Kontaktabbruch vs. Kontakt ruhen lassen

  • Hallo,

    als EKA wächst man mit einem oder zwei Alkoholikern auf. Das macht was mit einem und stellt früh die Weichen in schwieriges Terrain...

    "Normalerweise" ist es so, daß junge Menschen irgendwann von zuhause ausziehen, ins Berufsleben oder Studium einsteigen, selber eine Familie gründen. Ab und zu kommt man gerne noch heim zu Mama, schlägt sich den Bauch voll mit Kuchen, feiert Geburtstage oder Weihnachten - lebt aber ansonsten sein eigenes Leben.

    Aber bei EKA ist das anders. Die bekommen von klein auf so bekloppte Sachen eingeredet, wie zum Beispiel, daß sie Schuld sind an der Sauferei der Erwachsenen. Die Eltern sind doch krank und einen Kranken läßt man doch nicht im Stich... Oder daß sie nicht ausziehen dürfen, weil der Papa oder die Mama dann NOCH mehr trinken würde. Oder daß sie nicht ausziehen dürfen, weil dann der Papa oder die Mama rückfällig würde. Oder daß sie nicht so egoistisch sein sollen. Oder, ganz perfide, daß sie ohne die Eltern eh nichts auf die Reihe kriegen und aus ihnen eh nichts wird............ bla bla bla.

    Unterm Strich kommt raus, daß EKA sich nichts zutrauen, sich aber andererseits für das Wohl und Wehe des Alkis verantwortlich und zuständig fühlen. Gerne mal bis sie selber 60 Jahre alt sind und die nassen Eltern im Altersheim sind. Die eigene Lebenszeit verrinnt zwischen den Fingern und die Angst um die Eltern verursacht Magengeschwüre beim inzwischen erwachsenen EKA. Die eigene Lebensplanung fällt hinten runter, weil alles, wirklich alles nur noch aus der Perspektive der suchtkranken Familie gesehen werden kann. Ein Leben außerhalb der Suchtstruktur ist unvorstellbar.

    Depression, mißglückte Partnerwahl, Einsamkeit, Zweifel, Ängste, frühe Berentung, eigenes Suchtverhalten u. v. m. sind die zweifelhaften Errungenschaften vom EKA. Nur sehr selten gibt es EKA, die fröhlich und selbstbewußt mit Urvertrauen und Selbstverständlichkeit ihren Weg machen.


    Die Überschrift hier im Thread ist:

    Kontaktabbruch vs. Kontakt einschlafen bzw. ruhen lassen.

    Ist doch dasselbe? nein.

    Viele melden sich hier an und haben durchaus noch Kontakt zu ihrem sehr gesunden Bauchgefühl, das ihnen genau sagt, was sie eigentlich tun sollten: Gehen und den Alki Alki sein lassen. Aber dann kommt die fest installierte innere Stimme, die das Gegenteil sagt. "Man" kann doch die arme Mama, den armen Papa nicht alleine in ihrem Dreck verrecken lassen. Die brauchen einem doch, sonst würde es ihnen noch viel schlechter gehen.....

    Diese innere Stimme ist kontraproduktiv, in vielfacher Hinsicht. Es sind die von klein auf gehörten gesprochenen und ungesprochenen Gesetze einer Alkoholikerfamilie, daß das EKA sich co verhalten muss, um das kranke Familiensystem aufrecht zu erhalten. Diese frühe und langjährige Gehirnwäsche ist so erfolgreich, daß es einem als erwachsenes EKA völlig unklar ist, wer man EIGENTLICH wäre, wenn die Eltern nicht gesoffen hätten. Traurig sowas.

    Um selber aus dem Suchtstrudel rauszukommen und ein einigermaßen gesundes Leben führen zu können, ist Abstand zu den Eltern Grundvorraussetzung. Doch als EKA hat man eine jahrelange Hirnwäsche hinter sich und ist vielleicht schon co-abhängig. Der innere Widerstand, die Eltern zu verlassen, ist riiiiiiiiiiesig. Das Gefühl, die Eltern retten zu müssen und auch retten zu können, zwingt EKAs in einer absolut kranken Suchtstruktur zu verharren. Das wird verharmlosend "schlechtes Gewissen" genannt, aber es ist die unsichtbare Fessel, die ein EKA jahrzehntelang festhält, ohne daß man aus der Nummer rauskommt.

    Was tun?

    Von außen rät einem jeder, die Freundinnen, die Kollegen, der Partner, die Suchtberatungsstelle, die Therapeutin dasselbe: ABSTAND.

    Aber man selber kann sich das gar nicht vorstellen.

    - Bringt doch eh nichts.

    - Dann gehts den Eltern noch viel schlechter.

    - Dann wird er rückfällig.

    - Dann bringt sie sich um.

    - Das schaffe ich nicht.

    - Das traue ich mir nicht zu.

    - Ich weiß gar nicht, was ich dann mit meinem Leben überhaupt anfangen soll.

    - Aber meine Kinder brauchen doch ihre (nassen) Großeltern...

    -

    -

    Die Liste ist unendlich.

    Und die eigene Lebenszeit rinnt einem durch die Finger, man wird immer älter, kränker, ist erfolglos, hat diverse Krankheiten, geht jahrelang zum Therapeuten, fängt selber das Saufen, Fressen oder sonstwas an - und die Eltern werden ü 80 und saufen immer noch... Oder sie sterben am Suff und man selber kommt 20 Jahre danach vor schlechtem Gewissen nicht aus der Depression raus...

    Einmal trauriges EKA, immer trauriges EKA.

    Oder?

    Abstand.

    Wie kann Abstand gelingen? Wie wird aus äußerem Abstand innerer Abstand? Wie kann ich bei mir bleiben? Darf ich überhaupt glücklich sein? frei sein? Darf es mir gut gehen, obwohl es den Eltern schlecht geht??


    Eine Hilfestellung auf dem Weg ins eigene, selbstbestimmte Leben kann sein, sich mit dem bedrohlich wirkenden Wort "Kontaktabbruch" anzufreunden.

    Wenn ich den Kontakt zu den Eltern abbreche, geht dann die Welt unter?

    Was, wenn ich den Kontakt nicht abbreche, sondern reduziere? Wäre das ein gangbarer Weg?

    Würde ich mich besser fühlen, wenn ich den Kontakt erst einmal einschlafen lasse?

    Das ist ein softer Übergang. Abbruch hört sich hart an und schwer umsetzbar. Aber wenn man den Kontakt einschlafen läßt, wenn man den Kontakt erst einmal reduziert, dann könnte das eher machbar sein, oder?

    Als EKA muß einem klar werden, daß der schlimmste Kontaktabbruch nicht der zu den Eltern ist, sondern der zu einem selbst.

    Es geht darum, zu sich selber den Kontakt wieder herzustellen und mit sich selber in Kontakt zu bleiben. Dafür braucht es ein lebendiges, angstfreies Biotop. Man DARF den Abstand zu Menschen verändern, die einem nicht gut tun. Das ist in Ordnung. Man DARF als junger Mensch daheim ausziehen, schon Vögelküken fliegen irgendwann aus dem Nest aus. Das ist normal. Nicht normal ist, wenn man zeitlebens um den nassen Alkoholiker kreist. Das nennt sich Suchtstruktur oder Familienkrankheit Alkoholismus.

    Ausstieg aus der Abwärtsspirale ist erlaubt.

    Abstand zu destruktiven Strukturen ist erlaubt.

    Dann kommt wie von Zauberhand derjenige, diejenige zum Vorschein, der/die man eigentlich ist. Klar, irgenwelche Schrammen behält man als EKA davon, aber man kommt in Kontakt mit sich selber, man entwickelt sich, man trifft Entscheidungen. Man kann wählen, womit man sich beschäftigt, mit wem man sich befasst, mit wem man zusammen ist.

    Man kann den Kontakt zu suchtkranken Menschen einschlafen lassen und gibt sich dadurch selber die Chance, sich zu entwickeln und aufzublühen. Umgib dich mit Menschen, die dir gut tun. Lass alles weg, was dir nicht gut tut. Gesunder Egoismus ist gesund, laß dir bloß nix anderes einreden.

    Interessant ist, daß man als EKA und Co dabei "hilft", den nassen Alkoholiker nass zu halten. Dem gehts ja "gut" im Sumpf. Alle kreisen um ihn. Sie gehen mit ihm unter, aber das merkt man erst nach Jahrzehnten. Die Kotze und Pisse eines nassen Alkoholikers wegzuputzen, ihm den Alk zu beschaffen, ihn bei seinem Arbeitgeber zu entschuldigen usw. usw., all das hält den Säufer am Saufen.

    Man stelle sich vor, man gibt ihm seine Verantwortung zurück und hält Abstand, hält sich raus, zieht aus. Das ist die Chance für sich selber, aber auch für den Alkoholiker. Wohlmöglich kommt er schneller an seinen Tiefpunkt, der sein Wendepunkt werden kann. Aber viele saufen sich trotzdem zu Tode, egal ob die Angehörigen bleiben oder gehen.

    Von daher kann man bedenkenlos gehen.

    Kontakt abbrechen muß nicht sein. Man kann den Kontakt einfach einschlafen lassen. Oder den Kontakt ruhen lassen.

    Oder sich nur vormittags treffen, wenn das Elternteil noch einigermaßen geradeaus gehen kann.

    Man kann die Begegnungen weglassen oder selber gestalten. Oder mittendrin abbrechen. Oder vertagen.

    Man hat die Wahl. Als Kind hatte man keine Wahl. Aber als Erwachsene hat man die Wahl, wie man die Begegnungen gestaltet oder überhaupt haben möchte, wo, wie oft, wie lange...

    Fangt an, mit dem Abstand zu spielen, bis ihr herausfindet, welcher Abstand der richtige für euch ist.

    LG, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Liebe Linde,

    das sind so schön gesprochene Worte und wie birnane schon sagte: So wahr. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass die Suchtstruktur nicht aufhört, sobald der Betroffene trocken ist. Die eingeschlichenen toxischen Familienmuster bestehen fort - nur halt ohne Alkohol. Deswegen darf sich jedes EKA oder jeder sonstige Angehörige auch die Freiheit nehmen den Kontakt abzubrechen, auch wenn das "offensichtliche" Problem bereits nicht mehr vorhanden ist.

  • Hallo liebe EKA!

    Ich hole mal diesen älteren Thread nach oben, denn als EKA kommt man zeitlebens immer mal wieder an den teils sehr schmerzhaften Punkt:

    Kontakt halten - Kontakt abbrechen - Kontakt einschlafen lassen ??

    Ich würde mich freuen, wenn von euch weitere Meldungen zu dem Thema kommen.

    Wie geht ihr damit um? Wie geht es euch dabei? Habt ihr das Gefühl co-abhängig gegenüber euren Eltern zu sein oder seid ihr inzwischen freier in eurer eigenen Lebensgestaltung? Was hat euch auf dem Weg geholfen?

    Viele liebe Grüße, Linde (EKA)

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Guten Morgen.

    Gerade habe ich angefangen bei Jada zu erzählen, wie das bei mir war, mit dem unbedingt klaren Verhältnisse schaffen wollen, weil ich der Meinung war das wäre ich als gute Tochter und netter Mensch irgendwie schuldig. Als es immer mehr Text wurde, dachte ich es passt vielleicht doch besser hier her.

    Im Rahmen einer Therapie wurde mir das verdrehte Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir mehr und mehr bewusst. Also nicht das es verdreht war, sondern wie schädlich sie als Person und mit allem was da dran hing, für mich und mein ganzes Leben war.

    Aber sie los lassen, aufgeben, für immer verlieren und dann keine Mutter mehr zu haben und meine Kindern die Oma weg zu nehmen… Eine grauenvolle Vorstellung und anfangs ein Ding der Unmöglichkeit.

    Meine Angst war aus ihr werden würde, wenn ich aufhöre mich zu kümmern war riesig. Man lässt seine Mutter ja auch nicht einfach so im Stich, das gehört sich einfach nicht.

    Also habe ich, mit therapeutischer Hilfe, Pläne gemacht, wie ein Kontakt alternativ aussehen könnte. Habe ausprobiert, Gesprächsthemen ausgeklammert, Tageszeiten vermieden, mir einen ab gestrampelt, damit es irgendwie doch klappen könnte. Nur bei uns, nur bei ihr, nur auf neutralem Boden, in der Rückschau war das ein wahnsinniger Eiertanz 😂

    Leider hat nichts funktioniert, teilweise für die anderen, ganz bestimmt für meine Mutter, aber nie für mich. Mir ging es weiterhin schlecht damit und ich kam aus meinem Gedankenkarusell gar nicht mehr raus. Es hat sich so viel nur noch darum gedreht, wie Kontakt gelingen könnte und wie es ihr geht und warum ich nicht… Meine Familie kam zu kurz vor ne mein Leben fühlte sich nicht mehr an wie meins.

    Dabei hatte ich mich früher schon einmal frei gestrampelt und viele Jahre weit weg und weitestgehend von der Familie los gelöst gelebt. Mit meinen eigenen Kindern startete aber eine völlig neue Phase, mit Sehnsüchten, Erwartungen und der Kontakt wurde schleichend intensiviert.

    Als ich erkannte, dass ich auf einmal wie zurück geworfen war, in meine Kindheit in das Kreisen um die Bedürfnisse meiner Eltern, da wollte ich eine Pause davon, am besten sofort.

    Ich bin dann erstmal innerlich rum geeiert und dachte ich müsste klare Worte sprechen und ganz genau sagen was Sache ist und wie es weiter geht. Das konnte ich aber gar nicht, weil mir ja gar nicht klar war, wie sich meine Bedürfnisse entwickeln würden.

    Gestartet sind wir also mit meiner sehr deutlichen Ansage, ich würde jetzt gerade für mich und meine Familie Abstand brauchen. Auf unbestimmte Zeit und wenn ich so weit bin, dann nehme ich den Kontakt wieder auf.

    Die Reaktion war ein wenig Unverständnis und Abwehr und so ein „na wenn du meinst, dann mach halt“

    Für eine Weile wurde mein Wunsch nach Ruhe auch akzeptiert und dann wurde es langsam und in kleinen Happen ignoriert, es wurde Kontakt gesucht und gesagt das es ja nun wohl reichen würde und ich mir genug Abstand genommenen hätte.

    Bis zu diesem extrem übergriffigen Verhalten, teils mit alt bekannten Beschimpfungen und zu tageszeiten, bei denen der Zustand mindesten fragwürdig war, bis dahin war meine innere Haltung wirklich sehr offen und sogar wohlwollend geblieben. Ich dachte, wenn ich eine Weile Abstand hätte, dann würde ich bestimmt einen Weg finden, damit Kontakt in Zukunft besser funktionieren würde und es mir nicht mehr so schlecht gehen würde damit. Wie gut mir der Abstand tat, konnte ich zwar sehen, aber nicht so recht als legitimen Dauerzustand anerkennen.

    Und dann wurde gedrängelt, auf mich eingeredet, meine klar formulierte Grenze nicht eingehalten und nach und nach habe ich dicht gemacht. Es waren letztlich ganz wenige Telefonate, aber in mir ist plötzlich eine Klappe gefallen, auf allen Ebenen waren alle meinen Grenzen überschritten und ich wollte das nicht mehr, nie mehr.

    So wurde aus ruhenden Kontakt plötzlich ein Kontaktabbruch, mit dem ich zu dem Zeitpunkt gar nicht gerechnet hatte. Kontaktabbruch war ursprünglich nicht mein Ziel. Aber es war meine Chance auf Heilung, meine einzige Chance.

  • Hallo Lea,

    lieben Dank für deine ausführliche Antwort. Wie Linde schon schrieb: Abstand zu schaffen ist die einzige Möglichkeit sich aus den kranken Familienstrukturen zu lösen.

    Deine Geschichte verdeutlicht aber sehr gut, dass das Thema Kontaktgestaltung bzw. Kontaktabbruch zu den alkoholkranken Eltern ein langwieriger und in vielen Fällen sicherlich auch schmerzvoller Prozess ist. Daher gefällt mir Lindes Ansatz so gut, mit dem Abstand zu spielen, rauszufinden, was einem gut tut und was nicht. Auch wenn dieser Weg vielleicht letztendlich in den völligen Kontaktabbruch führt, so wie bei dir. Ich selbst bin wohl grad in der Phase des "Rumeierns", aber deine Geschichte macht mir Mut, dass auch ich meinen Weg finden werde.

  • Ich selbst bin wohl grad in der Phase des "Rumeierns",

    Ach was 😊 Ich glaube es hat sich nur in Nachhinein nach „rumeiern“ angefühlt, weil ich mir einen schnelleren und weniger schmerzhaften Prozess gewünscht hätte.

    Die Wortwahl von Linde gefällt mir viel besser, denn es war ja auch ein langsames ran Tasten, mit den Möglichkeiten spielen, gucken was mir passt und was halt nicht.

    Dieser Prozess war notwendig, denn so kann ich heute voll und ganz hinter meinen Entscheidungen stehen. Ab und an schmerzt es noch, wird es vermutlich immer. Aber die innere Sicherheit es für mich und für meine Kinder genau richtig zu machen, das hilft über jeden Schmerz oder schwierige Phasen hinweg.

    Liebe Grüße, Lea

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