Schuldgefühle einer Tochter

  • Hallo,

    wie schon in meiner Vorstellung erwähnt ist mein Vater Alkoholiker seit ich auf der Welt bin. Ich bin 26. Ich wohne dort seit 10 Jahren nicht mehr und besuche meine Eltern eher selten. Unsere Beziehung ist vorhanden, aber nicht sehr eng.

    Die Situation ist diesen Monat völlig eskaliert, er kann seit 5 Wochen nicht selbst laufen, sich waschen oder zur Toilette. Meine Mutter pflegt ihn und geht daran kaputt, hat aber auch nicht den Willen zu gehen oder mit Nachdruck etwas zu tun. Er hatte mehrere Rehas oder Suchtklinikaufenthalte angeboten bekommen, aber im letzten Moment ausgeschlagen.

    Ich gehe kaputt an den Schuldgefühlen. Warum habe ich nicht früher was getan? Warum habe ich das so hingenommen? Wie verantwortlich bin ich für alles? Er ist depressiv, alles was ihm im Leben widerfahren ist hat er sich nicht ausgesucht. Der Tod seines Vaters (der genau so Suchtkrank war), mehrere Jobs verloren aufgrund von Alkohol, jetzt die Frührente und dann auch noch ein Schuldenberg aufgrund Steuerhinterziehung (für die meine Eltern völlig selbstverantwortlich sind)

    Ich habe mir nicht ausgesucht auf diese Welt zu kommen mit diesem Vater. Aber er hat sich auch nicht dieses Leben ausgesucht? Ich MUSS helfen aber ich kann mich nicht überwinden hinzufahren und ihn sterben zu sehen. Ich hab versucht einen Arzt anzurufen und kommen zu lassen aber die haben aufgrund der "Diagnose Alkohol" mich abgewimmelt, obwohl er nur apathisch rumliegt.

    Ich will helfen, aber mehr meiner Mutter als ihm!

    Ich freue mich über Austausch...

  • Hallo Al_hl,

    herzlich Willkommen in diesem Forum. Du kannst hier sehr, sehr viele Informationen finden, die dir vielleicht helfen werden, deine Situation besser einschätzen zu können. Vielleicht findest du dich selbst auch in dem einen oder anderen Erfahrungsbericht wieder.

    Mir jedenfalls ging das und geht das so.

    Ich verstehe dich so, dass derzeit sozusagen zwei Seelen in deiner Brust schlagen. Die eine fühlt sich verantwortlich und sagt, dass du helfen musst und „zwar mehr deiner Mutter als ihm“ und dass du hinfahren musst. Die andere Seele sagt deutlich, „ich kann mich nicht überwinden hinzufahren und ihn sterben zu sehen“.

    Du steckst in einem Dilemma, weil du nicht beiden Seelen gerecht werden kannst.

    Es stellt sich die Frage, was dir jetzt helfen könnte/ was dich stärken könnte/ ob sich das Dilemma auflösen lässt.


    Ich möchte dir ein paar Fragen stellen, vielleicht hilft dir das weiter. Wenn nicht, lass sie einfach liegen.

    Du bist mit 16 Jahren von zuhause weggegangen, das wird seine guten Gründe gehabt haben, und du besuchst deine Eltern eher selten, was vermutlich auch gute Gründe hat.

    Was hat dich dazu bewogen, diese Schritte zu gehen? Welche Gefühle hattest du dabei? Aus welchen Gründen besuchst du deine Eltern selten? (Du musst dich hier nicht rechtfertigen und ich will dir gewiss keinen Druck machen, sondern die Fragen sollen dir helfen, dich selbst und deine Bedürfnisse klarer wahrnehmen zu können. Und etwas klarer bezüglich deiner Schuldgefühle werden zu können.)

    - Ich selbst bin nach dem Tod meines Vaters im Alter von 15 Jahren von zuhause weg und ich hab das aus purem Überlebensinstinkt gemacht. Das Verhältnis mit meiner Mutter war später wieder viel besser, aber die Telefonate und Besuche haben mir mitunter nicht gut getan und mein Therapeut fragte mich mal, warum ich etwas tue, was mir selbst nicht gut tut.

    Ich gehe kaputt an den Schuldgefühlen. Warum habe ich nicht früher was getan? Warum habe ich das so hingenommen? Wie verantwortlich bin ich für alles?

    Schuldgefühle sind mir selbst auch gut vertraut, auch Scham. Es scheint so, dass das typisch für EKAs ist.

    Dreh das Ganze aber mal um und versuch mal es aus der Distanz zu betrachten: (Stell die Fragen deinem Inneren und höre dabei auf deine eigenen Antworten.)

    Hättest du denn früher überhaupt etwas tun können, als 8-, als 10-, als 16-Jährige usw.?

    Glaubst du, das DU deinen Vater hättest heilen können?

    Deine Eltern sind beide erwachsene Menschen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen. Hätten Sie sich von ihrem Kind in ihr Tun dreinreden lassen?

    Hätte dein Vater sich nicht auch selbst Hilfe holen können und müssen? Und ebenso deine Mutter? Hätte er nicht auch Verantwortung für sein Leben und seine Taten übernehmen müssen, so wie du es tust?


    Wie gut kennst du dich inzwischen mit der Krankheit „Alkoholismus“ und mit „Co-Abhängigkeit“ aus?

    Dein Vater scheint gewählt zu haben und deine Mutter auch ...

    Wo bleibst DU dabei?

    Du hast einen (?) Arzt angerufen, aber die haben aufgrund der „Diagnose Alkohol“ abgewimmelt. Welche Gedanken und Gefühle hast du deswegen? Würde es dir helfen, noch andere Ärzte zu kontaktieren?

    Kann deine Mutter sich nicht Hilfe von Außen holen?

    Hast du dich schon mal mit einer Suchtberatungsstelle in Verbindung gesetzt und dich dort beraten lassen?

    Ich habe mir nicht ausgesucht auf diese Welt zu kommen mit diesem Vater. Aber er hat sich auch nicht dieses Leben ausgesucht?

    Du hast es dir nicht ausgesucht, aber nun bist du da. Verantwortlich bist du nur für dich selbst. Das ist nicht nur so daher gesagt, ich selbst musst das auch erst lernen.

    Dein Vater hat sich auch nicht ausgesucht, in welcher Familie er geboren wird und aufwächst, aber sein Leben hat er letztlich selbst so gestaltet. Er hat im Laufe seines Lebens Entscheidungen getroffen, die ihn in die oder die Richtung gebracht haben.

    Das gilt im Übrigen auch für deine Mutter. Beide können sich Hilfe holen oder hätten es tun können.

    Ich MUSS helfen aber ich kann mich nicht überwinden hinzufahren und ihn sterben zu sehen.

    Da ist etwas in dir, dass sich dagegen wehrt, hinzufahren. Nimmst du es als Freund oder als Feind wahr?

    Welche Motive könnte es haben, sich zu wehren?

    Das sind kreuz und quer ein paar meiner Gedanken zu dem, was ich bei dir gelesen habe. Vielleicht ist etwas dabei, dass dir weiterhilft.

    Die Eltern so zugrunde gehen zu sehen, tut unheimlich weh. Und seinen eigenen Weg zu finden, habe auch ich als sehr schwer empfunden.

    Noch heute bin ich auf der Suche nach MEINEM Weg, deshalb habe ich mir auch diesen Nickname ausgesucht. Inzwischen habe ich Vieles finden dürfen, was MIR weiterhelfen könnte und -hilft.

    Liebe Grüße

    AufderSuche

    Einmal editiert, zuletzt von AufderSuche (24. Juli 2021 um 14:12)

  • Hallo al,

    was glaubst du helfen zu können?

    Du wirst schwerlich für deinen Vater trocken werden können.

    Du könntest deiner Mutter helfen & in der Folge selbst an dieser Sache zugrunde gehen.

    Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns.
    Vor uns liegen die Mühen der Ebenen. (Bert Brecht) 8)

  • Hallo al hl,

    herzlich Willkommen hier bei uns!

    Ich bin selber EKA und weiß, wie zermürbend das manchmal ist. Man meint, man könne helfen, aber nix geht. Sie haben ihre Entscheidungen getroffen und von außen kann man nichts erzwingen.

    Wenn dein Vater im Sterben liegt, dann würde ich versuchen herauszubekommen, ob er eine Pflegestufe/grad hat. Ab einem bestimmten Grad hat man nämlich das Anrecht auf häusliche Pflege. Wer kann einem da beraten? Der nächste Pflegestützpunkt/Sozialstation/gemeindepsychiatrischer Dienst. Die helfen einem auch durch die Bürokratie und die Anträge und die Gutachten-Termine. Alles nicht so schlimm wie es sich anhört.

    Möglicherweise wäre das genau die Entlastung, die dir und deiner Mutter wirklich was bringen würde.

    Klar will man helfen, aber man kann das ja delegieren!

    Es gibt Hilfe für den Haushalt und häusliche Pflege. Beides wird über die Pflegekasse bezahlt und von den Sozialstationen oder anderen Trägern geleistet.

    .... wenn es deine Eltern denn annehmen.

    Wenn sie das nicht wollen, würde ich mich ausklinken. Man selber kann eben nicht alles selber machen, sonst geht man kaputt.


    Nochwas zu den Schuldgefühlen. Ich übersetzte es mal mit fehlprogrammiertem Verantwortungsbewußtsein. In einer Alkoholikerfamilie vertauschen sich nämlich unweigerlich die Rollen. EIGENTLICH müssten nämlich die Eltern für die Kinder da sein. Lass dir das bitte auf der Zunge zergehen. Das wäre nämlich der Normalfall.

    In einer Alkoholikerfamilie wird es von den Erwachsenen so hingebogen, daß Kinder und andere Angehörige "Schuld" am Trinken seien. "Wenn du bessere Noten heimbringen würdest, müsste ich nicht saufen. - Wenn ihr leiser spielen würdet, würde er weniger trinken. - Wenn du dies und das und sonstwas machst, dann hört er auf zu trinken..............................."

    Quatsch!

    Kinder sind niemals verantwortlich für den Alkoholismus der Eltern.

    Aber sie bekommen die Verantwortung aufgehalst und da man als EKA damit aufwächst, ist das wie Gehirnwäsche. Das mit deinem Schuldbewußtsein ist etwas, was dir das kranke Familiensystem eingepflanzt hat und jetzt ein Eigenleben entwickelt hat.

    Normal wäre, daß ein Kind umsorgt, gefördert und fit für die große weite Welt gemacht wird. Und dann losgelassen wird. Dann kommt es auch gerne mal wieder zu Besuch.

    Krank ist, daß ein Kind Schuldgefühle und Verantwortunge zugeschustert bekommt an der Sauferei der Eltern, daß es jahrzehntelang im Familiensumpf gefangen ist und Magengeschwüre bekommt bei der Vorstellung, mal in Urlaub zu fahren...

    Liebe Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Al_hl,

    rufe einen Notarzt...112...keinen normalen Arzt.

    Wenn tatsächlich Lebensgefahr besteht, müssen sie deinen Vater mitnehmen. Gegebenenfalls auch gegen seinen Willen.

    Voraussichtlich nimmt es dir auch (hoffentlich ganz viel) die Schuldgefühle.

    Mach Dich nicht weiter kaputt! Spreche es mit deiner Mutter ab...oder auch nicht!!!

    Beste Grüße

    Topema

  • Hi al_hl,

    deine geschriebenen Worte waren viele, viele Jahre der Hauptteil meiner Gedanken.

    Immer (seit Grundschulalter) habe ich mich um meine Mutter (und kleinen Bruder) gekümmert, auch als ich selbst Mutter wurde.

    Besonders da ich selbst im Gesundheitswesen arbeite, hatte ich immer das Gefühl des „muss“, habe viel gegeben von mir, sie hat mir immer ein schlechtes Gewissen gemacht. Es sei doch meine Aufgabe mich zu kümmern.

    Aber nein, das ist es und war es auch nie.

    Ich hab mir meine Eltern nicht ausgesucht, keiner hat gefragt, ob ich geboren werden möchte.

    Meine Eltern hätten keine Eltern werden sollen.

    Meine Aufgabe ist es, mich um mich und meine Kinder zu kümmern, sonst keinen.

    Deine Eltern sind erwachsen. Es gibt Hilfen in diesem Land, Du kannst nichts besser machen, Du kannst keinen heilen.

    Meinen Kindern kann ich keinen Alkohol geben (bis sie 18 sind), aber Erwachsene entscheiden für sich selbst.

    Kinder haben keine Schuld an dem Verhalten oder der Gesundheit der Eltern.

    Ich habe mittlerweile damit Frieden geschlossen, habe keine Wut mehr.

    Wenn meine Mutter medizinische Fragen hat, beantwortete ich diese, aber ich grenze mich ab davon.

    Bei dem beschriebenen Fall ist der Gedanke an ein Pflegeheim ggfs nicht schlecht. Aber auch Deine Mama entscheidet sich selbst dafür, Deinen Vater zu pflegen usw. Man kann (mündigen) Erwachsenen nicht Entscheidungen abnehmen.

    Liebe Grüße

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