So, endlich ist es soweit
Ich habe alles wichtige letzte Woche erledigt und nun die Zeit, meinen eigenen Faden hier zu beginnen.
Ich lese schon seit einigen Monaten mit, kommentiere auch den ein oder anderen Faden. Daher folgt nun meine erste öffentliche Vorstellung
Meine Mutter ist seit über 20 Jahren alkoholabhängig und mein Vater der hilflose und überforderte Co, der neben ihr ausharrt.
In ihren beiden Schwangerschaften hat sie wohl nicht getrunken, aber zeitnah nach der Geburt des 2. Kindes angefangen. Daher kenne ich sie eigentlich auch nur so und das ist auch der Grund, warum wir keine Mutter-Tochter-Beziehung haben. Sie lebte immer in ihrer Welt, die Abstände, in denen sie sich abschoss, wurden immer kürzer. Wenn sie trank, dann wirklich, bis sie richtig einen im Tee hatte- manchmal lag sie auch stundenlang apathisch auf dem Sofa und nüchterte aus. Ihre Stimmungsschwankungen habe ich immer abbekommen. Sie hat mich immer niedergemacht als kleines Kind. Viel brauche ich dazu nicht zu schreiben, es waren die typischen Spielchen, die man hier vielfach nachlesen kann. Ich wurde immer runtergemacht, könne nix, wisse nix.. sei zu fett. Mein Geschwister hat weniger davon abbekommen.
Ansonsten sind wir in Überforderung groß geworden, körperliche Gewalt war häufig ein Erziehungsmittel. Kaum kam sie mit uns nicht klar, holte sie den Kochlöffel. Wenn Vater von der Arbeit nach Hause kam, gabs nochmal eine Abreibung.
Im Prinzip ist meine ganze Familie hinüber. Meine Eltern kommen miteinander nicht mehr klar, wissen keine Themen für Gespräche mehr, mein Geschwister wohnt noch zu Hause und leidet ziemlich und nimmt am Familienleben nicht mehr teil. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir uns früh ausgeklinkt- sind abends nicht mehr zum Abendessen an den Tisch gekommen, weil wir den Anblick nicht mehr ertrugen und haben die Tage, wenn wir aus der Schule heimkamen (man wusste nie, was einen erwartet- gutes Essen, angebranntes? Überhaupt etwas, oder liegt sie jetzt schon besoffen auf dem Sofa?) auf unseren Zimmern am PC verbracht, bis wir schlafen konnten.
Das war psychische Misshandlung vom Feinsten. Und hat bei beiden tiefe Spuren hinterlassen, die natürlich, wie bei allen Familien mit Suchtproblemen, geleugnet werden.
Nunja. Also ich habe im Prinzip keine Unterstützung gehabt beim Erwachsenwerden und keine Orientierung und wahrscheinlich auch keine gescheite Sozialisierung. Dazu noch die ständige Sorge.
Momentan ist es so, dass ich mich emotional abgegrenzt habe. Ich habe einfach keine Lust mehr auf diese emotionalen Strudel, auf die Verantwortung, die mir dort zugeschoben wird. Schon, als ich noch ein Kind war, hat mein Vater sich abends aus dem Staub gemacht und uns mit Mutter alleine gelassen. Seine Worte zum Abschied "Passt auf Mama auf, dass sie nichts trinkt. Bleibt immer bei ihr!"
Uns Kindern war klar, was passiert: Kaum ist er durch das Gartentor raus, gibt sie sich irgendwo im Haus die Kante und verlässt das Sofa die kommenden 4 Stunden nicht mehr. In der Zwischenzeit liegt sie dort, wird manchmal wach und guckt orientierungslos wie ein gestochenes Kalb durchs Wohnzimmer. Ekelhaft. Naja, wenn Vater dann nach Hause kam, bevor sie wieder ausgenüchtert ist, gabs Krieg. Er drückte ihr die Luft ab, schubste sie durch den Flur. Geschlagen hat er sie nie, aber so feste zugepackt, dass sie an den Armen blaue Flecken bekam. Das vor unseren Augen. Es war kaum auszuhalten.
Es drehte sich alles um Mutter- schon wenn er nachmittags nach Hause kam, fragte er nicht, wie unser Tag war, sondern wir sollten Bericht über ihren Zustand geben. Von diesem Bericht hing dann die Stimmung zu Hause ab.
Nunja, aus dem Strudel bin ich nun raus. Ich habe gelernt, an mich zu denken, mich in den Mittelpunkt zu stellen. Was sie macht, kann ich nicht beeinflussen. Hilfe hätte sie- von allen immer angeboten bekommen. Aber will sie nicht. Sie war natürlich zig mal im Krankenhaus, vor kurzem auch beim Hausarzt. Ihr Wasserbauch ist nicht zu leugnen, sie wird immer dürrer, hat aufgekratzte Stellen. Als meine Oma im hohen Alter starb, sah sie jünger und gesünder als als meine nun 40 Jahre jüngere Mutter.
Kognitive Schäden nehme ich dank meines Studiums bei ihr auch wahr- meine Familie schaut noch drüber hinweg.
Also das Kind ist definitiv in den Brunnen gefallen. Jetzt kümmere ich mich um mich und bin mir näher als in den Jahren zuvor. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr verändert, auch äußerlich. Menschen, die mich in der Zeit nicht sahen, erkennen mich nicht mehr wieder. Persönlich bin ich viel selbstbewusster geworden, schaffe es, nein zu sagen.. Sorge für genügend Entspannung und Ruhe. Mutter hätte es lieber, wenn ich mich bis zur Erschöpfung abracker, denn nur dann ist man nicht faul- das ist auch oft genug schon passiert. Im letzten Jahr war ich drei Mal wg Erschöpfung beim Hausarzt. Nun lasse ich das nicht mehr zu.
Räumlich bin ich eine km-Anzahl im dreistelligen Bereich weggezogen, bin alle 3 Wochen zu Hause, rufe 1Mal die Woche zum oberflächlichen Gespräch an. Bis vor ein paar Jahren war ich in jeder freien Minute zu Hause. Das ist nun anders.
Ansonsten merke ich aber, dass sich diese Sozialisierung auf alles auswirkt. Am heftigsten merke ichs im Freundeskreis. Mein Partner ist Gott sei dank stabil und das beste, was mir passieren konnte. Dennoch leidet unsere Beziehung unter meinen familiären Problemen. Ich bin häufig sehr angespannt, was ihn verunsichert. Oder ich habe dieses typische Desinteresse von ihnen übernommen. Ich kenne es nicht, dass man sich für andere interessiert, Fragen nach dem Tag stellt. Oder wie der Urlaub ist. Damit kann er nicht umgehen, weil seine Eltern das komplette Gegenteil sind. Daran arbeite ich momentan.
Aber "Freundinnen"- ich sehe dort die selben familiären Strukturen und Muster. Auch 3 Freundinnen mit einem Alkoholproblem. Viele "Freundschaften" sind von Respektlosigkeit mir gegenüber geprägt, eine schreit mich sogar öfters an, andere werten mich ab, um sich in ihrer Situation besser zu fühlen. Ich habe dort die selbe Position wie zu Hause eingenommen, wird mir so langsam bewusst. Ich denke, das ist meine aktuelle Baustelle. Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass ich in eine Art Co-Abhängigkeit geraten bin bei einer Freundin (die, die gerne schreit, ohne zu merken, dass sie schreit). Nicht so heftig wie bei meiner Mutter. Aber ich merke nun ihre Manipulation deutlich und denke mir echt, was ich mir da habe einreden und gefallen lassen.
Meine restliche Familie (seitens meiner Mutter) ist von diesen Strukturen auch geprägt. Es gibt mehrere Alkoholiker in der Familie, sodass sich diese Strukturen überall ausbreiten. Für alle bin ich der Sündenbock, das haben sie gemeinsam. Daher hab ich nun dort den Kontakt abgebrochen.
Auch scheine ich alle "Opfer" magisch anzuzuziehen. Auf meiner Stirn steht anscheinend "Ich helfe euch allen" in leuchtenden Buchstaben geschrieben. Das gilt es zu ändern.
Naja, ich weiß jetzt nicht genau, welchen Zweck mein Beitrag hat. Respekt an jeden, der ihn durchgelesen hat
Ich habe in das Angehörigenforum geschrieben, da es nicht zu 100% meine Familie betrifft- mit meiner Mutter komme ich auch klar. Das ist gesackt. Aber diese Unfähigkeit, richtige und nicht zweckbestimmte Freundschaften aufzubauen- die ist mein aktuelles Problem.
Ich würde mich auf jedenfall auf euren Input freuen- was euch durch den Kopf geht. Vielleicht seht ihr Aspekte, die ich überlesen habe?
Diesen "Aha-Effekt" hatte ich hier schon oft.. Vielleicht hilft er mir auch in diesem Bereich. =)
Danke fürs Lesen!
Viele Grüße,
Zimttee