Hallo Alkohol,
heute will ich mal ein paar Zeilen an dich richten.
Du versuchst ja nun jeden Tag auf deine etwas plumpe Art mit mir Kontakt aufzunehmen und bist vermutlich etwas irritiert, dass ich dir meine Sympathie entzogen habe so von heute auf morgen.
Aber sei ehrlich Alkohol: so überraschend war das gar nicht. Du tust jetzt nur so. Du wusstest doch schon viel länger als ich selbst, dass wir ein sehr einseitiges Pärchen waren. Ich habe nur nicht gepeilt, was du in Wirklichkeit von mir wolltest. Du hast gut gelogen, Hut ab. Du weißt wie man menschliche Schwächen ausnutzt.
Ich will dir nichts vormachen Alkohol, wenn es nach mir ginge wäre ich dafür, dich aus dieser Welt auszurotten. Ich will dir das nur sagen, damit du weißt woran du bei mir bist. Natürlich weiß ich, das das nicht geht und dass du mich noch überleben wirst, aber eben nicht so wie du dir das gedacht hast. So sind die Fronten erstmal geklärt zwischen uns.
Und ich will dir noch was sagen. Ich bin nicht mehr so naiv, wie ich mal war. Ich glaube dir nichts mehr. Manchmal bin ich ein Spätzünder, häufig sogar, aber wenn ich einmal etwas verstanden habe, dann habe ich es mir selbst erarbeitet und nichts und niemand kann es mir wieder nehmen.
Ich weiß, dass du ein sehr virtuoser Gegner bist. Ich will dir nur sagen: Unterschätze mich nicht. Ich weiß genau, dass du deine Strategie mich wieder einzufangen augenblicklich ändern kannst. Jetzt gibst du Ruhe, wiegst mich in Sicherheit. Du hast die Geduld die ich immer gerne gehabt hätte. Du wartest auf mich, um mich dann heimtückisch zu überfallen.
Ich weiß, dass du gut bist Alkohol. Gut in Heimtücke. Aber ich bin besser. Ich habe gelernt. Ich habe dich studiert. Du bist überschaubarer als ich dachte. Ich dachte schon, ich könnte nichts machen gegen dich. Aber heute kenne ich deine Tricks.
Kennst du Inspektor Clouseau , gespielt von Peter Sellers aus Der rosarote Panther? Kennst du seinen Haushälter Kato, den er beauftragt hat, ihn immer dann aus dem Hinterhalt anzugreifen, wenn er am wenigsten damit rechnet ? So hat er sich für den Eventualfall gerüstet. Kato sprang ihn von hinten an wenn er nach Hause kam und malträtierte ihn mit asiatischem Kampfsport ... aber immer vergeblich.Der Inspector war auf der Hut. Und das bin ich auch.
Ich muss dir sagen, dass ich dich gehasst habe. Aber du hast es geschafft so tief in meine Psyche einzudringen, dass du diesen Hass subjektiv in einen Selbsthass umwandeln konntest. Immer wenn ich mich von dir lösen wollte, hast du mir geschickt das Gefühl vermittelt, dass das was ich dabei an negativen Gefühlen hochkommen hatte von dir beseitigt werden könnte. Leider hat das zum Teil sogar funktioniert. Ich wusste ja nicht, dass es nur bei den Teilen funktioniert hat, die von dir selbst vorher produziert wurden. Ich konnte das ja nicht mehr unterscheiden in meinem schwammigen Brausekopf. Du solltest dich schämen auf solche hilflosen Personen einzuschlagen.
So dachte ich, ich hasse mich selbst und du willst mir helfen. Und das fiel auf fruchtbaren Boden. Ich hielt wirklich nicht viel von mir. Wirklich gutgemeinte Versuche von außen mich vom Gegenteil zu überzeugen schlug ich in den Wind. Ich blieb lieber bei dir.
Weißt du Alkohol, du kennst mich ja nun auch schon ein Weilchen und ich denke du ahnst, dass es müßig ist bei mir ernsthaft noch einmal fußfassen zu wollen. Ich weiß aber, dass dich das nicht davon abhalten wird, es zu probieren. Nur zu. Das gehört zu meinem Leben wie das Hineintreten in einen Hundehaufen. Nicht schön, aber man streift den Mist ab und es geht weiter. Selbst wenn es nicht abginge, Alkohol, mach' dir keine Hoffnung. Ich würde den Schuh wegschmeißen und barfuß weiterlaufen.
Du weißt, dass ich nicht lange fähig oder willens bin zu hassen. Und ich weiß, dass du das ausnutzen möchtest. Vergiss' es, Alkohol.
Wenn ich aufhöre zu hassen, heißt das nicht, dass ich vergessen habe. Es heißt, dass ich verarbeitet habe und abgehakt. Das ich nicht bereue und nach vorne blicke. Und vorne ist von dir weit und breit nichts zu sehen.
Ich weiß du kommst ganz flink von hinten zurück in mein Blickfeld um dich aufzudrängen, hoffst auf einen Überraschungseffekt. Das du schon zu so einer Taktik greifen musst macht mich stolz, denn es zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Versuch' es nur. Ich werde ganz gelassen die Augen für einen Augenblick schließen, tief ausatmen und dich mental wieder ausspucken, so schnell kannst du gar nicht gucken.
Wir beide werden solange ich lebe paralell existieren, aber nie wieder gemeinsam. So schwer ich mich tue mit Entscheidungen, aber wenn es mal so weit ist bin ich auch konsequent. Es gibt Bereiche, wo ich sagen würde: 'Sage nie nie', oder die ich immer einen Spalt offenlassen würde um noch neuen Argumenten zugänglich zu sein. Weil ich mich nicht Neuem verschließen möchte und mich weiterentwickeln. Das ist eine Tugend wie ich finde. Aber wenn man jemanden kennt wie dich Alkohol kann es natürlich zu einem Fluch werden, weil du es dadurch bei mir leicht hattest, einen Fuß in die Tür zu bekommen.
Ich bin stolz dir sagen zu können, dass ich mich verändert habe. Ich kann Türen schließen. Es muss noch nicht einmal laut sein. Zu müssen sie sein, zu. Und du musst auch nicht denken, dass mir das leid tut, wenn du vor der Tür sitzt und winselst. Ich freue mich, dich nicht mehr im Haus zu haben. Ich empfinde nicht die geringste Form von Trauer. Und du brauchst auch nicht darauf setzen, dass es mich aggressiv oder ängstlich macht, wenn du dagegen tritts und sie aufbrechen willst. Du weißt wie ich, dass die Tür dick genug ist und nur auf meiner Seite eine Klinke. Die Klinke steckt aber nicht mehr im Schloss. Ich kann diese Klinke nicht völlig aus meinem Lebensraum eleminieren, aber ich kann sie unbrauchbar machen, durch körperliche, seelische und geistige Kraft unbrauchbar machen für einen Fall, den ich nicht vorhersehen kann.
Also Alkohol, dies ist also nur bedingt ein wirklicher Abschiedsbrief, denn wir werden ja noch öfters voneinader hören, nur zusammenkommen werden wir beide nicht mehr.
Micha