Mein lieber zerfreila,
über Jahrzehnte soff ich stopp and go. Für mich war es keine Schwierigkeit, für Tage, Wochen, Monate nichts zu trinken. Doch einmal angefangen, konnte ich schon in einer relativ frühen Phase meiner Trinkerkarriere oft und nur mit Mühe ein Ende vor Erreichen des Rauschs finden. Eine Form von Alkoholismus, meine Form von Alkoholismus. Eine sehr gefährliche, lebensgefährliche Form von Alkoholismus. Zwischen 1989 und 1992 führte ich für etwa drei Jahre ein alkoholfreies Leben. Im Laufe von etwa anderthalb bis zwei Jahren schlich sich mein altes Alkoholkonsum-Verhalten wieder ein. Das alte Muster.
In den Jahren 2006-2008 bemerkte ich, dass auch die Abstände zwischen zwei Besäufnissen kürzer wurden, längere Pausen wie früher legte ich nicht mehr ein, zuletzt waren es in der Regel zwei Besäufnisse pro Woche, jedes Mal mit Vollrausch. Am 6.6.08 besuchte ich einen alten Kumpanen in einer anderen Stadt und es kam abends zu einem sehr heftigen Besäufnis. Am nächsten Tag, dem 7. Juni 2008, Beginn der Fußball-Europameisterschaft in der Schweiz und in Österreich, fühlte ich mich in der fremden Wohnung so ganz besonders elend und mies. Wieder mal dieser quälende und lähmende Kater nebst Psychokater, wie ich es kannte. Eine Qual. Schon länger hatte ich darüber nachgedacht, dass dies so keine Lebensqualität ist, wie ich sie mir vorstelle. Ich empfand meine Sauferei als Siechtum, ich fühlte mich wie ein Sklave, der sich selbst in diese Situation gebracht hatte. Am 7.6.2008 fasste ich den Entschluss, mit meiner Sauferei aufzuhören. Ich begab mich auf meinen guten Weg. Immerhin wusste ich ja aus der Zeit von 1989 – 1992, dass der trockene Weg nicht nur möglich, sondern auch sehr angenehm und lohnend war.
So, und jetzt blicke ich zurück auf vier trockene Jahre. Ein schöner Anblick ist das. Nach knapp sieben Monaten meiner neuen Trockenheit meldete ich mich am 1.1.09 hier im Forum an, wo ich schon die Monate zuvor unzählige Threads im offenen Bereich gelesen hatte. Jetzt konnte ich selbst schreiben und schon einige Wochen später entschied ich mich für den erweiterten Zugang bzw. den geschützten Bereich des Forums. Dort hatte ich die Möglichkeit, mich wesentlich offener und intensiver auszutauschen als im offenen Bereich. Es entwickelte sich ein guter, intensiver und wertvoller Austausch, ich begann damit, meine Trockenheitsarbeit zu entwickeln. Dabei ging und geht es um genaues Betrachten, Reflexion, Sortieren, Ordnen, Entfernen, Erkennen von Zusammenhängen, Verhaltensmustern und Mechanismen, um Lernen bzw. Veränderungen im Verhalten, um Entwicklung und speziell auch um die Entwicklung neuer Strategien. Auch um Themen wie Offenheit, Ehrlichkeit, Kommunikation. Um Selbstliebe, Selbstfürsorge, Befriedigung eigener Bedürfnisse, um Wohlbefinden von Körper, Geist und Seele unvm., alles wichtige Themen im Rahmen meiner Trockenheitsarbeit.
Im Forum lernte ich Weggefährten kennen und schätzen und es entstanden auch einige gute Freundschaften.
Seit Anfang dieses Jahres Zeit habe ich mich endlich auch einer realen SHG vor Ort angeschlossen, die ich nicht mehr missen möchte. Austausch ist auch ein wesentliches Element meiner Trockenheitsarbeit, die ich als notwendig und als fortwährenden Prozess betrachte.
Kapitulation. Das erste Glas stehenlassen. Den guten Austausch pflegen. Dies sind mir wichtige und grundsätzliche Säulen für meine Trockenheit geworden.
Ich stelle mir vor, hier von Zeit zu Zeit und in unregelmäßigen Abständen ein paar Zeilen zu schreiben. Ich möchte jedem Menschen, der hier liest, Mut machen, mit der Sauferei aufzuhören und sich auf den Weg zu machen. Der gute Weg lohnt sich. Auf meinem guten Weg habe ich Erfahrungen gemacht, sind mir Menschen begegnet, habe ich neue Herausforderungen angenommen, das alles wäre mir mit Alkohol nicht möglich gewesen.
Über Beiträge in Form von Fragen, Anregungen, Hinweisen, Sichtweisen, Erfahrungen usw. würde ich mich freuen.
Liebe Grüße, zerfreila, unterwegs im fünften Jahr!