Und die Frage die freitags angesichts zweier freier Tage alle bewegte:
WAS MACHE ICH AM WOCHENENDE?
Für mich war schnell klar, was ich NICHT machen wollte: Im Aufenthaltsraum sitzen, Kreuzworträtsel lösen, Kaffee trinken, Fernsehen, lesen, die Zeit totschlagen mit belanglosen Gesprächen, in die Stadt gehen…
Ich nutzte das, was da war: Den Wald. Stundenlang streifte ich umher, entdeckte neue Wege, lernte wieder, mich zu orientieren und bekam einen Blick für die schönen Dinge am Wegesrand.
Sicher war ich hier wieder alleine, aber ich hatte ja nachher etwas zu erzählen und zudem das Gefühl, dass mir dieses “zurück zur Natur” einfach gut tat. Auch in der Woche nutzte ich jede freie Stunde, die Umgebung zu erkunden. Ich sah wieder Rehe, Ameisenhaufen, hörte die Vögel singen und das Rauschen der Bäume im Wind (oder umgekehrt?). Und ich fühlte die Sonne, die in diesem Sommer unablässig vom Himmel schien. Ich SAH und ich HÖRTE wieder. Und ich begann wieder zu FÜHLEN: Fast unbemerkt tat ich dabei einiges für meine körperliche Fitness (das sollte sich später auszahlen).
Ich hatte dabei jede Menge Muße zum Nachdenken. Wie geht es weiter, wenn ich wieder zu Hause bin? Der Termin bei meinem Suchtberater stand bereits fest, dass ich eine Therapie achten wollte, war klar. Aber was macht “man” bei einer Therapie? Wie ist das? Sicher, reden. Aber worüber? Über das warum? Na, ich war hat allein, bin ausgenutzt worden… Gedanken halt. Aber mehr in die Zukunft schauend, als zurück. Meine Vergangenheit konnte ich nicht ändern, aber jetzt wollte ich etwas tun.
Ich hielt also die Augen und Ohren offen, nicht nur im Wald. So kam es, dass ich bei einem Arztbesuch auf unserer Station den Tipp bekam: “Mit dem da musst Du einen Termin machen, das ist Dr. König, der Psychologe.” Ich sprach ihn an und bekam prompt einen Termin zwei Tage später (und im Anschluss an unser Gespräch einen neuen. Das ging so bis zum Antritt meiner LZT).
Ansonsten hielt ich mich an die Regeln, die in der Klinik galten.
Durch die ständigen Entlassungen und Neuaufnahmen fühlte ich mich bald als “alter Hase”. Rückfallpatienten blieben ja nur drei Tage und zwei habe ich gehen und wiederkommen sehen.
Die ganzen Eindrücke, die ich dort bekam waren so intensiv, dass ich mich an viele Ereignisse heute noch im Detail erinnern kann. Weil ich hier aber keine Gebrauchsanweisung für die Entgiftung schreiben kann und will, belasse ich es dabei. Jeder muss seine eigenen Erfahrungen sammeln, ob in der Entgiftung, der Therapie oder im Leben und seine Lehren daraus ziehen. Im Rückblick bin ich allerdings froh, mich bedingungslos an die Anweisungen des Personals und die Regeln der Klinik gehalten zu haben. Das gab mir Sicherheit und das war richtig!
Aus den Gesprächen über rekordverdächtige Promillewerte und anderes “Entgiftungslatein” hielt ich mich raus. Aber mir wurde klar, dass ich nicht “nur” Bier getrunken hatte: Ich gehörte dazu, war Alkoholiker wie alle hier.
Abends saßen wir im Aufenthaltsraum zusammen, erzählten über Vergangenes und das was kommen wird und werden soll, rauchten und guckten im Fernsehen die Fußballspiele der WM.
Hin und wieder stellten sich auch Selbsthilfegruppen vor. Auch dabei bot sich ein breites Spektrum an Ansätzen. Eine Gruppe, an die ich mich erinnere vermittelte den Eindruck, Glück in Dosen unters Volk zu bringen. Doch die Mehrzahl konnte mir doch vermitteln, wie wichtig eine SHG für mich ist und sein wird (wenngleich mir die Tragweite dieser Erkenntnis noch nicht bewusst war), Und auch bei den Gruppengesprächen auf der Station wurde mir nach Jahren in der selbst gewählten Isolation klar:
ICH MUSS REDEN!