Hallo, liebes Forum, mein Name ist Stefan!
Nach langem Hin und Her habe ich mich, nachdem ich schon einige Zeit in diesem Forum lese, mich entschlossen, auch meine Geschichte zu erzählen.
In der Hoffnung, hiermit einen weiteren Schritt (mühsam ernährt sich das Eichhörnchen!) in ein dauerhaft alkoholfreies Leben setzen zu können.
Über 20 Jahre hat es gedauert, bis ich – ich gehe inzwischen auf die 50 zu – begriffen habe, dass ich nicht nur mit Alkohol nicht umgehen kann, sondern ein nicht zu leugnendes Alkoholproblem habe und ja, ein Alkoholiker bin. Gerade letzteres zu akzeptieren, war ein langwieriger Prozess, geprägt von viel Ignoranz, Verharmlosung, Unverständnis und "Nicht-Wahrhaben-Wollen".
Dabei sollte lange nichts darauf hindeuten, dass ich zu einem Alkoholiker werden sollte. Bzw. war es ein schleichender Prozesse über viele Jahre.
In der Schulzeit bis zum Abitur war der Alkohol verpönt (man musste schließlich ordentlich lernen und eigentlich hatte man für das „Um-die-Häuser-Ziehen“ gar nicht wirklich Zeit; gerade einmal in der letzten Klasse gab es ein paar Partys, wo man trank (mäßig – ein paar Biere, für mehr reichte auch das Geld nicht), aber nicht viel, und am nächsten Tag war einem in der Regel so übel, dass man für die folgenden Wochen ohnehin genug hatte. Zu Hause wurde gar nicht getrunken. Mein Vater trank seit seinem 30. Lebensjahr keinen Tropfen mehr; meine Mutter bestenfalls bei ihren Freundinnen auswärts ab und an mal einen Eierlikör oder Baileys zu Kaffee und Kuchen.
Dann kam die Zeit beim Heer, wo ich, weil ich einer der wenigen mit einem Auto war und Chauffeur spielen musste, eigentlich auch kaum bis gar nichts trank. Vielleicht einmal an einem Wochenende in einem Wirtshaus (wohnte damals auf dem Land) beim Kartenspielen das eine oder andere Bier oder Wodka-Lemon – aber auch hier nicht mehr.
Es folgte das Studium. Anfangs musste man sich eingewöhnen, neue Leute kennenlernen, zu lernen gab es natürlich auch viel (war meist doch recht strebsam), und die erste Zeit gab es auch gar keinen Grund oder Anlass, großartig die Kneipenszene unsicher zu machen. Mit der Zeit änderte sich das aber. Ich lernte auf der Uni Studentinnen und Studenten kennen, menschlich schwer in Ordnung, aber teilweise leider auch recht trinkfreudig und trinkfest. Da zog man dann schon öfters mal um die Häuser und der Konsum stieg langsam aber stetig. Das klassische "Studentenleben" eben, könnte man jetzt sagen. Da stößt man sich die Hörner ab. Jetzt kann man das noch machen, später mit Job und mit Familie geht das ohnehin nicht mehr – weit gefehlt! Leider. Ich fürchte, da war bei mir der Grundstein für das, was dann später kommen sollte, schon gelegt.
Weiter ging es. Mitte 20 der erste richtige Job. Beim Staat. Da hieß es sich zusammenzureißen – und tatsächlich, vor lauter Angst, mir die Zukunft zu verbauen, schränkte ich den Alkohol-Konsum unter der Woche auf fast null ein. Nur an den Wochenenden (meistens am Samstagabend) drehte ich mit Freunden oder Arbeitskollegen, wenn denn wer da war, meine Runden, dann aber doch recht ordentlich. Trotzdem: Alleine oder zu Hause wurde weiterhin nicht getrunken.
Dann begann es unangenehmer zu werden: Neuer Job in einer anderen Stadt, in einem großen privatwirtschaftlichen Unternehmen mit viel Leistungsdruck. Das Arbeitspensum war gewaltig (10-14 Stunden / Tag und Arbeiten am Wochenende waren die Regel), der Stresspegel stieg und es gab kaum Zeit für ausgleichende Aktivitäten oder einfach nur für ein wenig Regeneration (Urlaub? Theoretisch ja - praktisch: nicht machbar). Also was tun, wenn man spät abends oder in der Nacht in die Wohnung kommt und im Kopf noch 1000 Gedanken umherschwirren? Ich jedenfalls tat das Falsche. Vor dem TV (Nachrichten) schnell eine Flasche Sekt getrunken, damit ich überhaupt einschlafen konnte. Das wirkte tatsächlich und (ja!) leider: Ich gewöhnte mich daran. Zumindest aber wurde die Menge über die Jahre nicht mehr – weniger aber auch nicht. Einmal nicht unter der Woche eine Flasche am Abend aufzumachen, kam mir schließlich gar nicht mehr in den Sinn. Während dieser Zeit scheiterte auch meine damalige erste langjährige Beziehung, aber zumindest war daran nicht der Alkohol schuld.
Nach ein paar Jahren habe ich dann das Handtuch geworfen und diesem unsäglichen Arbeitsumfeld „Adieu!“ gesagt. Neue Stadt – neuer Job. Und es sollte vorerst tatsächlich besser werden. Endlich gab es geregelte Arbeitszeiten, die Arbeit selbst fand ich auch gut, nette Kollegen, viel Zeit für Freizeitaktivitäten und insgesamt eigentlich ein schönes Leben. Meine Situation besserte sich. Unter der Woche wurde praktisch nichts mehr – oder bestenfalls minimal – getrunken; dies war auch dem vielen Sport geschuldet (war richtig gut in meinem Bereich und wenn man eine ordentliche Leistung bringen will, sollte man das Bier lieber weglassen). Gelegentlich gab es mal einen After-Business-Drink mit Freunden oder eine Firmen- oder Geburtstagsfeier. Auch das hätte ich eigentlich lassen sollen. Aber wie es wohl bei vielen so ist: Das nimmt man nicht so wahr, irgendwie gehört es dazu (so dachte ich damals – auch ein Fehler), man hat keine Beschwerden, "schwitzt" den Alkohol beim Sport ohnehin wieder raus, warum soll man also nicht ein bisschen Spaß haben? Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, wie sich die Sache weiterentwickelt, hätte ich vermutlich wohl damals schon die Handbremse gezogen. Denn die geselligen Aktivitäten steigerten sich in ihrer Zahl, langsam aber doch. Zum Bier kamen härtere Sachen dazu; nicht oft, aber regelmäßig. Dazu: Vor dem Sport ein, zwei Bier - danach: auch. Also genau, wie es nicht sein sollte.
Über die Jahre war ich dann durch die Gewohnheit des Konsums schon ganz gut „geeicht“ – bis zu einem gewissen Pegel konnte ich problemlos trinken (meist Bier und Weinschorle). Und das tat ich dann auch. Kater hatte ich eigentlich nie mehr einen - auch das hätte mir zu denken geben müssen. Kleinere Schlafstörungen in der Nacht schob ich auf alles, nur nicht auf die Sauferei.
Vor einigen Jahren übernahm ich dann die Geschäftsleitung. Mit der Verantwortung stiegen der Druck und die Verantwortung und Freund Alkohol war dann immer schneller zur Stelle als gedacht. Bald schon musste ich vormittags das erste Glas Wein runterkippen, um den Stress am Vormittag (da war am meisten los) irgendwie auszugleichen. Zu Mittag meist ein, zwei Bier – gegessen habe ich kaum etwas – dann ging es. Am Nachmittag bis zum Abend hin wieder Wein, mal mehr, mal weniger. Als es dann endlich nach Hause ging (selten vor 20.00 Uhr) nochmals Wein; eine Flasche war es eigentlich immer. So verging die Woche.
Die Wochenenden? Nicht viel besser. Wenn meine Frau und ich mit Freunden unterwegs waren, riss ich mich ordentlich zusammen. Ein, zwei Bier über den Tag. Wenn nicht, dann war es mehr.
Bei der Arbeit wurde es zunehmend schwieriger, über den Tag zu kommen. Die Belastung stieg, immer mehr Verantwortung, mehr Sprit. Ein Teufelskreis. Manche Mitarbeiter bemerkten langsam, dass da was nicht stimmte. Aber sie sagten nichts (nur einmal ein älterer Kollege, der aber ziemlich deutlich). Ich leugnete natürlich alles, schob mein Verhalten auf wenig Schlaf, Stress und Tabletten und weiter ging es.
Zwischenzeitig gab es auch trockene Phasen, meistens so drei bis sechs Monate – oft kam der Vorsatz nichts mehr zu trinken zum Jahreswechsel, gefolgt vom „Dry January“, der dann meistens auch bis April, Mai konsequent verlängert wurde. Aber es half nichts: Ein Betriebsausflug hier, eine Mitarbeiterverabschiedung dort, dann wieder ein Geschäftstermin mit einem Glas Wein zum Geschäftsabschluss – man kann sich’s denken. Eigentlich bin ich zu einem echten Quartalssäufer mutiert.
Parallel dazu kam der Kampf mit dem Gewicht. Durch die Abstinenz plus Sport verlor ich in den ersten Monaten meistens 15 - 20 kg, die ich mir dann wieder "hinauftrainierte". Und das fast jedes Jahr. Auch das ein untragbarer Zustand, und je fauler ich wurde, desto mehr schüttete ich in mich rein.
Warum ich hier bin? Vor einiger Zeit hat mir meine Frau erklärt, dass sie sich trennen möchte und ist auch tatsächlich ausgezogen. Irgendwie habe ich das zwar alles kommen sehen. Aber das fast schon „Kuriose“: Von meiner Sauferei hat sie kaum etwas mitbekommen (und es ist ihr auch heute noch immer nicht bewusst - ich habe es ihr gegenüber bis jetzt noch immer nicht eingestanden). Die Trennung hatte tatsächlich andere Gründe. Sie selbst sagt, ja früher hätte ich ab und an einmal etwas zu viel getrunken, aber dies sei in den letzten Jahren viel besser geworden und dies sei auch nicht der Trennungsgrund. Ist das zu fassen? Ich kann das selbst kaum glauben. Was für eine traurige (aber anscheinend recht gekonnte) Schauspielerei… Eigentlich habe ich mich zuletzt fast täglich konsequent zugeschüttet und das hat man nicht bemerkt!? Im Nachhinein finde ich das richtig schlimm.
Diese Trennung war für mich nun der Anlass, nicht nur der Sauferei, sondern auch dem Alkohol endgültig Lebewohl zu sagen. Seit einigen Wochen fasse ich daher auch nichts mehr an. Die körperliche Entgiftung verlief völlig unproblematisch (Gott sei Dank). Dass die psychische Abhängigkeit weiterhin bestehen bleibt, ist mir klar. Daran zu arbeiten, wird ein langer und schwerer Prozess. Alleine bei den vielen Weihnachtsfeiern derzeit (ich muss da leider dabei sein) auf den Alkohol zu verzichten bzw. den anderen klarzumachen, dass man nichts trinkt, ist schon arg schwer. Und stresst. Hoffe, ich bin hier konsequent genug.
An dieser Stelle würde es mich interessieren, wie ihr am Arbeitsplatz mit diesem Thema umgeht? Ich denke, so wie ich mich kenne: Einmal unbedarft zulangen und der Irrsinn geht wieder von vorne los.
Körperlich habe ich nochmal die Kurve gekratzt. Hätte ich so weiter gemacht, wäre das wohl über kurz oder lang übel ausgegangen (hatte auch einen alkoholbedingten Todesfall in der Familie – und dieser Tod war echt grausam).
Entschuldigt bitte das viele Geschreibe, aber dies hilft mir ein wenig in der Verarbeitung meiner Probleme und wenn ich dies hier zu „Papier“ bringe, werde ich mir auch immer bewusster, dass ich ein Alkoholiker bin und dringend mein Leben dauerhaft auf die Reihe bringen muss.
Dies zum Einstieg. Die „hässlicheren“ Stationen meines Säuferlebens (wo ich zeitweise einfach nur unfassbares Glück hatte bzw. wo ich mich in Grund und Boden schämen könnte) lasse ich hier noch lieber aus.
Es grüßt,
Stef.