Hallo zusammen,
Diesen Thread wollte ich schon lange eröffnen. Mir fällt auf, dass einige von Euch den Umgang mit der Alkoholkrankheit als oberste Priorität im Leben setzen. Oder zumindest habe ich bei vielen Beiträgen diesen Eindruck. Ich will mal hier eine Aussage platzieren:
Stärken stärken, Schwächen schwächen.
Kann es sein, dass man, wenn man sich täglich intensiv mit seiner Krankheit auseinandersetzt, die ganze Energie auf das Kranksein legt anstatt auf die anderen (schöneren) Dinge im Leben? Kann es sein, dass man Gefahr läuft, seine Krankheit fast schon zur (fanatischen) Religion zu erheben, alles, was man tut und wie man lebt, um sie aufbaut und ihr somit viel mehr Platz und Kraft gibt, als einem letztendlich gut tut?
Klar ist, dass unsere Krankheit in alle Bereiche unseres Lebens eingreift. Seien es Vorurteile von anderen, sei es bei der Auswahl an Lebensmitteln, beim Verlassen der sogenannten geschützten Bereiche, bei Stimmungstiefs und Stimmungshochs. Bei Schicksalsschlägen oder einfach nur bei sogenannten (gefährlichen!) Flashbacks, wenn man sich an die schönen Zeiten mit Alkohol erinnert und diese wieder hochleben lassen will. Denn wenn man ehrlich zu sich ist: Klar, bevor man abhängig war, gab es ja auch durchaus gute Erlebnisse, bei denen Alkohol eine gewisse Rolle gespielt hat. Bei mir zumindest.
Was mich interessiert ist, wie ihr, wenn ihr mal aus Euch raustretet und versucht, Euch von Außen neutral zu beobachten, einen komplett anderen Blickwinkel einnehmt, Eure Krankheit in Verbindung mit Eurem Denken und Handeln seht.
Mir fällt auch auf, dass einige den Alkohol allgemein als etwas zutiefst verabscheuungswürdiges sehen. Jeder, der etwas trinkt, wird als Säufer tituliert usw. Kann es sein, dass diese Betrachtungsweise ein Selbstschutz ist? Und jeder Objektivität entbehrt?
Klar ist, dass es eine (oft am Ende tödliche) Krankheit ist. Für uns ist das klar. Für viele Nicht-Abhängige nicht. Vom Zusammenreissen, vom Charakter, vom Verzicht ist dann die Rede.
Aprospos Verzicht: Auch so ein doppeldeutiger Begriff. Ich habe mal in einem Buch gelesen: „Verzichte ich auf etwas, wenn ich mir kein Gift mehr zuführe?“ Alkoholische Getränke sind ja rein chemisch gesehen irgendwie trinkbar gemachter Ethanol. Und Ethanol ist ein hochtoxischer Stoff. Dreht man das um und konzentriert sich auf die chemische Toxität, könnte man fast schon sagen: „Verzichtet man auf etwas, wenn man keine Blausäure zu sich nimmt?“ Eigentlich paradox.
Was mich auch sehr interessiert: Wie habt ihr es geschafft, vom „ich darf nicht“ zum „ich will nicht“ zu kommen?
Eure Meinungen würden mich sehr interessieren,
Liebe Grüße,
EinNeuer