Hätte es nicht gedacht

  • Guten Abend Forum

    Las ein Interview mit T.C. Boyle. Ein amerikanischer Schriftsteller, welcher von meiner Sicht her hervorragende Roman schreibt.
    An einer Stelle in diesem Interview machte er folgende Aussage:
    " Um ein Junkie zu sein - oder auch ein Alkoholiker - muss man einer sein wollen. Und das will man,wenn man keine Hoffnung und nichts zu verlieren hat".

    Uff. Da nage ich nun an dieser Aussage. Stimmt dies so? Trank ich aus Hoffnungslosigkeit? War mir alles wurscht? Oder meint Boyle die "anderen" Alkis, welche in der "Gosse" landen? Und ich als "Der-noch-gerade-die-Kurve-kriegte" bin gar nicht gemeint? Vielleicht bin ich ein "anderer" Alki, als die "Gossen-Alkis"? Und was will er sagen "...muss man einer sein wollen?"

    Muss über dies noch ein paar Tage nachdenken.

    Wünsche eine angenehme Bettruhe.

    Ernest

  • Hallo Ernest, wie gehts Dir heute?

    Kann mir schon vorstellen das so mancher trinkt weil er dem Leben keinen Sinn gibt und deshalb "sinnlos" findet. Aber sind die Gründe wirklich wichtig? Zudem sucht sich das süchtige Hirn gerne irgendwelche abstrusen Gründe um ja wieder die Flasche anzusetzen.

    Fakt ist: Alkoholiker sind abhängig von einer Substanz die Geist und Körper zerstört
    Empfehlenswerte Maßnahme: Davon loskommen und Wege finden um dies dauerhaft zu bewerkstelligen

    Wie sehen Deine Maßnahmen aus, was ist Dein "Masterplan" ?

    Lg Christian

  • Lieber Christian

    Nein, das Boyle'sche Interview hat keine Gelüste hervorgerufen. Das Verb "wollen" irritiert mich bzw. stimmt mich nachdenklich. Die gewollte Sucht! Ich dachte/denke, ich sei in den Alkoholismus "hineingeschlittert" (z.B. aus Langeweile; aus Disziplinlosigkeit; aus Zügellosigkeit; aus Gier zum Wein und weiß der Teufel noch was).

    Wie viel mal las ich in diesem Forum, dass die Gründe, welche zum Alkoholismus führten sekundär, ja gar unwichtig, sind. Ich bin nicht dieser Ansicht. Will ja nicht noch mal dieselben Böcke schießen. Und die Frage, ob ich (wissentlich oder unwissentlich) Alkoholiker werden wollte, dass beschäftigt mich schon.

    Klar könnte ich ganz einfach den Alkohol verdammen. Dieses Teufelszeug und ich mich als unschuldiges Opfer ansehen. Ist aber nicht so. ICH war der Täter!

    Aber meine Gedanken sind noch nicht ausgereift. Dieses Verb "wollen" wird mich noch eine Weile beschäftigen.

    Zum Masterplan: Weißt Du, Christian, ich kann dem Alkohol nicht ausweichen. Beruflich - manchmal auch privat - bin ich oft mit normal alkoholtrinkenden Menschen zusammen. Im Grosen und Ganzen ist mir dies egal. Saufgelage interessieren mich nicht und Säufer noch viel weniger. Also kann mein Masterplan nur ein rein kopflastiger sein. Und dieser geht halt nur über Disziplin und Selbstbeherrschung. Und diese "Tugenden" führen automatisch zu Ideen, Plänen (und deren Umsetzung) und Freude. Logisch bin ich kein Übermensch (siehe Weihnachten :)) und die Gefahr zum Griff zur Flasche wird wohl bis zum Lebensende bestehen.
    Doch, noch etwas Konkretes ist in meinem Masterplan: Der Fernseh-Kasten wird nur noch bewusst (und sehr selten) eingeschaltet. Und nur für ausgewählte Sendungen.

    Ach Gottchen - wie ging doch schon der italienische Song: Parole, Parole..... Oder auf gut Deutsch: Taten, statt Worte. :)

    Ein nachdenklicher Ernest wünscht einen angenehmen Abend.

  • Zitat

    " Um ein Junkie zu sein - oder auch ein Alkoholiker - muss man einer sein wollen. Und das will man,wenn man keine Hoffnung und nichts zu verlieren hat".

    Ich persönlich finde diese Aussage ist kompletter Schwachsinn.
    Geschrieben von jemanden, der keine wirkliche Ahnung von der Krankheit Sucht hat.
    Und das können mitunter sogar Menschen sein, die selbst betroffen sind.

    Ich für meinen Teil bin wirklich in die Sucht hineingeschliddert.
    Hauptsächlich durch die frühere Clique, in der sehr sorglos mit Alk umgegangen wurde und durch meine eigene Großkotzigkeit und Überheblichkeit, nicht an Sucht zu erkranken.
    Dazu noch einige äußere Umstände, die mit Alk leichter zu ertragen waren. Und irgendwann trank ich abhängig.
    Ich hatte in meinem Leben eigentlich immer Hoffnung, bin grundsätzlich eine Optimistin und ich hatte sehr wohl viel zu verlieren.
    Das man süchtig wird, weil man nix zu verlieren hat, ist doch Blödsinn.
    Sorry, aber ich kenne viele Menschen, denen es ebenso erging und die in die Sucht reinrutschten und sehr wohl viel zu verlieren hatten.
    Und es teilweise auch wirklich verloren.

    Zitat


    Klar könnte ich ganz einfach den Alkohol verdammen. Dieses Teufelszeug und ich mich als unschuldiges Opfer ansehen. Ist aber nicht so. ICH war der Täter


    Ernest, warum immer dieses Gequassel (ich drücke es mal salopp aus, ist nicht persönlich gemeint) über Opfer und Täter?
    Warum immer Gequassel über Schuld und Unschuld bezüglich unserer Krankheit?
    Bringt das irgendjemanden weiter?
    Mich hat auch niemand gezwungen, zu trinken, warum bin ich deshalb "Täter" geworden?
    Oder gar "Opfer"?
    Ich bin beides nicht, ich bin nur alkoholkrank geworden, mehr nicht !
    Und damit kann ich gut leben, ich kann doch ein zufriedenes trockenes Leben führen.
    Ich muss auch nicht auf meiner Krankheit rumreiten, meene Jüte, solange ich trocken bin habe ich doch nix groß auszustehen.
    Andere Menschen mit chronischen Erkrankungen sind doch teilweise sehr viel ärger dran, die haben viel mehr Grund zum jammern, aber ICH doch nicht.
    Meine Krankheit beeinträchtigt nicht mal meinen Tag, bis auf den Umstand, das ich Folgeschäden habe, aber da muss ich nun mal mit leben.
    Auch da jammere ich nicht groß rum, kann ich eh nicht mehr ändern.
    Es ist nunmal wie es ist, ich kann damit leben.

    LG Sunshine

  • Liebe Sunshine

    Potz, bist Du (wieder mal) direkt.
    Mit Deinen Worten " kompletter Schwachsinn" bin ich nicht einverstanden. T.C. Boyle - ob er jetzt recht hat oder nicht, ist schlussendlich egal - aktivierte die grauen Zellen zum unangenehmen Nachdenken über sich selbst. Und Schwachsinniges kann dies in der Regel nicht... :)

    Da ich von der Tiefenpsychologie weniger als Nullahnung habe, kam ich mit meiner Frage "trank ich mich bewusst in den Alkoholismus oder schlitterte ich hinein?" nicht wirklich weiter. bin froh und erleichtert, mich mit diesem Thema auseinander gesetzt zu haben, ohne Groll gegenüber mich oder irgendwas.

    Vermutlich, liebe Sunshine, habe ich halt einen (masochistischen) Drang zum Grübeln. :roll:

    Hingegen zur zweiten Aussage "Gequassel zu Opfer/Täter" bin ich mit Dir einig. Bringt tatsächlich nichts darüber nach zu denken. Dies ist eher für Menschen geeignet, welche von Natur aus Unschuldsengel sind.

    Bist Du immer noch in Russland? In meiner Gegend ist es sehr warm für die Jahreszeit. Vor dem Haus Krokus, Schneeglöckchen und Triebe von Narzissen etc., und hinter dem Haus immer noch große schmutzige Schneehaufen. Erinnert mich an ein Bilder-Kinderbuch, in dem der garstige Winter (bärtiger weißhaariger mürrischer Riese) gegen den holden Frühling (schlanke blonde leicht bekleidete lächelnde Frau) kämpft.
    Na, wenn ich mal mit dem Alkoholismus abgeschlossen haben, kann ich über dieses (meines?) Frauenbild nachdenken.... :) :)

    Ich wünsche Dir gute Gedanken und eine angenehme Nachtruhe.
    Ernest

  • Guten Abend Forum

    Zuerst das Allerwichtigste (für mich): Ich trinke nun seit Ende November 2017 keinen Alkohol. Hossa!

    Das Nichttrinken wird selbstverständlich. Eine Art Normalität.
    Nein, die Gelüste hingegen haben mich nicht verlassen. Warmer Sommer = kühles Bier / Gutes Essen = guter Wein etc. Aber diese,zum Glück recht kurzen, innere Drängeleien werden seltener.

    Ab und zu ein Albtraum (Ernest volltrunken irgendwo), kurzes Aufwachen... Uff, nur ein Albtraum.

    Wir alle wissen nichts über die Zukunft. Aber mit jedem Tag der Abstinenz wird die Zuversicht des lebenslangen Durchhalten stärker.

    Wobei das Wort "Durchhalten" eigentlich falsch ist. Durchhalten = Anstrengung.

    Also nochmals: ....mit jedem Tag der Abstinenz wird die lebenslange Freude am Leben grösser. Ja, tönt besser. Trifft den Nagel auf den Kopf.

    Wünsche einen angenehmen Herbstabend.
    Ernest

  • Hallo Ernest!

    Die gelegentlichen Grüße vom Suchtgedächtnis kommen mir sehr bekannt vor. Kommen wir in Situationen, in denen wir früher getrunken haben, kann es sich schon mal melden.

    Und mit den Träumen verarbeiten wir unser Leben und zu dem gehört nun mal auch die exzessive Phase.

    Du liest dich richtig gut.

    Gruß
    Carl Friedrich

  • Salutti CF und Forum

    Danke für Deine Antwort. Diese trifft den bereits erwähnten Nagel auch auf den Kopf.

    Der Sommer verlief angenehm ruhig und die Unternehmungslust war omni präsent. Nicht, dass ich stets gut gelaunt durch die Gegend pfiff; war auch zwischendurch schlecht gelaunt und mürrisch, aber das hat nichts mit dem Alk zu tun, sondern mit meinem eher unausgeglichenen Charakter. Aber im Gegensatz zu den Alkzeiten sind diese miesepeterigen Tage nun in der Minderzahl.

    Ich habe keinen Ersatz für den Alk. Will sagen, ich ersetzte den Alk nicht durch Fressen, nicht durch Sporttreiben, nicht durch "unanständige" Triebe oder weiß der Teufel noch was für Sachen (dies im Gegensatz zum ersten Jahr der Abstinenz).

    Ich halte die Augen einfach offen. Erledige Dinge, welche erledigt werden müssen, aber auch diejenige welche erledigt werden dürfen. Erlebe (!) die Umwelt. Wandere. Gucke. Tauche ein. Sogar die Langeweile ist kein Schreckgespenst mehr. Und die mürrischen Tage.... na, da bin ich halt mürrisch.
    Holzhacken ist da ein recht passables Gegenmittel .

    Und Ihr Ex-Alki's oder zukünftige Ex-Alkis: wie geht's den Euch so? (jaja - ich weiß: Alki = immer Alki, also gibt's keine Ex-Alkis. Ach Gottchen, lassen wir für einmal die Wortklauberei :D )

    Wäre schön, etwas Euren Urlaubserlebnissen zu lesen.

    Liebe Grüsse
    Ernest

  • Hallo Ernest,

    das Leben geht halt auch weiter nach dem Trinken. Mit allen Rechten und Pflichten die man nun mal so hat. Schön, dass du aber ganz klar sehen kannst, was sich nach dem Nicht-Mehr-Trinken verändert hat.
    Wow, fast zwei Jahre. Hut ab.

    Zitat

    Sogar die Langeweile ist kein Schreckgespenst mehr. Und die mürrischen Tage.... na, da bin ich halt mürrisch.

    Das ist eine Akzeptanz die man wirklich erst lernen muss. Davon hat man mir auch in der Klinik viel beigebracht.
    Naja, der Gelassenheitsspruch funktioniert ja genauso.
    Und den sage ich mir auch immer wieder in Gedanken auf wenn es mal zu Situationen kommt, die ich eben gerade nicht ändern kann.
    Auch wenn man sich die schlechte Laune vielleicht nicht immer sofort erklären kann, man akzeptiert einfach dass es so ist und nach einer Nacht drüber schlafen, sieht die Welt doch meistens auch wieder ganz anders aus.

    Zitat

    Und Ihr Ex-Alki's oder zukünftige Ex-Alkis: wie geht's den Euch so?

    Nett, dass du so in die Runde fragst. :D
    Ich habe meinen Urlaub meinen neuen Babykätzchen gewidmet.
    Habe die beiden eingewöhnt (damals 7 Wochen, jetzt 19 Wochen alt) und Vertrauen zu ihnen aufgebaut. Schöner hätte ich mir einen Urlaub auch kaum vorstellen können.
    Jetzt zeichnet sich nach und nach immer mehr der Charakter der beiden heraus (vorher haben sie entweder nur gespielt oder geschlafen) und es sind ganz liebe und süße Mäuse geworden.
    Es ist jeden Tag eine Freude sie zu erleben.

    LG

    Twizzler

  • Guten Abend Forum

    Wollte zuerst schreiben: Prost, jetzt sind's schon drei Jahre! (plus/minus ein paar Tage). Aber da hätte Sunshine mir wieder die Leviten gelesen, ich sei noch meilenweit vom Trockensein entfernt. :lol:

    Mag ja sein. Weiss ja auch niemand. Bin trotzdem ein bisschen stolz, dass ich seit eben diesen drei Jahren keinen Alkohol getrunken habe. Jedenfalls nicht bewusst. Will sagen, die Lupe um das Kleingedruckte auf den Lebensmitteln zu lesen, verlor ich leider schon sehr früh.

    Von allen sogenannten alkoholfreien Bieren/Weinen und weiss der Teufel noch was, mache ich seit dieser Zeit auch einen weiten Bogen, gönne mir aber manchmal beim Träumen vor einem Sonnenuntergang im Garten den bitteren Inhalt des kleinen dreieckigen Fläschchen aus italienischer Provenienz. Keine Panik: es ist nur gefärbtes Zuckerwasser.

    Kurz: Meistens ist mir so kannibalisch wohl wie 500 Säue und allen Zweifelnden, Unschlüssigen und Auswegsuchendem, welche vom Alk loskommen möchten, kann ich die Abstinenz wärmstens empfehlen. OK - die ersten Monate und mehr sind unlustig, mühsam und berg-und-tal-fahrtig. Aber dann, dann beginnt das Leben... (Potz, klingt das aber pathetisch).

    Wünsche allen eine gute Gesundheit, Lebensfreude und Alles-was-ihr-euch-wünscht.

    Ernest

  • Gefärbtes Zuckerwasser, nur weil die kleinen dreieckigen Fläschchen italienischer Provenienz so beim träumen vor einem Sonnenuntergang im Garten so rührselige Erinnerungen auslösen?

    Naja, immerhin trinkst du ja nichts. (Tust du ja wohl auch nicht.)

    Aber ich glaube, du solltest wieder des Öfteren hier ins Forum gucken.

    Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns.
    Vor uns liegen die Mühen der Ebenen. (Bert Brecht) 8)

  • Nene Dante, nichts mit rührseligen Erinnerungen. Einfach Wohlsein.
    Trinke neben dem roten Kleinen auch das weiße bittere Kleine, englischer Provenienz, mit dem gelben Etikett. Und Tee. Und Apfelsaft (selbst gepresst) etc etc etc. Ich trinke diese Getränke ja nicht ausschließlich, weil ich Durst habe. Sondern aus Lust und mit Genuss.
    Rekap: ich mag zwar alkkrank sein, bin aber noch lange kein Asket, auch kein Taliban. Und ich bin nicht mehr ein Sklave des Alk.

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