schneller „am Tiefpunkt“ ist damit es für euch vielleicht noch eine Chance gibt… diese Frage solltest du dir stellen und ehrlich beantworten.

    Lieben Gruß,

    Blume

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    You can´t connect the dots looking forward. You can only connect them looking backwards.

    Steve Jobs

  • Wer weiß, ob derjenige im Alkohol oder Koks Trip nicht plötzlich mit nem Messer in der Hand da steht, sich umbringen möchte ist womöglich das Kind noch gefährdet…?

    Vielen Dank, liebe Blume, auch Dir für Deine Zeilen und damit sprichst Du mir aus der Seele.
    Wobei ich ja auch den anderen, weniger noblen Anteil meiner Beweggründe hier thematisiert habe: dass man als 'Angehörige' sich dazu geneigt fühlt, dass ICH mich dazu geneigt fühle, irgendwie dafür zu sorgen, dass der doofe persönliche Tiefpunkt schneller erreicht ist. Es ist einfach nur Verzweiflung.

    Im Telefongespräch hat 'Diego' mir gestern erzählt - ich muss aber drauf hinweisen, dass man aufgrund der Drogen-Thematik nie recht wissen kann, ob die Dinge auch so stimmen -, dass er in der letzten Nacht auf meiner Couch eine Überdosis Tabletten genommen habe. Er wollte sich nach seinen Angaben hier bei mir das Leben nehmen und ich hätte ihn, hätte das funktioniert (wenn es nicht gelogen ist), leblos am nächsten Tag hier vorgefunden.

    Er ist immer wieder mehr oder weniger gefährdet, sich was anzutun. Das ist nicht gerade witzig und jenseits von allen persönlichen Beziehungsgeflechten hat man hier auch eine zivile Verantwortung. Ich würde immer wieder die Polizei rufen (bei entsprechenden Ankündigungen), es ist für mich das Mindeste.

    Er ist seit Wochen in einem Ausnahmezustand und ihm ist offenbar alles zuzutrauen. Er ist nicht gefährlich für andere, aber sehr eigengefährdet.

    Und ich bin über seine Zustände und Exzesse immer mit der Exfrau in Kontakt gewesen - so auch dieses Mal -, schließlich lebt dort seine Tochter und wir haben unseren Austausch irgendwann so abgesprochen. So viel zu meinen 'Aktionen'.

    Nach einem Gespräch mit einer guten Freundin hab ich mich aber dagegen entschieden, die Frau in Italien zu kontaktieren. Das geht zu weit (deshalb hab ich es ja unter anderem auch hier, bevor ich irgendwas getan habe, offen zur Diskussion gestellt) und geht mich nichts an. Sollen sie ihn rauswerfen, wenn er sich daneben benimmt.

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Also, geht von ihm unter Umständen Gefahr aus oder geht es dir nur darum, dass er ohne Unterkunft schneller „am Tiefpunkt“ ist damit es für euch vielleicht noch eine Chance gibt… diese Frage solltest du dir stellen und ehrlich beantworten.

    Ich wollte das übrigens nicht überlesen, ich war aber vorhin echt einfach aufgebracht.

    Also es wäre definitiv Letzteres gewesen. Von 'Diego' geht keine Gefahr gegenüber anderen Menschen aus, also keine körperliche. Die 'Gefahr' ist eher, dass er deren Hilfsbereitschaft und Hilfestellung gut auszunutzen weiß.

    In der Zeit, die ich ihn kenne, hat er noch nicht mal irgendwann die Stimme erhoben oä, er hat mich nie beschimpft, nie verantwortlich gemacht für sein Verhalten, für sein Trinken etc. Es ist eher das Gegenteil, er wehrt sich kaum und 'schluckt' buchstäblich vieles runter, bis er irgendwann explodiert und das geht dann aber gegen sich selbst. Dann folgen Exzess, Selbstmitleid, Selbstmord-Äußerungen, hinterher die Depression, das ganze Programm.

    Insofern sehe ich keinen Anlass, mich um die Sicherheit der Familie, die er dort besucht, zu sorgen.

    Abgesehen davon ist es natürlich auch einfach nicht sehr lustig, wenn Deinen Besuch vielleicht plötzlich (zB unter Alk-Einfluss) die große Depression überkommt und der dann anfängt, über Selbstmordgedanken zu sinnieren.

    Aber der aufrichtige Grund für mein "Intervenieren" wäre tatsächlich gewesen, ihn in Handlungsdruck zu bringen (Unterkunft) und daher habe ich das ja nun auch unterlassen.

    Danke Dir, Blume, für Deine wertvollen Gedanken und Fragen!

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Hey, liebe Gemeinde.

    Die Nacht ist für mich heute mal wieder eine schlaflose, ich habe so einige davon hinter mir. Jetzt setz ich mich also hin und schreibe ein Update, um vielleicht ein wenig Ordnung in meinem Kopf zu schaffen, der aktuell eher einem wildgewordenen Wühltisch gleicht denn einem wohlsortierten Gedankenlager.

    Gut eine Woche, nachdem ich 'Diego' rausgeworfen habe -- das ist nun etwa dreieinhalb Wochen her --, haben wir angefangen, wieder Kontakt zu haben. Zunächst sporadisch, dann regelmäßiger, das Meiste schriftlich, nur ein oder zwei Telefonate hat es gegeben.

    Er war ja vorübergehend in einem Ferienapartment seiner Exfrau untergekommen, danach ist er zu besagter befreundeter Familie nach Südeuropa gefahren. Dort kann er aber nicht -- wie ursprünglich angenommen -- bis Mitte Januar bleiben, wenn die Sanierung seiner Mietwohnung abgeschlossen ist, sondern er muss noch vor Weihnachten weg.

    Nach wie vor hat er also keine Bleibe und auch keine Freunde mehr, die ihn noch aufnehmen können oder wollen. Alle sagen ab. Einzig eine alte Freundin in Berlin, die ich ebenfalls kenne, hat ihm angeboten, er könne bis Anfang des neuen Jahres bei ihr unterkommen. Es überrascht mich -- als sie ihn mit ihren beiden Kindern im Juli für eine Woche besucht hat, hatte er einen krassen tagelangen Exzess, die Kinder haben alles mitbekommen. Vermutlich lautet auch hier die Prämisse, solange Du nüchtern bist, kannst Du bleiben.

    Ich weiß, es geht ihm nicht gut. Mir auch nicht.

    Eigentlich möchte er am liebsten Weihnachten mit mir und meiner Familie verbringen. (Ich bin selber kinderlos und jedes Jahr bei meinen Eltern inkl. Großfamilie im Heimat-Bundesland, Weihnachten ist für meine Familie besonders wichtig und immer sehr harmonisch bis wahrlich kitschig.)

    Aber er schämt sich. Naja, zurecht.

    Er sagt, er weiß, dass er ein Problem hat und Hilfe braucht, und er ist bereit dafür. Aber er benötigt Stabilität, er benötigt seine Wohnung, aktuell kann er nichts tun. Das stimmt ja tatsächlich auch -- wie soll er sich auf Therapien und Beratungen einlassen, solange er kein Zuhause hat und gezwungen ist, durch den ganzen Kontinent zu tingeln. Die Situation, wie sie gerade ist, ist selbstverschuldet, das ist ihm auch bewusst -- aber sie ist nun einmal nicht zu ändern.

    Er sagt, er wünsche sich, dass ich ihn auf diesem Weg begleite, verstehe aber auch, wenn nicht.

    Meine Familie hat ihn sehr liebgewonnen, vor allem meine Eltern haben ihn ins Herz geschlossen. Trotzdem sind sie natürlich enttäuscht von seinen ganzen Aktionen. Davon, wie er mir den Geburtstag versaut und uns alle tagelang im Ungewissen gelassen hat, wo er ist und ob er überhaupt noch lebt. Und sie machen sich Sorgen um mich und mein Wohlbefinden.

    Gleichzeitig ist es ein Horror für mich, mir vorzustellen, wie er irgendwo an Weihnachten alleine sitzt. Seine eigene Familie ist auf einem anderen Kontinent, seine Tochter lebt bei der Kindsmutter und feiert mit dem Stiefpapa, die Freunde haben selber Familien...

    Ich würde mich momentan gar nicht trauen, meine Familie zu fragen, ob er Weihnachten mit uns verbringen kann. Das hab ich ihm auch gesagt. Ich habe ihm gesagt, wenn Du das wirklich willst, dann musst Du sie selber kontaktieren. Klär das.

    Daraufhin hat er mir nun heute neuerlich -- wie schon häufiger in den letzten Wochen -- vorgeschlagen, dass er gerne zuerst für ein paar Tage zu mir kommen würde. Um persönlich zu reden, um gemeinsam zu sehen, wie es weitergehen kann. Ich habe mir etwas Bedenkzeit erbeten.

    Der kleine Funke Hoffnung in mir drin, dass alles gut werden kann, glüht noch schwach, oder wieder. Gleichzeitig hab ich Bauchschmerzen und große Zweifel. Ich bin in den letzten Wochen in eine ziemlich heftige Depression geschlittert, war nicht arbeitsfähig und berapple mich gerade wieder so, dass ich meinen Alltag einigermaßen bewältige.

    Er schreibt Dinge wie, er wolle es schaffen, er wisse, was zu tun sei, er brauche einfach nur seine Wohnung und dann würde er seine Therapien fortsetzen. Er schreibt, er liebe mich über alles und würde alles dafür tun, wieder mit mir zusammen zu sein.

    Ich weiß nicht, was ich tun soll.

    Am liebsten wär mir, ich hätte meine Wohnung und er seine, wir könnten uns alle paar Tage mal nett auf einen Kaffee treffen und ich dazwischen etwas aus der Ferne beobachten, was sich so entwickelt bei ihm. Aber das ist aufgrund der Distanz nicht möglich.

    Es funktioniert aber auch nicht, die Dinge übers Telefon zu klären.

    Ich habe ihm gesagt, dass ich in der Wohnung keine Drogen und keinen Alkohol haben möchte, und ihn gefragt, wie er mit diesem Wissen umgehen will, wenn der Suchtdruck kommt. Dass ihm dann ja nichts anderes übrig bleiben wird, als mich wieder anzulügen. Und dass mir das große Angst macht.

    Darauf meinte er, er sei bereit, seinen Teil zu leisten und er würde mit mir sprechen, wenn der Suchtdruck komme, und mich um Hilfe bitten. Er wolle nichts vor mir verstecken.

    Ich möchte ihm gerne vertrauen und an ihn glauben, aber ich spüre, vieles ist zerstört und liegt brach.

    Ich frage mich, was ihr mit eurer Erfahrung mir hier raten würdet. Ich möchte ihm vermitteln, dass ich an ihn glaube. In Wirklichkeit ist es (noch?) nicht so, aber gerade jetzt, wo sich möglicherweise Anflüge von Einsicht und ersten Schritten zeigen, möchte ich ihm nicht das Gefühl geben, ich wäre nicht für ihn da, weil ich eh nicht denken würde, dass er es schaffen kann.

    Was soll ich nur tun?

    Ich weiß, dass es ihn große Überwindung gekostet haben wird, mir diesen Vorschlag zu machen -- einfach, weil ihm bewusst ist, was er alles angerichtet hat. Und auch, dass es ihn sehr verletzen würde, wenn ich ihm nun absage. Ich weiß aber auch, dass ich jedes Recht dazu habe.

    Was ich nicht weiß, ist, was ich will. Ich glaube, ich habe mich noch nie in meinem Leben so hilflos und orientierungslos gefühlt.

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Hallo Catalina,

    Was soll ich nur tun?

    auf deine Bauchschmerzen und die Zweifel hören.

    Was er will in meinen Augen, ist das er Weihnachten bei dir unterkriechen will.

    Wenn er sich seines Problems bewußt wäre, könnte er sich sofort Hilfe suchen, und könnte noch vor Weihnachten zu einer Entgiftung gehen. Das scheint er ja nicht in Erwägung zu ziehen. Ich wäre da sehr vorsichtig, denn ich weiß, wie nasse Alkoholiker versuchen ihre Angehörigen zu überzeugen, das ab jetzt alles gut wird, und dann aber nichts passiert.

    Er hat dir deinen Geburtstag versaut und jetzt noch Weihnachten, willst du dir das antun.

    Er weiß, wie er dich einlullt, drückt die richtigen Knöpfe, und wenn er es geschafft hat, wird er weitermachen.

    Du kannst ihm nicht helfen, auch nicht bei Suchtdruck. Wer weiß denn genau, warum er in den anderen Unterkünften nicht bleiben konnte?

    Das alles mag herzlos klingen, aber es sind gemachte Erfahrungen, die immer wieder enttäuscht wurden.

    lg Morgenrot

    Wer nicht hofft, wird nie dem Unverhofften begegnen. ( Julio Cortazar )

  • Liebe Morgenrot, danke für Deinen Beitrag.

    Das Ding ist ja, dass er eben aktuell nicht zu einer Entgiftung kann (bzw. Entgiftung bräuchte er wohl nicht mehr, der letzte Exzess ist vier Wochen her, aber therapeutische Maßnahmen natürlich).

    Er sitzt bei Freunden im Süden von Europa, weil seine Wohnung unbewohnbar ist. Es stimmt halt wirklich, dass er nichts tun kann momentan.

    Ich bin ein wenig mit der Freundin, wo er ist, in Kontakt gewesen. Es geht ihm (den Umständen entsprechend) gut, er betrinkt sich nicht.

    Aber er lebt nun einmal momentan aus dem Koffer, hat kein Geld (ist im Krankenstand noch seit der letzten Therapie, die ihm ja beendet wurde).

    Ich weiß nicht. Mit all den Umständen -- der seitens der Einrichtung zu Unrecht beendeten Therapie, dem vorübergehenden Verlust der Wohnung, der kürzlich erst überstandenen Gerichtsverhandlung etc. pp., da seh ich halt schon das Gesamtbild und versuche, es differenziert zu sehen...

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Liebe Caralina,

    es ist völlig egal, wo er sich befindet... ob er eine Wohnung hat oder nicht. Wenn er Hilfe WILL, kann er dafür sorgen, dass er welche bekommt. Es haben schon Menschen auf der Straße als Obdachlose gelebt und haben sich Hilfe holen können. Gab es sogar hier im Forum.

    Du hast Dir doch als Co-Abhängige auch Hilfe holen können z. B. hier im Forum. Es gibt zig Angebote auch für Alkoholiker. Er könnte sich z. B. für die Weihnachtstage einen Termin bei der Suchtberatung oder einer Hilfeeinrichtung holen, anstatt einen Termin bei Deinen Eltern zum Weihnachtsessen.

    Ich weiß, das hört sich hart an, aber es ist so. Es gibt hier einen wunderbaren Satz im Forum, der gerade zu der Situation passt:

    Wer will, findet Wege. (Wer nicht will, findet Gründe.)

    LG Cadda

  • Hallo Catalina,

    es sieht so aus, als ob er quer durch Europa seine Helferlein verteilt hat und sich so irgendwie durchfuttert (und trinkt). Manche Alkoholiker haben nur eine Co-Abhängige, die alles für ihn macht. Er scheint ein ganzes Netz davon zu haben.

    Was hat er, was andere Männer nicht haben, daß er trotz seiner Exzesse immer wieder eine Frau findet, die ihm seine Absichtserklärungen vom Aufhören glaubt?

    Um ihn herum machen Frauen nichts anderes mehr, als sich um ihn Gedanken. Du kannst nachts nicht mehr schlafen.

    Da werden sogar die eigenen Kinder einem ihnen fremden nassen Alkoholiker ausgesetzt, furchtbar. Hört doch endlich damit auf, euch gegenseitig abzusprechen und euch damit indirekt vorzumachen, ihr seid seine Rettung. Sich zu retten ist SEIN Job.

    Zitat

    Ich frage mich, was ihr mit eurer Erfahrung mir hier raten würdet.

    Würdest du denn die Erfahrungen annehmen?

    Wenn ich dir sagen würde: Jede einzelne von euch Helferfrauen trägt dazu bei, daß er nicht an seinen Tiefpunkt kommt. Ein Tiefpunkt kann zum Wendepunkt für einen Alkoholiker werden. Aber ihr räumt ihm ja alles aus dem Weg, ihr räumt ihm hinterher, ihr organisiert ihm europaweit eine Bleibe, ihr gefährdet das Kindswohl eurer eigenen Kinder...

    Was du tun sollst?

    Den Fokus von ihm auf dich selber lenken. Warum bist du im Rettungs-Modus?

    Wie wäre die Vorstellung, daß du ihm anbietest, daß er sich wieder melden kann wenn er ein Jahr trocken ist?

    Viele liebe Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

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