Billy Hallo an alle...

  • ...ich bin neu hier und nicht 100% sicher, ob meine Geschichte hier reinpasst.

    Ich bin Kind eines alkoholkranken Vaters, der dieses Jahr an den Folgen seiner Alkohol- und Nikotinsucht verstorben ist. Dieses Forum hat mir schon vor einigen Jahren geholfen, den Entschluss zu fassen, mit ihm auf Distanz zu gehen und mich nach und nach mit den Folgen seiner Krankheit auf mein Leben bzw. das meiner Familie zu beschäftigen. Allerdings habe ich mich bis heute nicht getraut, tatsächlich aktiv mitzuschreiben. Ich bin total überwältigt von der Menge der Beiträge hier, habe aber noch nichts zu verstorbenen alkoholkranken Angehörigen gefunden, daher meine Unsicherheit.

    Diese Zeilen zu schreiben kostet mich grade eine riesen Überwindung, aber ich habe das Gefühl, dass mir der Austausch mit euch helfen kann, vieles Geschehene einzuordnen und zu verarbeiten. Nach dem Tod meines Vaters traten bei mir vermehrt Paikattacken auf und ich mache deswegen derzeit eine Verhaltenstherapie. Momentan lerne ich vor allem, negative Gefühle zuzulassen und sie nicht zu verdrängen und so bin ich wieder hier gelandet. Einfach weil ich mich endlich mit diesem ganzen Mist, der mir widerfahren ist, auseinandersetzen will.

    Weiß nicht, ob das als Vorstellung reicht. Weitere Fragen beantworte ich gerne.

    Grüße gehen raus an euch

  • Hallo Billy,

    herzlich Willkommen hier, wir beißen nicht. :) Gut, daß du dir ein Herz gefaßt hast dich anzumelden. Deine Vorstellung ist völlig in Ordnung so wie sie ist.

    Als erstes möchte ich dir mein herzliches Beileid zum Tod deines Vaters aussprechen. Es ist so traurig, wenn jemand an etwas stirbt, was er selber hätte zum Stillstand bringen können. Aber es ist wie es ist und als EKA mußte man früher schon und heute bis zum traurigen Ende mit den Lebensentscheidungen der Eltern zurechtkommen.

    Aktuell haben wir über 100 Beiträge täglich, das kann einem schon erschlagen. Aber man lernt sich zu fokussieren. Hast du mal im EKA-Bereich des Forums geschaut? Wenn du da dich ein wenig einliest, findest du den ein oder anderen Thread, in dem auch vom Tod eines Elternteils geschrieben wird. Viele der Themen sind nicht so lange wie in anderen Forenbereichen. Andererseits gibts EKAs, die schon jahrelang hier in der SHG schreiben. Hier ist der Link:

    Erste Schritte für EKA

    Wenn du da reinklickst, findest du als erstes oben das Thema "Merkmale für ein EKA". Das haben wir in den letzten Jahren zusammengetragen und in vielem kann ich mich (ich bin eine erwachsene Tochter einer alkoholkranken Mutter) und vielleicht du dich auch wiederfinden. Für mich gabs in dem Thema etliche Aha-Erlebnisse...

    Schau dich im Angehörigenbereich mal um und wenn du freigeschaltet werden möchtest, einfach hier melden. Wir schicken dir dann den Bewerbungslink.

    Liebe Grüße und schön, daß du hier bist.

    Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Linde,

    vielen Dank für die liebe Antwort. :) Ich verschlinge hier grade alles, was ich lesen kann, mit der Zeit finde ich sicher den Überblick. Würde mich über eine Freischaltung sehr freuen!

    Gruß, Billy

  • Danke dir Hartmut :)

    Nachdem ich ein bisschen quergelesen habe, möchte ich die Gelegenheit nutzen, noch ein wenig mehr über meine Situation zu schreiben. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll...

    Ich habe schon relativ früh als Kind gemerkt, dass mit meinem Vater etwas nicht stimmt, da meine Mutter sehr häufig sauer auf ihn war und es dadurch zu Streit kam. Dass das alles etwas mit Alkohol zu tun hatte, merkte ich so mit ca. 12 Jahren. Ich habe danach allerdings noch drei Jahre gebraucht, um mich meiner Mutter anzuvertrauen, dass ich von seiner Sucht weiß. Es fühlte sich an, als würde ich ihn verraten, aber letztendlich war es der Befreieungsschlag für mich (ebenso für meine Mutter), von dem Moment an waren wir in der Sache Verbündete. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass sie co-abhängig war und ich habe, was die Ehe meiner Eltern betrifft, viele Schuldgefühle. Bei einem schlimmen Streit meinte meine Mutter mal, dass sie sich trennen wollte. Ich habe diesen Streit mitbekommen und sie weinend angefleht, dass sie das nicht tut. Das hat mein Vater direkt ausgenutzt, um sie als schlimmste Mutter auf Erden darzustellen. Er war generell ein höchst manipulativer Mensch, ich bin zwar keine Psychologin, aber relativ sicher, dass er eine stark narzisstisch geprägte Persönlichkeit hatte. Jedenfalls war das Thema Trennung dann erstmal vom Tisch.

    Als ich älter wurde, habe ich meinen Vater immer mehr durchschaut und mich nicht mehr manipulieren lassen, was unsere Beziehung sehr verschlechtert hat. Irgendwann kam ich an den Punkt, dass ich eine Trennung meiner Eltern gut gefunden hätte. Allerdings habe ich noch eine kleine Schwester, die viel mehr ein Papakind war als ich (vor allem, nachdem ich mich von ihm abgewandt habe) und ich dachte immer, sie würde das nicht verkraften. Also blieb meine Mutter weiterhin bei ihm.

    Wenn ich lese, was ich bisher geschrieben habe, komme ich mir vor wie in einem falschen Film. Es hört sich an, als hätte ich ein unfassbar schlimmes Leben gehabt...dabei empfinde ich das gar nicht so. Alle unsere Probleme waren eigentlich immer mit dem Alkoholismus meines Vaters verbunden, der Rest lief sehr gut.

    Ich mache jetzt einen großen Sprung zu seinem Tod, da ich vorhin in einem anderen Thread etwas darüber gelesen habe, dass sich jemand manchmal den Tod der alkoholkranken Mutter herbeisehnt (und da ich hier sonst nie fertig werden würde). Ich bin Ende 20 und habe letztes Jahr oft überlegt, wie ich mir meine Zukunft mit meinem Vater vorstelle. Also wie ich mit ihm umgehe, wenn ich mal Familie habe usw. Eine Einsicht seinerseits, dass er krank ist, war für mich ausgeschlossen. Tatsächlich dachte ich manchmal, naja, es wäre vieles leichter, wenn er mal irgendwann nicht mehr ist. Jetzt ist dieser Fall viel früher eingetreten und ich dachte, es müsste sich eigentlich wie eine Erleichterung anfühlen, doch das tut es nicht. Es ist einfach surreal. Ich glaube, man gewöhnt sich so sehr an diese schlimmen Umstände, dass man erstmal lernen muss, wie das Leben ohne diese ständige Angst vor der Sucht und ihren Folgen sich anfühlt. Und jetzt fängt das Aufarbeiten erst wirklich für mich an. Der Weg ist noch lang, aber ich will ihn endlich gehen.

    Ich merke, ich verliere mich allmählich in meinem Text. Es gibt so viel, was ich noch schreiben könnte. Daher war es das fürs Erste. Freue mich auf den Austausch mit euch.

  • Hartmut 15. November 2021 um 21:56

    Hat den Titel des Themas von „Hallo an alle...“ zu „Billy Hallo an alle...“ geändert.
  • Hallo Billy,

    auch von mir ein Willkommen.

    Ich wünsche dir, dass du hier gute und wichtige Erkenntnisse für dich findest.

    Ich bin ebenfalls inzwischen längst erwachsenes Kind eines Alkoholikers und kann aufgrund meiner eigenen Erlebnisse und Prägungen nachvollziehen, was dich bewegt.

    Meine Geschichte ist etwas anders als deine, da ich die Alkoholkrankheit meines Vaters von klein auf intensiv miterlebt und erlitten habe. Mein Vater starb auch bereits, als ich 15 Jahre alt war. Ich hatte somit nicht mit diesen Fragen zu tun, wie es mit ihm wäre, wenn ich eine Familie hätte. Dieses Hin- und Her, Papakind, Mamakind, Manipulation, mögliche Trennung, doch Zusammenbleiben, Hoffen, Verzweifeln, Verdrängen von negativen Gefühlen und so weiter ist mir allerdings noch gut in Erinnerung. Was damals passiert ist, hat mich mein ganzes bisheriges Leben verfolgt.

    Ich habe hier für mich sehr wertvolle Anregungen finden können.

    Ich merke, ich verliere mich allmählich in meinem Text. Es gibt so viel, was ich noch schreiben könnte. Daher war es das fürs Erste. Freue mich auf den Austausch mit euch.

    Ich kann nachvollziehen, dass es nun aus dir heraus will, aber lass dir ruhig Zeit.

    Viele Grüße

    AufderSuche

  • Liebe Billy,

    gelesen habe, dass sich jemand manchmal den Tod der alkoholkranken Mutter herbeisehnt

    Ich weiss nicht, ob du das auf meinen Thread bezogen hast, aber jedenfalls beschäftigt mich dieser Gedanke schon eine Weile.

    Weil er so grausam klingt, möchte ich ihn erklären.

    Als ich Kind war, wusste ich bei Theateraufführungen, wo ich hinter dem Vorhang gewartet habe, dass es losgeht, immer, wo meine Mutter sitzt, weil sie wegen dem Nikotinkonsum so stark gehustet hat. Die Alkohol-Problematik ist mir etwas später bewusst geworden, aber der ungesunde Lebensstil war mir da auch schon bewusst. Und so habe ich mich damals gefragt, wie es wohl wäre, wenn sie sterben würde. Ich hätte weniger Streitereien meiner Eltern anzuhören. Es würde im Haus nicht mehr so stinken. Es würden keine Türen mehr knallen. Aber ganz viel tolles würde auch fehlen, sie hat sich mit so vielem bei uns Kindern grosse Mühe gegeben und sich für alles interessiert, was wir gemacht haben. Und so hatte ich grosse Angst davor als Kind, dass sie zu früh sterben könnte.

    Jetzt als Erwachsene sieht das nun aber etwas anders aus, denn diese schönen Seiten sind schon lange weitgehend überdeckt. Für normale gemeinsame Tätigkeiten fehlt ihr die Energie. Gespräche darf man nur führen, wenn einige Themen nicht angesprochen werden. Die Familienmitglieder werden gegeneinander ausgespielt (immer die anderen werden in Gesprächen kritisiert) und abgewertet. Entspannte gemeinsame Familientreffen sind nicht mehr möglich. Wenn wir uns besuchen, kann ich nicht mehr anders, als mich zu fragen, ob meine Kinder und ich die nächste Varizenblutung mitbekommen werden... und da wünsche ich mir eine Entspannung dieser Anspannung. Denn der Mensch, den ich als Kind so geliebt habe, ist für mich nicht mehr erkennbar.

    Es tut mir sehr Leid für dich, dass dein Vater so früh gestorben ist und auch, dass du als Kind so unter den schlechten Phasen leiden musstest.

    Ich wünsche dir viel Glück bei der Bewältigung der Ängste und ich wünsche dir, dass du die guten Erinnerungen an deine Kindheit lebendig bewahren kannst.

    Liebe Grüsse

  • Was damals passiert ist, hat mich mein ganzes bisheriges Leben verfolgt.

    Liebe*r AufderSuche,

    vielen Dank für deinen Beitrag. Mir ist der obige Satz sehr hängen geblieben. Darf ich dich fragen, ob und inwiefern sich dieses "Verfolgen" im Laufe der Zeit verändert (hat)? Konntest du irgendwann besser damit umgehen oder gibt es bestimmte Dinge, die einfach immer schwierig bleiben? Es interessiert mich sehr, da ich das Gefühl habe, noch total am Anfang mit der Aufarbeitung zu stehen. Mir ist bewusst, dass das auch auf kein konkretes Ziel hinsteuert und dann vorbei ist, sondern ein lebenslanger Prozess.

    Gruß von Billy

  • Und so habe ich mich damals gefragt, wie es wohl wäre, wenn sie sterben würde. Ich hätte weniger Streitereien meiner Eltern anzuhören. Es würde im Haus nicht mehr so stinken. Es würden keine Türen mehr knallen. Aber ganz viel tolles würde auch fehlen, sie hat sich mit so vielem bei uns Kindern grosse Mühe gegeben und sich für alles interessiert, was wir gemacht haben. Und so hatte ich grosse Angst davor als Kind, dass sie zu früh sterben könnte.

    Liebe Merlyn,

    vielen Dank für deinen Beitrag, in dem ich mich fast vollständig wiederfinde. Diese Ambivalenz fand ich immer sehr belastend. Dazu hatte ich auch so eine unfassbare Wut auf meinen Vater, dass er mit seinem Lebensstil riskiert, schwer zu erkranken, es ja geradezu herausfordert, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie schlecht es auch uns in diesem Fall gehen würde (vielleicht hat er sowas auch gedacht, ich kann es mir aber kaum vorstellen).

    Das Gegeneinander ausspielen hat zum Ende hin nicht mehr geklappt, da wir es alle längst durchschaut haben (meine Schwester ist mittlerweile auch erwachsen). Dadurch entstand auf seiner Seite Groll und wir haben manchmal die absurdesten Diskussionen geführt, die überhaupt keinen Sinn gemacht haben und in denen er uns die Worte im Mund umgedreht hat, weil er IMMER Recht haben musste. Aber mit der Zeit hab ich mich so stark von ihm zurückgezogen, dass ich noch kaum Angriffsfläche für ihn bot. Und so wurde der Umgang mit ihm immer schwerer, je älter ich wurde.

    Ehrlich gesagt finde ich deine Gedanken eher verständlich als grausam und kann sie zu 100% nachvollziehen.

    Gruß von Billy

  • Liebe*r AufderSuche,

    vielen Dank für deinen Beitrag. Mir ist der obige Satz sehr hängen geblieben. Darf ich dich fragen, ob und inwiefern sich dieses "Verfolgen" im Laufe der Zeit verändert (hat)? Konntest du irgendwann besser damit umgehen oder gibt es bestimmte Dinge, die einfach immer schwierig bleiben? Es interessiert mich sehr, da ich das Gefühl habe, noch total am Anfang mit der Aufarbeitung zu stehen. Mir ist bewusst, dass das auch auf kein konkretes Ziel hinsteuert und dann vorbei ist, sondern ein lebenslanger Prozess.

    Gruß von Billy

    Liebe Billy,

    ich werde versuchen, deine Frage zu beantworten.

    Ja, dieses „Verfolgen“ hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert.

    Es trat immer wieder etwas ein, das ein Handeln meinerseits notwendig machte.

    Zunächst habe ich versucht, mich gänzlich aus dieser Geschichte zu lösen, bin von zuhause weggegangen.

    Lange, lange Zeit habe ich es als Makel empfunden, einer Alkoholikerfamilie zu entstammen, und versucht, diesen Makel irgendwie wegzumachen. Ich habe studiert, einen guten Beruf gehabt und diesen mit Perfektionismus ausgeübt.

    Dieser Perfektionismus hat mich an meine Grenzen und weit darüber hinausgebracht, so dass ich schließlich psychisch erkrankt bin.

    Die psychische Erkrankung brachte es schließlich mit sich, mich mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen.

    Erst vor einem Jahr lernte ich den Begriff EKA kennen und fand mich in den Erfahrungsberichten anderer EKAs und gewissen Persönlichkeitsmerkmalen wieder. Das empfand ich als große Erleichterung. Es gab mir das Gefühl, mit dem, was ich nun einmal bin, nicht allein zu sein. Zuvor hatte ich immer das Gefühl anders und allein zu sein.

    Inzwischen denke und empfinde ich nicht mehr diesen Makel, Tochter aus einer Alkoholikerfamilie zu sein. Es ist, wie es ist, und ich bin, wie ich nun einmal bin. Positiv betrachtet hat es mich befähigt, andere Menschen, denen Ähnliches geschehen ist, verstehen zu können. Positiv betrachtet habe ich durch meine Vergangenheit Fähigkeiten erworben, die andere nicht haben oder zumindest so nicht haben.

    Schwierig ist es für mich bis heute, aus gewissen, erworbenen Mustern auszubrechen. Da ist zum Beispiel dieses Gefühl bzw. die Rolle der Verantwortung. Ich bin als Kind in diese Rolle, Verantwortung für meine Eltern zu haben und notgedrungen übernehmen zu müssen, hineingeraten. Eine Rolle, die kein Kind übernehmen sollte, weil es damit völlig überfordert wird. Noch heute passiert es mir, dass ich eine Verantwortung zu übernehmen versuche, die eigentlich gar nicht meine ist, wenn ich das Gefühl habe, dass andere sie nicht übernehmen.

    Schwierig ist, aus diesem Gefühl herauszukommen, nicht gut genug zu sein. Mein sogenannter „Innerer Kritiker“ ist ziemlich dominant. Inzwischen weiß ich zwar, was seine eigentliche Aufgabe ist, und ich schätze ihn mitunter auch dafür, aber ziemlich oft noch macht er mich völlig nieder. Da sind Bemerkungen, Denkmuster, Erfahrungen miteingeflossen, die ziemlich destruktiv sind. Diese gilt es für mich als solche aufzudecken.

    Vor Kurzem erst wurde mir klar, dass ich, trotz allem, was ich selbst versucht habe - und ich hab wahrlich nicht wenig versucht - die professionelle Hilfe durch einen Therapeuten brauche, um tatsächlich weiterzukommen. - Wie weit das bei dir der Fall ist, kann ich nicht beurteilen, nicht alle EKAs müssen diesen Weg gehen oder gehen diesen Weg.

    Zusammenfassend kann ich sagen: Ja, ich habe gelernt, besser damit umzugehen.

    Manches ist noch schwierig, aber auch da bin ich inzwischen recht guten Mutes, dass auch das besser wird.

    Ich kann gut nachvollziehen, wie es dir mit dem Gefühl geht, ganz am Anfang zu stehen. Du liegst ganz richtig damit, auf kein konkretes Ziel hinzusteuern. Es kann in der Tat eine ganze Weile dauern, bis du dorthin kommst, wo du sagen kannst, „Jetzt ist es ok, ich bin zufrieden, wie es jetzt ist.“

    Was ich dir raten kann, ist, Geduld mit dir zu haben und dich nicht zu überfordern. Konzentriere dich jeweils auf das, was jetzt gerade anliegt.

    Viele Grüße

    AufderSuche

    Einmal editiert, zuletzt von AufderSuche (17. November 2021 um 08:52)

  • Vielen lieben Dank AufderSuche für diese offene, ehrliche und ausführliche Antwort. Ich habe nach meiner Anmeldung hier erstmal einige Zeit gebraucht, alles Gelesene zu verdauen. Es freut mich sehr zu lesen, dass du für dich einen Weg gefunden hast und das gibt mir Hoffnung.

    Tatsächlich mache ich auch gerade eine Therapie und sie tut mir unfassbar gut. Das Gefühl des Makels ist bei mir eher unfassbar tiefe Scham...und die empfinde ich immer noch, obwohl mein Vater nicht mehr lebt. Mein ganzes Leben lang habe ich mich für meinen Vater geschämt und Scham ist so ein lähmendes Gefühl, das einen nicht weiterbringt. Deswegen kann ich mir momentan auch noch nicht vorstellen, offen mit der Krankheit meines Vaters umzugehen, ich habe mich bisher nur sehr wenigen Menschen diesbezüglich anvertraut. In der Therapie kann ich jetzt lernen, damit umzugehen und dafür bin ich sehr dankbar. Gehst du offen mit der Krankheit deiner Eltern um?

    Als ich im Forum über die Eigenschaften von EKAs gelesen habe und mich in so vielen Punkten wiederfinden konnte, hat mich das zuerst total runtergezogen. Aber du hast völlig Recht, dass man diese Fähigkeiten, obwohl der Grund für deren Entstehen negativ ist, positiv für sich als Stärke nutzen kann.

    An meinem inneren Kritiker arbeite ich auch schon seit einer Weile, es ist eine echte Herausforderung ihn überhaupt erstmal bewusst wahrzunehmen. Oft deckt sich seine Stimme auch mit dem, was oder wie etwas mein Vater sagen würde. Er hat keine Gelegenheit ausgelassen, mich für etwas zu kritisieren und kleinzumachen. Und wenn es keinen Grund gab, dachte er sich einen aus. Ich glaube, das war seine Strategie, von seinen Fehlern/seiner Sucht abzulenken. Zum Glück habe ich in der Therapie schon gute Handlungsweisen lernen können, mitfühlender mit mir zu sein und dem inneren Kritiker bewusst zu widersprechen.

    Eine Sache, die mir tatsächlich noch große Sorgen macht ist, wie mein Verhalten in Beziehungen durch meinen Vater geprägt ist. Ich habe große Angst, auch an jemanden zu geraten, der Alkoholiker ist. Es scheint da ja so ein Muster zu geben, dass dies bei vielen passiert. Der letzte Mann, bei dem sich zwischen ihm und mir etwas anbahnte war dem Alkohol auch nicht abgeneigt. Ob es schon eine Sucht war, konnte ich nicht beurteilen. Aber das war auch einer der Gründe, warum nichts Festes daraus geworden ist. Es hat mich echt schockiert, ich hätte mir niemals vorstellen können, dass mich so eine Person anzieht. Aber ja, ich hatte in meinem Leben ja kein positives männliches Vorbild dafür, wie man eine liebevolle Beziehung führt. Mittlerweile bin ich übervorsichtig und kann mich deswegen auch nur schwer öffnen. Ich will einfach nicht so leiden müssen, wie meine Mutter es tat. Dann bleibe ich lieber allein.

    Das war es erstmal wieder, viele Grüße von Billy

  • Liebe Billy, ich denke nun schon seit ein paar Tagen drauf rum, finde aber nicht so recht den Einstieg.

    Eine Sache, die mir tatsächlich noch große Sorgen macht ist, wie mein Verhalten in Beziehungen durch meinen Vater geprägt ist.

    Oh das kann ich so gut verstehen und deine Sorge ist ja keinesfalls unbegründet. Unendlich viele Geschichten verlaufen ganz genau so wie du es befürchtest. Aber ist es eine Lösung alleine zu bleiben, nur aus der Sorge heraus es könnte schief gehen? Wäre das nicht schrecklich traurig und würde ein weiteres Opfer an die Sucht deines Vaters bedeuten?

    Entweder habe ich es überlesen oder vielleicht willst du es auch gar nicht schreiben, auf jeden Fall liest du dich nicht so, als wäre das meiste von deinem Leben schon rum.

    Ich selbst komme aus einer Familie in der es vielfältige Süchte und entsprechende Opfer auf allen Seiten gegeben hat. Und wenn ich so zurück blicke, dann habe ich deine Sorge an den Falschen zu geraten schon geteilt, als ich gerade so angefangen habe mich für Jungs überhaupt zu interessieren. Natürlich habe ich trotzdem über die Jahre auch viele Muster einer EKA bedient ohne zu wissen was das eigentlich ist. Es war ein langer Weg der Fehlgriffe und was die verflossenen Männer in meinem Leben angeht, kann ich heute zum Teil nur die Hände über dem Kopf zusammen schlagen. Bis Ende 20 habe ich mich immer wieder in einen ähnlichen Typ Mann verliebt, gerne hohen Alkoholkonsum oder anderen berauschenden Substanzen. Ja, ganz bestimmt war ich auch auf der Suche nach dem Vater den ich nie väterlich erleben durfte oder einem „Prinzen“ der mich aus meiner gruseligen Familie errettet. Und irgendwann wurde mir klar, dass ich auf diese Weise niemals glücklich werden kann. Ich habe mir meine Muster ganz genau angesehen und darauf geachtet, was mich bisher an Männern angezogen hat und was für aussichtslose Geschichten das oftmals waren.

    Ich habe angefangen meine Augen und mein Herz wirklich ehrlich zu öffnen, denn vorher hatte ich aus meiner tief sitzenden Angst heraus gar nicht wirklich auf meine Gefühle gehört. Vermutlich war ich auch gar nicht in der Lage das komplette Spektrum an Gefühlen, fühlen zu können. Durch das Aufwachsen in einer Suchtfamilie tickte und ticke ich häufig ganz schön verdreht. Einen therapeutische Begleiterin, die mich durch eine schlimme Zeit geführt hat, hatte sicherlich auch ihren Anteil an meiner Entwicklung.

    Und weißt du warum ich dir dies alles schreibe?

    Nachdem dieser Knoten in mir gelöst war, habe ich plötzlich völlig andere Männer an mich ran lassen können. Heute lebe ich seit über 15 Jahren in einer Beziehung und späteren Ehe, in der ich die meiste Zeit des Tages glücklich bin! Ich habe wundervoll nervige Kinder und einen Mann, der wirklich an meiner Seite ist, der mir ein echter Partner sein will und seinen Kindern der beste und liebevollste Papa der Welt. Früher hatten wir auch schon wildere Feiern, heute trinken wir hier und da mal ein Glas Wein, aber Alkohol spielt in meinem Leben niemals eine bedrohliche Rolle. Meine Vergangenheit beeinflusst natürlich bis heute meinen Alltag und wird auch steht’s ein Teil von mir sein. ABER ganz egal wo man her kommt, ganz egal was man früher erlebt hat… ob ich heute glücklich sein will, ist oftmals ganz einfach von meiner eigenen Entscheidung abhängig!

    Es gibt die vielen Geschichten in denen es schief geht, aber auch manch eine Co hat irgendwann ihren Alkoholiker verlassen und oftmals danach eine wirkliche Liebe finden können. Mindestens die Liebe und Achtung vor sich selbst. Es ist sicher nicht leicht eine solche Herkunft hinter sich zu lassen, oft braucht es professionelle Hilfe und den ein oder anderen Rückschlag. ABER es ist an dir den Weg in dein glückliches Leben zu finden! Es ist möglich, auch wenn es Zeit, Mut und Stolpersteine gibt. Kinder aus solchen Familien haben auch unglaublich viel Kraft und Stärke, oft verborgen unter dem ganzen Schmerz, aber vorhanden, um bei Bedarf aktiviert zu werden.

    Sei achtsam und hör trotzdem nie auf an die Liebe zu glauben.

    Adventliche Grüße und alles Liebe, Lea

  • Liebe Billy,

    ich kann gut nachvollziehen, dass du Zeit brauchtest und brauchst, um manches, was du hier gelesen hast, erstmal verdauen zu können. Du schreibst, dass das Aufarbeiten für dich jetzt erst so richtig anfängt, und wie Anfänge nun einmal so sind, sind sie in der Regel nicht leicht.

    Du schreibst von dem Gefühl unfassbar tiefer Scham, dass du dich dein ganzes Leben lang für deinen Vater geschämt hast und dass du‘s noch immer fühlst. Du beschreibst dieses Gefühl als lähmend, als ein Gefühl, das dich nicht weiterbringt.

    Ich kenne dieses Gefühl durchaus, weniger allerdings habe ich mich für meinen Vater direkt geschämt. Das liegt sehr wahrscheinlich aber daran, dass mein Vater bereits starb, als ich erst 15 Jahre alt war, und wir zudem auch nicht in einer dörflichen Gemeinschaft gelebt haben, in der die Krankheit meines Vaters besonders aufgefallen wäre und ich mitbekommen hätte, dass er Gesprächsthema wurde. In den ersten 15 Jahren meines Lebens sind wir siebenmal umgezogen und das jedes Mal in andere Orte.

    Sich für einen Elternteil schämen, habe ich so eigentlich erst als Erwachsene in Bezug auf meine Mutter kennengelernt. Nachdem die Depressionserkrankung bei ihr ausgebrochen war, war ihr ihr Aussehen egal geworden.... Es war mir mitunter unangenehm, mit ihr in unserem Ort, wo man mich kennt, unterwegs zu sein, und ich weiß, dass es meiner Schwester nicht anders ging.

    Ja, Scham kann lähmen. Inzwischen aber versuche ich bei mir immer wieder herauszufinden, was die eigentliche positive Aufgabe des Gefühls ist, das ich als unangenehm oder sogar lähmend empfinde. Auch Scham hat eigentlich eine positive Aufgabe.....

    Du wirst dieses Gefühl nicht wegbekommen, aber du kannst lernen, wie du es zu seiner ursprünglichen Aufgabe zurückführst.

    Mit der Krankheit meiner Eltern gehe ich inzwischen offen um. Ich binde sie nicht jedem auf die Nase, aber, wenn es sich ergibt und ich das passende Gegenüber habe, spreche ich tatsächlich offen darüber.

    Dass sich die Stimme deines Inneren Kritikers mit dem deckt, was dein Vater gesagt hat oder sagen würde, wundert dich das? In der Therapie habt ihr bestimmt schon darüber geredet.

    Letztens hab ich während der Therapiesitzung unbewusst eine Kopfbewegung gemacht, die ich an meiner Mutter immer gehasst habe..... Der Therapeut hat mich überhaupt erst darauf hingewiesen, dass ich diese Kopfbewegung gemacht habe. Ich war schockiert, als er mich darauf ansprach. Er hat mir dann erklärt, wie es dazu kommt, dass wir Dinge von unseren Eltern oder anderen prägenden Personen übernehmen.

    Was Beziehungen betrifft: Auch da wirst du hier im Forum Informationen finden, worauf du achten kannst. Und wenn du an jene gescheiterte Beziehung zurückdenkst, wirst du möglicherweise auch herausfinden können, was dich an diesem Mann so angezogen hat. Es muss dir nicht zwangsläufig so ergehen wie deiner Mutter.

    Liebe Grüße

    AufderSuche

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!