“ICH HALTE SIE FÜR STARK RÜCKFALLGEFÄHRDET”
Beide machten sich ernste Sorgen- so kurz vor der Therapie. Ich versuchte, sie zu beruhigen: Sobald ich mein tierisches Problem gelöst hätte, wäre ich auch gelöster. Und so kam es dann ja auch.
Noch zwei Wochen!
Der Anreisetermin stand fest: 2. Oktober, ein Montag
Für die Fahrt dorthin hatte sich ein Kollege angeboten. Er wollte mich mit seinem Auto fahren und auch wieder abholen.
Meine Gefühlslage? Ich hatte keine Angst. Ich war neugierig, freute mich sogar ein wenig. Wie lange bin ich nicht mehr weg gewesen von meiner Heimat? Und dann gleich sooo weit- über 200 km!
Ich hatte nur bedingt Ahnung, was auf mich zukommt. Aber die Erfahrungen der letzten Monate, das Vertrauen, das ich hatte in Ärzte, Schwestern, Pfleger, in das gesamte medizinische Personal und in meinen Suchtberater, das wollte ich mitnehmen in meine Therapie.
Den Informationen von der Internetseite der Klinik konnte ich ja entnehmen, dass ich eine Gruppentherapie machen würde. Also reden. Würde ich weinen müssen? Schreien? Egal, ich wollte DA hin und mir weiter helfen lassen. Mir ging es körperlich so gut wie lange nicht mehr- ich hatte ja auch einiges dafür getan und die geistige Frische, die ich Tag für Tag erlebte, das bewusste Wahrnehmen meiner Umwelt… all die positiven Entwicklungen der letzten Monate drängten in mir, dass es endlich losgeht.
Und ich hatte Glück: Meinen Arbeitsplatz würde ich behalten, eine andere Tätigkeit war mir in Aussicht gestellt. Bisher hatte mein Arbeitgeber mitgespielt. Zum einen hatte er ja gesehen, dass ich etwas unternehme, zum anderen hatte ich ihn ja vereinbarungsgemäß über alle meine Schritte informiert und damit die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen (wieder) geschaffen. Ich hatte meine Wohnung, auch die würde ich vorläufig behalten. Darum würde ich mich später kümmern, denn da wollte ich nicht bleiben.
Ich war abgesichert, weil ich mich abgesichert hatte. Warum sollte ich also nicht in Ruhe fahren können?
Natürlich verspürte ich auch eine gewisse Nervosität. Nicht die Art, die den Autofahrer befällt, wenn er die Polizeikelle sieht. Nein, es hatte etwas aus meiner Kindheit: Die erwartungsvolle Spannung am Heiligabend, kurz vor der Bescherung, die Neugier vor dem Unbekannten, das da kommt.
Manche, die bereits Therapieerfahrungen hatten, sahen in meiner Gemütslage ein böses Zeichen. Das sei nicht normal, wie ich mich verhalte. Ich müsste doch Angst haben usw.
Hatte ich aber nicht.
“Was wirst Du da machen?” wurde ich oft gefragt und antwortete stets dasselbe: “Ich werde einen sehr interessanten Menschen kennen lernen: MICH!”
Ich packte in Ruhe meine Sachen. MP3- Player (der wurde ganz wichtig), Sport- und Schwimmsachen, Handy, Briefmarken und Papier (und Umschläge), alkoholfreie Körperpflegemittel, die Papiere (!) usw. - Mittelgebirge im Winter, was mir fehlte würde ich mir dort besorgen.
Ich war recht gut über die Klinik und den Ort informiert.: Internet, telefonische Auskunft, Beratungsstelle.
Wann würde ich “raus” dürfen? Wie würde das sein, mit einem fremden Menschen ein Zimmer zu teilen? Hoffentlich schnarche ich nicht! Gemeinsame Mahlzeiten (da freute ich mich drauf). Würde ich morgens schwimmen dürfen? Und abends? An den Wochenenden? Was, wenn ich mal allein sein wollte?
Kaum jemand hatte meine Adresse, denn ich wollte wirklich Abstand von allem und allen haben. Besuch? - Ich meld´ mich! Und dann war da ja der Wald. Viel Wald, auf den ich mich freute. Meine Kamera reiste natürlich mit (es sollten am Ende ca. tausend Fotos sein).
Der Montag kam, ich rief sicherheitshalber meine “Fahrbereitschaft” an, um zu hören, ob er wach ist- alles o.k.
"AUFBRUCH in die Zukunft" hatte ich in meinen Kalender geschrieben und so stieg ich am 2. Oktober 2006 in das Auto. Kurze Streckenbesprechung und Wichtige- Dinge- Liste abhaken. Strom abgestellt, Wasser abgesperrt, Briefkasten und Blumen werden versorgt, ebenso die Wohnung. Alles war geregelt, ich wollte nichts mitnehmen, nur mich.
“Bist Du nervös?” - Nöh! - “Du bist nervös!”
Es war halb acht Uhr morgens, wir fuhren los. Ich war
UNTERWEGS