Erkenntnis Alkoholiker zu sein

  • Ich hätte nicht gedacht, dass ich hier nochmal ein Thema eröffne, aber ich versuche es nochmal.

    Zitat von Hull

    Berichte doch mal darüber, wie es dazu kommt, dass das frustrierend ist? Ich habe diesen Gedanken nie kennengelernt, da mir schon im Jugendalter klar war, diese Substanz anders zu konsumieren als andere Personen.

    Hallo Hull,

    Meine Sicht darauf, wie ich den Moment wahrnahm, dass ich Alkoholikerin bin, veränderte sich mit der Zeit.
    Und ja, ich muss in diesem Zusammenhang erwähnen, dass ich als frisch Angetrocknete diesen Moment anders wahrnahm, als ich ihn heute für mich mit etwas Abstand beschreibe.
    Während meiner Saufkarriere bezeichnete ich mich nicht immer als Alkoholikerin.
    Zunächst war ich es ja auch nicht. Ich trank grenzwertig, ja. Aber ich nahm meine Abhängigkeit vom Suchtstoff erst wahr, als sie bereits da war.
    Der Weg vom Missbrauch zum unkontrollierten Trinken dauerte viele Jahre, nahm aber zum Ende hin an Fahrt auf. Mehr Stoff, kürzere Pausen, tiefere Rausche, heftigere Angstattacken am nächsten Morgen...

    Die tatsächliche Erkenntnis Alkoholikerin zu sein, ist für mich nochmal etwas Anderes, als mein Gerede von Abhängigkeit kurz vor meinem Ausstieg. Da hatte ich für mich, wenn überhaupt, dann „ein Problem“ mit oder ohne Alkohol, wie man es sehen will.
    Ich zwang mir den Titel Alkoholikerin auf, als ich begann hier zu schreiben. Wo ich konnte, erwähnte ich ihn, um mich selbst daran zu gewöhnen. Damit zusammen hingen alle „Maßnahmen“, die nur Alkoholiker treffen, um mit dem Trinken aufzuhören (Grundbausteine). Heute nenne ich das die Konsequenz aus dem Eingeständnis Alkoholikerin zu sein.
    Dass ich diese Maßnahmen dringend benötigte, war mir nach einigen Tagen ohne Alkohol sehr klar.

    Meine erste Zeit ohne Alkohol war von großen Zweifeln geprägt, ob ich es jemals hinkriegen würde.
    Ich sah mich als Versagerin. Dazu kam, dass ich keine Ahnung hatte, warum die Trockenen in diesem Forum sich derart feierten und keine Gelegenheit ausließen, das schöne neu gewonnene Leben zu loben, denn ich quälte mich gerade und fand nicht viel bis gar nichts schön und toll.
    Wenn es mir damals bewusst gewesen wäre, hätte ich wohl zugeben können, dass mir das nun auch mir anhaftende Stigma Alkoholikerin zu schaffen machte. Dahinter steckte meine Eitelkeit und irgendwie auch die Angst vor der nicht zu übersehenden Wahrheit.

    Ich wählte die Offensive. Ich habe keine Ahnung, warum ich das tat.
    Ich sagte, dass ich Alkoholikerin bin und verbot mir irgendein „Aber“ dahinter. Immer wieder.
    Das empfand ich als sehr lästig und anstrengend. Erst recht, wenn irgendwer meine Selbstzweifel wieder dadurch weckte, dass er mir bescheinigte, dass ich keine Alkoholikerin sei. Es war Kampf. Und es war manchmal auch Quälerei.
    Irgendwann fühlte ich nichts mehr bei dem Satz: Ich bin Alkoholikerin. Ich bin es.
    Ob trocken oder nicht, erwähne ich heute nur sehr selten. Seit wann, fast nie.

    Wie habt ihr diese Erkenntnis für euch wahrgenommen?
    Gab es überhaupt so einen „Knackpunkt“ oder war es ein fließender Übergang?
    Ich würde mich freuen, wenn andere hier auch ihr Erleben schildern, ohne meine Fragen im Katalog abzuarbeiten.

    Viele Grüße,
    Penta

  • Hallo Penta,

    schön von dir zu lesen :-).

    Wie war es bei mir?

    Bei mir war der Übergang fließend. Ich habe die Erkenntnis jahrelang weit weg geschoben, das was mit meinem Konsum nicht stimmt wusste ich eigentlich von den ersten Kontakten an.

    Später dann, wenn ich an den Punkt kam, wo der Konsum meinen selbst gewählten Rahmen der gerade-noch-so-Akzeptanz erreicht oder überschritten hat, habe ich alles getan, um mir zu beweisen - ICH doch nicht.

    Ich habe mich vorsichtig ran getastet an die Erkenntnis und irgendwann fand ich das Eingestehen nicht mehr bedrohlich, sondern als eine Befreiung.

    Das hat mir den Weg gewiesen, würde ich rückblickend sagen.

    Liebe Grüße
    Maria

  • Hallo Penta,

    bei mir ist die Erkenntnis, Alkoholikerin zu sein, ja noch ganz frisch. Das vorherrschende Gefühl bei dieser Erkenntnis war Erleichterung.

    Ich hatte unter dem Alkoholkonsum gelitten, war aber immer der Meinung gewesen, nur so eine Art Missbrauch zu betreiben (Alkoholiker sind ja die anderen). Damit drehte ich mich natürlich im Kreis und fand keinen Weg raus. Mit der Erkenntnis öffnete sich aber der klare Ausweg vor mir.

    Den Satz "Ich bin Alkoholikerin" habe ich das erste Mal hier im Forum bei der Registrierung verwandt. Auch da war es ein Gefühl der Erleichterung und der Zuversicht. Ausgesprochen habe ich den Satz das erstemal vor zwei Wochen, als ich mit meinem Lieblingsmenschen offen gesprochen habe und klar war, das es sich nicht um eine Alkoholpause handelt.

    Ich habe inzwischen so viel über Alkoholismus gelesen, dass das anfänglich auch vorhandene Schamgefühl verschwunden ist. Ich bin krank. Ich habe ein alkoholkrankes Hirn. Dafür muss ich mich nicht schämen.

    Viele Grüße,
    MieLa

  • Hallo Penta,

    Zitat

    Wie habt ihr diese Erkenntnis für euch wahrgenommen?
    Gab es überhaupt so einen „Knackpunkt“ oder war es ein fließender Übergang?

    in der nassen Zeit wusste ich auch das ich durch meinen Konsum Alkoholiker werden konnte. Aber solange die Sucht mein nasses Denken steuerte, war das Wissen darüber, zu der Zeit, für mich unbegründet. Deshalb gab es auch keine Erkenntnis. Ich musste erst einen Tiefpunkt erreichen um eine Entscheidung treffen zu können. Oder besser gesagt, hat mir der Tiefpunkt die Entscheidung abgenommen Alkoholiker zu sein.

    Nur war das erst der Anfang . Denn der Kampf im Kopf, zwischen nicht oder es doch zu akzeptieren, dauerte noch eine Weile an.

    Gruß Hartmut

    Gruß Hartmut

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    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Hallo Penta,

    ich hab in meiner SHG mal flapsig gesagt, Alkoholikerin bin ich erst, seit ich trocken bin.

    Ob jemand Alkoholiker ist, kann er/sie letztlich nur selbst wissen, heißt es. Und dann heißt es auch, trocken werden kann "man" erst mit der Krankheitseinsicht.

    Bei mir war es nicht so, sondern es lief irgendwie parallel. Je "trockener" ich wurde (je länger abstinent, informierter über die Krankheit, reflektierter über mich, offener in Gesprächen, ehrlicher im Denken, mutiger im Annehmen), je trockener also ich wurde, umso klarer wurde mir, dass ich alkoholkrank bin, Alkoholikerin bin. Als ich noch trank, auch in längeren abstinenten Phasen zwischendurch, konnte ich mir nie gestatten, das zu sehen.

    Ich hab mal geschrieben, dass das damals (damals! ;)) auch mit der Angst vor dem Verlust aller Würde zu tun hatte. Wenn ich den Kampf gegen die Erkenntnis aufgab, hätte ich meine Würde aufgegeben, und niemand - vor allem ich selbst - könnte mich mehr achten. Das hat natürlich mit dem verzerrten Bild zu tun, das ich von der Krankheit Alkoholsucht hatte. Dem Stigma, von dem du auch schreibst.

    Ich finde, es ist viel Wahres an dem binsenweisen Spruch: Alkoholismus ist eine Krankheit, zu deren Wesen es gehört, dir einzureden, dass du sie nicht hast. Und deshalb passt es ja doch irgendwie wieder, was ich anfangs schrieb; dass ich mich jetzt - da ich akzeptiert habe, Alkoholikerin zu sein - gesünder fühle, als vor dieser Erkenntnis.

    Viele Grüße
    Thalia

  • Moin zusammen,

    hm... ich wußte bereits zu meinen saufenden Zeiten, daß ich - O-Ton "wohl nu zum Alki mutiert bin". Der Groschen fiel dann so richtig, als ich nach meiner Elternzeit wieder in die Arbeit gehen durfte ("wenn ich eeendlich wieder arbeiten gehen darf, dann brauch ich keinen Alk mehr"), und nach ein paar Tagen Abstinenz dann doch Abends wieder zur Flasche gegriffen habe... wohlwissend, daß ich am nächsten Tag um kurz nach vier raus muß.... "ein bischen geht schon".

    DA wußte ich, daß ich mir ein 'neues Problem' herangezogen hatte. Von der Erkenntnis bis zur Einsicht jedoch, daß ich da was ändern mußte... da vergingen aber noch rund 1.5 Jahre. Weil ändern MÜSSEN ging ja nicht. Erst, als ich ändern WOLLTE.... da ging es dann...

    Was interessant ist - war damals die Scham vorhanden, wenn ich sagte, daß ich 'Alkoholikerin' bin... so ist mir diese mittlerweile kpl. abhanden gekommen. Es ist ein Fakt, so wie ich Brillenträger bin. Ich habe bei diesem Satz keinerlei negativen Gefühle mehr. Ist eben ein Teil von mir, der im "normalen" Leben kein extra Gewicht mehr hat. Extern. Intern bzw. innerlich bin ich froh, daß ich so friedlich mit dem Thema Alkohol umgehen kann. Ich hab meinen Frieden mit ihm geschlossen.

  • Verstehe die Gedankengänge, kann das aber nicht im Ansatz nachempfinden. Was ist daran schlimm, stets bestens über sich selbst informiert zu sein? Entschied sich hier niemand ganz bewusst für diesen Weg?

  • Hallo Hull,

    ich finde nichts Schlimmes daran, bestens über sich informiert zu sein. Leider ist mir diese Gabe aber nicht vergönnt.
    Ich wollte niemals Alkoholikerin werden. Dennoch wusste ich, dass ich eine werden könnte, sollte ich (zu) viel Alkohol trinken.
    Ich spielte Russisch Roulette, hatte verloren und war eine schlechte Verliererin. So ungefähr.

    Gruß, Penta

  • Hallo Penta!

    Die Erkenntnis, das etwas mit mir nicht stimmt und dass ich ein Alkoholproblem hatte, wusste ich schon mit knapp über 20...

    Kotzend über der Kloschüssel hängen und trotzdem den nächsten Tag wieder saufen... ich bin sehenden Auges in diese Spirale gelaufen.

    Total verrückt, mein Körper zeigte mir damals schon: Hör doch auf mit dem Mist!

    Aber nein, es steigerte sich von Jahr zu Jahr der Konsum... Manchmal mehr, manchmal weniger, der Kinder wegen...

    Ich wusste schon früh, dass ich Alkoholikerin bin. Jemand, der es nicht lange ohne den Stoff aushält, der hat ein Problem!

    Umso glücklicher bin ich, dass ich es geschafft habe aus dieser Spirale auszusteigen!

    Ja, die erste Zeit ist nicht wirklich einfach, aber zu schaffen! Man muss nur ehrlich zu sich sein und etwas ändern wollen!

    LG Elly

    LG Elly

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    Mancher wird erst mutig, wenn er keinen anderen Ausweg mehr sieht.

    - Trocken seit 06.01.2013 -

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